Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 18.09.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-09-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190109185
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19010918
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19010918
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1901
-
Monat
1901-09
- Tag 1901-09-18
-
Monat
1901-09
-
Jahr
1901
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 18.09.1901
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Politische Rundschau. Deutschland. * Der Zarhat sich am Freitag vom Kaiser Wilhelm verabschiedet,umdirektnachFrankreich zu fahren. Von Kiel holte der Zar seine Ge mahlin ab, die bei ihrer Schwester, der Prinzessin Heinrich zum Besuch weilte, und fuhr dann durch den Kaiser Wilhelm-Kanal nach Dünkirchen. * In derArmee sollen angeblich im Herbst in hohen und höchsten Stellen Verände rungen bevorstehen. Insonderheit sollen so wohl der Großherzog von Baden wie der Prinz-Regent Albrecht von Braunschweig ge sonnen sein, von ihren Stellen als Armee- Inspekteure aus Gesundheitsrücksichten zurück zutreten. General-Oberst Graf Häseler, der das Kommando des 16. Armeekorps beibehielt, soll Nachfolger des Großherzogs von Baden wer den. Der Standort der General-Inspektion würde dann Metz werden. Die Inspektion des Prinzen Albrecht soll General v. Lentze erhalten, kommandierender General des 17. Korps in Danzig. Der Stab dieser Inspektion würde in Berlin verbleiben. * Das Bundesratsplenum wird Awang Oktober zu seiner ersten Sitzung zu sammentreten. Die entscheidenden Sitzungen des Bunde! rats über denZolltarif werden, wie ! man tn unterrichteten Kreisen annimmt, frühestens gegen Ende Oktober beginnen. *Die Entwickelung des Fernsprech netzes aus dem Lande nimmt neuerdings eine Ausdehnung, die alle Erwartungen über trifft. An kleinen Orten, wo die beteiligten Postbehörden nur auf zwei oder drei Teil nehmer gerechnet hatten, stellten sich nach Er öffnung des Sprechverkehrs deren 20 oder 30 ein. Unter diesen Umständen können die im R'ichshaushalt vorgesehenen Mittel auf keinen Fall ausreichen, und Etats-Ueber- schreit ungen sind bei dieser Position des halb unvermeidlich. Auch dürften entsprechende Mehriorderungen in den Voranschlag für 1902 eingestellt werden. Oesterreich-Ungarn. *Französische Jesuiten, die fich durch das Vereinsgesetz veranlaßt sehen, fich nach einer neuen Heimstätte umzusehen, kauften in Kroatien Güter an; sie wollen in Agram eine Kirche bauen und ein Kloster errichten. Belgien. * Die Verhandlungen wegen einer neuen Zuckerkonferenz nehmen nach Brüsseler Meldungen einen günstigen Verlauf. Balkanstaaten. * Für die seit einiger Zeit eingetretene An näherung zwischen Griechenland und- Rumänien spricht der Besuch, den Athen am Freitag erhalten hat. Es traten dort 310 rumänische Studenten ein. Ihr Empfang im Piräus war überau- herzlich. Die Bürgermeister von Piräus und Alben be grüßten sie im Namen der Städte. Die Straßen, durch die die Studenten zogen, waren festlich geschmückt. * Die bulgarischeSobranje hat die Anklage gegen die früheren Minister Jvanschow, Radoslawow und Tontschew wegen Landesverrat, Verletzung der Staatsinteressen und Schädigung der Verfassung beschlossen. Die Sobranje hat nun aus ihrer Mitte einen Staatsankläger zu wählen. Der Staatsgerichts hof hat aus ausgelosten Präsidenten der Kreis- und Appellationsgerichte zu bestehen. Gegen das zu fällende Urteil gibt es keine Berufung. Auf Verletzung der Verfassung steht eine Ge- tängnisstrase von 1—5 Jahren, auf Schädigung der Staatsinteressen eine solche von 1—10 Jahren, außerdem lebenslänglicher Verlust der bürgerlichen und politischen Rechte und Ersatz pflicht an den Staat. Amerika. *Mac Kinley ist nun doch seinen durch die Hand des Mordbuben Czolgosz erhaltenen Verletzungen in der Freitag-Nacht er legen. Die Teilnahme für den