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Allgemeiner Anzeiger : 20.04.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190104204
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19010420
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1901
-
Monat
1901-04
- Tag 1901-04-20
-
Monat
1901-04
-
Jahr
1901
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 20.04.1901
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Politische Rundschau. Die chinesischen Wirren. * Der amerikanische Gesandte in Peking hat seiner Regierung mitgeteilt, daß die Ent schädigungsanträge der Mächte fol gende sind: Rußland 360, Deutschland 280, Frankreich 160, Japan 120, die Ver. Staaten 100, England und Belgien je 60, Italien, Oesterreich und Spanien je 40 Millionen Mark. * Mit dem Räuberunwesen hat man in China fortwährend zu thun. Graf Waldersee meldet am 13. d. aus Peking: Zur Aufhebung der unter dem 8. d. gemeldeten Räuber, die sich im Gebirge nordöstlich Tschangpingtschou (30 Kilometer nörd lich Peking) festgesetzt haben, ist Major von Schönberg mit einer Kompanie und je einem Zug berittener Infanterie. Kavallerie und Feldartillerie von hier abgeschickt, während die Kompanie aus Tschangpingtschou den Räuber banden den Rückzug verlegen soll. *Der Mörder des Hauptmann Bartsch ist nach einer Meldung des ,Berl. Lok.-Anz/ in Peking ergriffen worden. Es ist ein junger Chinese, der die That in der Erregung wegen einer angeblichen Miß handlung durch den Offizier begangen haben will. Die Untersuchung über die Ursachen des Verbrechens ist indessen noch nicht abge schlossen. Deutschland. * Kaiser Wilhelm wird seine Nord landreise in diesem Jahre in unmittel barem Anschluß an die Kieler Woche unter nehmen. *Der deutsche Kronprinz ist in Wien überall wo er sich zeigt, der Gegenstand herzlichster Kundgebungen. Der Montag wurde zumeist zu Spaziergängen in Wien verwandt, um hervorragende Baulichkeiten zu besichtigen, und eine Fahrt in denPrater unternommen. Um 6 Uhr fand Familiend iner in der Hofburg statt. Die mit dem Kronprinzenbesuch zusammenfallende Anwesenheit desKölnerGesangvereins in Wien hat den dortigen deutschen Kreisen fort gesetzt Anlaß zu stürmischen deutsch-natio nalen Demonstrationen gegeben. * Im Bundesrat macht man sich daraus gefaßt, daß sich die Beratungen über den Zolltarif in dieser Körperschaft bis weit in den Sommer hinein erstrecken werden. Es gilt sogar nicht für ausgeschlossen, daß die endgültigen Entschließungen des Bundes rats in dieser Angelegenheit erst im Herbst, kurz vor dem Beginn der neuen Session des Reichtages, fallen. * Der Bundesrat stimmte am Montag den Entwürfen eines Süßstoffgesetzes und der Branntweinsteuergesetz novelle zu. * Der württembergische Minister präsident Schott v. Schotten st ein hat nunmehr seine Entlassung erhalten. Als Grund wird sein Gesundheitszustand an gegeben. An seiner Stelle ist der Justizminister v. Breitling zum Ministerpräsidenten und der Generalleutnant v. Schnürten zum Kriegsminister ernannt worden. * Die Weingesetznovelle wird jeden falls in der von der Kommission in erster Lesung beschlossenen Fassung nicht zu stände kommen; dagegen wird im Laufe der weiteren Verhandlungen eine Verständigung erhofft. Für gänzlich unannehmbar sieht die Regierung die zeitliche und räumliche Begrenzung des Zuckerns der Weine, sowie den Deklarationszwang für Verschnitte aus Rot- und Weißwein an. *Jn den Leipziger Aerztestreik hat nunmehr die Kreishauptmannschaft insofern