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Allgemeiner Anzeiger : 23.10.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
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- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190110232
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19011023
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1901
-
Monat
1901-10
- Tag 1901-10-23
-
Monat
1901-10
-
Jahr
1901
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 23.10.1901
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Politische Umschau. Deutschland. *Am Freitag, dem 70. Geburtstage KaiserFriedrichs, besuchte der Kaiser schon früb morgens das Mausoleum seiner Eltern und legte am Sarge des Vaters einen Kranz nieder. * Infolge der Unruhen an der Land enge vonPanama begibt sich der kleine deutscheKreuzer „Falke" in die mittel- amerikanischen Gewässer. * Die ,Schles. Ztg/ kündigt an, die Kon servativen würden im Reichstage unge säumt die Regierung aufforderu, die Han delsverträge noch vor dem Ablauf dieses Jahres zu kündigen. * Aus bayrischen Regierungskreisen ver lautet, daß Graf Bülow, den Wünschen Bayerns und Württembergs folgend, vor behaltlich der Einwilligung der anderen Bundes staaten, eingewilligt habe, die Mindestzoll sätze fallen zu lassen. * Aus Lippe-Detmold wird berichtet, in der Kommandierung des Grafen Bernhard zur Lippe-Biesterseld, des zweitältesten Sohnes des Graf-Regenten, zur Gesandtschaft im Haag erblickte man einen Beweis dEr, daß die Beziehungen zwischen Berlin und Detmold sich in neuerer Zeit ge bessert haben. * Der FürftvonReußä. L., über dessen seltsame Handhabung des Begnadigungrechts kürzlich gemeldet wurde, hat am Donnerstag sein altes Testament zurückgenommen und dafür ein neues hinterlegt, das mit einer anderweitigen Regelung der Erbfolgefrage im Zusammenhang stehen soll. Bekanntlich sollte nach den bisherigen Bestimmungen der Erb prinz von Reuß j. L. die Regentschaft an Stelle des geisteskranken Thronfolgers im Fürsten tum Reuß ä. L. übernehmen. Der Fürst ist nicht unbedenklicherkrankt. *Es sitzen gegenwärtig in 15 der 24 deut schen Land es Parlamente 74 sozial demokratische Abgeordnete und zwar in Bayern 11 (unter insgesamt 159 Abgeord neten), Württemberg 5 (unter 93 Abgeordneten), Baden 6 (unter 63), Hessen 6 (unter 50), Sachsen- Weimar 2 (unter 33), Oldenburg 1 (unter 37), Sachsen-Meiningen 6 (unter 24), Sachsen- Gotba 9 (unter 19), Sachsen-Koburg 1 (unter 11), Sachsen-Altenburg 5 (unter 30), Schwarzburg- Rudolstadt 2 (unter 16>, Reuß j. L. 3 (unter 16), Neuß ä. L. 1 (unter 12), Lippe-Dettmold 4 (unter 21), Bremer Bürgerschaft 11 (unter 15), Hamburger Bürgerschaft 1 (unter insgesamt 160 Mitgliedern). Frankreich. * Präsident Loubet empfing am Donners tag nachmittag den Besuch des Königs von Griechenland, der von dem Gesandten Delyrnnis begleitet war. Die Unterredung, die einen herzlichen Charakter trug, dauerte 40 Minuten. Später stattete der Präsident Lem König seinen Gegenbesuch ab. * Der Herzog von Orleans hat ein Flugblatt gegen das neue Vereins gesetz verbreiten lassen. Dasselbe ist betitelt „Eine notwendige Freiheit" und enthält einen Brief des Herzogs, welcher sich geradezu als ein politisches Manifest darstellt. Der Herzog preist darin die Vereinsfreiheit und verlangt dieselbe sowohl für die Arbeiter, wie für die Kongregationen. Er polemisiert gegen das Vereinsgesetz und bezeichnet dasselbe nur als neue Kundgebung einer Minderheit, welche die Macht an sich gerissen und diese nun ungestört ausnütze. * Die Budgetkommisfion hat trotz des ab lehnenden Ministerialbeschlusses ihren Berichterstatter beauftragt, in der Kammer die Streichung des Kultusbudgets im Betrage von 42 Mill, zu verteidigen. Die Streichung würde das Gleichgewicht im Budget Herstellen, ohne daß es nötig wäre, zu ander weitigen Finanzmaßnahmen zu schreiten. England. * Mit seinen Torpedobootszer ¬ störern allerneuester Konstruktion, die ihres gleichen nicht in der Welt haben sollten, macht England die traurig st enErfahrungen. Jetzt ist bereits der fünfte dieser Art un brauchbar geworden. Der „Vulture,, verließ den Hafen von Portsmouth in der Oktober woche, um mit andern Zerstörern zu dem augen blicklich auf Jnstruktionsfahrten begriffenen „süd lichen Reservegeschwader" zu stoßen und größere Probemanöver ausführen. In Gesellschaft des „Vulture" befand sich der Zerstörer „Crane", der sofort, als die kleine Flottille die ruhigen Gewässer der Isle of Wight verlassen hatte, in der durch ungünstiges .Wetter verursachten schweren See sich als seeuntüchtig erwies und mit gefährlich verbogenen und geborstenen Panzerplatten auf dem Mitteldeck schleunigst in den Hafen zurückvampfen mußte. Der „Vul- ture" hatte für ein paar Tage mehr Glück, wies jedoch in stürmischer See ganz plötzlich die gleichen verderblichen Anzeichen mittschiffs auf und wurde von dem Flottenkommandanten deshalb schleunigst zurückgeschickt. Prinz Btt- Windischgrah, der Verlobte der Erzherzogin Marie von Oesterreich. Dänemark. *Aus Athen wird berichtet, der greise König Christian von Dänemark werde auf dringendes Anraten der Aerzte zu Anfang des nächsten Jahres nach Griechenland kom men, um hier einen mehrmonatlichen Aufenthalt zu nehmen. Vor der Abreise des Königs aus Kopenhagen werde der Kronprinz die Regentschaft übernehmen und voraus sichtlich dieselbe für immer weiterführen. Spanien. *Jn Sevilla herrscht Ruhe. Die Lokale der Arbeitervereine find geschlossen worden. Die Anarchisten werden energisch verfolgt. Die Haupträdelsführer der letzten Unruhen wurden verhaftet. Die Mehrzahl der Arbeiter hat die Arbeit wieder ausgenommen. Ruhland. *Der finnische Senat beschloß, die Bürgeradresse betreffend die Wehrpflicht- frage demZaren vorzulegen. (Wird natür lich nichts nützen.) Balkanftaaten. *Die amerikanische Gesandtschaft in Konstantinopel hat eine Note an die Pforte übersandt, in der sie dieselbe für das Leben der unlängst entführten Missionarin Stone verantwortlich macht. Wenn sich diese auch gegenwärtig auf bulgarischem Gebiete be fände und vielleicht auch nicht einmal von ottomanischen Unterthanen geraubt sei, so sei die That doch aus türkischem Boden vollführt. Bei der Leere aller Kassen wird es schwer halten, das geforderte Lösegeld aufzu treiben, das durch eine Ironie des Schicksals noch dazu bestimmt zu sein scheint, die Fonds des macedonischen Komitees zu stärken. — Eine neue Verlegenheit sür die Türkei, die an den finanziellen Forderungen Frankreichs eben schwer aenua zu tragen hat. Afrika. * Die Umzingelung Bothas ist den Engländern nicht geglückt. Einer Brüsseler Drahtung des ,Standard' zufolge meldet eine Depesche aus Lourenzo Marquez, daß die Kom mandos Botha, Delarey und Kemp der Ein schließung der britischen Truppen entronnen sind. Botha zog sich nach Wakkerstroom zurück, wo er eine befestigte Stellung inne hat. *Jn der Kapkolonie sind einzelne Boerenkommandos berests bis an die Meeresküste vorgedrungen. *Jn Kapstadt herrscht große Bestürzung über den Vormarsch Therons auf Philadelphia, 30 englische Meilen von Kapstadt. Eisenbahn und Telegraph find unter brochen. Die Besatzung der Stadt wird nach Norden gesandt, und die Schaffe landen dafür Marinemannschaften. * Auch von einem neuen Opfer des bestia lischen Standrechts ist zu melden: Leut nant Brida aus Bethulie wurde zum Tode durch den Strang verurteilt wegen Zer störung eines Eisenbahnzuges und Ermordung eines Eingeborenen. Das Urteil wurde be stätigt. *Wie Scheepers gefangen wurde, darüber wird jetzt trügendes bekannt: Seit Wochen schon war Scheeper sehr schwer leidend und mußte in einem Karren seinem Kommando nachgefahren werden. Als sein Zustand lebens gefährlich wurde, wandte er sich an die Eng länder um ärztliche Hilie und legte sich auf einer Farm ins Bett, um dort sein Schicksal zu