Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 23.03.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190103235
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19010323
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19010323
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1901
-
Monat
1901-03
- Tag 1901-03-23
-
Monat
1901-03
-
Jahr
1901
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 23.03.1901
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Politische Rnndschnn. Die chinesischen Wirren. * In der südchinesischen Provinz Kwang tung sind wieder mehrere Bestrafungen wegen deutschfeindlicher Kund gebungen notwendig geworden. Auf An trag des deutschen Konsuls wird der Kreis vorsteher von Hsi-ning wegen christenseindlicher Haltung und Verschleppung deutscher Rekla mationen ab gesetzt werden. In Ho-ping wurden zwei an deutschfeindlichen Ausschreitungen Beteiligte enthauptet, in Chang-lo zwei weitere Mitschuldige verhaftet. *Die Eisenbahnlinie Peking — Tschangsinfu ist am 16. d. in Gegenwart des französischen und des belgischen Gesandten eröffnet worden. * Rußland scheint vorderhand etwas ein lenken zu wollen, um nur erst die Unterschrift zum Vertrage mit China über die Man dschurei zu erhalten. Chinesische Beamte er klären, sie hätten aus Petersburg die Mit teilung erhalten, Rußland verzichte aus seine Ansprüche bezüglich der Mongoleiund Turkestan, sei damit einverstanden, eine Aendernng einlreten zu lassen in der Schärfe seiner Kontrolle über die Zivilverwaltung der Mandschurei, und willige ein, daß das Abkommen veröffentlicht werde, sobald es in Petersburg unterzeichnet sei, was innerhalb vierzehn Tagen geschehen werde. * Ein rus s is ch - en glis ch er K o n slikt in Tientsin hat sich wie folgt abgespielt: Englische Arbeiter wollten beim Bahnhof Tientsin eine Abladestelle Herrichten und wur den dabei von den Russen verjagt. Sie kehrten mit mehreren Hundert englischen Soldaten zu rück. Die Russen ließen darauf ihre ganze Truppenmacht aufmarschieren und sich kampf bereit machen. Der englische Gene ral Camphell hatte infolgedessen eine Konferenz mit dem russischen Gene ral, in der man übereinkam, zunächst vier undzwanzig Stunden lang Frieden zu ballen. Beide Generale telegraphierten an ihre Regie rungen wegen Verhaltungs - Maßregeln. — Inzwischen ist durch Graf Waldersee, der von Kiautschou zurückgelehrt ist, der Zwischenfall erledigt worden; die Engländer zogen ihre Posten von dem be strittenen Bahngeleise zurück. Deutschland. * Dem Kaiser Wilhelm find nach dem betrübenden Vorfall in Bremen zahlreiche Glückwunschtelegra mm causländi- scher Fürsten zugegangen. Die ,Nordd. Allg. Ztg/ verzeichnet die Glückwunschtelegramme der Kaiser von Rußland, von Oesterreich-Ungarn und von Japan, des Sultans der Türkei, der Könige von England, Italien, Belgien, Griechen land, Portugal, Rumänien, Serbien, der Königin der Niederlande, der Königin-Regentin von Spanien, des Papstes, des Präsidenten der französischen Republik, des Schahs von Persien. * Die Köln. Ztg.' meldet zu dem Bremer Vorfall, der Attentäter sei nicht, wie bisher angenommen wurde, alsbald von Gendarmen niedergeritten worden, vielmehr nach den bis herigen Zeugenaussagen in einem epilepti schen Anfall niedergestürzt. Das ganze Attentat stelle sich dar als ein zu höchst ungelegener Stunde unter beklagenswerten Umständen eingetretener Krankkeitsanfall eines iu Bewußtlosigkeit handelnden Epileptikers. * Wie nachträglich bekannt wird, soll während der Münchener Festtage die Begrüßung zwischen dem Kaiser von Oe st erreich und dem deutschen Kronprinzen eine überaus herzliche gewesen