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gemerkt, Mama, wie ironisch sie lächelte, als sie mir so wortreich versicherte, sie sei völlig überzeugt, daß ihr niemand so selbstlos ihr Glück gönne, wie gerade ich?" Der Stuhl schwankte stärker. »Dieses eingebildete, alberne Geschöpf, das ohne ihres Vaters Geldbeutel kein Mensch be achten würde! Und welche fleckige Röte sie heute wieder hatte, und wie der große, weiße Filzhut mit der protzigen Feder sie entstellte!* »Ja, zu kleiden versteht sich die arme Nelly nun einmal nicht," beeilte sich Frau Nat einzustimmen. Diese wenigen, mit ironischem Mitleid gesprochenen Worte genügten, das in der Lust schwebende Gewitter zu entfesseln. Irene sprang auf und trat mit flammenden Augen dicht vor den Tisch, hinter welchem ihre Mutter saß. „Arm nennst Du sie, Mama? Möchtest Du mir dann viel leicht sagen, wie Du mich dann eigentlich bezeichnest?" Der schmale Fuß im eleganten Knopsstiesel klopfte heftig den Boden. „Das ist schon die sechste in dieser Saison, die sich verlobt, und ich, mit meinen wohlgezählten dreiundzwanzig Jahren, habe das Nachsehen und muß noch beglückt lächeln, wenn man mir die Ehre erweist, mich als Brautjungfer zur Hochzeit zu bitten." Sie lachte bitter auf. „Vielleicht wäre es das Nichtigste, sich schon bei Zeilen nach einer Stelle im Altjungsernstift um zusehen." Frau Sanitätsrat hob abwehrend die weiße, ringgeschmückte Hand. „Wie Du übertreibst, Ina! Wer Dich hörte, würde wirklich nicht die Ballkönigin, die geseierte Schönheit —" Sie wurde heftig unterbrochen. „Das ist es ja eben, was mich so namenlos empört! Mir macht man den Hof, sagt man fade Schmeicheleien, umschwärmt mich und" — das Battisttuch, welches die zarten Hände fortwährend zusammenhalten, zerriß mit knirschendem Laut, „andere heiratet man!" Ihre Mutter strich mit nervöser Hast die Fransen des kost baren Tischläusers glatt und sagte dabei etwas unsicher und ohne den Blick zu erheben: „Du hättest ja auch längst Frau sein können, wenn Du es nur gewollt hättest!" Wieder lachte Irene verächtlich auf. „Wozu diese Komödie, Mama, wo wir doch ganz entrs nous sind? Hätte ich vielleicht den Trottel von Schlierbach nehmen sollen, oder den alten Bankier Fröse, oder den kleinen Philologen mit seinen 900 Thalern Gehalt? Er gefiel mir ja ganz gut und war närrisch in mich verliebt, aber Kartoffel- snppen habe ich nie gemocht und selbstgesertigte Toiletten au« aufgesärbten Stoffen und nach Benzin duftende Handschuhe ebenso wenig." „Wie Du Dich ausregst, Irene, und wahrlich ohne Grund. Ich wette" — die schöne Frau versuchte ein heiteres Lachen — »mein kleiner Finger sagt es mir, in nicht zu ferner Zeit bildest Du den Gegenstand glühendsten Neides und denkst lächelnd an diese Stunde zurück." Die Angeredeie ließ sich wieder in ihren Schaukelstuhl fallen und setzte ihn in Bewegung. „Oh, Deine Orakeliprüche gelten Hallervorden," sagte sie mit spöttischem Verziehen der roten Lippen. „Ich muß gestehen, Mama, ich beneide Dich um Dein lindlich gläubiges, sanguinisches Temperament. Nachdem der Professor es nicht einmal der Mühe wert gehalten, sich persönlich für ein vor Wochen empfangenes Geschenk zu bedanken, noch immer dieses starre Festhalten an der einmal gefaßten Idee, das ist mindestens originell!" „Du weißt, er hat sich bei Papa entschuldigt. Ein wissen schaftliches Werk, welches er zum Frühling herauszugeben ge denkt und von welchem man sich nicht weniger als von seinen bereits erschienenen verspricht, nimmt seine Zeit vollauf in An spruch. Und dann mußt Du bedenken, Kind, er ist eben kein stürmischer Jüngling, sondern ein reifer Mann, welcher —" Irene unterbrach die Sprecherin unartig. „Nun, dann sage ich Dir, auch von einem Vierziger verlange ich Aufmerksamkeit, und ich bleibe dabei: sein Benehmen mir gegenüber grenzt an Unart!" Frau Rat wollte erwidern, doch verstummte sie und horchte auf den grellen Ton der Flurglocke. Auch ihre Tochter richtete sich höher und blickte, mit dem Taschentuch über daS glühende Gesicht fahrend, nach der Thür. Nur keinen langweiligen Besuch! Sie war gerade in der Stimmung, Phrasen zu drechseln! »Fräulein Wahrendorf!" meldete der cintretende Diener. Die Tochter des Hauses sprang ohne Rücksichtnahme auf den selben auf. „Ich gehe in mein Zimmer, Mama! Ich bin nicht zu lang weiligem Besuch aufgelegt." Frau Rat drückte sich fester in ihre Sofaecke. „Ich ebenso wenig! Gehen Sie, Fritz, wir lassen für ein andermal bitten; das gnädige Fräulein hat Kopfschmerz und ich muß eine not wendige Visite abstatten." Als