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Allgemeiner Anzeiger : 11.09.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-09-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190109115
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19010911
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1901
-
Monat
1901-09
- Tag 1901-09-11
-
Monat
1901-09
-
Jahr
1901
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 11.09.1901
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Politische Urmdschan. Deutschland. * Das Kais erv aarist am Freitag abend in Königsberg eingetroffen. *Nach einer Meldung hat der Kaiser den Prinzen Tschun zu den Kaiser- manövern eingeladen. * Ter ,Hamb. BörsewHalle' geht von Berlin aus die nachstehende höchst interessante und klärende Mitteilung zu: Zu den vielen in der Presse über die S ü h n e m i s s i o n verbreiteten irrigen Mtttei ungen gehörte namentlich die, daß nach Behebung des angegriffenen Zustandes des Prinzen die Misßon sich geweigert habe, die Schweizer Grenze zu überschreiten. Im Gegenteil erging von Berlin aus die Weisung: Bis dahin und nicht weiter; kein Schritt über Deutschlands Grenze, bevor man nicht ütter die Form des Empfanges und namentlich über die Ansprache dem Verlangen der deutschen Regierung zugestimmt habe. *Für den Anfang des Monats November wird ein Jagdbesuch des Kaisers beim Fürsten Henckel von Donnersmarck er wartet. Hieran dürite sich noch ein Jagdbesuch beim Fürsten Hohenlohe in Schlawentzitz und beim Fürsten von Pleß anschließen. *Eine Vorlage über die anderweitige Regelung der Kinderarbeit im Hausge- werb betrieb wird, wie die ,Natlib. Korresp.' meldet, insbesondere auch die Beschädigung schulpflichtiger Kinder durch ihre Eltern mit ins Auge wssen. Dabei kommt es wesentlich daraus an, zu verhindern, daß in den Großstädten Kinder im schulpflichtigen Alter morgens vor der Schule zum Austragen von Bäckerei- Waren und Zeitungen verwandt werden. Frankreich. * Paris legt sich jetzt aM Bitten, um den Zaren Nikolaus doch noch in ihren Mauern zu sehen. Dos Büreau des General rats des Seine-Devanements beschloß, das russische Herrscherpaar bei seiner Ankumt in Fran reich zu begrüßen und drückte den Wunsch aus, daß es ihm vergönnt sein möge, in Paris die Symvathie erneut auszusvrechen, welche die ganze Bevölkerung des Seine-Departements ür den Kaiser und die Kaiserin von Rußland owie für das russische Volk empfinde. Er be- chloß ferner, sich den Veranstaltungen anzu- chließen, welche das Büreau des Gemeinderats ür den etwaigen Empfang des Kaisers und der Kaiserin treffen würde. *Die französische Regierung beschloß, die vom Sultan zur Ueberwachung der Junglürken in Paris unterhaltene Polizei aufzulösen und deren Agenten auszu- we,sen. Der türkische Botschafter Munir Bei ist abgerc st, ohne den Bediensteten die seit sechs Monaten rückständige Löhnung zu be zahlen ! England. *Das Kriegsamt veröffentlicht die Liste der Gesamt-Verluste der englischen Truppen in Südafrika bis Ende August. Dieselben belau'en sich auf 3778 O'fi- z:ere und 69 932 Mann. Davon blieben aus dem Schlachbelde 332 O fiziere und 4172 Mann; gestorben sind: an Wunden 129 bezw. 1440, in der Gefangenschaft 4 bezw. 33, an Krankheiten 257 bezw. 10154. Durch Unfälle kamen um 14 bezw. 407. Vermißt werden 50 be-w. 560 und nach der Heimat wurden als invottde zurückbefördert 237 Oifiziere und 53100 Mann. — Daß diese Zahlen nicht zu hoch, sondern wahrscheinlich möglichst niedrig gegriffen