sein. Kaiser Franz Joseph war von dem ernsten und verständnisvollen Wesen des jugendlichen Kronprinzen so ein genommen, daß er nach einer längeren Unter redung mit ihm den Wunsch äußerte, den Kron prinzen in absehbarer Zeit in Wien alsGast begrüßen zu dürfen. * Der Bundesrat hat dem Ausschuß- bericht zu dem Entwurf eines Gesetzes wegen Versorgung der Kriegsinvaliden und der Kriegshinterbliebenen die Zustimmung erteilt. *Die ,Berl. Polit. Nachr/ teilen mit, daß die Vorlegung des Zolltarif-Entwurfs an den Bundesrat um Ostern in sichere Aussicht zu nehmen sei. * Am Donnerstag dieser Woche, am 21. März, begeht der Reichstag das Jubiläum seines dreißigjährigen Bestehens. Am 21. März 1871 trat der deutsche Reichstag zu seiner ersten Tagung zu sammen, die bis zum 15. Juni dauerte. Am 16. Juni 1871 fand der Siegeseinzug der Truppen in Berlin statt. Von den Mitgliedern des ersten deutschen Reichstags, die von 1871 bis heute ununterbrochen dem Parlament an gehört haben, leben nur noch vier; Graf Hompesch, Eugen Richter, Bebel und D r. Lieber. * Ein umfassendes Zusammenwirken von Heer und Flotte ist bekanntlich bei dem diesjährigen Kaisermanöver geplant. Wie schon fest etlichen Jahren, so werden auch in diesem eine Anzahl Offiziere des Landheeres während der Herbstübungen der Flotte an Bord der Linienschiffe kommandiert werden. Italien. * Der Deputiertenkammer will der Justizminister demnächst einen Gesetzentwurf betr. Einführung der Ehescheidung vorlegen. Schweden-Norwegen. *Der schwedische Reichstag verhandelte in voriger Woche über einen Vorschlag zur Ab schaffung der Todes st rase. In der ersten Kammer wurde der Vorschlag ohne Debatte verworfen. Die zweite Kammer ent schied sich nach längerer Debatte mit 120 gegen 64 Stimmen für die Beibehaltung der Todesstrafe. Portugal. *Jn der Deputiertenkammer kam es bei der Verhandlung über das Kolonial- Verwaltungsgesetz zu ziemlich heftigen Auseinandersetzungen, doch wurden die Anträge der Regierung mit großer Mehr heit angenommen. Rustland. *Die Studenten-Unruhen in Ruß land, besonders in Moskau, haben an Aus dehnung alles bisher nach dieser Richtung hin in Rußland übliche Maß überstiegen. Die Gärung hat nicht nur die studentischen Kreise, sondern weite Schichten der Arbeiterbevölkerung ergriffen. In mehreren Straßen von Moskau waren Barrikaden errichtet, Fenster wurden eingeworfen, so im Palais des Großfürsten Sergius, Straßenbahnwagen umgestoßen u. s. w. Großfürst Sergius hat sein Palais nicht verlassen können; nur einem gewal tigen militärischen Aufgebot gelang es endlich, die Ruhe wiederherzustellen. Afrika. * Auf einen Friedensschluß in Südafrika, den man nach den Verhand lungen mit Botha schon nahe gerückt glaubte, dürste nach den Erklärungen, die Chamberlain am Dienstag im englischen Unterhause abgab, vor der Hand noch nicht so bald zu rechnen sein. Denn der englische Kolonial minister sah fich zu der Mitteilung gezwungen, Botha habe Lord Kitchener brieflich mügeteilt, er sei nicht bereit, die Bedingungen, welche Kitchener ihm mitzuteilen den Auftrag hatte, der ernstenErwägung seiner R e gierung zu empfehlen. Botha bemerkte dazu, seine Negierung und seine obersten Offiziere stimmten mit seinen Anfichten überein. Asien. * Das japanische Oberhaus hat Zwar „ans Wunsch des Kaisers" die Steuer- Gesetze (bett, die Kosten des Chinafeldzuges) angenommen, die Ovvofition gegen das Kabinett dauert aber noch fort. Aus dem Reichstage. Der R-ichStaq erledigte am Montag in zweiter Beratung nach den Kommiffionsbeschlüsjen die Vor lage betr. Ausübung der freiwilligen Gerichtsbarkeit und Leistung von Rechtsbeihilfen im Heere, beschloß