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ledigen, schmerzlich zugleich, wie es ja mitunter vorkomint. Außerdem war ich ungewöhnlich gedrückt und verstimmt." „Und Sie versuchten das gewohnte Mittel?" „Ueber der Stadt," fuhr der Assessor fort," hingen schwere, schwarze Wolken, so dunkel und schwer wie der Druck, der auf meinem Herzen lastete. Ich hörte den Donner rollen und sah Blitz aus Blitz herniedersahren; doch ich fuhr weit auss Meer hinaus, das hell und silberglänzend im Mondschein vor mir lag. Wissen Sie, was Lebensfreude ist?" - „In, Golt sei Dank!" Sie blickte ihm voll in die Augen. „Die Freude zu leben, wie auch das Leben sich gestaltet, wie wundert inan sich, dieselbe empfinden zu können, wenn man an sängt, das Dasein in alle seine Einzelheiten zu zergliedern, und doch füllt sie die Seele mit grenzenlosen! Jubel, indem sie eine Ahnung in uns aufdämmern-läßt von dem letzten großen End zweck des Lebens,-^m deswillen„wir geschaffen sind. Ich habe das nie so empfunden, wie in jener Nacht, wo ich das Gefühl hatte, als ließe ich die Finsternis weit hinter mir und ginge dem Licht und der Freiheit entgegen. Noch lange nach jener Nacht fühlte ich mich stark, und darum werde ich sie niemals vergessen. Es ist allein die Natur, die uns solche Stunden schenkt." „Nein, nicht allein die Natur, auch die Kunst," erwiderte Walborg mit strahlendem Blick. „Vielleicht; ich begreife, welche Freude cs sein muß, wenn ein Kunstwerk einem gelingt." „Gelingt? Das ist eigentlich nie der Fall; denn es wird niemals so, wie man es empsnnden, sich's ausgedncht, es gewollt hat. Man ist glücklich, während man die Idee erfaßt, glücklicher noch, während man sie aussührt, denn da glaubt man an feine Befähigung, muß daran glauben, denn sonst lohnte es sich ja nicht, erst zu versuchen." Ihr Antlitz hatte sich belebt, ihre Augen strahlten, und der Assessor dachte, nicht ohne Bitterkeit, die Kunst sei ihr genug, und. ersetze ihr ohne Zweifel, was das Leben ihr versage. „Aber das Ziel wird nie erreicht, anch von dem Besten nicht," fuhr sie fort, und ihre Stimme hatte einen schmerzlichen Klang. „Und wenn es erreicht würde," gab er rasch zurück, „was würde dann aus dem Ideal?" Sie blickte zu ihm auf, es war ein dankbarer, froher Blick. „Sie haben recht! Es kann nicht anders fein. Fühlte der Künstler sich mit seinem Werk zufrieden, würde er immer auf der nämlichen Stufe stehen bleiben." „Wissen Sie, was ich dachte, als ich Sie mein Töchterlein küssen sah?" fragte er. „Ich dachte, Sie hätten eine gute Mutter werden können. — Warum haben Sie nicht geheiratet?" „Ich habe einmal geliebt und habe nicht vergessen können." „Nicht wollen, vielmehr!" „Ich that ihm Unrecht." „Und jetzt wallfahren Sie zu seinem Grabe?" Es lag etwas Spöttisches im Ton seiner Stimme, was sie verletzte. Sie wollte sich entfernen, und hatte sich schon zur Hälfte erhoben, doch er legte seine Hand auf die ihre und sagte: „Bitte, mein Fräulein, bleiben Sie, ich wollte Ihnen ;a nicht' wehe thun." „Es ist spät," sagte sie. „Was wird man von uns denken." „Vielleicht dasselbe, was die Anfwärterin dachte," erwiderte er lachend. Sie zürnte ihm, aber es lag in seinem Lachen ein Etwas, dem sie nicht widerstehen konnte. „Thun wir vielleicht etwas Unrechtes?" fragte er. „Wissen Sie nicht, daß es vieles giebt, das gefährlicher zu thun ist, als etwas wirklich Unrechtes?" „Ich verstehe! Gegen die Konvenieuz, das Schickliche, die Etikette fündigen, gegen alle diese Dinge, die den Menschen daran hindern, wahr und frei zu sein. Wie seid Ihr Frauen einander doch ähnlich! Bewahre, diese Vorschriften übertreten, das wäre ja fchlimnier, als Gott zuwider handeln." Er stand vor ihr mit vor innerer Erregung zuckenden Lippen, und sie begann zu ahnen, wie leidenschaftlich und heftig er sein könne. „Zwingen Sie mich nicht dazu, auch vou Ihnen gering zu denken," sagte er mit verhaltener Stimme. „Ich habe mich vor Frauen gefürchtet und mich dabei nach einem weiblichen Wesen, einem weiblichen Freunde gesehnt. Das war es, was ich von der Ehe erhoffte. — Haben Sie je einen männlichen Freund gehabt?" fragte er jäh. „Nein!" „Natürlich nicht! Das kann ja auch nicht in Frage kommen, so lange Manu und Weib sich nicht als Menschen, sondern nur als Repräsentanten der verschiedenen Geschlechter gegenüberstehen. Haben Sie denn nie das Bedürfnis nach einem solchen Freunde verspürt?" „Ich toüßte nicht!" „Sie haben nicht einmal den Mut, es einzugestchen," siet er heftig ein. „Aber Sie haben