Märtyrer seiner politischen Stellung tritt allerorter, mit großer Wärme hervor. Man war im krsten Augenblick überrascht, als nach den fortdauernd günstigen Berichten am Freitag abend eine gefahrdrohende Verschlimmerung des Zustandes des Präsidenten signalisiert wurde, aber man war doch nicht ganz unvorbereitet, denn die zur Schau getragene Hoffnungssreudig- keit der Aerzte hat doch wenige über den wahren Zustand hinwegtäuschen können. * Ein persönlicher FeindMacKinleys/ der Senator Wellington, welcher Mac Kinley aus Veranlassung persönlicher Streitig keiten des republikanischen Parteilebens haßt, hat sich zu einer Gemeinheit Hinreißen lassen, für die ihn bereits die Strafe ereilte. Die Mitglieder des Vorstandes der „Union League" von Maryland hielten zu Baltimore am Mitt woch abend eine Versammlung ab, in der sie beschlossen, den Senator Wellington aus der Liga auszustoßen, weil er wiederholt öffentlich die Schandthat von Buffalo gutgeheißen hat. VSraf Lambsdorff, russischer Minister des Aeußeren. *Der Anarchist Johann Most, der Herausgeber der .Freiheit', ist am Freitag in New Jork verhaftet worden. * In Venezuela hat der Krieg zwi schen dieser Republik und Kolumbien eine wahre Schreckensherrschaft im Gefolge. Es heißt, alle venezolanischen Arbeiter im Alter von 14 bis 60 Jahren seien gezwungen worden, in das Heer einzutreten. Auch sei eine Anzahl von Dampfern der Handels-Marine für den Staatsdienst mit Beschlag belegt worden, ebenso alle Pferde und Maultiere. Die Gefängnisse seien voll. Selbst ein Gespräch über den Krieg gelte als ein Vergehen, das mit Gefängnis bestraft werde. Einer Anzahl Venezolaner, die sich bereits Plätze auf nach Norden fahrenden Dampfern gesichert hatten, wurde die Abfahrt nicht gestaltet. Afrika. *Zur Lage in Süd-Afrika führen die ,Southafrican News', ein Organ der Afr i- kanderpartei, in einer Besprechung der Proklamation Kitcheners aus, die Bürger der beiden Republiken kämpften noch heute um ihre Unabhängigkeit, wie sie das 23 Monate hindurch gethan hätten; der Kampf sei indessen, soweit das Auge in die Zukunft dringen könne, hoffnungslos; ein Erfolg ihrer Waffen sei unmöglich, und Intervention des Aus landes ausgeschlossen. Gleichwohl setzen die noch im Felde stehenden Boeren den Kampf un entmutigt fort. In einem Telegramm der ,Times' aas Pretoria heißt es: Die Boeren find in der vergangenen Woche in Ost-Transvaal sehr thätig gewesen. Sie konzentrieren sich am Chrissie - See und um Amsterdam, offenbar um in Natal einzufallen. * Der Schmuggel in derDelagoa- b ai macht den Engländern viel Sorgen. Der portugiesische KüsLendampfer „Limpopo", der den Fluß Limpopo beiährt, wurde ange halten unter dem Verdacht, daß erKriegs - kontrebande mit fich führe, doch wurde ihm nach einer Durchsuchung seitens der portugie sischen Behörden gestattet, weiterzufahren. Australien. * Im australischen Bundesparlament wurde ein Gesetzentwurf beraten, nach welchem die Einwanderung eingeschränkt werden soll, und zwar besonders dadurch, daß die Einwandernden einer Prüfung aus ihren Bildungsstand unterworfen werden. Mehrere Parlamentsmitglieder beantragen einen Zusatz, nach welchem bei dieser Prüfung an die Stelle der englischen Sprache eine beliebige andere europäische Sprache treten kann. Der Premier minister erklärte fich mit dieser Abänderung ein verstanden, nachdem bereits vorher der Justiz minister bemerkt hatte, die Regierung be absichtige in keiner Weise Deutsche, Skandi navier und andere Weiße von gleich hohem Bildungsstande wie diese von der Einwanderung auszuschließen. *Der australische Verteidigungsminister be absichtigt, eine Vorlage zur Gründung einer ausschließlich australischen Flotte ein zubringen, da er eine Steuerleistung Australiens an England für die Verteidigung Austra liens zur See für unvereinbar mit den Be strebungen der „Vereinigten Staaten von Australien" hält. Landung feindlicher Heere in