sind, dafür liegt die beste Bürgschaft in der Quelle, aus der sie stammen. Ander seits können die Boeren nicht annähernd so starke Verluste gehabt haben, denn ihrer waren so viele gar nicht. *Die .Times' behaupten, der Baseler Zwischenfall lieferte Rußland neue Gelegenheit, die es geschickt ergriff, sich China geneigt zu zeigen. Während des ganzen Streites verkehrte die russische Gesandtschaft in Pck-Ng täglich mit Li und riet ihm an, China möge test bleiben. Sie erklärte, der Zar, der niemals aufhöre, Freundschaft für China zu be kunden, habe den deutschen Kaiser ersucht, Schonung gegen China zu üben und ihm Demütigungen zu ersparen. Folglich schreiben die Chinesen in Peking das erfolgHiche Er gebnis des Protestes Tschuns dem willkommenen russischen Beistand zu. Ruhland. *Der Sicherheitsbehörde in Petersburg ist die Nachricht zugegangen, daß seit einigen Tagen eine Anzahl Nihilisten und Anarchisten aus Rußland verschwunden sei. Da die Behörden be ürchten, daß ein Attentat aus den Zaren gevlant ist, findet in dieser Angelegenheit augenblicklich ein reger Deveschen wechsel -iw scheu Petersburg und Varis statt. Aus mehreren französischen Provinzstädten sind Polizeidirektoren nach Paris ge'ommen, um Nachforschungen darüber anzustellen, ob etwa ans Marseille und Toulon verschwundene, als Anarchisten bekannte Personen sich nach Dün kirchen oder Compiögne begeben haben. Balkanftaaten. *Der Sultan, der bekanntlich ein großer Verehrer des deutschen Militärwesens ist, hat befohlen, die Hauptbestimmungen der deutschen Militär - Dien st Vorschriften ins Türkische zu übersetzen und sie als Lehr buch denjenigen Hauptleuten in die Hand zu geben, die nicht aus der Militärschule hervor gegangen sind. Aufnahme in das Buch sollen namentlich auch die Bestimmungen finden, die sich aui den Brücken- und Eiseubahnbau, die Besestigungskuust, den Dienst der Feldtelegraphie u. dergl. beziehen. Um zu Stabsoffizieren be fördert werden zu können, haben diese Haupt leute in einer Prutting nachzuweisen, daß sie mit dem Inhalt des Buches vertraut find. * Ein e n g li s ch -türki s ch er Z w is ch en- fall hat sich im p e rs i s ch e n G o lf ereignet. Die Pforte erhielt Nachricht, daß der Komman dant eines englischen Kriegsschiffes im persischen Golf die türkische Korvette „Schab" an der E wahrt in den Hafen von Koweit gehindert habe. Die Pwrte verständigte das britische Auswärtige Amt von diesem Zwischenfall mit dem Bemerken, daß diese Haltung des englischen Kommandanten der Freundschaft zwischen beiden Ländern widerspreche. — Anderweitige Berichte behaupten, der Vorfall habe einen andern Ver lauf genommen: Der englische Kommandant habe die türkische Korvette nur an der Aus schiffung türkischer Truppen in Koweit in der Besorgnis gehindert, daß dadurch Unruhen ent stehen könnten. Amerika. *Mac Kinley ist in Buffalo, wohin er sich zum Besuch der Panamerikanischen Aus stellung begeben hatte, am Freitag abend das Opfer eines Attentats geworden. Bei der Aufführung in der Mustkhalle mischte er sich der Landesfitte gemäß unter die Zuhörer und drückte mehreren Bürgern die Hand. Plötzlich fielen zwei Schüsse. Der Präsident sank dem ihn begleitenden Ausstellungskommissar bewußtlos in die Arme. In der Rettungs station wurde festgestellt, daß dem Präsidenten zwei Kugeln in den Magen gedrungen waren. Die Blutung war stark und der Verwundete rang mit dem Tode. Der Attentäter Frederick Nieman stammt aus Detroit. Afrika. * Kitchener konnte zwar nach London