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Allgemeiner Anzeiger : 04.12.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-12-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190112043
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19011204
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19011204
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1901
-
Monat
1901-12
- Tag 1901-12-04
-
Monat
1901-12
-
Jahr
1901
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 04.12.1901
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Politische Rundscha«. Deutschland. * Kaiser Wilhelm lehrte am 30. v. aus der Göhrde zurück, Erzherzog Franz Fer dinand fuhr von Charlottenburg aus nach Dresden weiter. *Die Nachricht, daß die Villa Amato in Palermoauf vier Monate für die Kais erin gemietet wordcn sei, ist, nach einer halbamtlichen Meldung aus Potsdam, ebenso erfunden wie alle bisherigen Meldungen über Reisepläne der Kaiserin. *Das Reichsdefizit wird jetzt im ,B°rl. Tagebl/ aus 60 Millionen Mark angegeben, wovon 30 Millionen Mark durch Anleihen und 30 Millionen Mark durch Erhöhung der Matrikularbeiträge ge deckt werden sollen. * In parlamentarischen Kreisen wird an genommen, daß das ganze Zolltarif- gesetz und der ganze Zolltarif nach Abschluß der ersten Beratung im Plenum an eine Kommission zur Vorberatung überwiesen werden. Wie erinnerlich, ist in der Presse der Vorschlag aufgetaucht, bestimmte Teile der Vorlagen gleich im Plenum zur zweiten Lesung zu stellen, ohne sie vorher in der Kommission zu prüfen. Gegen diesen Modus haben sich bereits die Sozial demokraten in einem Fraktionsbeschluß erklärt; und auch dem Zentrum dürste mit der sofortigen zweiten Beratung gewisser Abschnitte des Tarifs im Plenum nicht gedient sein. *Dem Reichstag ist ein Nachtrag zu dem Vertrage des Reiches mit der deutschen Ostafrikalinie über die Postdampierver- bindungen mit Afrika zugegangen. Danach sollen vorübergehend die vereinbarten zwei wöchentlichen Rundfahrten um Afrika durch zwei vierwöchentliche Fahrten, eine aus der Ostlmie und eine auf der Westlinie, mit gemeinsamem Endpunkte und selbständiger Hin fahrt und Rückfahrt ersetzt werden können. *Nach amtlicher Mitteilung ist beabsichtigt, an Stelle der Kommission für Arbeiter- Statistik eine neue ständige Einrich tung zur Pflege der Arbeiter-Statistik zu schaffen. Zu diesem Behüte soll mit dem Be ginn des kommenden Etatsjahres im Kaiser lichen Statistischen Amte eine besondere, unter der unmittelbaren Leitung des Präsidenten dieser Behörde stehende Abteilung errichtet werden, die zur Ausführung der bisher der ge nannten Kommission zugewiesenen Obliegen heiten durch einen Beirat verstärkt werden soll, besten Mitglieder gleich denen der bisherigen Kommission durch Wahlen bes Bundesrats und des Reichstags berufen werden. *Zu Beginn des nächsten Jahres wird die Verteilung unserer überseeischen Schiffe die folgende sein: Auf der Ostasiatis chen Station bleiben zunächst das Kreuzer- geschwadcr, bestehend aus dem großen Kreuzer „Fürst Bismarck", „Hertha", „Hansa" und „Kaiserin Augusta", ferner die vier Kanonen boote „Iltis", „Tiger", „Jaguar" und „Luchs", sowie die zu entsendenden kleinen Kreuzer „Gazelle" und „Thetis", mithin im ganzen zehn Schiffe von 37 512 Tonnen, einer Besatzung von 2913 Mann und einer Artillerie von 232 Geschützen verschiedenen Kalibers. Als zweit stärkste wird die Amerikanische