eingegriffen, als sie ein ehrengericht liches Verfahren der ärztlichen Bezirks- Vereine gegen diejenigen Aerzte, die jetzt in den Dienst der Ortskrankenkasse getreten find, also gewissermaßen gegen die „Streikbrecher" für unstatthaft erklärt hat. * Zwei Strafexpeditionen find gegenwärtig in Kamerun ans dem Marsche. Hauptmann v. Schimmelpfennig t^, Mitte Januar mit zwei Offizieren, einem Arzt, sechs Unteroffizieren und Feldwebeln und 140 farbigen Soldaten aufgebrochen, um denjenigen räuberischen Stamm bei Uaunde zu bestrafen, bei dessen Bekämpfung Oberleutnant Leguis gefallen ist. Außerdem ist Hauptmann Guse mit der Unterwerfung der immer noch revol tierenden Ngolostämme beauftragt worden. Frankreich. *Von einer beabsichtigten Verlobung des zur Zeit in Paris weilenden russischen Generals Prinzen Louis Napoleon mit einer Tochter des Großfürsten Wladimir, die sich mit ihrer Mutter, einer mecklenburgischen Prinzessin, augenblicklich an der Riviera auf hält, war in der letzten Zeit wiederholt die Rede und weitgehende Folgerungen in bezug auf eine Prätendentenrolle des Prinzen au Stelle seines schlaffen Bruders, desPrinzen Viktor, wurden an diese Abficht geknüpft. Jetzt wird gemeldet, daß Prinz Louis Napoleon seine Reise nach der Riviera vertagt habe. * General a. D- Gras, Erfinder des fran zösischen Gras-Gewehres, ist in Auxerre im Alter von 65 Jahren gestorb en. *Die aus ständigen Gruben arbeiter in Monceau les Mines be schlossen in einer am Sonntag abgehallenen Versammlung, in welcher über den Erfolg der Bestrebungen ihrer Vertreter auf dem Berg arbeiterkongreß in Lens Bericht erstattet wurde, den Aus st and bis zum äußersten f o r t z u s e tz e n. England. * Die neuendeutschenFelddienst- Uniformen für überseeische Truppen wurden von der deutschen Militär-Abordnung am Montag in Marlboroughouse dem König Eduard in Gegenwart des Lord Roberts vorgesührt. Italien. *Der Papst hielt am Montag in Gegen wart der Kardinäle und Prälaten ein ge heimes Konsistorium, in dem eine An zahl von Erzbischöfen und sonstigen geist lichen Würdenträgern zu Kardinälen er nannt wurde. *Die Ausstands-Bewegung in Genua, die von den Mannschaften von fünf Dampfern der Floriogesellschaft ihren Ausgang nahm, hat bereits einen bedeutenden Umfang genommen, -indem die Mannschaften aller dort anwesenden Dampfer der genannten Gesellschaft den allgemeinen Aus st and beschlossen haben. Die Reeder wollen auf die Forderungen der Arbeiter nicht eingehen und so können denn die Schiffe, darunter auch Post dampfer, nicht auslaufen. Schweden-Norwegen. *Der schwedische Reichstag hat, zum Teil nach deutschem Vorbilde, ein Ver sicherungsgesetz gegen Unfälle in dustrieller Arbeiter prinzipiell angenommen. Portugal. *Die kirchenfeindlichen Unruhen in Portugal dauern fort. Am Sonntag ver suchten mehrere Individuen das Jesus- Kloster in Aveiro in Brand zu stecken. Sie hatten das Thor des Klosters mit Theer bestrichen und Feuer an dasselbe gelegt. Ein wohner und Polizeimannschaften eilten indessen zeitig genug herbei, um das Feuer zu löschen. Die Schuldigen find bisher nicht ermittelt worden. Ruhland. *Zur Wiederherstellung des Unterrichts- ganges auf den höheren Schulen und um die „schweren Folgen für das Schicksal der Studierenden" zu mildern, die sich aus der Schließung mancher Hochschulen ergeben, find Bestimmungen getroffen worden, die eine Verlängerung der Vorlesungs dauer und der Prüfungsfristen im Sommer ermöglichen, so daß die Studierenden kein Studienjahr zu verlieren