erwarten. Frenchs Abteilungen haben einen sterbenden Boerenkommandanten gefangen! Eine unvergleichliche englische Ruhmesthat! Asien. *Der soeben nach Amerika zurückgekehrte Japanreiseu^e Professor Senn teilt von der Universität Chicago mit, Japan treffe riesen- haite Vorbereitungen zu einem Kriege mit Rußland wegen Korea. Er be hauptet, der Ausbruch des Krieges stehe nahe, bevor. Die Japaner halten ihre kriegerischen Absichten garnicht mehr geheim. Die Volks stimmung begünstige ein baldiges Vorgehen. (Aehnliche Alarmnachrichten sind seit zwei Jabren sehr häufig verbreitet und es ist ja unleugbar, daß sich der Interessengegensatz zwischen Javan und Rußland immer mehr und mehr zuspitzt. Doch ist nicht abzusehen, welche Vorgänge die vorhandene Spannung znm Bruch drängen sollen. Ein russisch-japanischer Krieg ist von jeher ein Lieblinasgedanke Englands gewesen, das darin eine Befreiung von schweren Sorgen sehen würde. Es ist aber doch fraglich, ob die Japaner Großbritannien den Gefallen thun werden, gerade jetzt einen Krieg mit Rußland vom Zaun zu brechen.) * lieber einen neuen Vertrag bezüglich der Mandschurei, der in seinen Grund linien dem von Rußland am 5. April zurück gezogenen gleicht, aber in einer die Chinesen mehr schonenden Weise abgefaßt ist, wurde schon vor einiger Zeit und wird auch jetzt wieder zwischen dem russischen Gesandten und Li-Hung- Tschang verhandelt. Infolge der früheren Ent hüllungen wstd jetzt die strengste Diskretion gewahrt, doch ist bekannt, daß die Verhand lungen Li-Hung-Tschang übertragen worden sind. Es wird ferner gemeldet, daß der Vertrag bis jetzt nur skizziert, aber noch nicht endgültig festgestellt worden ist. Prinz Tsching erklärt, er sei nicht darüber unterrichtet worden und gibt deshalb seiner Entrüstung Ausdruck. Von Uah und Fern. Eine eigenartige Chinatrophäe hat, wie den ,Berl. N. Nachr.' aus Wilhelmshaven berichtet wird, das vor einigen Tagen mit dem Dampfer „Tucuman" zurückgekehrte Marine lazarett mitgebracht: den Kopf des Mörders Eughai, der den Gesandten v. Ketteler erschoß. Der Kopf ist nach Berlin gesandt worden. Nobler Kunde. In einem in der Danzigerstraße in Berlin belegenen Zigarren- aeschäst erschien Donnerstag nachmittag ein feingekleideter Herr und forderte eine Kiste Zigarren. Der Verkäufer legte ihm eine An zahl besserer Marken vor; dieser jedoch war außerordentlich wählerisch, so daß der Verkäufer schließlich eine besondere Qualität vom Regal herunter holen mußte. Diesen Augenblick be nutzte der Fremde, um sich mit einem kübnen Griff einen großen Teil der Ladenkasse anm- eignen und das Weite zu suchen. Man machte sich soiort an die Verfolgung des Diebes, der dann auch glücklich ergriffen und dem zuständigen Polizeirevier zugefkhrt wurde. Hier entpuppte sich der „leine Kunde" als ein von den Be hörden verfolgter früherer Büreaugehille. Der verschüttete Brunnenbauer Thiele in Grimma ist endlich am Donnerstag mittag aus dem Brunnenschacht, in dem er seit Sams tag hatte schmachten müssen, lebendig zu Tage gebracht worden. Thiele befindet sich verhält nismäßig wohl und war im stände, sich frei zu bewegen. Er wurde zur Pflege auf einer Trag bahre ins Krankenhaus gebracht. — Vor füm« unddreißig Jahren ereignete sich bei Großen hain ein ähnliches Unglück. Acht Tage arbeitete man vergeblich an der Befreiung zw'ier Ver schütteten, dann endlich gab man alle Hoffnung auf; es soll der Segen über die Unglücklichen gesprochen worden sein, was diese selbst hörten, dann sollte der Brunnen zugeschüttet werden. Auf Bitten der Angehörigen ließ aber ein Maurermeister auf eigene Kosten weiter arbeiten und am elften Tage wurden die Verunglückten noch lebend aufgefunden. Durch Kauen von ein wenig Tabak und Aufsangen von Regen tropfen in einem Pfeisenkopf hatten sie ihr Leben so lange gefristet. Ein Lumpensammler fand in der Damm- thorstraße zu Hamburg in einem Müllkasten ein Portemonnaie, das zu seinem