dann auf Grund des Vorschlages der Wahlprüfungs kommission die Wahl des Abg. v. Gersdorf (kons.) zu beanstanden und erledigte noch eine Anzahl von Petitionen. Eine längere Debatte riesen hervor Petitionen betr. Einführung der Prügelstrafe, über die schließlich, entsprechend dem Kommissionsbeschluß, zur Tagesordnung übergegangen wurde. Am 19. d. steht auf der Tagesordnung die dritte Le!ung desEtats. — In der Generaldebatte nimmt zunächst das Wort Abg. v. S ch e l e - Wunstorf (Welfe). Redner ändert den Wunsch nach Reorganisation des Unter- offizierkorvs; es empfehle sich eine Zwischenstufe zwischen Unteroffizier und Offizier sowie nament lich auch eine vermehrte Fürsorge für Unteroffizier- Witwen. Damit schließt die Generaldebatte. Bei dem Spezialetat „Reichskanzler" beschwert sich Abg. Fischer-Berlin (soz.) darüber, daß die Berliner politische Polizei auch die Mitglieder der sozialdemokratischen Reichstagfraktion bespitzele. Ein Beamter der Polizei sei an einem Genossen heran getreten, um ihn zu veranlaßen, an seiner Partei zum Judas zu werden, Beschlüsse der Fraktion der Polizei zu verraten. Reichskanzler Graf Bülow: Mir ist von dielen Vorgängen nicht das Allermindeste bekannt. Im übrigen handelt es fich um eine rein preußische An gelegenheit, über die im preußischen Landtage der Minister des Innern sicher bereitwillig Auskunft geben würde. Nach einer Erwiderung des Abg. Fischer, daß es sich hier um die Reichstagsfraktion, also um eine Reichsangelegenheit handle, schließt diese Er örterung. Beim „Etat des Auswärtigen Amts" bemerkt Abg. Fürst Bismarck (kons.) Der Reichs kanzler habe neulich in pointierter Weise gesagt, es handele sich für uns in China um eine Lebens frage. Das gehe ihm denn doch zu weit, eine Lebensfrage sei das sür uns nicht. Im übrigen aber sei er von den neulichen Erklärungen des Reichskanzlers befriedigt. Und er habe das Ver trauen zu dem Kanzler, daß derselbe die freundlichen Beziehungen zu allen Mächten aufrecht zu erhalten versieben werde. So lange Deutschland alle Be- swwerden Chinas ebenso wie die in der Mondschurei- Angelegenheit stets an das Konzert der Mächte ver weise, solange könnten wir jedem Wetter in Rube entgegensehen. Die Seezölle aber dürften nicht zu hoch geschraubt werden. Reichskanzler Graf Bülow spricht dem Vor redner Dank für diese wohlwollenden Aeußerungen aus. Dieser habe nun freilich einen gewissen Widerspruch gefunden zwischen dem, was er selbst gesagt habe einerseits über unsere Gleichgültigkeit gegenüber der Mandschureifrage, anderseits darüber, das; wir Chinas Leistungsfähigkeit nicht zu sehr ge schwächt zu sehen wünschten. Aber darin liege doch wohl kein Wiserspruch. Er habe einesteils erklärt, daß unser Abkommen mit England sich nicht auf die Mandschurei beziehe, andernteils dagegen, daß wir, so lange unsere Entschädigungsansprüche an China noch nicht befriedigt seien, Chinas Leistungs vermögen nicht zu sthr beeinträchtigt sehen möchten. Er habe übrigens gerade soeben ein Telegramm von unierm Botschafter in Petersburg erhalten, das ihm mulerle, daß der dortige Minister des Auswärtigen demselben sein volles Einverständnis mit seinen (des Kanzler«) neulichen Erklärungen ausgesprochen habe. Interessant sei ihm, wie Fürst Bismarck dem neulichen Programm Richters zugestimmt habe: Rsääs Midi lsgiouss, sondern auch miilionos I Es freue ihm, daß die Herren Fürst Bismarck und Richter sich in diesem Punkte begegnen. Wir haben in China große Sandelsintcressen. Unsere Ausfuhr nach dort beträgt 80 Mill. Mk. ohne das, was über England und andere Länder geht. In Schantung ferner haben wir vielleicht 100 Mill. Mk. investiert. Wir haben unseren politischen Schwerpunkt in Europa, diesen lasten wir auch nicht verrücken. Wir haben aber auch Interessen und Rechte in Ostasien, die wir schützen müssen, und wir haben auch vor allem zu schützen unsere Ehre, die angegriffen wor den ist durch die Ermordung unseres Gesandten. Und diese Ehre zu schützen, das ist allerdings für uns eine Lebensfrage. Nach einer kurzen Entgegnung der Abgg. Fürst Bismarck und H aus man n-Böhlingen (südd. Vp.) schließt diese Debatte. Abg. Münch-Ferber (nat.