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Allgemeiner Anzeiger : 16.03.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190103169
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19010316
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19010316
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1901
-
Monat
1901-03
- Tag 1901-03-16
-
Monat
1901-03
-
Jahr
1901
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 16.03.1901
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Staubregen tu Berlin. Die seltene Naturerscheinung des Staub- oder Blutregens, die, wie gemeldet wurde, in ganz Italien, speziell aber unter den abergläubischen Sizi lianern, solchen Schrecken verbreitet bat, konnte ' am Montag auch in Berlin beobachtet werden. Die Regentropfen hinterließen, nachdem das Wasser verdunstet war, an den Fensterscheiben ' der Häuser, der Eisenbahnwagen und Omni busse, auf den Regenschirmen und auf dunklen Kleidern rötlich-gelbe Staubflecken, die sich san dig ansühlten. Auch waren die Tropfen wäh rend ihres Niederfalles deutlich sichtbar, da sie trübe gefärbt waren und kugelförmig. Aller Wahrscheinlichkeit nach war die Erscheinung nichts anderes, als der letzte Ausläufer des Wüstensturmes, Samum, der Italien so er schreckt hat. Der verstorbene Jrhr. v. Stumm, der vier Töchter, aber keinen Sohn hinterlassen, hat vor seinem Tode das Schicksal seiner großen industriellen Unternehmungen durch zweckmäßige letztwillige Anordnungen für die Zukunft sicher gestellt. Seine Werke sollen in einer Aklien- gesellschatt vereinigt bleiben, deren Leitung den bisherigen Werksdirektoren anvertraut werden soll. Der ehemalige Neichstagsabgeordnete Dr. Sigl, dessen scharfe Feder und volkstüm licher Witz ein großes Leserpublikum sanden, i der Herausgeber der Zeitung ,Das bayrische Vaterland', wurde nach dem,Lok.-Anz.', weil sich schon seit Wochen bei ihm Zeichen geistigen Verfalls bemerkbar machten, in eine Kuranstalt gebracht. Auf der Rückkehr vom Exerzieren auf dem Kannstatter Wasen hat sich ein Soldat vom würltembergischen Grenadier-Regiment „Königin Olga" in Stuttgart von der Neckarbrücke in den hochgehenden Fluß gestürzt. Es gelang nicht, ihn zu retten. Das Bankhaus Albert Holz in Breslau ist am Montag von der Polizei geschlossen worden. Wie die ,Breslauer Zeitng' erfährt, hat die Staatsanwaltschaft die Geschäftsbücher und Papiere beschlagnahmt. Holz soll aus Breslau verschwunden sein. Die Passiva be tragen 1 Million Mk.; davon entfallen an geblich 800 000 Mk. auf Depots, die fast sämt lich fehlen. Jugendliche Durchbrenner. Zwei sechzehn jährige Gymnasiasten, der Sohn eines Land gerichtsdirektors und der Sohn eines Buch- oruckereibesitzers in Graudenz, sind nach Amerika entflohen. In einem hinterlassenen Brief bitten sie, daß man ihre Spur nicht verfolge, „da sie Revolver und Güt bei sich führen." Offenbar sind die jungen Leuie durch die Lektüre von Jndianergeschichten w. zu dem abenteuerlichen Schritt veranlaßt worden. Auf der Spur von Leichenräubern, l Den Verbrechern, welche Anfang Januar das Erbbegräbnis des Rittergutsbesitzers v. Wolff - zu Gronowo erbrochen, elf Särge gewaltsam geöffnet und die Leichen geplündert haben, ist Man auf der Spur. Der Arbeiter Ratalski aus Papau hat einem Händler einen Brillant ring für geringes Geld verkauft, der als aus dem Erbbegräbnis stammend erkannt wurde. Ratalski ist bereits verhaftet. Die heftigen Weststürme verursachten Besorgnisse über den Verbleib zweier von Eng land nach Kiel bestimmten Dampfer, „Hermia" und „Brutus". Nach einer schweren Reise ist die „Hermia" endlich