Station mit dem großen Kreuzer „Vineta" und den kleinen Kreuzern „Geier" und „FM" besetzt sem, zusammen 9160 Tonnen, 795 Mann Be satzung und 56 Geschützen. Die Schaffe der Australischen Station, „Cormoran", „Seeadler" und „Möwe", messen zusammen 4105 Tonnen und 'ühren 463 Mann Besatzung und 33 Geschütze. Die kleinen Kreuzer „Bussard" und „Schwalbe", die auf die Ost afri kanische Station zurückkehren, find von 2750 Tonnen mit 282 Mann und 26 Kanonen besetzt, während die Westafrikanische Station, auf der sich nur das ältere Kanonenboot „Habicht" und das Vermessungs- tahrzeng „WoO", zusammen 1345 Tonnen, be- finoen, durch 215 Mann Besatzung und 15 Ge- ! schütze gedeckt ist. Insgesamt werden sich zu! Beginn des nächsten Jahres auf unseren über-' seeischen Stationen 22 Schiffe mit 54872 Tonnen, einer Besatzung von 4668 Kövfen und einer Artillerie von 362 Geschützen verschiedenen Kalibers befinden. *GegencknonymeEingaben wendet sich das großherzoglich oldenburgische Kabinett in folgender o fizieller Bekannt machung: „Es ist mehrfach Vorkommen, daß sowohl der Großherzog als auch die Groß herzogin durch anonyme Eingaben belästigt worden find. Unter Hinweis auf frühere ähn liche Bekanntmachunaen der großberrogl'chen Hof- und Privatkanzlei wird daher in höchstem Auftrage bekanntgegeben, daß solche Eingaben der in ihnen vertretenen Sache nur schaden können. — Diese offizielle Bekanntmachung ist jedenfalls sehr zeitgemäß. Major v Witzmann, der in Graz krank daniederliegt. Oesterreich-Ungar«. * Einer der Führer der Alldeutschen, der be kannte Dr. Wolff, bat sein Mandat niedergelegt. Die Gründe sollen privater Natur sein und eine Frau dabei die Hauptrolle spielen. * Von der galizischen Kaufmann schaft erschien in Lemberg ein Amrus, in welchem die galizische Geschäftswelt aufge'ordert wird, alle Handelsbeziehungen mit Deutschland ahzubrechenund Waren, die unentbehrlich find, lieber aus England und Frankreich zu beziehen. Wer sich geg-n diesen einmal g-faßten Beschluß wehrt, wird boy" koitiert. Die Restaurationen unw Kaffeehäuser Lembergs wollen ein bis zwei Prozent ihrer Bruttoeinnahmen vom 1. bis 15. Dezember nationalistischen Sammlungen widmen. Krankreiek. * Trotz der Voyron.-Enthüllungen hat da? Ministerium Waldeck-Rousseau in der Kammer dennoch die C h i n a - A n l e i he durchgesetzt. Die Vorlage wurde mit 335 gegen 213 Simmen angenommen. Belgien. *Die Königin Maria Henriette von Belgien ist bedenklich erkrankt. Balkanstaaten. * Die von türkischen Räubern ge fangen genommene Miß Stone und ihre Bealeiterin Alka sollen nach Meldungen der Behörden in Sa*on chi gestorben und be reits beerdigt sein. Miß Stone sei aus Gram gestorben. *Die Meldung von einer bevorstehenden Scheidung der Draga-Ehe soll er funden sein: dagegen herrscht am Hof zu Belgrad große Aufreguna, weil die unabhängi gen Radikalen in der Skupschtina eine Juter- vellation einbringen wollen, warum die für Beginn des Jahres in Ansicht gestellte Geburt eines Thronerben seiner Zeit amtlich als bevorstehend bezeichnet worden und so eine Täuschung d's serbischen Volkes ins Werk gesetzt worden sei. König Alexander ist persönlich bemüht, die unabhängi gen Radikalen von der Eindringung einer solchen Interpellation abzubringen, auch der Mmistervräfident Wujitsch bemüht sich in gleicher RicMmg. Amerika. *Auk Vor^ellung der kolnmbischen Negie rung entschied Präsident Roosevelt, daß weder die kolnmbischen Staatstruppen