-lib.) empfiehlt namens der Budgetkommijsion die von derselben be schlossene Resolution zu Gunsten der Errichtung deutscher Handelskammern im Auslände, welche nach kurzer Debatte angenommen wird. Zum „Kolonialetat" befürwortet Abg. Bebel (soz.) eine Resolution betr. Vor legung eines Gesetzentwurfs demzufolge die in unseren Kolonien von Haussklavcn geborenen Kinder als Freie anerkannt werden. Gleichzeitig liegt eine Resolution Gröber (Zentr.) vor um Vorlegung eines Gesetzmtwvr's, welcher den Herren der Haussklaven gewisse Ver pflichtungen (Alters- und Krankenfürsorge, ange messene Behandlung) auferlege und den Haussklaveit den Erwerb der Freiheit erleichtere. Abg. Graf Oriola (nat.-lib.) gibt gegenüber dem Antrag Gröber zu bedenken, daß damit ge wissermaßen die Haussklaverei gesetzlich anerkannt werde. Besser wäre es, wenn die Kolonialverwaltung auf dem bloßen Verordnungswege die Grundsätze der Resolution Gröber durchzuführen suche. Kolonialdirektor Dr. Stübel erklärt, nach den Gröberschen Grundsätzen werde bereits verfahren. Auf dem Wege des Gesetzes vorzugehen, empfehlet sich jedenfalls nicht. Vom Abg. Grafen Oriola ist inzwischen ein Amendement zur Resolution Gröber eingegangen, welches für Durchführung der Gröberschen Grund sätze den Verordnungsweg setzen will an Stelle des Gesetzentwurfs. Abg. Gröber erklärt sich mit dieser Aenderungi seiner Resolution einverstanden. Abg. Stöcker kann für die allmähliche Ab schaffung der HauSsklaverei absolut keinen besseren Weg erblicken als den der Resolution Bebel. Er werde deshalb sür beide Resolutionen stimmen. Kolonialdirektor Stübel: Der Antrag Bebel ist deshalb unannehmbar, weil er, wenn er sich auch nur auf die Kinder erstreckt, dennoch von den Sklavenhaltern als Freigabe der Sklaven, als Ab schaffung der Sklaverei empfunden werden würde. Und das würde zu Unruhen führen. Abg. Bebel stellt vor dem Hause fest, daß der Kolonialdirektor im Interesse der Sklavenhalter die Sklaverei nicht abschaffen will, nicht einmal für die Kinder! Nunmehr wird, nach Ablehnung der Resolution Bebel die Resolution Gröber in der Graf Oriola- schen Fassung angenommen. Beim Etat des „Neichsamts des Innern" be fürwortet Abg. S ch m i d t - Elberfeld eine Resolution betr. Detail-Verkauf von Kohlen und Koaks nach Gewicht, Abg. Beckh - Koburg empfiehlt seine Resolution zu Gunsten einer internationalen Vogelschutz-Kon vention. Staatssekretär Graf PosadowSky: Für den Garn-Verkauf sind bereits solche Vorschriften er tasten, in bezug auf Kohlen schweben bereits Er wägungen. Es erfolgt Vertagung. Preußischer Landtag. Das Abgeordnetenhaus begann am Montag die dritte Beratung des Etats. Von einer General debatte wurde abgesehrn. Beim Etat der direkten Steuern beklagt Abg. v. Eynern (nat.-lib.) die Differenz zwischen Reichs- und Oberverwaltungs- gerichtsentscheidungen bei Besteuerung des Agios der Aktiengesellschaften, und weiterhin die Chikanen der Steuerbehörde, die nach der schriftlichen Erklärung noch zur mündlichen Erläuterung zitiere. Abg. Gösiben trat für Aufhebung des Stempels bei Titel verleihung ein. Im Abgeordnetenhaus« wurde am Dienstag dir drille Etatsberatung fortgesetzt. Auf eine Anregung des Abg. Böttinger (nat.