eingetroffen. Sie wurde durch den Orkan an die schwedische Küste ver schlagen und erlitt erhebliche Deckschäden. Von .Brutus" fehlt bis zur Stunde jegliche Spur, obgleich er vor der „Hermia" Burntisland ver lassen hat. Man fürchtet, daß der Dampfer mit Mann und Maus untergegangen ist. Er ist von i keinem Schiff gesehen worden und hat keinen Nothafen angelauien. „Brutus" ist jetzt schon seit acht Tagen überfällig. Ein großer Einbruchdiebstahl ist in der Nacht vom 8. zum 9. März in dem Bahnhofe von Montivilliers (Paris) verübt worden. Die Diebe sind durch die Büreaus der Packträger in die Kassenräume gedrungen, haben, ohne ge stört zu werden, alle Kästen und Geldschränke , erbrochen und zusammen Summen weggenommen, die über 265 000 Frank betragen. Natürlich fehlt von den Verbrechern bis jetzt jede Spur. Tas Pulver gegen den Blitz. In der letzten Sitzung der „Gesellschaft der Landwirte in Frankreich" teilte Vignau, der selbst ein Ver- teidignngssystem gegen den Hagel in Beaujolais organisiert hat, mit, daß es in Italien, wo man vor einem Jahre erst sechzehnhundert Kanonen znm Schießen gegen Hagelwolken hatte, heute bereits mehr als zehntausend gibt. Die Beobachtungen haben überdies gezeigt, daß die Kanonenschüsse auch die Wirkungen des Blitzes selbst auiheben. Er erwähnte dabei auch einen sehr amüsanten Fall: Ein italienischer Land wirt, der diese Resultate kannte und als guter Ehemann seiner Frau den großen Schreck er sparen wollte, den sie jedesmal bekam, wenn es blitzte, kaufte eine Kanone und schießt nun mit dieser unaufhörlich, wenn ein Gewitter droht, gegen die Wolken! (Wenn nun aber ein Mann eine Frau hat, die sich auch vor den Kanonenschüssen fürchtet?) Der Herzog von Manchester in Schwulitäten. Als der Herzog von Manchester dieser Tage mit seiner jungen Gattin, der Tochter des amerikanischen Millionärs Zimmer mann, in Liverpool landete, empfing er an Bord des Schiffes den Bestich eines Gerichtsvoll ziehers, der ihm eine gerichtliche Vorladung überreichte. Es handelt sich um einen Prozeß wegen Bruchs des Eheversprechens, den die amerikanische Schauspielerin Miß Portia Knight, die aus guter Familie in Kalifornien stammt, gegen den Herzog angestrengt hat. Miß Knight behauptet, daß der Herzog ihr feierlich die Ehe versprochen habe, und daß die Hochzeit in diesem Sommer stattfinden sollte; inzwischen habe der Herzog einen amerikanischen Goldfisch geangelt und sein Eheversprechen gebrochen. Der Herzog von Manchester stellt seine früheren Beziehungen zu Miß Knight durchaus nicht in Abrede, aber er bestreitet entschieden, der jungen Dame irgend welche Versprechungen für die Zukunft gemacht zu haben. Der Gesundheitszustand des Grafen Leo Tolstoi hat sich wesentlich verschlimmert. Der berühmte Schriftsteller ist sehr abgemagert und emvfindet große Schmerzen in der Leber und in den Nieren. Er weilt augenblicklich in Moskau. — Die Lerkownya Wjedomosti' veröffentlicht eine Kundgebung des Heiligen Synod?, in der sestgestellt wird, daß Graf Leo Tolstoi sich in Wort und Schrift von der orthodoxen Kirche losgesagt habe, diese ihn daher nicht mehr als ihr Mitglied ansehen könne, so lange er nicht Buße thue. Die Kundgebung schließt mit dem Gebet, Gott möge Tolstoi der Kirche zurück führen. Ein sonderbarer Zwischenfall ereignete sich jüngst aus einer Linie der elektrischen Straßenbahn in Washington. Ein kleines Mädchen spielte mit einem Reifen in einer Straße, durch die eine elektrische Bahn mit unterirdischer Leitung führt. Der Reifen war ans Eisen, und gerade in dem Augenblick, als ein Wagen herankam, blieb der Reffen im Ge