brauchen — die erste und sehr erfreuliche Maßnahme des neuen Unterrichtsministers. Balkanstaaten. * Gegen die makedonischen Um triebe entfaltet die. Pforte große Energie. Der türkische Kommissar in Sofia hat neuerdings eine Note an die bulga risch e R e g i e r u n g gerichtet, in welcher er nachdrücklich Auflösung der macedonischen Komitees und Verbot der von diesen Komitees veranstalteten Sammlungen verlangt. Afrika. *Von mehreren kleinen Erfolgen der Engländer weiß wieder Kitchener aus Pre toria zu melden: Während der Operationen Babingtons überraschte die Kolonne des Obersten Rawlinson nordwestlich von Klerksdorp mit Tagesanbruch Smuts Lager. SechsBoeren wurden getötet, 10 verwundet und23 gefangen genommen; einZwöfi- pfünder, ein vollständiges Pompon-Geschütz, zwei Munitionswagen mit Munition, einige Pieroe und einiges Vieh wurden weggenommen. Die Eng länder hatten drei Verwundete. Oberst Plumer nahm den Felvkornet Briel und 16 Boeren gefangen und erbeuteten 10 Wagen, 18 Gewehre, Pferde und Rindvieh. In dem Oranje st aat wurden während der Opera tionen General Pilchers sieben Boeren getötet, einer ergab fich. Ferner wurden erhebliche Vorräte eingebracht. Was die Engländer dabei verloren haben, verschweigt der Bericht. Deutscher Reichstag. Am 16. d. steht zunächst auf der Tagesordnung die erste Beratung des Gesetzentwurf betr. Ver sorgung der Kriegs-Invaliden und der Kriegs-Hinterbliebenen. Abg. Graf Oriola (nat. - lib.) beantragt Ver- weUung der Vorlage an die Budgetkommission. Er begräbt die Vorlage, die endlich vielen bestehenden Härten abhelfe, beklagt jedoch, daß man auf diese Verbesserung der Invaliden-Fürsorge so sehr lange habe warten müssen. Zum 8 1 des jetzt vorliegenden Entwurfs werde in der Kommission vor allem er wogen werden müssen, ob nicht der Aufenthalt auf See bezüalich der Jnvalidenfürsorge dem Kriege gleichzustellen sei. Er erinnere an die Opfer des Schiffsbruchs des „Gneisenau". Diesen bezw. ihren Relikten müssen dieselben Bezüge zu- steÜen, wie sie in dieser Vorlage festgesetzt würden für die Kriegs-Invaliden bezw. -Relikten. Ueberhaupt bedürften nicht nur die Pensionen der Kriegs - Invaliden, sondern alle Miluärpensionen einer Aufbesserung, insonderheit die der Offiziere. Entschieden zu beanstanden sei ß 10 der Vorlage; nach diesem solle den Ganzinvaliden mit noch nicht 600 Mk. jährlichen Gesamteinkommens vom 55 Lebens jahre ab eine Alterszulage bis zur Vervollständigung ihres Einkommens auf 660 Mk. gewährt werden können, und zwar auch nur im Falle völliger Er werbsunfähigkeit. Dieser Vorbehalt völliger Erwerbs unfähigkeit müsse unbedingt wegfallen; außerdem solle diese A-terszulage gewährt weroen müssen. Es müsse ferner die Angerechtigkeit beseitigt werden, daß den Militär-Invaliden im Reichs- und Staatsdienst ihre Jnvalidenbezüge am Gehalt gekürzt würben, während die Kommunen eine solche Kürzung nicht vornehmen dürften. Abg. Graf Roon (kons.) bemerkt gleichfalls, eine Kommissionsberatung sei nicht zu vermeiden. In diesem Falle aber werde eine solche jedenfalls nicht verzögernd, sondern befördernd wirken. Mit dem Vorredner sei er darin einig, daß es fich hier einstweilen nur um ein Notgesetz handele, namentlich bezüglich der Offiziere. Es müsse später eine all gemeine Regelung nachfolgen. Die Alterszulage müsse für 55jährige Invaliden obligatorisch gemacht werden. Abg. Bachem sZentr.): ES sei eine Ironie, daß erst die chinesischen Wirren hätten kommen müssen, um diesen lange gehegten Wunsch