-lib.) erwiderte der Minister v. Thielen, daß die Regierung keinen Anlaß habe, von der Erbauung von Wohnungen in eigener Regie abzueehen, da sich die hergestellten Arbeiter- Wohnungen doch erheblich billiger stellen, als die von gemeinnützigen Baugeselltchaften. Bei einer Kapitalverzinsung von 4 Prorent könne man ein« gut und bequem eingerichtete Nrbeiterwohnung von 45 Quadratmetern Grundfläche sür 165 Mk. ver mieten. Bei der gemeinnützigen Ballgesellschaft kost« eine gleiche Wohnung 245 Mk. Das können die Arbeiter nicht bezahlen. Auf eine Anfrage des Abg. v. Kessel erwiderte der Minister v. Rheinbaben, daß ein Gesetzentwurf betr. die Heranziehung der Ge nossenschasten mit beschränkter Haftung zu den Kreis- und Kommunalabgaben in der Ausarbeitung begriffen sei. Ron Uo!l imd Fern. Der Kaiser als Zeuge. Am Montag wurde der Kaiser als Zeuge in Sachen des Attentats im Schlosse vernommen. Die Zeugen' schalt des Kaisers konnte sich naturgemäß nur auf die Wahrnehmung der Verletzung beziehen, da der Monarch das Ereignis selbst nicht be obachtet hat. Als Landesherr ist der Kaiser nach den Vorschriften der Strasprozeßordnung in seiner Wohnung zu vornehmen. Er leistet den Zeugeneid nicht mündlich, sondern mittels Unterschreibens der die Eidesnorm enthaltende» Eidesformel. Das Protokoll über die gericht liche Vernehmung des Kaisers muß in der Haupt' Verhandlung, zu der der Monarch nicht gelade» wird, verlesen werden. Entlarvt. 10) Kriminalroman von Karl v. Leistner. (Fortsetzung.) Liddys zweiter Blick traf ihren Reisekoffer, der an der Wand des Zimmers, ihrem Bett gegenüber, stand. Sie konnte sich nicht ent sinnen, denselben während der Nacht schon be merkt zu haben. Sollte er, während sie schließ erst hereingebracht worden und sie demnach nicht einmal im stände sein, durch wirksames Abschließen der Thüre den Zugang zu ver wehren? Doch war es ja auch möglich, daß sie ihn nach ihrer Ankunft übersehen hatte, denn sie hatte wirklich unter der Flut der auf sie einstürmenden Eindrücke und Befürchtungen an ihre Habseligkeiten bisher garnicht gedacht. In solchen Momenten war der äußerliche Besitz natürlich vollständig Nebensache für sie ge wesen. Aber wer hatte ihn heraufgebracht, und wann war dazu Zeit gewesen, das schwere Kollo über die Treppe zu transportieren? Dies sollte ihr ein unaufgeklärtes Rätsel bleiben. Sie erhob fich und schloß die Thür am, aber dieselbe leistete dennoch Widerstand. Man hielt sie also immer noch eingesperrt. Auf ihr Klopsen antwortete niemand und im Hause war alles still. Sie trat nun zum Fenster. Das nächtliche Unwetter hatte fich gelegt und die Sonne stand am Himmel. Draußen erblickte sie lauter Wald, von dem das Haus ganz umgeben schien. Die Straße, aui der der Wagen hierher gelaugt war, mußte also auf der andern Seite des Gebäudes liegen. Das Nötige für ihre Toilette sand fich vor. Ueberhaupt war alles im Gemach hübsch und wohnlich hergerichtet. Unter andern Umständen hätte man mit solcher Unterkunst zufrieden sein können. Aber auch so blieb ihr nichts anderes übrig, als fich in die Lage zu fügen. War es doch jetzt wenigstens lichter Tag geworden, und der Schlaf hatte sie gekräftigt. Liddy war kein sensitives und nervöses Wesen, wie viele unserer deutschen Damen. Sie war in wilder Natur im amerikanischen Farmerleben aufgewachsen, und ihr Körper besaß im vollsten Maße seine noch unver kümmerte, ganze Spannkraft, welche irische Jugend zu verleihen vermag. — Wenn sie nur einmal eine bestimmte Gefahr vor sich sehen würde — so dachte sie — dann werde sie der selben