melden, daß es dem Obersten Scobell gelungen ist, den Kommandanten Lotters mit seinem ganzen Kommando (über 100 Mann) nach hettiger Gegenwehr gefangen zu nehmen; dagegen muß er zugeben, daß es einem andern Boerenkommando von 300 Mann ge lungen ist, denOranjeflußnachSüden zu überschreiten. *Vom südafrikanischen Kriegs - s chauplotz meldet eine amtliche Depesche nach Lissabon, daß die Eisenbahnlinie Pre - toria-Lourenzo-Marques 30 Kilo meter von Komatipoort zerstört sei. *Die Vollstreckungen von Blut urteilen englischer Militärgerichte nehmen ihren Fortgang ungeachtet der dadurch bei den Kap- boeren immer mehr zunehmenden Erbitterung. Zwei Ausländer und ein Aufständischer, die in Camdebo gefangen genommen und in Graaf- reinet abgeurteilt waren, wurden in Colesberg erschossen. — In Pretoria wurden zwei Boeren vor das Kriegsgericht gestellt, die eingestanden hatten, daß sie sich dem „Feind" angeschlossen hätten. Das Urteil wurde verschoben. Asien. *Die fehlenden Edikte, wegen welcher die Zeichnung des Schlußprotokolls aufgeschoben wurde, find jetzt eingetroffen und werden von den Gesandten der Mächte geprüft. Das Handschreiben des Kaisers van China, welches am Mittwoch bei der SMue-Audienz durch den Prinzen Tschun unserem Kaiser über reicht wurde, lautet in deutscher Uebersetzung wie folgt: „Der Groß-Kaiser des Tatfina-Neiches ent bietet Seiner Majestät dem Großen Deutschen Kaiser Gruß. Seitdem Unsere Reiche gegen seitig durch ständige Gesandtschaften vertreten sind, haben Wir ununterbrochen in den freund schaftlichsten Beziehungen zu einander gestanden. Die Beziehungen wurden noch inniger, als Seine Königliche Hoheit Prinz Heinrich von Preußen nach Peking kam und Ww hierbei den. Vorzug hatten, Seine Königliche Hoheit häufi ger emvfangen und mit ihm in vertrauter Weise verkehren zu können. Leider drangen in zwischen, im fünften Monat des vergangenen Jahres, die Boxer in Peking ein; aufständische Soldaten schlossen sich ihnen an und es kam dahin, daß Eurer Majestät Gesandter Freiherr v. Ketteler ermordet wurde, ein Mann, der, so lange er seinen Posten in Peking bekleidete, die Interessen Unserer Länder auf das wärmste wahrnahm und dem Wir Unsere besondere An erkennung zollen mußten. Wir bedauern auf das tiefste, daß Frhr. v. Ketteler ein so schreck liches Ende gesunden hat, um so mehr, als das Gekühl der Verantwortung schmerzt, nicht in der Lage gewesen zu sein, rechtzeitig schützende Maßregeln zu treffen. Aus dem Gefühl Unserer schwerer Verantwortlichkeit heraus haben Wir bekohlen, ein Denkmal an der Stelle des Mordes zu errichten als ein Warnzeichen, daß Verbrechen nicht ungesühnt bleiben dürfen. Weiterhin haben Wir den Kaiserlichen Prinzen Tschun Tsaifong an der Spitze einer Sonder- gesandtschait nach Deutschland entsandt mit diesem Unserem Handschreiben. Prinz Tschun, Unser leiblicher Bruder, soll Eurer Majestät versichern, wie sehr Uns die Vorgänge im ver flossenen Jahre betrübt haben, und wie sehr die Gefühle der Reue und der Beschämung Uns noch beseelen. Eure Majestät sandten aus weiter Ferne Ihre Truppen, um den Boxer- auistand niederzuwerfen und Frieden zu schaffen zum Wohle Unseres Volkes. Wir haben daher dem Prinzen Tschun bekohlen, Eurer Majestät Unseren Dank für die Förde rung des Friedens persönlich auszusvrechen. Wir geben Uns der Hoffnung hin, daß Eurer Maiestät Entrüstung den alten freundschaftlichen Gesinnungen wieder Raum gegeben hat und daß in Zukunft die Beziehungen Unserer Reiche zu einander sich noch