noch die Rebellen die Jsthmusbahn benutzen dürfen. Afrika. *Auf dem südafrikanisch enKriegs- schauplatz berechnen die ,Times' nach einer Mitteilung aus Pretoria die Stärke der Burenmacht wie folgt: Es befinden sich noch im Felde 70 Kommandos und Trupps der Buren von 50 bis 400 Mann, von denen 26 in der S ü d a f r i k a n i s ch e n R e v u b l i k, 31 im Oranjefreistaat und 13 in der Kapkolonie stehen. In der Südafrikanischen Republik, im Norden der Delagaalime. befinden sich 7 Kommandos mit ungefähr 1100 Mann, im Süden dieser Linie 11 Kommandos mit 1600 Mann; 8 andere Kommandos der Süd afrikanischen Republik find im Süden verstreut. In der Kapkolonie find 10 Kommandos im Westen der Hauptbahnlinie und drei im Nord ostbezirk. Kitchener hat nur 45000 Mann zu seiner Verfügung. So schließt wenig hoff nungsvoll diese Nachricht der .Times' aus Pretoria. Sie macht es begreiflich, daß von neuem die Nachricht von der demnächstigeu Demission Kitcheners auftaucht. Er soll in einem Brief an seine Schwester erklärt haben, daß er müde sei und das Bedürfnis habe, sich auszuruhen. Aus dem Reichstage. Der Reichstag nahm am Donnerstag die Novelle zur Strandungsordnung in dritter Lesung an und setzte sodann die zweite Lesung der Seemannsordnung fort. Die Beratung gedieh bis zum 8 32. Die Kommissionsbeschlüsie erfuhren in einigen Punkten Abänderungen, u. a. wurde zu 8 4 ein Antrag Cahensly (Zentr.) angenommen, wonach für gewisse Fälle ein Beisitzer des Seeamts aus MonnichaftS- kreiien herangezogen werden muß, falls sich das Verfahren gegen einen Schiffsmann richtet. Zu § 32 wurde ein Antrag Arendt (sink.) angenommen, wonach die Erlaubnis zum Anlandgehen in der dienstfreien Zeit, wenn das Schiff in einem Reichs- Ha en liegt, nach Beendigung der Rückreise nicht ver weigert werden darf. Am 29. v. wird die zweite Beratung der See manns-Ordnung fortgesetzt bei tz 33, der die Bestimmungen über die Arbeitszeit enthält. Sie soll nach den Besctlüssen der Kommission, wenn da? Schiff im Hasen oder aus der Reede liegt, in derRgel zehn Stunden, in den Troven acht Stunden beiraaen. Arbeit, die darüber Hinausgeht, soll als Ueber'tundenarbeit bezeichnet werden. Aba. Metzger (!oz.) ewpfi-hlt einen Antrag, ausdrücklich zu erklären, daß die Arbeitsdauer in den Tropen höchstens acht Stunden betragen dürfe. Die Arbeiten seien dort besonders schwierig und an- strcnaend. Abg. Stockmann (sreik.) gibt dies zu, empfiehlt aber doch einen Antrag, den AufsichtS- bi-'st, sowie Arbeiten zur Verpflegung und Be dienung der an Bord befindlichen Personen an zunehmen. Auch sollen Arbeiten zum Seeklar machen des Schiffes und zu seiner Sicherung in dringender Gefahr nicht als Ueberstundcnarbeit be zahl' werden. Unt-rstaatsiekretSr Rothe empfiehlt dringend, den ersten Teil de« Antrages Stockmann onzunehmen, namentlich im Inte esse der kleinen Reedereien, den Antrag Albrecht aber abzuleynen. Geheimrat von der Hagen plaidiert für An nahme auch des zweiten Teiles des Swckmannschen Antrages. Avg. Raab (Antis.) b'ttet um Ablehnung des Antrages Stockmann. Die Komm' fion habe die Frage bereis geprüft und die Annahme nicht ge billigt, damtt alle ScMsleute im Hafen genügende Zei- zur Erholung bekämen. Der Antrag Albrecht sei überflüssig. Abg. Bargmann (frs. Vp.) tritt für die Kommissionsbeschlüsie ein, die ein annehmbares Kompromiß darstellen. Die Kommissionsbeschlüsie werden schließlich mit den Stockmannichen Anträgen angenommen. 