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Allgemeiner Anzeiger : 20.02.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-02-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190102202
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19010220
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- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1901
-
Monat
1901-02
- Tag 1901-02-20
-
Monat
1901-02
-
Jahr
1901
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 20.02.1901
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Politische Pnndlchou. Die chinesischen Wirren. *Die Frage der Bestrafung der schuldigen chinesischen Würden träger ist noch immer keiner Erledigung zu geführt und fort und »ort kommen von chine sischer Seite neue Vorschläge, die alle darauf abzielen, die schlimmsten Verbrecher der wohl verdienten Todesstrafe zu entziehen. Der chinesische Kaiser hatte vor mehreren Tagen an die Gesandten das Gesuch gerichtet, sich damit einverstanden zu erklären, daß sich die Schuldigen selbst das Leben nehmen. Nachdem aber schon drei Würden träger sich geweigert haben, diesen Schritt zu thun, h«t der Kaiser sein Gesuch wieder zurück gezogen. Deutschland. * Die Besserung im Befinden des Königs von Sachsen schreilet langsam vorwärts. Appetit und Kräfte heben sich. Bei der Königin nehmen die katarrhalischen Erscheinungen ab und das Allgemeinbefinden bessert sich. * General v. Werder, der Vertrauens mann des Kaisers, ist in besonderer politischer Mission nach Petersburg abgeresst. *Die Kaisermanöver werden in diesem Jahr zwischen dem 1. und 17. Armee korps in Westpreußen stattfinden, mit einer Parade bei Königsberg beginnen und mit einer Kaiserparade in den Nähe von Hohenstein schließen. * Die Modelle für die neuen Uniformen find vom Kriegsminister im Reichstag ausgestellt worden. Das eine zeigt einen Soldaten in der Tropenaus- ausrüstung, das andere einen Soldaten in der neu einznführenden graugrünen Unfiorm, die in Farbe und Schnitt der h-utigen österreichischen Jn'anterieuniwrm ähnelt. Die Farben sind glücklich gewählt und wenn auch für die Her stellung der ganzen Ausrüstung nur praktische Gesichtspunkte maßgebend gewesen siud, so macht das Ganze nicht nur einen seldmäßigen, sondern auch einen den äußerlichen Ansprüchen genügenden, durchaus soldatischen Eindruck. Bekanntlich ist die Herstellung dieser Uniformen aui kie persönliche Initiative des Kaisers zurück mführen. *Das Gesetz betr. die Branntwein steuer koll nach einer dem Bundesrate zu gegangenen Vorlage in einigen Punkten abge- änoert weiden. Die neu auszuteitendcn Kon tingente sollen herabgesetzt und für die Unter bringung der steigenden Branntweinproduktion besondere Bestimmungen getroffen werden. * Der neue Entwurf einer Saccharin- stener ist, wie es heißt, nach folgenden Ge sichtspunkten ansgearbeitet worden: Der Be steuerung soll die thatsächlicbe Süßkraft des Saccharins zu Grunde gelegt werden, die Steuersätze sind also entsprechend doch gewählt. Ferner sollen die künstlichen Süßstoffe iortan nur in den Apotheken verkauft werden dürfen, also wesentlich zu Heilzwecken. Endlich soll eine Untersuchung der Nahrungsmittel, nament lich des Bieres, auf künstliche Süßstoffe vor geschrieben werden. Im Reichsschatzamt hat man demnach die Forderungen des Vereins der deutschen Znckerindustrie entsprechend berück sichtigt. Es scheint indessen, daß an den maß gebenden Stellen die Ansicht vertreten wild, daß ein derartiger Gesetzentwurf zu weit gehen würde. Man scheint dort entweder eine hohe Steuer ohne Berkehrsbeschränkungen für den Vertrieb der künstlichen Süßstoffe oder aber derartige Verkchrsbeschränkungen nur mit einer mäßigen Siener lur zweckmäßig