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Gesicht» und ihr unsicherer Schritt zeugten^on einem bis in den Abend hinein veriäugerten Diner. Die Fahrt hierher hatte ihr Blut augenscheinlich nicht abzukühlen vermocht, und so beschloß man, fortzufahren, wie man begonnen, und den Tag mit einem heiteren Souper zu beschließen. Der Assessor zuckte zusammen, es war eine Stimme darunter, die er kannte. Richtig, da kam der Schwager, sich auf das Ge länder stützend, leichenblaß wie immer, wenn er zu viel getrunken hatte, und sich augenscheinlich bis zum äußersten anstrengend, seine Würde so gut wie möglich zu bewahren. Ihre Blicke begegneten sich, und der Expeditionschef blieb stehen, Walborg mit den Augen verschlingend. Ein „Ah!" entschlüpfte ihm, indem er sich geräuschvoll vordrängte und die Hand schwer aus die Schulter des Assessors legte. „Jetzt begreife ich zur Genüge, warum Du keine Zeit für uns hast."' Die Art und Weise, wie er Walborg fixierte, machte das Blut in den Adern des Assessors sieden. „Willst Du die Güte haben, mich der Dame vorzustellen," fuhr der Expeditionschef mit unsicherer Stimme fort. Der Assessor empfand einen förmlichen Ekel vor dem Schwager und einen dumpfen Groll gegen den Zudringlichen. Walborg hatte sich erhoben; es hatte den Anschein, als sei sie gewachsen, so stolz und hoch aufgerichtet stand sie da. „Ich sah die Herrschaften heute vormitztag zusammen fahren," fuhr der Schivager mit schwerer Zunge fort; „ohne Augen sür irgend etwas anderes, leider. Peder hat uns niemals ahnen lassen, nun, dergleichen behält man ja auch am liebsten sür sich," fügte er mit einem Lächeln hinzu, das, indem es über sein aus drucksloses Gesicht glitt, seine Worte noch beleidigender er scheinen ließ. Wäre er nicht angetrunken gewesen oder mit Paula ver heiratet, hätte der Assessor ihn zu Boden geschlagen. Dem Austritt mußte indessen ein Ende gemacht werden. „Expeditionsches T-, mein Schwager, Fräulein Lilins, Malerin, die mir die Ehre ihrer Gesellschaft zu teil werden läßt," sagte er vorstellend, während der Schweiß aus seine Stirn trat. „Paulas Gatte," das war der einzig klare Gedanke, den Walborg zu fassen vermochte. „Paula, die ihr Bruder so lieb hatte — arme Paula!" „Bringen Sie Champagner," rief der Expeditionschef dem herbeieilenden Kellner zu, „und räumen Sie den Tisch hier nebenan ab." Im nächsten Augenblick hatte die angeheiterte Tischgesellschaft sich so nahe bei Walborg niedergelassen, daß sie nicht umhin konnte, deren halblautes Geflüster zu vernehmen. „Aber er ist ja verheiratet. — Das schadet nichts. Charmante Dame. — Künstlerin. Um so besser, diese Sorte Pflegt's nicht so genau zu nehmen. Auf Reisen. — Ja, wer kennt das nicht. Könnte gar nicht angenehmer sein." Still da sitzen und diese Gespräche mit anhören, sowie die frech bewundernden Blicke der Herren auf sich gerichtet sehen, als hätten sie alle ein Recht an sie, das vermochte sie nicht; aber weggehen und ihnen gleichsam recht geben oder zeigen, daß sie sich fürchte, das vermochte sie ebenso wenig. Sie hatte ihre Hand auf die des Assessors gelegt, um ihn womöglich zu beruhigen; als sie aber sah, daß dies ihr nicht ge lang, und sie einen Skandal befürchtete, da nahm sie seinen Arm und trat an den Tisch, wo der Expeditionsches saß. „Morgen werde ich das Vergnügen haben, Ihre Frau Ge mahlin zu begrüßen," sagte sie mit einer stolzen Neigung des Hauptes, als erweise sie damit ihm und seinem Hause die größte Ehre, die diesem widerfahren könne. Er erhob sich augenblicklich, und die übrige Tischgesellschaft folgte seinem Beispiel, gleichsam durch den befehlenden Ausdruck ihrer Augen dazu gezwungen. Als sie schon fort war, standen sie noch gesenkten Hauptes da, diese Männer, die sich zu den angesehensten des Landes rechneten. Der Assessor behielt Walborgs Arm in dem seinigen, ohne zu wissen, wie hart er denselben drückte. Sie sprachen kein Wort mit einander, sondern gingen nur immer weiter, den mond beschienenen Weg entlang. „Einen Wagen," sagte er, plötzlich stehen bleibend. „Warum nahmen wir nicht einen Wagen?" „Gehen wir!" war ihre ganze Antwort. Körperliche Be wegung schien ihr das einzige zu sein, was ihr das Gleichgewicht zurückgeben könne. Sie gingen schnell, sprachen aber kein Wort unterwegs, und als sie bei dem Hotel, wo Walborg wohnte, angelangt waren, ging er mit ihr hinaus. Sich wie die vorhergehenden Abende vor der Thür mit einem Händedruck von ihr zu verabschieden, wäre ihm heute nicht möglich gewesen. Sie war so aufgeregt, daß sie alles verkehrt airfaßte; als er sich ihr näherte, um