leise stecken und verursachte einen Kurzschluß; er war alsbald weißglühend und der Wagen stand plötzlich still. Da niemand es wagte näherzutreten und das Hindernis zu entfernen, so mußte der Dienst eingestellt werden, und die Wagen standen zu Dutzenden hintereinander. Erst nach einer Stunde war die Bahn wieder befahrbar; denn man mußte an die Zentrale telegraphieren, sie solle den Strom einstellen nnd die erforderliche Reparatur vornehmen. Infolge dieses Zwischenfalls aber wurde das Spielen mit Reifen in den Washingtoner Straßen, in denen elektrische Wagen mit unterirdischer Strom zuführung verkehren, polizeilich verboten. Durch eine Kefselexplosion wurde Mon tag früh in Chicago eine Dampfwaschanstalt völlig zerstört und 80 Menschen, 30 Mädchen und 50 Männer, unter den Trümmern begraben. 5 Leichen und 12 schwerverletzte Mädchen wmden bereits zu Tage gefördert. Wieder ein schwerer Sturm in Texas. Am Sonntag und Freitag wurden die nörd lichen und westlichen Staaten der Union von einem schweren Sturme heimgesucht, welcher die Eisenbahnverbindungen, sowie den telegraphi schen nnd telephonischen Verkehr störte. In Willspoint (Texas) kamen 8 Personen um; in andern Teilen des Landes sollen gegen 100 Personen ums Leben gekommen sein. Gerichts Halle. Darmstadt. Wegen grausamer Mißhandlungen ihres Kindes, die schließlich den Tod des bedauerns werten Wesens herbeiführten, hatten sich der 25 jährige Tagelöhner Daum aus Ober-Ramstadt und dessen 24 jährige Ehefrau vor dem hiesigen Schwurgericht zu verantworten. DaS entmenschte Ehepaar wurde beschuldigt, sein etwa 3 Jahre altes Töchterchen abwechselnd mit einem eisernen Schürhaken, dem Handbesen, Küchenmesser rc. gemeinschaftlich fort gesetzt mißhandelt zu haben. Der saubere Ehemann war außerdem noch des vorsätzlichen Totschlags ange klagt. Er nahm in der Nacht znm 20. Januar das schlafende Kind von der Lagerstätte auf, band ihm beide Hände und schlug dann dessen Kopf wiederholt auf die Tischkante auf; hierauf warf er die Kleine mit voller Wucht in das Nettchen zurück. An den hierbei erlittenen schweren Verletzungen ist das Kind bald darauf verstorben. Die Angeklagten sind in vollem Umfange geständig. DaS Gericht verurteilte den Ehemann zu der "höchstzulässigen Strafe von 15 Jahr Zuchthaus und 10 Jahr Ehrverlust, die Frau dagegen zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren. Konitz. DaS Schöffengericht verurteilte den Berichterstatter Rauch aus Berlin wegen Beleidigung infolge seiner Thätigkeit als Mitglied der privaten Nebenuntersuchungs-Kommission des in der Mord affäre bekannt gewordenen Zahntechnikers Meibauer zu 60 Mk. Geldstrafe. Ehrentafel deutscher Arbeiter- freunde. Die sogenannte Ehrentafel deutscher Arbeiter- freunde ist wieder in dem letzten Vierteljahrs heft des Irbeiterfrennd' veröffentlicht worden. Diese Ehrentafel bildet eine ständige Nach weisung der genannten Zeitschrift des Zentral vereins für das Wobl der arbeitenden Klassen und enthält die von Arbeitgebern (Privaten wie Aktiengesellschaften) zum Wohle der Arbeiter gemachten Stiftungen oder ähnliche für die Dauer bestimmte Aufwendungen. Diese Spenden betrugen 1898: 27 399 000 Mk., 1899: 39 159 000 Mk. und 1900: 60 542 000 Mk. Die Nachweisung der letztgenannten Summe lautet wie folgt: Von Gruppen: Von Akcien- Privaten Gesell- Pension?» u. Unterstützungs- sonds, sowie Stiftungen für Arbeiter und deren An gehörige 4086 832 schaften 10803 763 Prämien,Gratifikationen,nicht statutarische Gewinnanteile 197 700 6 666 501 Nicht besonders bezeichnete ArbeiterwohlfahrtSzwecke 231 000 2124 932 Nicht besonders