zu halten. Es bleibt abzuwarten, wie die Entscheidung aus- fallen wird. *Jn der ersten Sitzung der Kanal kommission wurde mit 14 gegen 12 Stim men (zwei Mitglieder fehlten) beschlossen, daß zunächst über die Stromregelungen beraten werde. In diesem Beschluß sehen die Kanal- freunde ein übles Vorzeichen für den weiteren Verlauf der Kommissionsverhandlungen. Frankreich. *Der ,Petit Sou' erklärt, Waldeck- Rousseaus Krankheit sei nur ein Vorwand für die Amismüdigkeit des Ministerpräsidenten, der zum Rücktritt entschlossen sei. (?) *Jn der Sahara, südlich von Algier, hat der französische General Servisre, der kürzlich eine Expedition nach der Tuat-Oase unternommen, drei aufrührerische Stämme ohne Widerstand unterworfen. England. * König Eduard hat am Donnerstag das englische Parlament mit einer Thronrede eröffnet, in der es heißt: „Der Krieg in Südafrika ist noch nicht gänzlich beendigt, aber die Hauptstädte des Feindes und die haupt sächlichsten Verbindungslinien sind in meinem Besitz." Und Lord Salis bury gab im Oberhause die Erklärung ab, daß der Krieg in Südafrika nnr mit völliger Unterwerfung und Vernichtung jeder Selbständigkeit derBoeren beendet werden könne. * Die Königs - Jacht „Viktoria und Albert" hat den Befehl erhalten, den König und die Königin von England nach Deutsch land und wahrscheinlich auch nach Däne mark zu bringen. Das Kanalgeschwader wird die Schiffsbegleitung stellen. Italien. * Das neue italienische Kabinett unter Zanardellis Vorsitz ist zu stände ge kommen. Spanien. *Die Ruhestörungen in Madrid haben auch am Mittwoch sich wiederholt. Kleine Gruppen durchzogen am Vorabend der Hochzeit der Infantin die Straßen mit dem Rui: „Sie soll sich nicht verheiraten." Nach der Beerdigung des Dichters Nampoamor zog eine Anzahl Ruhestörer vor das Nonnenkloster in der Torijastraße, schleuderte Steine gegen das selbe und begab sich dann nach der Silvastraße. Die Polizei schritt wiederholt mit blanker Waffe ein und verwundete zahlreiche Ruhestörer. Jn- solge dieser Vorgänge ist über Madrid der Be la g eru n g s z u st a n d verhängt worden. — Am Donnerstag erstürmte nach Privatmit teilungen die Menge in Madrid zwei Klöster. Rußland. * Das russische Geschwader im Stillen Ozean soll während dieses Jahres aus fünf Panzerschiffen, sieben Kreuzern erster Klaffe, zwei Kreuzern zweiter Klaffe, sieben Kanonenbooten und ismi Torpedobooten be stehen. Mit dem Beginn des nächsten, eventuell nach Schluß des lausenden Jabres soll dieses Geschwader nm ein Panzerschiff, ^wei Kreuzer zweiter Klasse, zwei Transportschiffe und sünf Torpedoboote verstärkt werden. Balkanstaaten. * In dem Befinden des erkrankten Erb prinzen BoriS von Bulgarien scheint eme Verschlimmerung eingeweten zu sein. Wie ein Privattelegramm ans Graz meldet, ist der CbesarK eines dortigen Kinderhospitals, Vro- »essor Escherich, infolge düngender telegraphischer Berufung nach Sofia zum erkrankten Erbprinzen abgereist. Amerika. * Zwischen den Ver. Staaten und Rußland droht ein Zollkrieg, da die Union infolge einer richterlichen Entscheidung den russischen Zucker, für den nach dieser dieser Entscheidung eine Ausfuhrprämie besteht, mit einem entsprechenden Zollzuschlag zu belegen genötigt ist. Das Schatzamt selbst jedoch sucht eine Regelung der Angelegenheit herbeizuführen, weil der Wert der amerikanischen Ausfuhr nach Rußland die Einfuhr bei weitem übersteigt, die Union also den größten Schaden bei einem Zollkrieg hätte. * Cubaist formell verständigt worden, daß die Ver. Staaten drei Kohlen st ationen verlangen, nämlich Havana, Cieniugos und San Jago; ferner daß die Anerkennung der Monroedoktrin und andere Bedingungen er füllt werden, welche mit der nordamerikanischen Schutzherrschast