vielseitiger, inniger und segensreicher gestalten mögen als bisher. Dieses ist Unsere feste Zuversicht." Don Kalf und Fern. Amtliche Nahrungsmittel-Untersuchun gen. Im Monat Juli sind in Berlin 375 Pro ben von Nahrungs- und Genußmitteln chemisch untersucht worden; beanstandet wurden von 317 erledigten Proben 74. Die Milchkonstolle er streckte sich auf Revisionen in 1002 Geschäften, von denen 115 zu Beanstandungen führten, die Butter kontrolle auf 380 Geschäfte mit 40 Be anstandungen. Ein „Verband gegen Schikaneure" ist, wie ein Fachblatt zu melden weiß, die neueste Blüte des Berliner Vereinslebens. Der Verband soll die Lieferanten gegen solche Kunden schützen, welche gewohnheitsmäßig ungerechtfertigte Ab züge und Ausstellungen machen und geradezu Prozesse provozieren. Der Verband wird unter dem Namen „Trau, schau, wem!" Schutzlisten gegen Schikaneure heransgeben, zu dem die Mit glieder, denen dabei strengste Diskretion zuge- sichert wird, das Material liefern sollen, das darauf allen Interessenten zugänglich gemacht werden wird. 350 Ottv gefundene Nadeln. Eine eigen artige Sammlung besitzt ein jetzt in Charlotten burg wohnender pensionierter Beamter, der dieser Tage sein 25jähriges Sammlerjubiläum zu feiern Gelegenheit batte. Als er nämlich vor nunmehr einem viertel Jahrhundert in Berlin auf dem Wege zu seinem Büreau in kurzen Abständen sieben Stecknadeln auf der Erde liegen sah und aufhob. kam ihm der Ge danke, doch einmal sestmstellen, wiele derartige geringwertige Gegenstände im Laust der Jahre bei einiger Aufmerksamkeit wohl in den Straßen Berlin? gefunden werden könnten. Nach und nach schärste sich sein Blick derartig, daß feste tägliche Ausbeute einen immer größeren Um fang annahm. Zur Zeit beläutt sich seine „spitze" Sammlung auf über 350 000 Nadeln, die teils aui Papierstreifen aufgereiht, teils in Kästen verpackt einen beträchtlichen Raum in der Wobnnng einnehmen. (Dieser Sammelsport ist sehr geistanregend N Vorsichtige Ausbrecher. Zwei Berliner Strafgefangene, welche -ur Verbüßung ihrer Strast im Amtsgefängnis zu Schwedt a. O. untergebracht waren, sind dieser Tage von der Außenarbeit entwichen. Nunmehr haben die Sträflinge ihre Gefangenenkleidung von Berlin an die dortige Gelängnisverwaltung zmäck- gesandt, um wenigstens einer Anklage wegen Unterschlagung zu entgehen. Auf schreckliche Weise kam in Erfurt der Maler K. um^ Leben. Bei dem Besteigen eines angebrachten Malergerüstes glitt er aus, stürzte ab und fiel auf ein eisernes Vorgarten-Stacket. Der Mann wurde im wahren Sinn des Wortes awgespießt, so daß der Tod binnen wenigen Minuten eintrat. Der Verunglückte hinterläßt eine Witwe und fünf Kinder. Redaktions - Rebhühner. Heiligenstadt marschiert jetzt an der Stütze des Jahrhunderts! Wenigstens in einer Beziehung. Mst sichtlichem Behagen teilt nämlich die .Heiligenstädter Zeitung ihren Lesern mit, daß ihr ein dortiger Nimrod zwei Redaktions-Rebhühner überbracht habe und knüpst daran die Bemerkung, daß nach den ewigen langen Kornähren, dicken Kartoffeln, Redaktions-Maikäfern und Redaktions-Schmetter lingen nun endlich auch mal eine Rarität ein gesendet worden wäre, die, statt in das Redaktionsmuseum, in den Redaktions-Kochtopf wandere. Ein gräßliches ^amiliendrama hat sich in Offenbach zugetragen. In der Nacht hat die in der Wasserbo'straße wohnende Witwe des Eisenbahn-Betriebssekretärs Ullrich ih" vier Kinder, zwei Knaben im Alter von elf und zwei Jahren, sowie vor acht Tagen geborene Zwillinge erdrosselt