bezeichnete ge meinnützige Zwecke 15 784 281 26 000 Fürsorge sür Erhaltung des Handwerks 355 200 — Kinderfürsorge 1186 324 53 000 Altenheime und Stifte 2 680 500 48 000 Krankenpflege u. Genesenen- iürsorge 2 501983 137 000 Gesundheitspflege (Bäder, Arbeiterserien rc.) 360 000 Erholungsstätten,Volksparks 130 000 — Minden-Fürsorge 324 492 — Obdachlosen- u. Entlassenen- Fürforge 34 500 Wohnungstürsorge 1 625 000 688 608 Erziehung-- u. Unterrichts zwecke 2 539 200 42237 Bildungs- u. Vereinszwecke (auch Bibliotheken) 1258000 15 000 Kirchliche Zwecke 1 641 380 27 500 Innere und äußere Mission 520 000 —— Armenuntcrstützung im allge meinen 2 756 700 1500 Bekämpfung der Trunksucht 1000 Preisausschreiben u. Wohl- 5000 1611060 4000 74 000 39 903 092 20 639 041 enn an diese Mitteilungen und besonders fahrtSsragen Rettungswesen, Feuerschutz Kunstpflege, Museen, Denk- an die großen Zahlen, wie es mehrfach ge schieht, Betrachtungen darüber geknüpft werden, in wie hervorragender Weise in Deutschland für die Arbeiter gesorgt wird, und wie unberechtigt es ist, mit weiteren sozialen Reformen zu drängen, so muß man in Betracht ziehen, daß die Zahl der deutschen Arbeiter ebenfalls nach Millionen zählt, sodaß, wenn die fraglichen Aufwendungen auf alle Bedürftigen verteilt werden sollten, der Erfolg ein recht bescheidener sein würde. Ist aber, wie es tatsächlich der Fall, der Kreis der Empfänger nur ein be grenzter, so geht die große Masse der Arbeiter leer aus. Mit den Millionenzahlen wird also hier ebenso wenig etwas bewiesen, wie bei unserer gesamten Arbeiterversicherung oder wie bei dem Armenbudget einer großen Stadt. Nicht darauf kommt es an, wieviel Millionen Mark verwandt werden, sondern darauf, ob der herrschenden Not und dem Bedürfnis der ärmeren Klaffen nur annähernd genügt wird. Was nun die Bezeichnung „Ehrentafel" an- langt, so ist es gewiß rin hohes Verdienst, wenn Arbeitgeber durch freiwillige größere Spenden für dauernde Wohlfahrtse'nrichiungen ihrer Arbeiter sorgen. Auch die Veröffentlichung ist nützlich. Nach der christlichen Sittenlehre soll man seine Wohlthaten allerdings möglichst im Verborgenen üben, die Recht? soll nicht wissen, was die Linke thut, und von dem, dem die gute That nicht Selbstzweck ist, sondern der sie thut, um der Anerkennung der anderen willen, heißt es: „Er hat seinen Lohn dahin." Allein es unterliegt keinem Zweifel, daß hier das gute Beispiel zur Nacheiferung anspornt, und daß bei vielen, die sonst ihre Taschen zu halten, mögen auch ihre Unternehmungen noch so glänzende Erträge abwersen, durch jene Ver öffentlichungen die moralische Pflicht geweckt wird, das Los ihrer Arbeiter nicht bloß durch den Arbeitsvertrag und Angebot und Nachfrage zu bestimmen, sondern dasselbe zu einem freund lichen und menschenwürdigen zu gestalten. Buntes Allerlei. Die Weltgeschichte als Lehrmeister. Aus die Lehren der Geschichte für Fürsten und Völker hat der bayrische Thronfolger Prinz Ludwig in einem Trinkfpruch ani dem Kommers hingewiesen, den die Politechnische Hochschule in München aus Anlaß des 80. Geburtstages des Prinz-Regenten veranstaltet hat. Fürsten und Völker müßten aus der Geschichte lernen. „Sehen Sie auf die deutsche Geschichte; sie ist lehrreich. Bald waren die Deutschen oben, bald, wenn sie den Augenblick nicht verstanden, unten. Sorgen wir dafür, daß wir, die wir jetzt amstcigen, nicht wieder sinken. Die Ge schichte ist auch Lehrmeister für Fürsten und Völker. Die Fürsten muß sie lehren, Fehler zu vermeiden, und sie erinnern, daß Dynastien, die noch so befestigt waren, verschwunden sind, wenn sie nicht