Erstaunen 700 Mark in Gold und 13 Mark in Silber enthielt. Aus der Signatur des Müllkastens erkannte er, daß das Portemonnaie einem im Parterre desselben Hauses wohnenden Herrn gehörte. Er versuchte nun durch Klingeln und Rütteln an der Thür, Eingang zu erhalten, um seinen Fund abzuliefern, fühlte sich aber plötz lich am Kragen gepackt und zu Boden geworlen. Sein unbekannter Angreifer rie^ Hilfe herbei, und ehe der Naturforscher sich verantworten konnte, hatte er seine Tracht Prügel weg. Als er dann endlich zu Wort kam, klärte sich die Sache zur allgemeinen Heiterkeit aus. Der Angreifer war der Bewobner des Parterres, der den Naturforscher für einen Einbrecher ge- hrlten hatte, jetzt aber hocherfreut in ihm den ehrlichen Finder seines bereits vermißten Porte monnaies entdeckte. Er belohnte den Finder sür seine Ehrlichkeit mit einem Geschenk von 70 Mark. Ein eigenartiger Verein bat sich in Nürnberg gebildet. Es ist dies ein Schüler- Abstinenzverein „Frankonia" zur Bekämpfung des Alkohols. Die Mitglieder verpflichten sich zur Enthaltsamkeit vom Alkohol. Dem Verein können alle bayrischen Mittelschüler V0M 13. Lebensjahr an beitreten. Die Gründung erfolgte unter Billigung der Schulbehörden. — Wer die Verhältnisse in Bayern kennt, wird diese Vereinsgründung nicht mit einem ironischen Lächeln abthun. In einem Lande, wo dkl Biergenuß schon im zartesten Kindesalter be ginnt — oft genug kann man beobachten, wie ganz kleinen Kindern Bier statt Milch oder Milchkaffee in die Saugflaschen gefüllt wird, — ist es gar nicht so unangebracht, schon in der Schule mit der Alkoholabwehr einzusetzen. Russischer Grenzdiensi. Zwei jüdische Auswanderer, auf der Rückreise von Amerika nach Rußland begriffen, wurden bei KallneitschtN beim Ueberschreiten der Grenze von einem russischen Grenzsoldaten angehalten. Dem einen Auswanderer, einem jungen Mann, gelang es, zu entkommen, aber dem andern, einem schwachen Greise von mehr als 60 Jahren, welcher über 1500 Rubel und eine goldene Uhr und Kette bei sich führte,! wurde von dem Soldaten ein Knebel in den Mund gesteckt und dann be raubt. Schließlich hängte der Soldat den Greis auf dem jüdischen Kirchhof in Wyschlyten, der hart an der Grenze liegt, auf. Hiermit schließt die Meldung. „aber der Umgang mit den reichen, jungen Leuten — ich wollte hinter ihnen nicht zurück- bleiben — gesellschaftliche Verpflichtungen . . ." Frau von Carsten sah ihn so hochmütig an, daß er verstummte. „Du hättest bedenken sollen, daß alles was ich kür dich that, mein freier Wille war," sagte sie schneidend; „eigentliche Pflichten hab' ich ja nicht gegen dich. Da du der Sohn meines verstorbenen Bruders bist, gedachte ich dir be hilflich zu sein, daß du dir eine anständige Existenz gründen könntest. Das hast du voll ständig versäumt. Statt dein Talent zu pflegen, vernachlässigst du dasselbe — glaube nicht, Waller, daß das so fortgehen kann! Ich bin durchaus nicht geneigt, deinem Leichtsinn Vor schub zu leckten. Auch in deinem Umgänge scheinst du nicht sehr wählerisch zu sein. Wer ist diese Familie van Beerbrouck, mit der du so sehr intim zu sein scheinst?" Walter dachte an Frieda und fragte sich bestürzt, wieso seine Tante seine Beziehungen zu ihr erfahren haben konnte. Seine Bestürzung entging dem forschenden Blicke Frau von Carstens nicht. „Nun, in welchem Verhältnis stehst du zu diesen Leuten?" fragte sie. „Mein Gott, Taute, eine Bekanntschaft wie jede andere. Ich lernte die Familie in Berlin kennen. Doch kann ich dir die Versicherung geben, daß es durchaus keine Leute find, deren Umgang man meiden sollte." „So! Gefällt dir vielleicht Fräulein van Beerbrouck so gut, daß du über alles andere hinwc^fiehst?" Als sie Selmas erwähnte, war ihre stahlharte Stimme unwillkürlich milder geworden. Walter hob den Blick frei zu seiner Tante empor. „Selma van Beerbrouck ist ein sehr an mutiges, kluges Mädchen, aber ich bin weit davon