des Reichs tags in Erfüllung zn bringen. Dem chinesischen Boxer habe es der deutsche Invalide zu danken, daß endlich für ihn und seine Relikten besser ge sorgt werde. An und für sich bringe die Vorlage dankenswerte Verbesserungen. Deshalb soll man sich jetzt auch beschränken, damit nicht durch noch weiter gehende Forderungen das baldige Zustande kommen des Gesetzes gefährdet werde. Was die Deckung der aus der Vorlage erwachsenden Mehr ausgaben betreffe, so würde er für seine Person einer Wchrsteuer zustimmen, doch bemerke er, daß seine Fraktion ihre frühere Antipathie gegen eine solche Steuer immer noch hege. Abg. Singer (soz.) hält eine Reichseivkommen- steuer oder Reichsvermögenssteuer für weit richtiger als eine Wehrsteuer. Die Abgg. Oriola und Grat Roon hätten bei ihren Ausführungen hauptsächlich von den Offizieren gesprochen. Er und seine Freunde meinten dagegen, daß besonders die invaliden Mannschaften und deren Relikten einen Anspruch auf verstärkte Fürsorge hätten. Rament' lieh in deren Interesse dürfe diese Fürsorge durch diese Vorlage noch lange nicht als abgeschlossen gelten. Redner erklärt die Vorlage ebensalls stir nach verschiedenen Richtungen hin Verbesserung?' bedürftig. Seine Freunde würden in der Kow- Mission Vorschläge zu Gunsten der Mannschaften machen. Abg. Hoff el (freikons, Els.-Lotbr.) begrüßt! die Vorlage freudig, äußert aber dann sein lebhaftes Bedauern darüber, dasi die ehemals der französisches Armee zugehörigen elsässisch-lothringischen Jnvalideidj die nachher annektiert worden seien, nicht in diese Vorlage einbezogen worden seien. Abg. Pachnicke (frs. Vgg.) spricht sich gegen den Gedanken einer Wehrsteuer aus. Viel wichtiger wäre eine Reichs-Einkommensteuer, wenn diese un- durchführbar sei, eine Reichs-Erbschaftssteuer. Abg. Prinz zu Schönaich - Carolatß, (Hoip. der nat.-lib. P.) dankt für die Schnelligkeit,! mit der die Regierung ihr Versprechen eingelöst und die Vorlage eingebracht habe. Die Zulagen müßten jedoch obligatorisch gemacht und nicht von.völlig« Erwerbsunfähigkeit abhängig gemacht werden. Wünschenswert sei ferner eine reichlichere Ausbesserung der Bezüge der Halbinvaliden, einschließlich den jenigen fünfter Klasse, für welche in der Vorlage gar keine Ausbesserung vorgesehen sei. Auch dürfe der Jnvalidenbezüge halber keinerlei Gehaltskürzung seitens des Staates stattfinden. Der Gedanke einer Wehrsteuer als Strafe für körperliche Unfähigkeit sei zu verwerfen, ebenso eine Reichs-Einkommensteuer- Abg. v. Tiedemann (freikons.) hält es für ganz unangebracht, die Deckungsfrage mit diese« Entwurf zu verquicken. Abg. Beckh (frs. Vp.) betont die Notwendigkeit baldigen Erscheinens eines allgemeinen Militär pensionsgesetzes. Die Vorlage geht sodann an die Budgetkow- mission. Don Rais imd Fern. Mit einem neuen Unterseeboot werden seit Anfang dieses Monats, wie aus Lindau geschrieben wird, in aller Stille bemerkenswerte Probefahrten auf dem Bodensee ausgesührt. Die bisherigen Ergebnisse befriedigen sehr und lassen eine glückliche Lösung dieser für die Kriegsflotte so wichtigen Aufgabe in absehbarer Zeit erhoffen. Ter Erfinder, ein Ingenieur Gurt, wird seine Erfahrungen demnächst in einer Schrift: „Auf dem Grunde des schwäbi schen Meeres" veröffentlichen. Schon jetzt sei bemerkt, daß die Probefahrten mit dem neuen Unterseeboot, das in einem Schaffhausener Be triebe erbaut wurde, bereits ganz sichere Auf" schlüsse über die viel umstrittene Erscheinung des am Bodensee so häufig beachteten