8 34 handelt von der Ablösung der Wachen auf See. Nach dem Kommissionsbeschluß wird auf Damvfschiffen in tranSatlamitcher Fahrt für das Maschinenversonal der Dienst in drei Wachen geteilt; unter welchen Umständen die M nnschast in mehr als zwei Wachen zu gehen bat, soll der Bundesrat bestimmen.— Der Paragraph wird in der Koimssions- fassuug angenommen. tz 35 handelt von der Sonn- und ^esttagsarbeit: Absatz 2 ordnet an, daß Dampfschiffe in trans atlantischer Fahrt an Sonn- und Festtagen Plan mäßig innerhalb des Reichsgebietes die Ausreise nicht vor rehmen dürfen. Ausgenommen find die Dampf schiffe, welche die kaiserlich deutsche Post befördern. Lieler Absatz ist von der Kommission neu hinzu- ge'ügt. — Nach Absatz 3 dürfen mit Löschen und Laden, solange das Schiff innerhalb des Reichs gebiets im Hafen oder auf der Reede lieot, die zur Schiffsbeiatzung gehörigen Personen an Sonn- und Festtagen nicht beschäftigt werden. — Ein Antrag Albrecht will die Worte „innerhalb des Reichs- gebie's" ersetzen durch „im Jnlande." Senator Dr. Klüg mann-Lübeck bekämvft lebhaft namens der Regierungen der Hansestädte diese Verbotsbestimmung. Es liege gar kein Grund vor, in dieser Beziehung die Dampfer in trans atlantischer Fahrt ungünstiger zu stelle«, als alle anderen Schiffe und auch als die Schiffe im Auslände. Abg. Cahensly (Zentr.) will die Ausnahme von dem AuSreise-Verbot lediglich auf die vom Reich subventionierten Postdampfer beschränken. Abg. Stockmann (kons.) beantragt, in Ein klang u it den Ausführungen des hanseatischen Be vollmächtigten, Streichung des Absatzes 2. Unter binden wir unkeren transatlantischen Verkehr an Sonntagen, so kommt das nur unserer ausländischen Konkurrenz zu gute. Staatssekretär Graf Posadowsky: Der Vor redner hat bestraften, daß in anderen Staaten die groben transatlischen Dampfer Sonntags auslaufen. Nab den Angaben des ReichskurSbuebeS laufen die Linien Wl i e Star und Cunard Linie ab Liverpool am Sonntag aus. Die Dampfer der „Mesiaaerie maritime" fahren jeden zweiten Sonntag von Mar seille. Das ergeben auch die öffentlichen Anzeigen. Auch nach Boston gibt eS eine solche Linie. Zum Teil auch am Sonntag geben Dampferlinien ab vo« Q'eenstown, von Southamwon und von Cber» bourg. Diese Fraae ist von großer handelspoliti'cher, wirtschaftlicher und politischer Bedeutung sür unsere« großen Weltverkebr, und diesem Interesse muß sich selbst da? Interesse der Sonntagsruhe unftrordnen. Die Sonntagsruhe ist für die arbeitenden Klaffe« nicht nur eine wirtschaftliche und hygienische, sonder« auch eine sittliche und Familienfrage, aber ich glaube, wir können nicht so weit gehen, daß wir auf solch« großen internationalen Verbindungen verzichten. Seien Sie versichert, die Aufrechterhaltung dieser Bestimmungen würde mir selbst die all rernsteste«, vielleicht unübersteiglichen Schwierigkeiten bereite^ dieses Gesetz mit dem Zusatz bei den verbündete« Regierungen durchzubringen. Absitz 3 wird nach weiterer Debatte gegen die sozialdemokratischen Anträge angenommen und schließlich auch tz 35 im ganzen. Nach tz 36 loll der Mannschaft aus See a« Sonn- und Festtagen nur Arbeit auferleat werden dürfen sür das, was zur Sicherheit und Fahrt deS Sch.ffeS re. erforderlich ist. Abg. Cahensly lZ-ntr.) beantragt folgenden Zusatz: „Auch ist der Schiffsmannschaft auf Wunsch die Teilnahme an gemeinschaftlichen Andachten ihrer Konft sion »u gestatten." Der Anirag wird mit den Stimmen der Rechten, des Zentrums und der Sozialdemokraten ange nommen. 