taugten und wenn sie ihrer Aufgabe, Führer des Volkes zu sein, nicht dienten. Aber auch Völker sind verschwunden, die in Wohlleben unb Laster verfallen sind." Die Mode vor Gericht. In einer Slraf- kammersitzung zu Düsseldorf nahm jüngst der Vorsitzende Veranlassung, eine mit einem auf fallenden Kopfputz versehene weibliche An geklagte daraus aufmerksam zu machen, daß man nicht als „Modepuppe" vor Gericht er scheine. Gleichzeitig wurde deswegen dem an wesenden Vater des Mädchens eine ernste Rüge zu teil. Ein Soldatenbild aus China. Nach Ankuntt der Post aus Deutschland stand, so wird der ,Tägl. Rundschau' aus Peking vom 15. Januar geschrieben, ein braver Bayer vor seinem zuerst halbzerstörten, dann aber wieder von unsern Truppen zurecht gezimmerten Chinesenhause, das seiner Korporalschaft als Quartier diente. Er las ein Papier, und über seine Wangen liefen Thränen. Ein vorüber gehender Vorgesetzter befragte teilnehmend den jungen Krieger über den Grund seines Kummers. Zu seinem großen Erstaunen erhielt er durchaus keine traurige, sondern die freudestrahlende Ant wort: „Ich hab' meine Freude dran, daß es denen zu Hause gar so gut geht."-»"---^-"^-^ und eine Zähre über die andere rann über die Wange des armen Mädchens herab. Allein war sie gewesen nach dem Tode der Eltern im väterlichen Hause, das ihr in ihrem Gram un endlich öde vorkam, allein dann wiederum auf den Fluten des Ozeans. Selbst im Hanse des Onkels iand sie keinen Ersatz sür die im jugend lichen Aller erlittenen Verluste. Ja, zuletzt war sie mehr noch als allein; sie befand sich zwischen solchen, welche die heiligsten Gefühle des weib lichen Herzens nicht anerkannten und ihr Glück auf immer durch grausamen Zwang zu zerstören trachteten. Dann kam ein Lichtblick, der erste seit langer, qualvoller Zeit. Sie fand endlich zwei warm- sühlende, teilnahmsvolle Herzen; aber ach, nur zu schuefi endete dieser kurze Traum von Ruhe vnd von Glück. Jäh aus demselben durch die Schrcckenskunde von jenem Morde aiffgcschreckt And bis zu Engens Rückkehr in fieberhafter Amregung befindlich, hatte sie nun schon wieder die Heimställe verlassen müssen, um schutzlos einer ungewissen Zukunft enlgegenzugehen Was würde diese ihr wohl bringen? — Eisatz lür das, was sie Himer sich gelassen, als sie den nun noch rasch mit ihr dah u eilenden Bahnzug bestieg? — Nein und tausendmal nein ! Sie fühtte es im liessten Grunde ihrer ffmgsräulichen Brust. Niemand würde im stände ttw, ihr den aufopfernden Freund und die winterliche Beraieiin zu ersitzen, die ihr soeben «och das Geleit gegeben hallen. War es Liebe, !°os sic für Eugen empfand, oder war es nur fnnigc Dankbarkeit und Freundschaft — sie ntzle es nicht bis zur Stunde ihrer Trennung. Aber jetzt, seil dem Moment, in dem sie den lewen Scheffcgruß der Zmückbleibenden em pfangen und erwidert hatte, da war es ihr, als ob Sie plötzlich alles verloren habe, was die Well ihr noch bieten könnte an Freude und au Glück! Was in ihrem reinen Herren vorher nur als eine dämmernde Ahnung schlummerte, das kam ihr zum erstell Mal nun zum klaren Be wußtsein. Das glimmende Fünkchen loderte auf zur mächtigen, verzehrenden Flamme! — Alles, alles hätte sie hingeben mögen, wenn sie jetzt hätte zurückkeh'en dürfen, aber das unerbittliche Walten des Geschickes riß sie wieder mit sich fort in den Strudel des Lebens hinein, und machtlos, dagegen anzukämpfen, mußte sie folgen! Wie endlos scheint eine solche Fahrt, wenn sie uns immer weiter und weiter dem entrückt, was wir als das Teuerste auf Erden hinter uns lassen müssen. In dem Herzen der vereinsamten Reisenden war es