gleichbedeutend sind. . *Der Londoner mexikanische Finanzagent teilt gegenüber der aus New Dark verbreiteten Meldung über eine ernstliche Erkrankung de? Präsidenten Diaz mit, daß diese Meldungen unbegründet find. Präsident Diaz leide lediglich an einem hartnäckigen Rheumatismus in der Schulter, irgendwelchen ernstlichen Charakter habe aber dieses Leiden in keiner Weise. Afrika. * De Wet macht seine Gegenwart in der Kapkolonie bereits recht fühlbar und das Kabel meldet von Kapstadt, daß im Norden bereits auf allen Seiten eine bedeutend ver stärkte Thätigkeit zu verzeichnen ist. De Wet soll sofort einen Zulauf von einigen Hundert Holländern, die nur auf sein Erscheinen warteten, erhalten haben, und aus den ver schiedenen britischen Garnisonen im Colesberg- Distrikt sollen bereits Meldungen vorliegen, die schleunige Verstärkungen erbitten. Auf solche Verstärkungen von Süden her scheint aber nicht mehr gerechnet werden zu können, und somit setzt man in Kapstadt seine Hoffnungen nur noch auf die verschiedenen „Verfolger" de Weis. * Infolge der großen Zunahme der Typhus-Erkrankungen in ganz Süd afrika haben die städtischen Verwaltungen sich an die Regierung mit der Bitte um aus gedehnte sanitäre Vollmachten gewendet. Asien. * An der indischen Grenze, im Pandschab ist eine neue Grenzprovinz errichtet worden. Dadurch kommen die unruhigen Wasiristämme am Khaidarpatz unter direkte englische Verwaltung. Deutscher Reichstag. Am 15. d. steht zunächst auf der Tagesordnung die dritte Lesung des Nachtragsetats für China. Abg. Bebel (Soz.): Man würde es im Volke nicht verstehen, wenn diese Vorlage definitiv ange nommen würde, ohne daß sich der Reichstag noch mals über die China-Expedition auSgeiprochen hätte, und ohne daß eine Anfrage an die ReichSregierung gerichtet worden wäre, wie denn eigentlich die Dinge in China augenblicklich stehen? Alle« wartet auf den Abs blutz deS Friedens, am meisten aber wohl Gral Walders«. Redner berührt sodann das Ver langen der Mächte betreffs der Hinrichtung chinesischer Würdenträger; er behauptet, das Deutsche Reich habe seit 200 Jahren keinen traurigeren und be schämenderen Krieg gehabt als den jetzigen in China. (Präs. Graf Baklestrem: Herr Abgeordneter, Sie dürfen einen Krieg, den das Reich führt, nicht be schämend nennen! Ich mache Sie darauf aufmerksam.) Redner weist dann hin auf die Art, wie in China von den Mächten gehaust worden sei. Redner verliest einige Stellen aus Soldatenbriefen, konstatiert aber mit Genugthuung, daß seitens der Militärbehörde gegen rohe Ausschreitungen energisch eingeschritten worden sei. Was nun in und mit China weiter geschehen werde, das wisse noch niemand. Nur das wisse man, daß wir jetzt 152 Millionen Mark bewilligen sollen, und daß eine weitere Forderung für China in Höhe von rund 100 Millionen schon in Vorbereitung sei. Der Platz an der Sonne wird uns dort auch in Zukunst noch außerordentlich teuer zu stehen kommen. Kriegsminister v. Goßler: Wenn Herr Bebel etwa mein', daß die Ermordung uniereS Gesandten in China noch kein Grund zu kriegerischem Ein schreiten war, dann möchte ich wissen, wozu wir Kriegskunst treiben. Auch über den Grafen Walder- ,ce hat Herr Bebel geurteilt und gesagt, ein preußi scher Feldwebel wäre an seiner Stelle besser zu verwenden gewesen. Ick denke, wir können dem Grafen Waldersee nur dankbar dwür sein, daß er dem Befehl seines obersten Kriegsherrn gehorcht hat. Es ist ihm auch thatsächlich gelungen, die Ordnung wiederher- zustellen. Dann hat Herr Bebel Hunnenbriest ver lesen und von Bestialität und Gemeinheit gesprochen. Herr Bebel, der von mir schon wiederholt ausge- iordert wurde, mir die Briefe zuzustellen, glaubt an diese Briefe und an die