doch das Bedürfnis gehabt, ich weiß es! Da haben wir eine der großen Lücken in den Gesetzen der bürgerlichen Gesellschaft. Als Freunde bedürfen Mann und Weib einander, aber niemand wagt es! Es würde ja zu allerlei Geschwätz Anlaß geben. Darum lieber aus das verzichten, was mehr als alles andere zu gegenseitiger Entwickelung und Ver edelung beitragen würde." „Es liegt auch noch ein anderes Hindernis vor," wandte Walborg zögernd ein. „Daß die Freundschaft sich so leicht in Liebe verwandelt, meinen Sie," sagte er lachend. Sie nickte zustimmend. „Die Gefahr, wenn eine solche vorliegt, würde geringer werden, wenn das Verhältnis zwischen den beiden Geschlechtern sich anders gestalten könnte, wenn z. B. gemeinsame Arbeit und Gemeinschaft in rein menschlichen Interessen von Kindheit an ihren Anfang nähmen. Und gerade dieses, daß die Liebe hinter einer solchen Freundschaft als Möglichkeit steht, macht diese noch inhaltsreicher, zarter, intensiver und vor allem weniger selbst süchtig, als zwischen Personen gleichen Geschlechts." Er atmete tief und schwer, um dann fortzusahren: „Als ich heiratete, träumte ich davon, mehr zu finden als eine Geliebte, einen Kameraden nämlich, eine vertraute Freundin, eine Gesellschafterin! Das war eine eingebildete Glückseligkeit! — Jetzt, jetzt weiß ich, wo ich das werde finden können, was mich zu einem besseren, einem glücklicheren Menschen machen würde — Walborg, können Sic — wollen Sie sich über kleinliche Verhältnisse erheben? Wollen Sie mir eine Freundin sein?" Sie schlug die Augen nieder, als blicke sie in ihr Inneres, dann erhob sie dieselben zu ihm und erwiderte mit fester Stimme: „Ja — ich will!" „Aber das Geschwätz der Leute müssen Sie mit in den Kans nehmen." „Ich weiß das." „Und?" — Er jagte nur das eine Wort, aber sie verstand ihn und errötete tief, als sie ihm die Hand reichte, die er an seine Lippen drückte. Eine Nacht auf dem Krankenlager oder neben demselben — eine Nacht in Digst und Verzweiflung durchwacht — wie lang und entsetzlich! Aber eine unserer nordischen Sommernächte, wo die Dämmerung sich fast uumerklich herabsenkt, und das Abendrot mit der Purpurglnt des anbrechenden Tages zufammenfließt — wie wunderbar kurz und herrlich ist dieselbe. Still und schweigend liegt die schlummernde Natur da. Kein Windhauch kräuselt die See, in der die Ufer sich spiegeln, oder rauscht iu deu Wipfeln der Bänme. Ueber den Bergen liegt ein leichter bläulicher Nebel, der, die Umrisse verbergend, das Auge täuscht und entzückende Scene- rieen hervvrzaubert — eine Traumlandfchast, die nur in der Ein bildung existiert. Die Dämmerung weicht immer mehr dem kommenden Tage. Eine Lerche erwacht und weckt ihren Nachbar. Ein leises Ge zwitscher — eine Frage — ein Morgengruß! Nein, es war zu früh, sie schlafen wieder ein, die kleinen Dinger, das Köpfchen unter dem Flügel, und es wird wieder still, so still! Aber jetzt, jetzt flammt es im Osten! Es glüht hinter den leichten Wolken schichten — ein Strahl bricht hindurch. Die Berg gipfel färben sich rosenrot, goldig, die Natur erwacht mit einem Schlage, es rauscht in den Baumkronen, die Wasserfläche kränselt sich, und die Lerchen jubeln um die Welte über den blumenbesäten und mit zahllosen glitzernden Diamanten bestreuten Wiesen. Die Räder des großen Uhrwerks der Arbeit haben sich wieder in Be wegung gesetzt. Die Spinne webt ihr Netz, die Ameisen schleppen ihren Strohhalm herbei, der Vogel baut sein Nest, und der Mensch nimmt nach der kurzen Nachtruhe von neuem den Kampf ums Dasein, die Arbeit des Tages auf. Die meisten Passagiere waren auf daS Verdeck gekommen, um die Einfahrt in den Hafen von Stockholm zu genießen; cS war sehr lebhaft an Bord. Meinungsäußerungen, Fragen und Antworten oder Ausdrücke der Bewunderung kreuzten einander. Je mehr die Nacht vorgerückt war, desto mehr war auch das Gespräch zwischen dem Assessor und Walborg ins Stocken geraten, aber in die Kajüte zu gehen, daran dachte keiner von den beiden. Er hatte diese Fahrt früher gemacht, sie niemals, und es machte ihm Frende, ihr über die verschiedenen Punkte, die man Passierte, Auskunft geben zu können; wenn sic aber am tiefsten empfand, schwieg sie immer, und die Schönheit der Sommernacht wirkte überwältigend auf ihr empfängliches Gemüt. Ihre Augen waren feucht — sie fühlte sich so unbeschreiblich glücklich, zugleich aber auch lies beklommen. Auch er war keineswegs unempfänglich für die Schönheit der Natur, seine Gedanken bewegten sich aber doch meist um seine