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Politische Rundschau. Tie cknnesrschen Wirre«. * Die Entwickelung der Dinge in Edina macht neuerdings augenscheinlich sehr dürf tige Fortschritte, und es zeigt sich, wie berechtigt die Ansicht war, daß der endliche Ab schluß der Verhandlungen noch in weitem Felde stehen dürfte. Jetzt ist unter den Gesandten eine Meinungsverschiedenheit über die mit dem Tode zu bestrafenden hohen chi nesischen Würdenträger ausgebrochen. * Nach einer Meldung aus Schanghai ist Rußland angeblich bereit, die Mandschurei an China zurückzugeben und auf eine Kriegsentschädigung zu verzich ten. (Schließlich wird wohl Rußland noch etwas zuzahlen.) * Berittene Räuber (darunter auch euro päisches Gesindel) ungefähr 2000 an Zahl, darunter Deserteure aller Nationen, bedrohen die Eisenbahnverbindungen; eine britisch-deutsche Expedition ist gegen sie abge sandt worden. *Ein „Polizeikrieg" gegen verein zelte irreguläre Rotten, das wird immer mehr die Signatur der militärischen Vor gänge im Reiche der Mitte. Nirgends ein Feind, der ernst zu nehmen wäre, kein einziges Gefecht, das diesen Namen verdiente, und doch viel anstrengende Säuberungsarbeit für die europäischen Kontingente. * Die Chinesen drehen jetzt den Spieß um; chinesische Blätter veröffentlichen eine lange Liste von Namen derjenigen Orte, die von fremden Truppen ausgeplündert worden seien, und verlangen Schaden ersatz. Deutschland. * Nicht nur Kais er WiIhelm ist durch die englische F eld m ars ch all s w ürd e ausgezeichnet worden, sondern auch der deutsche Kronprinz empfing einen Freundschaftsbeweis seines Großonkels, indem ihm König Eduard den Hosenbandorden verlieb. *Die Nachricht, daß der Kaiser seine Unzufriedenheit darüber ausdrückt habe, daß weder der Reichstag noch der Preu ß. Landtag beim Eintreffen der Nachricht vom Tode der Königin Viktoria zum Zeichen der Trauer ihre Sitzungen anigehoben haben, be stätigt sich. Indessen wird daraus hingewiesen, daß der Reichstag auch nach der Ermordung des Zaren Alexander II. seine Sitzung nicht auigeboben habe, obwohl auch dieser Zar ein naher Verwandter des regierenden Kaisers und ein Konservativer damals Präsident des Reichs tags war. * Das Admiralsschiff „Baden" hat nach Ein schiffung des Prinzen Heinrich und Hiffung der Admiralsflagge die Fahrt nach England angetreten. Der Küftenpanzer „Hagen" iolgt, sobald die Durchschlensung deS Admiralsschiffs in Holtenau beendet ist. *Der Bundesrat hat die Steuerquote im S ch a n m w c i n g e s e tz mit 20 Pf. für Obst wein, 40 Pf. für Schaumwein, der auf Faß gezogen, und 60 Pf. für solchen, der auf Flaschen gezogen ist, festgesetzt. *Für eine Berliner Handelskam mer haben sich 10 000 firmenberechtigte Kauf leute und Industrielle in Berlin ausgesprochen. * Das Zentrum hat im Preuß. Abgcordneten- hause beantragt, die Regierung zu ersuchen, als bald einen Gesetzentwurf über das Wasserrecht vorzulegen, welcher insbeson dere die Beseitigung der zunehmenden Ver unreinigung der Flüsse und Bäche durch die Abwässer industrieller Werke er möglicht. ^Die diesjährige Generalversamm lung der Katholiken Deutschlands wird in Osnabrück stattfinden. *Der GouverneurdesKiautschou- g e b i etes, Kapitän zur See Jäschke, ist am Sonntag im Alter von 50 Jahren ge storben. Jäschke war im Oktober 1898 nach der plötzlichen Abberufung des Kapitäns zur See Rosendal zum Gouverneur des deutschen Schutzgebietes ernannt worden. Schon vor längerer Zeit erkrankte Jäschke und mußte auf Urlaub zur Erholung nach Japan gehen. Frankreich. *Der Bischof von Nizza, Chapon, lehnte das ihm vom Ministerpräsidenten Waldeck- Rousseau verliehene Ritterkreuz der Ehrenlegion unter Hinweis auf die gegen wärtigen politischen Verhältnisse ah. Schweiz. * Das internationale Friedens- büreau in Bern hat an den König von England ein Schreiben gcrichtit, worin es ihm zum Tode der Königin kondoliert und unter Hinweisung auf den Tran-vaalkrieg den Wunsch ausdrückt, daß unter der