und sich dann selbst erhängt- Was ein Hausknecht verdient. Ge- legentlich eines Zivilrechtsstreites zwischen einem Hausknecht und einem Hotelier in München wurde die überraschende Thatsache festgestellt, daß der erste Hausknecht nicht nur keinen Lohn bezog, sondern noch pro Monat an den Hotelier 180 Mk. abzuliefern, die weiteren fünf Unter hausknechte mit Gehältern von 60 bis 80 Ms. pro Monat zu bezahlen und die Straßenreini- gung zu besorgen lassen hatte. Was muß dieser Mann wohl an Trinkgeldern einnehmen? Eine große heidnische Begräbnisstätte hat Herr v. Salisch, Besitzer des Ritterguts Postok im Kreise Militsch, auf seinem Acker entdeckt. Zur Zeit find bereits gegen zwei hundert Gräber ausgegraben. Die Ausgrabungen geschehen unter Leitung des Museumsdirektors Seeger aus Breslau. Die Gräber sollen gegen 3000 Jahre alt sein, find viereckig und mit einer Steindecke bedeckt. Sie stammen aus der Bronzezeit. Wieder ein „lenkbares Luftschiff". Iw Pariser Vororte Colombes machte am Donners tag Herr Roze mit seinem als lenkbar ange kündigten Luftschiff den ersten Versuch. Dec Zn LiebeskeLLen. 187 Novelle von A. Kahle. <echl»h.) „Nun denn/ sagte Frau von Lützen mit niedergeschlagenen Augen, „so erfahren Sie die volle Wahrheit: Mein Herz hat stets für Ihren Bruder gesprochen, der Verstand aber hat auf mein Geheiß diese Gefühle Nieder kämpfen müssen, um mich zum Handeln frei zu machen. Und nun," sagte sie ausftehtnd, mit schmerzlichem Ton der Stimme, „nun wissen Sie alles, schonen Sie mich, Exzellenz. Die Baronin war aufgestanden, und ihren Arm um F-au von Lützen schlingend, drückte fie diese innig an ihr Herz. „Nun gerade, liebste Frau, müssen Sie mich anhören," sagte fie herzlich und zog die halb Widerstrebende zu sich auis Sosa, „jetzt müssen Sie hören, welch' grausames Mißverständnis zwei für einander geschaffene Herzen so lange getrennt hat." Sie erzählte ihr alles, was seit ihrer plötz lichen Abreise aus Wilmershagen geschehen, von der unüberwindlichen Liebe Ebendorfs für fie, die er der Schwester offen gestanden, von seinem heißen Wunsche, wenigstens sein An denken in den Augen der Geliebten von allen Flecken zu reinigen, die scheinbar auf demselben ruhten. Sie erzählte weiter, wie er ohne Auf hören nach Frau von Lützen geforscht und ge sucht, wie fie, die Schwester, aus Teilnahme den Bruder begleitet habe, wie aber in Italien jede Spur verschwunden gewesen sei, wahr scheinlich weil Frau von Lützen den Namen gewechselt habe. Diese Vermutung hätte fie endlich auch gehegt und geglaubt, Frau von Lützen habe sich wieder verheiratet. Sie teilte ihr mit, wie sie den Bruder daraufhin gebeten, sich zu einer andern Wahl zu entschließen, wie aber alles vergeblich gewesen sei, wie er nun endlich seine Geliebte so unerwartet gestern in der gefeierten Sängerin wiedererkannt, und wie da von neuem Freude und Qualen des Zweifels seine Seele durchstürmt hätten. Frau von Lützen hörte in höchster Er regung zu. Thränen perlten aus ihren Augen und benetzten die Hand der liebevollen, gütigen Frau, die hergekommen war, um ihr, der Un dankbaren, die die Wohlthaten ganz vergessen zu haben schien, das langentbehrte Glück zu bringen, das Glück einer wahren, edlen Liebe. Sie drückte die Hände der edlen Frau wieder holt an ihre Lippen, aber kein Wort konnte den Sturm ihres Herzens erleichtern; die Baronin verstand ihre Erregung, fie hauchte einen Kuß auf ihre Stirn und erhob sich. Langsam schritt fie zum Fenster; unten stand ihre Equipage, ein