der Bediente gegangen war, blickte Irene ihm zögernd nach „Ich hätte sie doch vielleicht empsangen sollen, Mama, ich. habe ihr noch nicht einmal für die Mühe, welche sie mit der Malerei hatte, gedankt." Ihre Mutter sah sie ehrlich erstaunt an. »Aber wozu Dich opfern, Kind? Du kannst ihr bei Gelegenheit ein Geschenk machen — vielleicht die Mosaikbrosche, welche Dir so mißfällt — und die Sache ist abgethan. Uebrigens ist es noch gar nicht sicher, daß ihre Arbeit den Beifall des Professors hat. Wenn ich es recht bedenke, hätten wir sie gar nicht anwenden sollen; die Idee hatte doch etwas sehr Altjüngferliches, so gesucht naives. Nun, Fritz, was giebts denn noch?" herrschte sie den Diener an, der nach leisem Anklopfen wieder ins Zimmer trat. »Will sich Fräulein Wahreudorf nicht abweisen lassen?" »Doch, gnädige Fran! Das Fräulein sind bereits ge gangen, aber Herr Proscssor Hallervorden lassen'anfragen, ob gnädige Frau zu sprechen." Frau Rat schnellte wie elektrisiert in die Höhe. »Sehr angenehm, ich lasse bitten!" Sie wars einen raschen Blick auf ihre Tochter und lächelte befriedigt. Die Nöte des Aergers lag wie lebhafter Rosenschimmer auf dem reizenden Mädchenantlitz, im Verein mit den blitzenden Augen seine Schön heit nur noch erhöhend. Dann erhob sie sich vollends, um dem Eintretenden entgegen zu gehen. Professor Hallervorden begrüßte erst sie, dann reichte er Irene die Hand, mit höflichen Worten sein Bedauern ausdrückend, daß es ihm erst heute vergönnt sei, ihr seinen Dank für ihr sinniges, gemütvolles Vielliebchcngeschenk abzustatten. Sie wehrte bescheiden lächelnd ab. »Hat es Ihnen wirklich ein wenig gefallen?" fragte sie mit zaghaftem Aufblick ihrer herr lichen blauen Augen, welchen die tiejdunklen Brauen und Wimpern eine so pikante Umrahmung gaben. »Außerordentlich," gestand er aufrichtig. »Ich muß Ihnen bekennen, daß ich mich täglich aufs neue an dem reizenden Bildchen erfreue. Nur eins habe ich dabei zu bedauern, gnädiges Fräulein, das nämlich, daß Sie sich meinetwegen solcher Mühe unterzogen." Er sah sie aufmerksam bei seinen Worten au, aber Irene hielt ohne ein Zeichen von Befangenheit seinen Blick aus. „Sie schlagen die Kleinigkeit zu hoch an, Herr Professor," meinte sie lächelnd, »die kleine Arbeit machte mir nur Freude." Das Gespräch wurde allgemeiner, berührte das Theater, Konzert, verschiedene Vorfälle des gemeinsamen Bekanntenkreises, dann sragie der Gelehrte plötzlich, wie sich besinnend: „Sie hatten vorhin Besuch, gnädige Frau? Bei meinem Kommen verließ soeben eine Dame das Haus, die mir bekannt schien." Die Angeredete schüttelte verwundert den Kopf. „Nein, Herr Professor, die Dämmerung muß sie getäuscht haben. Oder," sügte sie zweifelnd hinzu, »Sie müßten denn gerade eine Verwandte meines Mannes meinen, die eben den mißlungenen Versuch eines Ueberfalles bei uns machte." Sie sah seinen fragenden Blick und lachte. »Sie wissen aus Erfahrung, man ist nicht immer opferwillig genug, sich langweilen zu lassen." „Sicher nicht, gnädige Frau! Und diese Dame — wie nannten Sie dieselbe doch? — versteht diese Kunst, ihre Um gebung einzufchläfern, meisterlich?" „Ausgezeichnet, Herr Prosessor! Diese Edith Wahrendorf ist als Schlafmittel unfehlbar! Meine Tochter und ich haben regel mäßig mit einem Gähnkramps zu kämpfen, wenn sie uns das zweifelhafte Vergnügen ihrer Gegenwart schenkt." Irene warf dem Gast einen kokelten Blick zu. „Kondolieren Sie mir denn garuicht?" schmollte sie. Er sah zerstreut zu ihr herüber, die in ihrer Bluse von seinem, gelblichen Wvllensloff und beleuchtet von dem Schein einer rot verhüllten Aürallampe, welche Fritz soeben entzündet, wie ein wunderschönes Bild ihm gegenüber im Sessel lehnte, und lachte dann ein wenig gezwungen: „Von Herzen gern, gnädige» Fräulein, obgleich ich noch nicht die ganze Größe Ihres Un gemachs kenne. Fräulein Wahrendorf ist natürlich häufiger Gast in Ihrem Hause?" Sie hob in komischem Entsetzen die Arme, so daß die zahl reichen Berlockes an den Spangen derselben leise klirrten. „Um Himmelswillcn, Herr Professor, schon der Gedanke daran ist schrecklich! Bedenken Sie, meine Cousine ist vierunddreißig Jahre und Zeichenlehrerin!" »Ah, ich verstehe! Pedantin vom Scheitel bis zur Sohle, dabei stets besorgt, das liebe Ich in möglichst günstige Be leuchtung zu rücken, und natürlich Blaustrumpf von reinster Färbung." Seine Zuhörerin lachte kindlich amüsiert und nickte lebhaft mit dem Kopfe. „Ja, ich glaube, sie weiß eine Menge Dinge, von denen sich wenigstens meine Schulweisheit nichts träumen läßt."