entfernt, sie zu lieben," lautete seine Antwort. Walter war froh, daß Frieda für seine Tante gar nicht zu existieren schien. So war er von dem Dilemma befreit, sie entweder ver leugnen oder die ganze Wahrheit gestehen zu müssen. „Wirklich nicht?" fragte Frau Luise lang sam; fast schien es ihr leid zu thun, daß es so gekommen war. „Nun, wenn du Selma van Beerbrouck nicht liebst/ fuhr sie nach einer Pause fort, „dann begreife ich um so weniger, was du in der Familie zu thun hast. Dieser Herr van Beerbrouck scheint nicht mehr und nicht weniger als ein Abenteurer zu sein, wenig stens habe ich ziemlich abfällige Urteile über ihn gehört." „Dann hat man dich nicht recht berichtet, liebe Tante," versetzte Walter; „er ist reich und lebt in unabhängiger Stellung? Frau Luise zuckte die Achseln. „Das mag ja alles sein, aber den Ursprung seines Reichtums scheint doch niemand zu kennen. Ich möchte dir deshalb dringend em pfehlen, dich nicht zu oft in seiner Gesellschaft sehen zu lassen. Ich habe überhaupt nur von Herrn van Beerbrouck und seiner Tochter sprechen gehört — ist er Witwer?" „Seit langem schon! Selma erzählte ein mal, daß sie ihre Mutter nicht gekannt habe. Und was den Vater anbelrifft, so erwähnt er nie auch nur milt einer Silbe seiner verstorbene« Frau." l Luise preßte die Lippen fest aufeinander- Die Möglichkeit , daß Selma ihre Tochter sey rückte immer greifbarer näher. Walter beob- achtete mit ängstlicher Ungeduld das GeM seiner Tante. Er mußte das Geld heute noch haben und er yatte nicht den Mut, den Hol' länder um ein nenes Darlehen anzugehen. Was sollte er beginnen, wenn ihm die Tante seine Bitte nicht gewährte? Frau von Carsten schien in Gedanken ver sunken ; er wagte; nicht, sie zu stören, obgleich ihm jede Minute tastbar war. Sie wandte fiäh endlich zu ihm. „Du weißt jetzt, was meine Meinung ist," sagte sie, „richte dich danach, wenn ldu mit mir gut auskommen willst. Und nun:- wie viel beträgt deine denken. Ich wünsche, d feste Stellung bewirbst l machst, denn ich gestehe di Schuld?" Er zögerte eine Weile, dann sagte er leise: „Zweitausend Mark." „Ah, das stark! ,Wofür Haft du denn das Geld ausgegeben?" j . , .. „Es ist eine Spielsjchuld, Tante! Ich konnte mich nicht ausschließen und —" „Genug, genug! Das alles sind nur Aus flüchte! — Ich werde'; dir das Geld geben. Aber ich sage dir, Malter, cs geschieht znm letzten Mal, daß ich deflne Schulden zahie. JÄ finde überhaupt, daß e^ bei dir sehr an eer Zeit wäre an eine er Niste Beschönigung - - " -'iß du dich um eme >nnd dich selbständig ir offen: wenn du s« Die verlorene Tochter. 12^ Roman von C. Wild. (Fortsetzung.') „Wenn mein Neffe wieder anfragt, ich bin jetzt für ihn zu sprechen," sagte Frau v. Carsten kalt und rubig zu der Dienerin. Dann nahm sie ein Buch zur Hand, aber sie konnte nicht lesen; die Buchstaben tanzten ihr vor den Augen und ihr Ohr lauschte gierig nach jedem Geräusch von außen. Endlich! Walter trat ein, bleich und ver stört, mit mühsam bewahrter Fassung. „Du hast mit mir sprechen wollen," sagte Frau von Carsten, das Buch mit einer nach lässigen Bewegung beiseite schiebend; „es muß wohl etwas sehr Wichtiges und Dringendes sein, daß du zu so ungewohnter Stunde kommst. „Ach, Tante!" Wie ein Sünder stand er vor ihr, mit gesenkten Blicken, das hlwsche Gesicht förmlich verzerrt vor innerer Erregung. „So sprich, Walter! Auch ich habe dir dann etwas zu sagen." „Tante, sei großmütig und zürne mir nicht! Ich — ich habe Schulden und meine Gläubiger drängen." „Tas ist sehr leichtsinnig von dir, Walter, ou mst immer genug von mir erhalten und solltest dich doch nicht gar zu sehr auf meine Güte verlassen." Bei dieser in e'sigkaltem, gelassenen Tone erteilten Zurechtweisung stieg eine brennende Röte in das Gesicht des jungen Mannes. „Ich weiß, ich sehe ein, es ist unverant wortlich von mir, liebe Tante," stammelte er,
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