Verbrechen- Wenn er aber der Regierung die Möglichkeit versagt, die Verbrecher zu bestrafen, so macht er sich in meinen Augen zum Mitschuldigen dieser Verbrechen. Abg. Stäcker erklärt ebenfalls, es nicht be greifen zu können, wie ein Abgeordneter de> artige kindische Erfindungen, die den Stempel als solche an der Stirn tragen, hier Vorbringen könne. Es sei das ein Zeichen politiicher Unreife. Redner wendet sich dann noch gegen die vorgestrigen Bebelschen Musterungen über das Mitstonarweicn in China und dessen Mitschuld an den dortigen Wirren. Abg. Bebel: Ich habe nichts gegen die Missions- thätigkeit; gehen Sie nach China, so viel Sic wollen! Aber der Staat soll nichts damit zu thun habe« und Politik sollen die Missionare nicht treiben. Der Kriegsminister hat sich auf einen englischen BenO- erstatter berufen den Hunnenbricien gegenüber. Ich begreife nicht, wie er einen Mann für glaub würdig hält, den er gar nicht kennt, während er meine Briefe für unglaubwürdig erklärt. Dabei find das Briefe, welche die Soldaten an ihre Ellern schreiben. ES ist doch auch sehr gut möglich, die Blätter, welche solche Briefe veröffemlichen, zur Ver antwortung zu ziehen. Weshalb thut denn da« der Herr Kriegsminister nicht? Weshalb nicht? Offen bar, weil er selbst im Innern an diese Briefe glaubtk Weil er fürchtet, daß bei den Zeugenvernehmungen sich alles bestätigen werde! Kriegsminister v. Goßler: Ich erhebe Klag« nur, wenn ich bestimmte Handhaben besitze. Hier wußte ich die Briest an das Expeditionskorps schicken. Falls die Sache nicht binnen sechs Monaten aus China zurückkomwt, werde ich gegen alle die be treffenden Blätter vorgehen, deren Redakteure ich ja, wie Herr Bebel erzählte, sechs Monat einsperren lassen kann. Hierauf schließt die Debatte; der Nachtragsetat wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten an genommen. Es folgt die zweite Lesung des PostetatS. Bei dem Gchaltstitel „Staatssekretär" bemerkt Abg. Müller- Sagan (fr. Vp.): Es seien mit Recht in der Oeffentlichkeit Klagen laut geworden über mangelhafte Postbestellung. Man habe den gesamten Privatposten-Verkehr übernommen, ohne das Personal entsprechend zu vermehren. In Berlin seien die Bestellgänge von 12 auf 9 vermindert worden. Man versuche leider, mit dem bisherigen Personal auszukommen, aus finanziellen Rücksichten. Auch der Nachbarortsverkehr Berlins entspreche nicht den berechtigten Anforderungen. Staatssekretär v. Pod viels ki entgegnet, «S seien in Berlin seit dem 1. April v. mehr Leute nen eingestellt worden, als die Privatpost hier an Per sonal besessen habe. In den letzten drei Jahren seien 13 865 etatsmäßige Beamte mehr angesteltt worden. Feste Anstellung erfolge spätestens in fünf Jahren seit der ersten Einstellung. Die Bestellung in Berlin stehe auf der Höhe der Zeit. Abg. Graf Stolberg (kons.) berührt die Frage der Adressen mit polnischen Ausdrücken. Die Post solle zwar nicht politischen Zwecken dienen. Ebenio- wenig solle sie sich aber von der polnischen Agiiaiion mißbrauchen lassen. Zweifellos sei der Staatssekretär den polnischen Wünschen bereits soweit als möglich entgegengekommen. Abg. Bassermann (nat.-Iib.) erklärt namens keiner politischen Freunde, daß mit der Einrichtung von UebersetzungSstellen in Bromberg und Posen bis an die äußerste Grenze der Konzession gegangen worden fei. Unter keinen Umständen dürfe dar über binausqegangen werden. Staatssekretär v. P o d b, e I s k i: In der Presse hat man mir vorgeworfen, ich hätte vor den Herren, den Polen, kapituliert. Wo soll die Kapitulation liegen? Wir haben durch unsere Anordnungen die Bestimmungen für die Sicherheit des Betriebes nur verlwärst. Nachdem noch Abg. Singer (soz.) gegen die Postvermaltung