See- schießens ergeben haben. Auch wurden schon an bisher nicht zugänglichen Stellen der „Halde bemerkenswerte Psahlbaufunde gemacht, da da? Unterseeboot Gurts, das für eine kürzere Zeit bis zu einer Tiefe von selbst 100 Meter hinab tauchen kann, durch eine sinnreiche Vorrichtung am Hinteren Schiffsteil derartige Gegenstände völlig unversehrt vom Seeboden aufzunehmeü vermag. Die Zahl der Typhuskranken bei« 2. Bataillon des 8. bayrischen Infanterie- Regiments in Metz ist nach amtlicher Meldung in der Zeit vom 12. bis 15. April von 250 auf 271 gestiegen. Dagegen sank die Zahl der unter Beobachtung Stehenden von 34 a« 10. April auf 15. Die Krankheit tritt bei de« kleineren Teil der Erkrankten in so schwerer Form auf, daß bis jetzt zwei weitere Todes fälle zu beklagen sind. Das Befinden des bekannten bayrische« Politikers und Schriftstellers Dr. Sigl, der, wie gemeldet, vor kurzem in eine Heilanstalt gebracht werden mußte, hat fich, wie au? München berichtet wird, derartig gebessert, daß er demnächst die Anstalt verlassen wird. Blitzschlag. Der Blitz schlug in Fredels loh bei Moringen (Hannover) zwischen siebe« Waldarbeiter, die gerade beim Essen saßen- Einer war Ms der Stelle tot, zwei liegen hoff nungslos danieder, und die vier andern habe« schwere Brandwunden erlitten. Entlarvt. 18s Kriminalroman von Karl v. Leistner. <Fottsctz,mg.) Rechtsanwalt Lenker, Eugens Verteidiger, hält sich schon seit zwei Tagen im „Grauen Bären" zu Olsdorf auf. Er hat es im Inter esse feines Klienten für nötig befunden, diese Reise zu unternehmen, um den Ort der That aus das genaueste in Augenschein zu nehmen. Vielleicht würde es ihm doch glücken, irgend welche Entlastungsbeweise zu erlangen, deren er, namentlich seit Auffindung jenes Blattes in Liddy Woodlinsons Briefmappe, so dringend bedurfte. Eugen Hellmuths Sache stand schlimm, und man mußte der Hauptverhandlung mit Bangen entgegensehen, denn bei den zahlreichen, belastenden Indizien war es sehr leicht mög lich , daß trotz seines vollkommen tadellosen Vorlebens das „Schuldig" ausgesprochen werden würde. Der einzige schwache Anhaltspnnkt, den Eugen selbst sür weitere Nachforschungen ge währen konnte, war der Umstand, daß die Kellnerin im „Grauen Bären" damals so auf fällig erschrocken war, als jener sie wegen des Mordes befragt hatte. Ob sich daraus aber irgend eine Beziehung zur That selbst folgern ließ, war im höchsten Grade zweifelhaft. Uebrigens beschloß Doktor Lenker, auf das Mädchen sein Augenmerk zu richten. Um ihr gegenüber keinen Verdacht zu erregen, durfte er sich vorläufig nicht als der Verteidiger des Jn- hastierten zu erkennen geben. Nur eine einzige Person setzte er von dem Zweck seines Aufenthaltes in Kenntnis. Es war ein ihm persönlich befreundeter Guts besitzer, der dicht bei Olsdorf wohnte nnd den Marktflecken täglich besuchte, auch im „Grauen Bären" ein oft gesehener Gast war. Diesem durfte er, als einem veischwiegenen Dianne, Vertrauen schenken, und er hoffte, durch dessen Aufschlüsse mit den dortigen Verhältnissen ver trauter zu werden. Damit sein vielleicht längerer Aufenthalt in dem sonst wenig von Fremden besuchten Orte den Olsdorfern nicht auffällig erscheine, er kundigte er fich gleich am ersten Tage bei den Wirtsleuten nach der Lage des Hauses, in dem sein Freund wohnte, und gab an, daß er, um mit diesem öfter beisammen sein zu können, diese Erholungsreise nach Olsdorf gemacht habe. In das ihm am Abend nach seiner Ankunft vorgelegte Fremdenbuch schrieb er fich