England. Mit dieser recht interessanten Frage haben sich namentlich französische Generale und Staats männer seit Jahrzehnten beschäftigt. Vor allem war es der erste Napoleon, der an dem Pro blem mit allem Ernst gearbeitet hat. Im Lanke des Boerenkrieges, durch den England die öffentliche Meinung der gesamten Kulturvölker gegen sich aufbrachte, ist mehrmals von der Möglichkeit eines Krieges mit einer Kontinental macht, in erster Linie mit Frankreich, die Rede gewesen. Ausführungen, die jetzt der Oberst- Leutnant Delauney im Anschluß an eine Be sprechung der großen Herbstmanöver der West küste macht, gewinnen dadurch jetzt aktuelles Interesse. Oberst-Leutnant Delauney stellt fich zum Schluß die Frage, ob eine Invasion Englands möglich sei. Die Manöver haben nach ihm den Beweis geleistet, daß jedes große Transport schiff 2000 Soldaten und im Notfall noch mehr aufnehmen kann und daß die Ausschiffung von Infanterie - Truppen nur eine Stunde braucht. Napoleon hielt eine Invasion Englands für möglich und hätte sie wahrscheinlich versucht, wenn ihm nicht die Kriegserklärung Oesterreichs und Rußlands zuvorgekommen wäre, die ihn nötigte, fich mit dem Ruhm von Austerlitz zu begnügen. Heute liegen die Verhältnisse für Frankreich noch weit günstiger, weil seine Marine der englischen viel näher gekommen ist. Es ist also sehr wohl möglich, daß die franzö sische Marine die englische, wenn nicht besiegen, doch lange genug im Schach halten kann, um einer größeren Truppenmacht die Ueberiahrt und die Ausschiffung zu gestatten. Aber selbst wenn Frankreich zur See geschlagen würde, bleibt die Invasion möglich. Ein Admiral von großer Eriahrung sagte zu Delauney, nachdem er die Ausschiffung der letzten Manöver beob achtet hatte: „Truppen nach England zu werfen ist die Sache einer Nacht ohne Mond schein." Wird aber eine solche, von ihrer Basis ge trennte Armee in England Munition und Unter halt finden? Delauney antwortet mit dem Beispiel der französischen Armee in Aegypten, die zwei Jahre eine solche Lage ausgehalten habe und weder vernichtet, noch gefangen ge nommen wurde. Die Munition könne leicht in verschanzten Lagern hergestellt werden und für die Ergänzung des Materials können wie im Transvaal die Waffen dienen, die man vom Feinde erbeutet. Delauney beruft fich auf das Wort des Admirals Gervais: „Alle Hoffnungen find gestattet", und gelangt zu folgendem Schluß: Die Invasion Englands durch eine französische Armee ist eine einfache und leichte Operation. Ihr Gelingen unterliegt keinem Zweifel, selbst im unwahrscheinlichsten Fall, daß die englische Flotte das Meer vollständig beherrsche. Die Invasions-Armee könnte, wenn sie siegreich ist, jeder Hilfe entbehren und im Lande, selbst die nötigen Mittel zum Unterhalt und zum Kampfe finden. Uon Uah und Fern. Eine transportable Hofküche wird während des Kaisermanövers in Dirschau ein gerichtet werden. Das Hofmarschallamt hat Räume zu diesem Zweck gemietet. Im Hof wird der eigentliche Küchenwagen ausgestellt. Im Küchenwagen werden die Speisen zubereitet, die in einem Wärmofen untergebracht und als dann dem Kaiser ins Manövergelände nach gefahren werden. Der Küchenwagen ist derartig eingerichtet, daß durch Herunterklappen der Seitenwände eine Art Tafel, an der das Mahl eingenommen werden kann, hergestellt wird. Die Instrumente der Pekinger Stern warte find nicht als Kriegsbeute nach Pots dam gebracht worden, sondern sie find von der deutschen Regierung durch unsern Gesandten in Peking nach der Einnahme der chinesischen Hauptstadt angekauft worden. Die Verkaws- verhandlungen wurden sreüich erst rechtmäßig, als Li-Huug-Tschang in Peking eintraf. Die chinesische Negierung wollte daraufhin mit den Instrumenten dem deutschen Kaiser angeblich ein Geschenk machen, doch soll eine derartige Gabe von Kaiser Wilhelm abgelehnt worden sein. Im übrigen handelt es sich bei diesen Instru menten nicht um Gegenstände