Paar dunkle Augen schauten sehnsüchtig herauf; sie winkte mit der Hand, dann wandte fie sich leise um, und, sich zu Frau von Lützen hinabneigend, flüsterte fie leise: „Erlauben Sie, liebste Frau, daß der Ange klagte jetzt selbst seine Sache weiterführt. Mir gestatten Sie unterdessen, Ihre gute Schwester aufzusuchen." Noch ehe Frau von Lützen etwas erwidern und sich von ihrer Ueberraschung erholen konnte, hatte fich die Thür hinter der Dame geschlossen und ihr zu Füßen lag der Baron, ihr flehend ins Auge schauend. * Sechs Wochen waren seitdem vergangen. Der Baron hatte zum Erstaunen der vornehmen Welt die Signora Santuzza geheiratet. Da es aber nichts Ungewöhnliches mehr war, daß der vornehme Adel fich Gemahlinnen unter den Künstlerinnen suchte, beruhigte man fich bald und wunderte sich zuletzt nur, daß die schöne gefeierte Dame mit ihrem Gatten sich auf einen einsamen Landsitz zurückziehen und dem glän zenden Leben in der Residenz entsagen wollte. Unberührt von dem Gerede der Welt verlebte indessen der Baron mit seiner jungen Gattin und in Gemeinschaft mit den Geschwistern sonnige und heitere Tage. Der Baron war entzückt über seine Gemahlin, an der er immer neue Vorzüge entdeckte und schloß zu gleicher Zeit ihr liebliches Töchterlein väterlich in sein Herz, das denn auch den neuen freundlichen Papa bald sehr lieb gewann. Die Schwester der jungen Baronin, eine nicht mehr ganz junge, aber sehr kluge und liebenswürdige Dame, hatte sich auf Bitten des jungen Paares entschlossen, bei demselben zu bleiben. Die Trennung von ihrer Schwester und der kleinen Nichte, für die fie allein gelebt hatte, wäre ihr auch zu schmerzlich gewesen; fie war daher mit ihrem kleinen Liebling nach Wilmershagen vor ausgereist, um dort den Empfang für die Neu vermählten vorzubereiten. Der Tag der Abreise rückte auch für diese immer mehr heran. Der Baron bemühte fich mit seiner Gemahlin, noch die letzten Wochen der Wimersaison auszunutzell und besonders das alles zu genießen, was die Kunst bot, um fich für die lange bevorstehende Entbehrung dieser Genüsse schadlos zu halten. Zum letzten Male wurde heute von den Ge schwistern die Oper besucht. Ein berühmter Tenorsänger gastierte als Tannhäuser; man versprach fich viel Genuß von dem Abend. Der Minister hatte mit seinem Schwager und den beiden Damen die große Fremdenloge einge nommen. Gegenüber derselben war die Hofloge; vorn dicht an der Brüstung saß die Prinzen Alexander, hinter ihr stand Prinz Alexander. Derselbe sprach eifrig und angelegentlich «lt einer Dame, die hinter der Prinzessin Alexander saß. Man sah von ihr nur die schöne, himmel blaue Seidenrobe, die in bauschigen Falten den Boden bedeckte; ihr Kopf war zurückgelehnt und ein ausgebreiteter Fächer deckte das Gesicht, Die Prinzessin, die bisher wenig Anteil an der Unterhaltung, die ihr Gemahl führte, genommen zu haben schien, wandte sich in diesem Augen blick um und richtete einige Worte an die Dame, die fich ehrerbietig verbeugte und ihr schönes Profil den Blicken der jungen Baronin darbot. Diese griff plötzlich erbleichend nach der Hand ihres Gemahls. „Fräulein von Rütz," flüsterte fie leise. Der Baron folgte den Augen seiner Gattin, ja, da war sie, die glänzende Schönheit, die einst ihre Macht auch auf ihn ausgeubt halte, da war fie, noch glänzender und strahlender als früher. Auch der Minister von Kämer hatte die schöne Dame bemerkt. „Sehen Sie, Ebendorf," sagte er, „am letzten
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