nur als Dr. Lenker ohne den Beisatz „Rechtsanwalt" ein. Bei seiner Beobachtung der Kellnerin war er in den ersten Tagen nur zu dem Resultat gekommen, daß dieselbe mit dem täglich im „Grauen Bären" erscheinenden Brigadier auf sehr freundschaftlichem Fuß stehe, denn so oft keine andern Gäste anwesend waren und Liese Zeit fand, saßen beide plaudernd beisammen. Heut aber fiel es ihm auf, daß das Mädcheu den Brigadier rasch verließ, als ein jungerBursche eintrat, den er Balthasar nennen hörte und der ein recht unfreundliches Gesicht über das von ihm bei seiner Ankunft wahrgenommene Me-L- ttzts der Kellnerin mit dem Gendarmen zu zeigen schien. Der Mensch mußte eifersüchtig sein. Als der Sicherheitsmann fort mußte, um seinem Dienst nachzugehen, verlangte Balthasar, daß sich Liese zu ihm setze. Nachdem sie dies nach einigem Widerstreben gethan hatte, schien er ihr Vorwürfe zu machen, welche die Kellnerin wohl nicht lange anhören mochte, denn sie strebte wieder loszukommen und fand bald eine sie aus der unangenehmen Situation befreiende Ausrede. Der Rechtsanwalt knüpfte nach Lieses Weg gehen mit dem Burschen ein Gespräch an und lenkte dasselbe auf die Kellnerin, welche er ein bildsauberes Mädchen nannte. „Das will ich meinen, daß sie bildsauber ist," entgegnete der sichtlich von vielem Bierge nuß stark beeinflußte Bursche. „Sie hat auch schon manchem andern gefallen, aber das ein fältige Ding hat ja nur Augen noch für den abgeschmackten, alten Brigadier mit seinem Bullen- beißergeficht!" „Euch gefiele sie wohl auch ?" fragte der Advokat, indem er den jungen Menschen dabei lächelnd ansah. „Freilich! Hat mich doch auch gern gehabt, die Liese, bis der da dazwischen gekommen ist. Nun aber ist alles aus, und doch will mir das Mädel nicht aus dem Kops!" „Nun ein sauberer Bursche, wie Ihr, braucht noch nicht den Mut zu verlieren. Wenn ich die Liese wäre, so fiele mir die Wahl zwischen Euch und dem bärbeißigen Alten nicht schwer. Müßt ihr nur einmal ordentlich ins Gewissen reden." „Ins Gewissen? — Das hab' ich auch schon gethan, aber geholfen hat es nichts. Hab' geschmeichelt und gedroht, wie's mir g'rad' ge kommen ist! Aber ich tränke es ihr noch eia, so wahr ich Balthasar heiße!" Dabei schlug der Mensch mit der Faust auf den Tisch, daß es dröhnte, und stürzte dan« den ganzen Inhalt seines Maßkruges hinab. „Mit was habt Ihr denn dem Mädel ge* gedroht?" fragte Doktor Lenker. „Ei, es gibt da mancherlei — ich weiß schon, was ich weiß und werde es auch a« rechten Orte einmal anbringen, wenn es auch nur ist, um ihr eine Suppe einzubrocken und wenn ich sie dann selbst mit ausessen müßten „War denn die Liese damals schon hier, als der Mord an dem Major verübt wurde? fragte nun plötzlich der Advokat und trat dicht vor Balthasar. Dieser stutzte trotz seiner Angetrunkenheit über die befremdende Frage. „Hab' ich denn was von dem Morde ge sagt? — Nein! — davon hab' ich gar noch nicht gesprochen! Wie kommt der Herr den« darauf?" „Nun, ich dachte mir eben, daß Ihr de« Mädel vielleicht damit drohen könntet und daß sie am Ende von der Geschichte etwas mehr weiß, als andere, was sie nicht gern heraus gibt. Es ist ja auch etwas Unangenehmes um eine Zeugenschaft. Würdet auch davor zurückschrecken, wenn es darauf ankäme, nicht wahr?" „Vor nichts schreck' ich zurück, vor g« nichts, wenn ich dem Mädel eins auftrumpfe« kann. Aber den Herrn geht's nichts an, und wenn ich sagen will, was wir beide gesehe«
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