auch mutig entgegenzutreten wissen. Aber bis jetzt freilich hatte sie noch immer keine Ahnung, mit wem und in welcher Weise sie eigentlich zu kämpfen habe. Erst gegen ein Uhr Mittags hörte sie Schritte auf der Treppe. Männertritte waren das nicht: es war der schleppende Gang der Alten in ihren Pantoffeln. Diese klopfte und trat ein. Sie mußte also den Verschluß von außen beseitigt haben. „Guten Tag! Ei, dacht ich's doch, hat lange geschlafen, das liebe Fräulein! Nun wird aber wieder Appetit da sein, und ich habe schon bestens vorgesorgt. Sehen Sie nur, da bringe ich kräftige Suppe, ein schön gebratenes Hühnchen und Bier von der delikatesten Sorte. Den Kaffee haben Sie freilich ganz verschlafen, Herzchen!" In der That brachte die Frau ein ganz an nehmbares Mittagsmahl. Liddy mangelte jedoch zur Zeit das Interesse sür Speise und Trank. Sie mußte nun vor allem über ihre Lage klar werden. „Werden Sie mir jetzt das Hausthor öffnen, Frau? Ich hoffe, daß man mich end lich gehen läßt, wohin ich will," sagte sie. „Freilich! Ganz wie Sie wollen. Aber zu Fuß können Sie nicht nach der Stadt gehen; da ist es zu weit dazu, und Sie kennen ja auch den Weg nicht, der leicht zu verfehlen ist. Lassen Sie darum jetzt das gute Essen nicht kalt werden. Wenn ich abgedeckt habe, dann schaue ich, daß ich jemand finde, der dem Fräulein einen Wagen besorgt. Dürfen es glauben l" Die Alte trippelte schon wieder zur Thür hinaus, sie in gewohnter Weise abschließend, und Liddy wußte so viel wie vorher. Doch am besten war es Wohl, sie fügte fich in den Willen des Weibes und erhielt dieses bei guter Laune. Vielleicht besorgte ihr dasselbe dann doch wirklich den versprochenen Wagen. Sie genoß also einiges von dem Vorgesetzten und wartete auf die Rückkehr der Wirtin, die für sie eigentlich mehr als eine Gefängniswärterin zu betrachten war. Es sollte auch nicht lange dauern, bis diese erschien und den Tisch säuberte. „So! Nun werden Sie bald im Wagen sitzen, das heißt gegen Abend, denn einige Stunden dauert es freilich, bis man in die Stadl läuft und mtt dem Fuhrwerk wieder da sein kann." r „Frau! Ich hoffe, Sie werden die Sünde nicht auf fich laden, ein schwaches, junges Mädchen, das der Obhut Ihres Hauses anver- traut ist, zu hintergehen! — Martern Sie mich nicht länger und geben Sie mir Aufschluß, warum ich hierhergebracht wurde und warum mit dem Sie angekommen sind — ich weis seinen Namen nicht und habe ihn kaum eil paarmal gesehen — hat mir befohlen, Sie zu ver sorgen, so gut als ich kann, und Sie wie meine! Augapfel zu behüten. Das thue ich daru» auch getreulich. Allein soll ich Sie aber st nicht fortlassen, hat er gemeint; es könnt! Ihnen sonst etwas passieren. Nun, da habt ich eben geglaubt, zweimal zu ist besser w» einmal; die Thür hat ja zwei Schlöffel übereinander, wie Sie da außen sehen könne» und so sperre ich mit meinem Schlüssel, dä zum einen paßt, nur deshalb von außen ah weil manchesmal schlechtes Gesindel im Walds herumlämt und man nicht vorsichtig genug scill kann. Der Herr meint es aber gewiß m« böse mit Ihnen, denn ich hab' es ihm schos angcmerkt, daß er Sie gerne hat, weil er alles so besorgt ist. Jetzt ist er fort. Viclleim besorgt er selbst einen Wagen. Ich habe abt> man stets die Thür von außen verschließt, uMf mich wie eine Gefangene zu verwahren?" „Weiß ich es denn selbst, mein schönest Püppchen?" erwiderte die Frau. „Der Herr-l auch danach forlgcschickt." „Sagen Sie mir, was ich zu bezahlen hA ür das Zimmer und sür das Genossene. Sst ollen bekommen, was sie verlangen, dreiM ogar. Aber sorgen Sie dafür, daß ich WÄ
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)