Regierung des Königs eine Aera des Friedens beginnen möchte. Kapitä» zur Kee Jäschke * Nach der eidgenössischen Volkszählung vom 1. Dezember 1900 wird der Schweizer Nationalrat künftig t67 statt 147 Mit glieder zäblen, wenn wie bisher ein Vertreter aut je 30 000 Seelen gewählt wird. In der Schweizer Presse wird nun angeregt, die Zahl der Nationalräte zu vermindern, bezw. die Ver tretungsziffer zu erhöhen. Das geistige Dmch- schnittsmaß des Nates und die Gründlichkeit der Verhandlungen, so wird ansgesührß könnten dadurch nur gewinnen. Es wird daran erinnert, daß im Jahre 1847 bei den Beratungen über die Bundesverfassung in der Revisionskommission die Vertretungsziffer 30 000, ja sogar die Ziffer 50 000 genannt wurde. England. * König Eduard verlieh dem Kaiser Wilhelm, der schon den Hosenband Orden besitzt, die Diamanten zu diesem Orden. Wie die Londoner Blätter melden, sind dem Kaiser die Diamanten.zum Hosenband-Orden noch auf Befehl der verewigten Königin Viktoria verliehen worden, welche beabsichtigt hatte, dem Kaiser an seinem Geburtslage diese Auszeichnung zukommen zu lassen. Holland. *Die geplant gewesene Reise des Präsidenten Krüger nach Berlin scheint doch noch zur Thatsache werden zu wollen. Ein in Berlin wohnender früherer Bocrenkämpfer erhielt aus dem Haag die Nachricht, daß der greise Transvaalpräsident demnächst den Städten Hamburg und Altona einen Besuch abstatten und bei dieser Gelegen heit einen rein privaten Abstecher nach Berlin unternehmen werde. Spanien. *Nach dem Madrider ,Liberal ist vor eini gen Tagen im Park von Manzanares, als der junge König im Nachen über den Teich fuhr, vom Ufer her ein Schutz abgefeuert worden, dessen Kugel gegen den Bord des Fahrzeugs schlug. *Der hervorragende Karlistenführer Baron Sunes wurde in Saragossa ermordet aufgefunden. Balkanstaaten. *Die serbische Skupschtina nahm einen Gesetzentwurf über die Reform des Richterstandes an, wonach die Richter unabsetzbar und unversctzbar sein sollen. Sie werden fortan von einem Kollegium, bestehend aus den höchsten Richtern des Landes, dem Justizminister und dem Dekan der juristi schen Fakultät der Hochschule, gewählt und dem Könige zur Ernennung vorgeschlagen. Afrika. *Vom südafrikanischen Kriegs schauplatz sind im Haag bei der Umgebung Krügers bestimmte Nachrichten eingetroffen, wonach Delarey im Begriff steht, inNatal einzufallen, während eine starke Boeren- abteiluna sich der Delagoabahn be mächtigt. * lieber die Operationen im Kap lan d e hat Kitchener nichts zu melden, offenbar, weil er von der telegraphischen Verbindung mit dem Kaplande abgeschnitten ist. Aus dem Reichstage. Der Reichstag setzte am Montag die Beratung des Etats des Neichsamts des Innern (Titel Staats sekretär) fort. Die Debatten drehten sich, abgesehen von einigen zwischendurch besprochenen praktischen Einzelfragen, nm allgemeine sozial- und wirtschafts politische Erörterungen. Nm 29. d. wirb die Beratung des Etats des Reichsamts des Innern, Titel „Staats sekretär", fortgesetzt. Abg. Fürst Bismarck will nur noch „einige Worte zur Abwehr" reden. Er teile durchaus die Ansicht der ,Freis..Ztgch datz eine solche Art der Debatten führnng nicht wünschenswert sei. Alles, was in den letzten Tagen über die'Wirtschaftspolitik gesagt sei, habe man schon vor 20 Jahren gehört und werde man im April oder im November, je nachdem die Zollianfvorlage erscheine, nochmals hören. Und Rechts und Links würden einander doch nicht überzeugen, denn diese Frage sei zur Fraktionssache, zur Parteisache geworden. Redner wendet sich dann hauptsächlich gegen den Abg. v. Siemens. Wäre die Freihandels-Doktrin richtig, so müßte sie doch werbende Kraft haben. Aber gerade die Schutzzollpolitik mache Fortschritte, io besonders in Amerika und Rußland, zum Nachteil unseres Exports. Der Satz, daß das Ausland zum Tei! den Zoll trage, lei durchaus richtig, denn die Zölle drückten den Weltmarktpreis herab- Wenn Siemens den Landwirten empfehle, vom Getreidebau zur Viehhaltung