8 36b bestimmt, daß die in den 88 33 und 35 sestgefttzte Bezahlung sür Ueberstunden auf Offiziere keine Anwendung finden soll, sosern nicht ein anderes vereinbart ist. Abg. Schwartz -Lübeck (soz.) befürwortet einen sozialdemokratischen Antrag, den 8 36b zu streichen. Der Antrag wird nach kurzer Debatte abgelehnt und 8 36b angenommen. Darauf vertagt sich das HauS. Uon Uah und Fern. Zum Duell in Insterburg erfährt die .Ostdeussche Volkszeitung', daß das Unter- suckungsverfahren gegen den Leutnant Rrs- muffen, den zweiten Gegner des Leutnants Blaskowitz, mit Rückficht auf 8 204 des Re chs- straigesetzbuches eingestellt worden. Dieser be sagt, daß Straflosigkeit wegen einer Duellforde rung eintritt, wenn die Beteiligten vor Austrag deS Zweikampfes von diesem freiwillig zurück- treten. Das ist hier geschehen, da zwischen Leutnant Rasmussen und Leutnant Blaskowitz, nachdem letz-erer von Oberleutnant Hildebrand bereits die Todeswunde empfangen hatte, eine formelle Versöhnung auf dem Kampfplatz statt- geftmden hat. i Das geheimnisvolle Verschwinde« der 17 jährigen Tochter eines O fiziers, der zur Zeft in Ostpreußen in Garnison steht, erregt großes Aussehen. Die betreffende junge Dame, i Mary S., wurde am Mittwoch in auffallender Herr Finkler, der erste Beschließer und auch nicht gewesen. Vielleicht weiter droben; denn mit dieser Etage wären wir fertig." Der Gehilfe folgt dem vorangehenden Oberausseher, nachdem er, einen Fluch zwischen den Zähnen murmlnd, die eisengepanzerte Thür von außen abgeschlossen hat. Aber kaum haben beide die nach oben führende Treppe erreicht, so springt der ver meintlich Schlummernde rasch empor, verhüllt die Fensterluke mit der Decke, unter welcher seine Glieder soeben noch verborgen waren, und entzündet an dem nun aufbltzenden Zünd hölzchen den Rest einer kleinen Wachskerze, welche er durch Abtropfen auf dem steinernen Fußboden in einer Ecke beseitigt. Eine Minute hindurch schaffte der Geheimnis volle wiederum emsig, während bei der kargen Beleuchtung nur die Umrisse seines Körvers hervorireten, worauf er sich zur Eingangspforte schleicht und diese mit demjenigen Schlüssel vorsichtig öffnet, welchen er bei dem letzten Aufflackern des Lichtchens unter einem Bunde rasch auswäblte. Wie ein Schatten huscht der Flüchtling über den breiten Hausgang, der sich zwischen den rechts und links befindlichen Zellenreiben hin zieht, und das herrschende Düster begünstigt sein kühnes Unternehmen. Nach einigen behenden Sprüngen ver schwindet er auf der Steintreppe, welche die Parterreräume mit den höher gelegenen ver bindet. — Oberaufseher der Strafanstalt vollendete den durch das Alarmzeichen veranlaßten Rund gang, ohne eine auffällige Wahrnehmung r» machen. Ueber die unnötigen Bemühungen scheltend, ist er nun in seine zu ebener Erde gelegen« Dienstwohnung zurückgehrt, hat sich des umge schnallten Säbels entledigt und fitzt schon aa Tisch beim Abendimbiß. Seine ohnehin durch den jüngsten Vorfall getrübte Laune wird zum mindesten nicht rosiger, nachdem auch die sonst genau eingebaUene Hausordnung wegen des übermäßig langen Ausbleibens seiner Tochter eine seltene Störung erleidet. Finkler ist nämlich vor einigen Jahren Witwer geworden, aber die neunzehnjährige Emich, die seitdem den kleinen Haushalt versieht, sorgt getreulich dafür, daß der Vater wenigstens