polemisiert, und Staatssekretär b. Podbielski ihm erwidert, wird die Weiter beratung vertagt. Prrutzischer Landtag. In der am Donnerstag im Abgeordnetenhaus« fortgesetzten Beratung des Etats des Ministe -ums des Innern wurde die Debatte über die Theate»- zensur und die politische Zensur fortgesetzt. Auch das andere Thema: „Sollen Sozialdemokraten M Aemtern zugelaffen werden?" wurde eingehend b«. handelt. Minister des Innern v. Rbcinbaden er klärte, ausgenommen die Sozialdemokraten, welche den Staat befehden und darum ken Amt bekleiden können, behandele er alle bürgerlichen Parteien m Bestäligungsfragen gleich. Im Abgeordnetenhauie wurde am Freitag bei der Fortsetzung der Beratung des EwtS de« Ministe- riums des Innern in der Hauptsache nur die Polen- und Dänenirage behandelt. Der Minister v. Nhein- baben sprach dem Abg. Roeren seinen Dank ans für die Verteidigung der Zensoren. Don Ual» und Fern. Kalte Tage! Der strenge Winter hat wieder seine Herrschaft angetreten. Nach de« jüssgsten Schneefällen hat im ganzen mittel europäischen Gebiet die Temperatur wieder einen bemerkenswerten Tiefstand — zwischen 10 und 15 Grad unter Null — erreicht. Auf der bayrischen Hochebene zeigte die Mmimal- temperatur Mittwoch früh 16 bis 18 Grad Kälte; Zürich halte —13 Grad, Bregen; — 14 Grad ; der Wächter auf dem Pilatus Kulm Entlarvt. 1j Kriminalroman von Karl v. Leistner.*) Der bescheidene Marktflecken Olsdorf liegt in ziemlich beträchtlicher Entfernung von den Hauptadern des kommerziellen Verkehrs und hat durch seine Isolation den kleinbürgerlichen Charakter, welcher früher solchen Oewchen all gemein aufgeprägt war, weit hartnäckiger be wahrt, als dies von vielen gleichgroßen Ort schaften unseres deutschen Vaterlandes, das nun von einem dichten Bahnnetze überspannt ist, sich behaupten läßt. Sellen finden sich dort Fremde ein, und so kommt es, daß das Gasthaus „Zum grauen Bären" noch immer das einzige geblieben ist, in welchem eine mäßigen Ansprüchen genügende Unterkunft dargeboien werden kann. Der heutige Tag sollte aber in bezug auf die Frequenz eine Ausnahme von der Regel bilden. Es ist bereits dunkel geworden und der sonnige Herbsttag hat einem kühnen Abende das Feld geräumt. Die Stammgäste sind im „Bären" fast vollzählig erschienen. Die paar Forstleute, der Lehrer, der Marktschreiber und eine Anzahl der besseren Bürger fitzen schon auf den allabendlich behaupteten Plätzen um den großen Tisch herum, nur der Gendarmerie- Brigadier fehlt noch. An einem kleineren Tische haben sich mehrere jüngere Leute, Handwerks gesellen wie es scheint, in respektvoller Zurück gezogenheit gruppiert; Wirt und Wirtin aber verweilen am Ausschankplatze, während die zu- *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. nächst der Thür befindlichen Stühle noch un besetzt sind. Bald naht auch der vermißte Brigadier, ein achter Typus solcher vielgeplagter und wenig beneideter Sickerheitswächler, und die dralle Liese, die Kellnerin, setzt dem bestaubten, stark ermatteten Durstigen die erste Maß vor. Aus drücke wie „Hundeleben", „Schandgesindel" und dergleichen werden von dem Cerberus der Ge rechtigkeit brummend hervorgestoßen, aber, teils noch im Werden begriffen, mit dem beliebten Tranke hinabgeschwemmt. Die Thür öffnet sich wieder und ein Hausierer tritt ein. Seinen Kasten abstellend, bittet er den Wirt um ein Zimmer sür die be vorstehende Nacht, und als ihm solches zuge sichert ist, läßt er sich an einem der zwei noch sreien Tische nieder. Das Auge des Gen darmen verfehlt nicht, die fremde Persönlichkeit sofort mit prüfenden Blicken zu mustern. Be sonders lange bleibt dasselbe auf dem großen schwarzen Vollbart des wirklich hübschen jungen Diannes hatten, welcher