von astronomi schem Wert und chinesischen Ursprungs: es sind vielmehr außer Gebrauch gesetzte Instrumente, die allerdings den Wert der Antike haben, weil sie den Chinesen im 16. bis 17. Jahrhundert von sranzöfischen Jesuiten gelegentlich der ersten europäischen Mission ins Reich der Mitte ge schenkt wurden. Begnadigung. Der wegen eines Duells zu drei Monat Festung verurteilte Oberleutnant Richter-Mainz ist, nachdem er drei Wochen von der Strafe verbüßt hat, vom Kaiser begnadigt worden. Sein Gegner, Leutnant Vogt, ver büßt die ihm zuerkannten zwei Jahre Gefängnis in Darmstadt. Das verschwundene große Los. In dieser Angelegenheit wird weiter mitgeteilt, daß bis zum 16. August, drei Tage vor Ablauf der Frist, noch niemand auf das große Los der Preuß. Klassenlotterie reflektiert hatte. Erst am 17. August ging von einem Kaufmann aus Berlin und am 18. August von einem Herrn aus London die Meldung bei den zuständigen Einnehmern ein, daß ihr ganzes Los Nr. 19 894 verloren gegangen sei. Dem Manu aus London ist es angeblich auf der Seereise von Deutsch land nach England abhanden gekommen. Einer von den beiden, die den Verlust angemeldet haben, muß also flunkern. Die halbe Million ist inzwischen bei der Hinterlegungsstelle der Lotterie deponiert worden, und die Lotterie- direktion hat den beiden „Verlierern" aufge geben, vor Gericht den Nachweis des recht mäßigen Besitzes zu führen. Ursprünglich m das Los Nr. 19 894 von einem russischen Lose- händler bei der Einnahmestelle in Oels gekauft, aber dann weitergegeben worden. Eine brave Rettungsthat vollsührten auf der Unterelbe zwei Schulknaben, die Söhne' des Leuchtturmwächters Heitmann auf der Elb- insel Pagensand. Vom dortigen Strand aus sahen die beiden Knaben im Fahrwasser der Unterelbe ein Segelboot schwer mit Wind und Wellen kämpfen, das bald darauf vollgeschlagen wurde und kenterte. Nun machten die Knaben* schleunigst das väterliche Boot los und ruderten nicht ohne Anstrengung nach der Unglücksstätte, wo sie die Insassen des Bootes, zwei Matrosen des Dampfers „Nordsee", ausfischten und M ihr Boot übernahmen. Durch eine Explosion schlagender Wetter wurden am Freitag in einem Schacht der Zeche „Monopol" in Bergcamen bei Bochum 8 Personen getötet. Die verlorene Tochter, ; 2) Roman von C. Wild. (Fortsetzung.) Walter, der thatsächlich ein tüchtiger Klavier spieler war, hatte sein erstes Konzert gegeben und großen Beifall geerntet. Er hatte fich bisher nur in kleinen Kompositionen versucht, jetzt wollte er eine Oper schreiben. Konzerte geben rc. an eine feste Anstellung dachte er garnicht mehr. Seine Briefe kamen jetzt in längeren und kürzeren Zwischenräumen, je nachdem er in der Stimmung war zu schreiben. In dem kleinen Doktorhause ging das stille Leben seinen gewohnten Gang. Frieda hatte das Gleichgewicht ihrer Seele wieder erlangt. Sie pflegte den kränkelnden Vater und setzte ihre unterbrochenen Sprachstudien wieder fort. Gestattete es das Wetter, so machte sie weite Spaziergänge in den Buchenwald, dabei stets des Tages gedenkend, da sie in Walters Begleitung zum letzten Male diesen Weg ge gangen. So ging der Winter dahin; es war eine trübe, freudenlose Zeit gewesen und Frieda sah mit Sehnsucht dem Frühling entgegen. Aber der Lenz brachte ihr diesmal Trauer und Schmerz. An einem schönen, sonnigen Frühlingstage sand sie den Vater tot im Bette. Still und friedlich wie lein Leben gewesen, war er hinüber gegangen in jene bessere Welt, die keine Ent täuschungen kennt. Friedas Leid war grenzen los ; sie hatte mit inniger Liebe an ihrem Vater gehangen und konnte es lange nicht begreifen, daß dieser gütige Mund nun für immer stumm sein sollte. In der ersten Aufregung ihres Schmerzes hatte sie an Walter eine kurze Drahtnachricht abgehen lassen, es war aber darauf keine Ant wort gekommen. Am nächsten Morgen jedoch stand er vor ihr; mit einem Aufschrei stürzte sie in seine Arme. „Du," stammelte