in bezug auf die Aeußerlichkeiten seine frühzeitig dahingegangene Gattin nicht allzu schwer vermißt, und dieser widmet deshalb dem einzigen Kinde eine Zärtlichkeit, wie man sie bei dem sonstigen rauhen Wesen des Ge- sängnisbeamten kaum erwartet bätte. Heute nachmittag war das junge Mädchen in die Stadt gegangen, um Besuche bei Be kannten abzustatten, was nicht oft vorkam. Sie hatte baldige Heimkehr in Aussicht gefüllt, und daß sie jetzt noch nicht da war, erschien säst besorgniserregend. , „ Glücklicherweise stand die auS kaltem Braten bestehende Abendmahlzeit in der Küche bereit, und der Vater machte sich eben darüber, seinen Anteil ru verzehren. der fehlenden Teile wenigstens scheinbar in den früheren Stand zu versetzen. Plötzlich aber unterbricht sie sich in dieser Beschäftigung, denn drunten ertönt der gellende Ruf: „Halt! Werda?" Ein mühsam unterdrückter Angstschrei in der Zelle — dann Totenstille während einiger Sekunden, bis der gleiche Anruf zum zweiien Mal erschallt — jetzt zum dritten Mal, noch drohender — und nun kracht ein Schuß, dessen dröhnender Widerhall sich in schauriger Weise zwischen dem Gemäuer der engen Zelle sängt. Stöhnende, qualvolle Laute entringen sich der angsterfüllten Brust des Anwesenden. Er hat jedoch keine Zett zu verlieren, bevor die verräterischen Spuren seines Beginnens gänzlich beseitigt find. Endlich find seine zitternden Hände damit zu stände gekommen, aber schon nahen auch schwere Tritte im Vorraum; man hört das Klirren von Schlüsseln, und die Keikerthür wird aufgeschlossen. Zwei Männer treten über die Schwelle, das Innere mit einer Blendleuchte mangelhaft er hellend. Die Strahlen derselben fallen auf eine sich unter der Wolldecke längs der Stroh matratze zusammenkauernde Gestalt. Sie hat das Gesicht gegen die Wand gekehrt, und nur das üppige dunkle Haupthaar des Ruhenden ist sichtbar. „Der schnarcht wie ein Siebenschläfer," sagte einer der Bediensteten mit halblauter Stimme zu seinem Kollgen; „hier ist's also Die Tochter des Kerkermeisters. Roman von Karl v. Leistner.*) Während sich in der dichtbevölkerten Haupt stadt eine Regsamkeit kundgib', die an das ge schäftige Treiben des Bienenschwarm? erinnert, ist beute der Verkehr auf ihren Straßen und Plötzen ein wesentlich beschränkter. In der Dämmerstunde herrscht heute schon fast nächtliches Dunkel, und der einförmig meder- plässchkrnde Regen vermischt sich mit dem schlammigen Gewässer des Flusses, der sich an dem ausgedehnten Gemäuer eines Straf- gesängniffes langsam hinwälzt. Wenn sich das Auge etwas an die Dunkel heit gewöhnt hat, so bemeikt es dort oben am Rande der Fensteröffnung, die sich in Mannes höhe durch den schwachen Lichtschein von der Wand einigermaßen abhebt, eine krampfhaft geschlossene Hand. Mit äußerster Anstrengung umklammert die selbe das straffe Seil, das um einen der noch vorhandenen Stäbe des sehr defekten Gitters geschlungen ist und über seine gerundete Stütze nach außen gleitet. Es währt jedoch nicht lange, bis die Spannung nachläßt und nach wiederholtem kräftigen Ruck, der wohl als verabredetes Zeichen zu betrachten ist, das Seil gänzlich erschlafft. Nun wird es seiner ganzen Länge nach eiligst hei eingezogen, und sobald dies geschehen ist, bemüht sich die hier hantierende Person aufs eifrigste, das Gitterwerk durch Einfügung *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt.
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