dessen Züge teilweise bedeckt. Wären der äußerst schlichte Anzug und der Wmenkasten nicht gewesen, so hätte man dem Ankömmling einen besseren Beruf als den eines wandernden Kleinhändlers zutrauen können. Auch die letzten Plätze sollten balv besetzt werden. Ein viersitziger Wagen rollte vor das Haus, hielt an, und kurz darauf betraten noblere Gäste das Schanklokal, als sie der „Graue Bär" seit geraumer Zeit zu sehen be kommen halte. Es waren zwei Herren und eine verschleierte Dame, welche sofort drei Zimmer begehrten. Glücklicherweise waren gerade noch so viele im Gasthaus? zu haben, und die zuletzt Emgeiroffenen wurden, gleichwie der Händler, im ersten Stock eioquartieit. Die beiden Herren bekamen aneinanderstoßende Gemächer, dem Hansierer war vorher schon das gegenüber liegende zugesagt, und die Dame wäytle die aus eben denselben Haustennen mündende mittlere Stnbe. Für den Kuischer der Herrschaften ward mit Müsse ein Winkelchen zum Uedernachten zu ebener Erde ausfind-g gemacht. Der gewünschte Abendimbiß war zu haben; doch mußten sich auch die drei feineren Fremden dazu verstehen, ihn in der allgemeinen Gast- stube einzunehmen, da man zum Servieren aus den Zimmern in Olsdorf nicht einger chlet war. Sie nahmen an dem noch leeren Tische Platz, die Herren einander gegenüber, ihre Begleiterin neben dem jüngeren, so daß sie sich zunächst dem Händler beiand. Als jene sich des Hutes und Ueberwuries entledigte, zog sie die neugierigen Blicke aller Anwesenden auf sich, denn es entpuppte sich eine jugendlich schöne, elast fche Gestalt mit pikanten Gesichtszügen, welche die ans südlicheren Regionen stammende Auslände« in vermuten ließen. Sie war bildschön. Tiefschwarze Haare umrahmten ein etwas brünettes, edel und zart geformtes Antlitz mit feurigen, gleichfalls sehr dunklen Augen. Und doch schönen diese leuchtenden Sterne jetzt recht müde zu sein, wohl vom anstrengenden Reisen in der stau bigen Krusche während des warmen Tages. Der jüngere der Herien ähnelte in einer Beziehung dem Hausierer, da er wie dieser einen schwarzen Vollbart trug. Seine Mienen waren jedoch weniger einehmend, die Hautfarbe war auffallend blaß und der Blick unstät, doch verriet die ganze Erscheinung den vornehmen Kavalier. Er widmete der Nachbarin alle mög liche Aufmerksamkeit, aber zur Zeit mit schlechtem Erfolge, denn sie antwortete stets sehr einsilbig, ja fast abweisend, so oft er sie auch in das Ge spräch zu ziehen versuchte. Der andere Reisende war bei weitem be jahrter, jedoch nicht minder elegant gekleidet. Er halte das Aussehen eines pensionierten O'fifiers. Die beiden Herren unterhielten, sich, namentlich als es dem einen schlechierd ngS nicht gelingen wollte, die Dame zu lebhafterer Beteiligung zu veranlassen, mehrmals nur leise, aber sichtlich erregt. Der ältere mußte ziemlich mißmutig sein, denn er behandelte selbst die Dame nicht eben zuvorkommend und srenndlich. Während die Unterhaltung der Olsdorfer ins Stocken geraten war und Siammgäste wie Wirtsleute offenbar noch ein gewisses Befremden über die ganz ungewöhnliche Frequenz erkennen ließen, sch cn sich der Hausierer am wenigsten um die Letztangckommenen zu kümmern, ob wohl er ihr nächster Nachbar war. Nur ein paarmal streiften seine Blicke das Antlitz des jungen Mädchens. Am meisten interessi rtc ih« wohl im Augenblick sein transportables Waren« Magazin, mss dem er sich zu schaffen machie. Später erhob er sich und offerierte dessen Jnhali zunächst den Olsdorfern. Läden gab eS im Oertchen nur ganz wenige, und so fände« die Gegenstände, die der j «nge Händler feilbot, genügenden Absatz, um seine Zeche wenigstens mit dem Erlös reichlich zu decken.
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