sie, „du bist gekommen? Du hast uns also nicht ganz vergessen?" Wie ein müdes Kind lehnte sie den Kopf an seine Brust und weinte fich aus. Er weinte mit ihr, er tröstete sie, er war wieder ganz der Walter von ehedem. Sie führte ihn zu der Leiche des Vaters, Hand in Hand standen beide da und blickten auf das friedliche Gesicht dem selbst der Tod seinen sanften Ausdruck nicht zu rauben ver mocht hatte. Vielleicht noch nie hatte der junge Mann so lebhaft empfunden, wie viel Dank er dem stillen Toten da vor fich schuldete. In seinem Herzen stieg der heiße Wunsch auf, es der Tochter zu vergelten und alles zu thun, um ihr Leben zu einem glücklichen zu gestalten. An Liebe dachte er dabei nicht. Er hatte Frieda stets wie eine Schwester betrachtet, und da sie in vielen Dingen überlegener und besonnener war als er, erschien fie ihm sogar als die ältere, obgleich sie es nicht war. Heute in ihrer Verlassenheit und Trauer kam fie ihm zum ersten Mal schutzbedürftig vor und er versuchte es, fich ihr nützlich zu machen. Er, der sonst für die praktischen Bedürfnisse des Lebens keinerlei Verständnis besaß, machte fich jetzt im Hause zu thun und nahm ihr so manche kleine Sorge ab. Sie war ihm dankbar dafür, denn das gewöhnlich so thatkrästige Mädchen war keines geordneten Gedankens fähig. Mit dem Vater hatte fie alles verloren, Heimat und Obdach. Die kleine Summe, die der Doktor seiner Tochter hinterlassen, reichte gerade aus, um fie für die erste Zeit vor Not und Entbehrungen zu schützen, dann aber trat der Ernst des Lebens heran und fie mußte daran denken, fich eine Existenz zu gründen. 2. Es war an dem Tage nach dem einfachen Leichenbegräbnisse des Doktors. Ein herrlicher Frühlingshimmel blaute über dem knospenden, grünenden Buchenwalde, durch den Frieda an Walters Seite schritt. Sie war bleich und ihre Augen waren vom vielen Weinen gerötet. Das tiefe Schwarz ihres Trauerkleides hob die geisterhafte Blässe ihres Gesichtes noch mehr hervor und Waller sah fie nicht ohne Besorgnis an. Seit er wieder in Grünheide weilte, war er ein anderer geworden. Mit feinen, unsicheren Fäden umspannen ihn die Erinnerungen an eine glücklich verlebte Kindheit, an die tausend kleinen Leiden und Freuden, die er mit Frieda geteilt, an die sorglos verlebte Ferienzeit, wenn er vom Konservatorium heimgekommen, an all' die Liebe und Güte, die er in dem einfachen Doktorhause genossen, und jetzt begriff er nicht, wie er fich so lebhaft hafte fortsehnen können. Mit sanfter Hand strich er über Frieda! hellbraunes Haar. „Armes Kind," sagte er weich, „du siehst so müde aus; du mußt dich in da» Unabänderliche fügen und auch an dich denken. „Ich habe zu viel verloren," versetzte das Mädchen traurig, „das Unglück ist so plötzlich über mich hereingebrochen. Gekränkelt hat ja der Vater immer, aber an ein so schnelles Ende hatte ich nie gedacht." „ „Hast du sckion etwas über dein« Zukunft beschlossen?" „Nein, Walter, dazu bin ich noch zn fassungslos. Ueberdies, meine ich, gibt's da nicht viel zu beschließen. Ich muß eben M die Welt, unter fremden Leuten mein Brot ver dienen." Eine leise Röte stieg in Walters Gesicht; nach einer Weile des Zögerns sagte er : „Ich werde meine Tante bitten, dich sür einige Zen bei fich auszunehmen — fie liebt mich und wird es gern thun." . Frieda blieb stehen und sah ihm ms Gesicht. Wollte fie in seinen Zügen lesen, daß er sich nach ihr sehne, daß er sie gern m seiner Nähe gehabt hätte? Er neigte fich zu ihr und faßte fie bei der Hand. „Bitte, Frieda, laß mich doch etwas für dich thun," bat er; „ich kann den Gedaii en nicht ertragen, dich so einsam und verlassen hier zu wissen. Es thut nur ohnehin so weh, daß du so allein hinaus m die Welt soM Komm' mit nach Hamburg, die Tante wird dich gewiß herzlich willkommen heißen. „Nein, ich danke dir, von Fremden nehmt ich keine Wohlthaten an."
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)