überzugehen, so übersehe er da, welche bedauerliche Bedeutung die Maul- und Klauenseuche habe, und wie sehr die freihändlerische Linke selbst energischen Abwehrmittcln gegen die Seuche Widerstand leiste. Wenn Herr Fischbeck das Vertrauen der Bauern in der Altmark und deshalb eine Belehrung von ihm nicht nötig zu haben glaube, so möge sich doch Herr Fischbeck einmal in den Wahlkreisen der Herren Himburg und Kroecher aufstcllen lasten; er werde ja dann sehen, wie es mit diesem Vertrauen stehe. Wenn man immer von Brotwucher rede, den könnten doch nur Bäcker treiben, bei Großgrundbesitzern könnte doch höchstens von Getreidewucher die Rede sein. Abg. Pachnicke (fr. Vp.): Auch Fürst Bis marck ist wieder vom Hundertsten ins Tausendste - gekommen. Von der konservativen Seite haben jeyt drei Mann hintereinander gesprochen. Es versteht sich von selbst, daß wir dann auch zum Wort ge zwungen sind. Im Innern können Sie zwar.eine Warenhaussteuer machen, aber mit Handelsverträgen müssen Sie vorsichtig sein, denn da können Sie unter Umständen unsere Warenausfuhr unterbinden, und das gebt an die Nieren! Wenn Sie etwa die Beratung des Zolltarifs überstürzen wollen, so erklären wir Ihnen, wir werden uns an einer ganz genauen Prüfung des Tarifs nicht hindern lassen. Der Haudclstag hat ein Bekenntnis zu der Handels vertragspolitik ' abgegeben, wie es deutlicher nicht sein kann. Und vor allem beruft ich mich auf das Zeugnis der modernen Wissenschaft, die in dieser Frage auf unserer Seite fleht. Herr Singer sprach gestern von der schwächlichen Haltung der liberalen Bürgerschaft. Ich weiß nicht, ob gerade Herr Singer ein Recht hat, davon zu sprechen. Innerhalb der Sozialdemokratie gerade sind die Meinungen über die Schutzzollpolitik sehr geteilte. Leider sehen wir in dieser Frage die Nationalliberalen nicht aus nnftrcr Seile. Redner geht dann noch auf die Ver hältnisse in der Landwirtschaft ein. Pros. Conrad, gewiß eine Autorität, erkläre, die Lage Ser Land wirte werde über Gebühr pesftmiftych beurteilt. Gegen die Verschuldung Helsen auf die Dauer auch die Zölle nicht, da hilft nur eine große Maßregel, die innere Kolonisation. Redner schildert schlietzlich die Belastung der einzelnen durch die Kornzölle und verweist endlich auf eine Schilderung Treitschkes von den Zuständen in Frankreich vor "der großen Revolution. Abg. Oertel-Sachsen (kons.) stellt in Abrede, daß die Wissenschaft auf seiten des Freihandels stehe. Zugeben könne er auch keinesfalls, daß ein Professor wissen kötkne, wo dem Landwirt der Schuh drückt. Sozialdemokratie, freisinnige Volkspartei und freisinnige Vereinigung bildeten den großen Heer bann zur Bekämpfung des Brotwuchers, aber mit der Einigkeit innerhalb dieser Phalanx sehe eS schlimm aus. Die Sozialdemokratie freilich müße freihändlerisch sein, da der Freihandel den Bauern stand bankrott machen und die Revolution herbei führen werde. Zu dem Artikel des .Vorwärts' zum 18. Januar bemerkte er abschließend, das günstige Urteil der Geschichte über die Hobcnzollern werde noch seststehen, wenn die Sozialdemokratie längst ver gessen sein werde. Abg. Gerstenberger (Zentr.) sucht haupt sächlich darzulegen, wie groß das Interesse auch der Kleinbauern an den Getreidezöllen sei. Abg. Fischbeck (fr. Vp.) stellt dem Fürst« Bismarck gegenüber fest, daß der größte wirtschaft liche Aufschwung, den Deutschland genommen HÄte, nicht von 1879 datiere, sondern in die neunziger Jahre falle und den Handelsverträgen zu verdanken sei, der Cavrivischen Handelspolitik. Das Wort v»m Brotwucher habe zuerst Kaiser Wilhelm gebraucht. Er selbst sei seiner Zeit in einem altmärkischen Wahl kreise nur unterlegen durch die unerhörten Wahlbe» einflussungen der Junker. Wie komme Fürst Bis» marck dazu, ihm solche Vorhaltungen zu machen! Derselbe fei doch nur der Sohn seines VaterS. Die Zukunft werde lehren, hinter wem in dieser Froge die Bauern ständen. Abg. Bebel (soz.) wendet sich gegen Stöcker» Behauptung, ec (Bebel) habe den