ihr das Band ihres Umhangs lösen zu Helsen, das ihre zitternden Finger immer wieder versehlten, da flammte es in ihren Augen auf. „Warum sind Sie hier?" fragte sie, als habe sie ihn erst jetzt bemerkt. Er stand vor ihr, erschreckend finster, fast drohend, wie sie ihn schon manches Mal gesehen — aber plötzlich erhellten sich seine Züge zu jenem sonnigen Lächeln, das sie so bei keinem anderen Menschen gesehen. Es war ihr, als sei der Blitz neben ihr eingeschlagen, und sie mußte eine Stütze suchen, um nicht umzusinken. „Walborg!" Er sagte dies so weich und bittend, daß sie sich dessen noch lange nachher erinnerte. „Geh!" bat sie. „Wir werden uns morgen um ein Uhr — bei Deiner Schwester treffen." „Walborg! Kannst Du verzeihen?" „Geh!" wiederholte sie. Einen Augenblick standen sie einander gegenüber, mit über mächtigen Gefühlen ringend, dann reichte sie ihm mechanisch ihre kalte, zitternde Hand, die er mit heißen Küssen bedeckte. In der nächsten Sekunde — sie wußte selbst nicht, wie es zuging — ruhte ihr Kopf an seiner Schulter, und sie weinte, als sollte das Herz ihr brechen, während er ihren blonden Scheitel streichelte. In dieser Nacht schloß sie kein Auge. Als er gegangen war, saß sie am Fenster. Wie wunderbar schön! Der dunkelblaue, mit Sternen besäete Himmel, das Mondlicht, das auf den Wellen glitzerte, die Türme und Türmchen, die Gebäude, die sich amphi- theatralisch erhoben, und die imposante Fassade des Schlosses im Hintergrund. Wo in der Welt sie auch hiulommen würde, nie würde sie diesen Anblick vergessen! Nic die schöne Malerstadt vergessen, wo sie so glücklich gewesen war. Das Programm für die zwei folgenden Tage war bald ge ordnet, aber sie blieb sitzen, Einkehr in sich selber haltend, ihr Inneres Prüfend und in der Erinnerung jede Stunde noch einmal durchlebend, die sie mit einander verbracht hatten — er und sie, diesen letzten entsetzlichen Abend nicht ausgenommen. Es war so rein und schön gewesen, bas Verhältnis zwischen ihnen. Kein Wort, keine Handlung, kaum ein Gedanke, den sie sich vorzuwerfen hätten, und jetzt war es alles vorbei. „Warum denken die Menschen immer das schlimmste? Ist die Welt wirklich jo schlecht, daß niemand an das Gute glauben kann?" fragte sie sich. Sie hatte geglaubt, dem Gerede und der Neugierde der Menschen Trotz bieten zu können — aber das kann, das darf keine Frau thun. Sie war blind gewesen, oder richtiger, sie hatte nicht sehen wollen — aber jetzt — nachher. — Sie schlug die Hände vors Gesicht. Man wagte es, solches von ihr zu denken! Einige halb angetrunkene Nouäs allerdings, aber sie repräsentierten doch die bürgerliche Gesellschaft, die öffentliche Meinung, dieses unbestimmte Etwas, das die Welt beherrscht. Erst als Peder sie anlächelte — cs waren ja nur ein paar Stunden seitdem vergangen — da erst war es ihr völlig klar ge worden — sie liebte ihn, wie sie nie jemanden geliebt hatte — hatte es vielleicht von dem ersten Augenblick an gethan. Freundschaft! Ein schöner Name nur, eine Verkleidung, die fallen mußte! War ein solches Gefühl zwischen Mann und Weib denn unmöglich? Sie kam nicht zur Klarheit darüber. Vielleicht später, in ferner Zukunft, wenn ein solches Freundschaftsver hältnis so natürlich ist und darum erlaubt wird; dann wundert sich niemand darüber, dachte sie, denn das Hindernis ruft die Gefahr hervor und vermehrt dieselbe. * * * Als der Assessor beim Frühstück mit seiner Schwester zu- sammcutraf, waren ihre Augen rot und geschwollen, als habe sie geweint. „Sixten liegt noch, er fühlt sich nicht recht wohl," sagte sie entschuldigend. Der Assessor atmete erleichtert auf. Es wäre ihm unmöglich gewesen, dem Schwager in gewohnter Weise zu begegnen. „Wie geht es denn Dir?" fragte er mit einer Zärtlichkeit, die ihren Augen beinahe Thränen entlockt hätte. „Gut, wie immer," erwiderte sie und begann mit nervöser Hast Tassen und Teller zu ordnen. Der Assessor war eigentlich bei ungewöhnlich guter Laune, trotz des fatalen Auftritts am vorhergehenden Tage; denn er konnte ihn als Mann ja unmöglich jo unangenehm berühren wie Walborg, und seine Gedanken beschäftigten sich am meisten mit dem, was später geschehen war, als sie, an ihn gelehnt, da ge standen, Herz an Herz, und es der Worte nicht bedurft hatte, um auszudrücken, was beide empfanden. „Fräulein Lilins beab sichtigt, Dir heute einen Besuch zu machen," sagte er am Schlüsse der Mahlzeit. Es war ihm so schwer geworden, die Worte Her- Vorzubringen, die ihm mehr als einmal auf der Zunge geschwebt. „Fräulein Lilius?" Sie starrte ihn an und er bemerkte, wie sie errötete.