Nacht geworden und Nacht wurde es auch bald außen um sie her. Sie saß zuletzt allein in dem nur von einem trüben Lichte mangelhaft erleuchteten Kouvee. Die Mitreisenden waren nach und nach ausge stiegen. Nur sie hatte noch mehrere Stunden zu lahren, bis sie diejenige Station erreichen würde, welche für heute nacht den Endpunkt ihrer Reise bildete. Ehe sie an dem ihr gänz lich unbekannten großen Orte anlangen konnte, mußte es fast Mitternacht werden. Nach kurzer Ruhe von einigen Stunden sollte dann morgen nach Tagesanbruch die Tour auf einer andern Linie fortgesetzt werden. Es war zehn Uhr geworden, als auf einer Zwischenstation der Wagenschlag geöffnet wurde und ein einzelner Reisender einstieg. Derselbe nahm ihr schräg gegenüber in einer andern Ecke des Koupees Platz und hüllte sich dicht in seinen großen Reisemantel, dessen Kragen aus geschlagen war und seine Züge verdeckte. Liddy ward es recht unheimlich zu Mute. Auf die fieberhafte Erregung der letzten Tage und Stunden war eine große Abspannung ge folgt, und sie konnte sich des Schlafes kaum erwehren, dennoch kämpfte sie mit aller Macht gegen denselben an, da sie in dieser peinlichen Situation, allein im halbdunklen Koupee mit einem bis an die Stirn vermummten fremden Mann, sich nicht cinzuschlummern ge traute. Die junge Amerikanerin war nichts weniger als furchtsamer Natur, denn sie war in einer einsam liegenden Farm am Mississippi aus gewachsen, wie wir aus ihrer Erzählung früher entnommen haben. Allein die Schrecknisse ame rikanischer Eisenbahnfahrten waren ihr noch lebhaft im Gedächtnisse; reiste sie jetzt auch auf Deutschlands ungleich sicherem Boden, so blieb doch ihre gegenwärtige Lage immerhin bedenk lich genug. Freilich schien der Fremde sie ganz und gar nicht zu beachten. Nur beim Einsteigen hatte er sie fast unhörbar und flüchtig gegrüßt, sogar ohne seine Kopfbedeckung zu berühren. Jetzt schien er fest eingeschlmen zu sein, worauf sein tiefes Atemholen schließen ließ. Plötzlich schreckte Liddy auf. Sie mußte doch einige Momente geschlummert haben und glaubte jetzt mit einem Mal einen kühlen Luft zug zu verspüren, der sie weckte. Sie sah den Unbekannten dicht vor sich, als sie die Augen aufschlug, und es war ihr, als ob er ihr dabei scharf in das Gesicht geblickt hätte. Eben schloß er das Fenster neben ihr, das vielleicht wäh rend des Fahrens durch die Erschütterung des Wagens herabgesunken war. Dann setzte er sich wieder ruhig wie zuvor auf seinen Platz. Ihr ward aber immer banger zu Mute. Endlich! Endlich! — Die letzte Zwischen- station war erreicht, und wenn der Zug wieder um hielt, so war sie für dieses Mal, wie sie hoffte, glücklich jeder Gefahr entronnen. Sie raffte daher ihre Effekten zusammen und machte sich zum Aussteigen fertig. Der Milpassagier schien noch weiter reisen zu müssen, denn er rührte sich nicht, als der Zug schon auf dem Perron cer Hauptstatwn stand. Liddy hatte auf der von ihr eingenommenen Koupeesette den Wagen zu verlassen und that dies, ohne sich von dem, wie es schien, noch schänden Herrn zu verabschieden. Bis sie bei dem großen Andrange von Reffenden ihren Koffer bekommen konnte und denselben vor den Bahnhof verbringen ließ, verstrich lange Zeit, und sie sah sich vergebens noch nach einem Gasthofomnibus um: diese mußten bereits abgeiahren sein. Aber dort stand noch ein Zweispänner ganz vereinzelt. Dem übergab sie ihren Koffer und wies den Kulscher an, sie zum nächstgelegenen besseren Gasthause zu verbringen, worauf sie die gedeckte Chaise bestieg. « » (Fortsetzung folgt.)
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