Tucker-Brief er funden. Ein Abgeordneter, der, wissend, daß eine Tchatioche erfunden ist, sie hier vorbringe, fei ein elender Kerl. Ein Abgeordneter aber, der so etwa» von einem andern Abgeordneten behaupte, sei ein insamer Kerl. Was den Morwärts'-Artikel anlange, so dabe dieser weiter nichts gethan, als geschichtliche Urteile über Hohenzollern-Fürsten veröffentlicht, und zwar auch nur auf Provokation durch den Byzanti nismus, der sich in andern Blättern zum 18. Janunr breit machte. Alle jene Urteile stammten von bürger lichen Geschichtsschreibern, die aber der Wahrheit die Ehre gegeben hätten. Redner verbreitet sich dann über die Agrarfrage, die Löhne auf dem Lande und die Hörigkeit der Landarbeiter. Ganz besonders kn den altmärkischen Wahlkreisen seien die Arbeitslöhne erbärmliche. Hieraus wird ein Antrag auf Schluß der Debatte angenommen, woraus noch zahlreiche persönliche Be merkungen folgen. Der Titel „Staatssekretärgehatt" wird genehmigt. Die Abstimmung über die Resoluiioncn wird vertagt. Vr«utzifcher Kandtag. . Nm Montag wurde im Abgeordnetenhause ein Antrag Herold (Zentr.) betr. die Einrichtung öffent licher Schlachtviehversicherung als Ergänzung deS Ncichsgeickes angenommen. Sodann wurde der Titel „Ministergehalt" weiter diskutiert. Hierbei wurde eine Anzahl landwirtschaftlicher Spezialsragen besprochen. Finanzminister v. Miguel erklärte auf eine Anfrage, ein Gesetzentwurf betr. die Besteuerung des Saccharins werde noch in dieser Saison dem Reichstage zugehen. Das Abgeordnetenhaus setzte am Dienstag die Beratung des Landwirtschastsetats fort und erledigte den Titel „Ministergchalt". Minister v. Hammer, stein versicherte, daß das neue Weingesetz noch in dieser Session dem Reichstag vorgclegt werden s»L Auf eine Anfrage des Avg. Glattfeiter (Zentr.) wurde vom Regierungstilch erwidert, daß die Vorarbeiten für ein Fidcikommißgesetz auf wirtschaftliche und juristische Schwierigkeiten gestoßen seien, und die Bar lage des Gesetzes in dieser Session nicht mehr werde erfolgen können. Usu Ralf und Fer». Vom Wetter. Aus allen Teilen des Reiches gehen Nachrichten ein über heftige Schneegestöber und starke, vielfach mit Gewittern verbundene Stürme, die mehrfache Verkehrs störungen herbeiführten. In ganz Ostfriesland herrschte Sonntag nachmittag und während der Nacht heftiger Sturm mit Gewitter. Die Stadt Leer und Umgegend wurde von heftiger Sturm flut heimgesucht. Der größte Teil der Stadt, ebenso die Schleuseuanlage, stehen unter Wasser. Man fürchtet, daß die Schleusemnaschinen stark beschädigt sein werden. KeimaLl'os. Lü) Roman von C. v. Zell. (ForUldung.) Sie hörten es deutlich genug. Sie hörten auch, wie Lere jammerte: „Vaier, Vater! O, geh' nicht von nur! Hilfe, Hilfe, mein armer alter Vater stirb!!" „Es ist eine Finte!" rief Zehrmann den auihorchendcn zweien zu, die aus Tobbi knieten und iVm die Hände zu binden suchten. „Glaubt es nicht! Die hübsche Hexe will euch mit List besiegen, nun sie sieht, daß ihr doch stärker seid, als ihr sauberer Schatz. Laßt nicht ab, bindet ihn, schleppt ihn vor die Thür." In der Kammer nebenan war es plötzlich ganz still geworden, auch Tobbi regte sich nicht mehr. Stumpf und willenlos lag er da. Er dachte nur noch an die Lene . . . neben der Leiche ihres alten Vaters; denn er wußte, daß es Wahrheit war, was des Mädchens Jammer laute verraten hatien. Er wußte, daß Anskat in diesem schrecklichen Augenblick gestorben war. Man stellte den Ueberwundenen auf die Füße und machte sich bereit, ihn fortzu- führcn. „Es ist ein eigentümlicher Zufall," sagte Wilkeneit halb zu sich, halb zu dem Gerichts diener, „hier auf dieser selben Stelle — nur stand dama s noch kein Haus und kein Baum hier! — habe ich vor mehreren Jabren den Tobbi Twonschack schon einmal verhaftet. Da mals lastete auf ihm der Verdacht, seinen Vaier ermordet und hier auf der Palwe eingescharrt zu haben. Und mit dem Einscharren halte es auch seine Richtigkeit. Das wegen des Mordes ist unklar geblieben." Tobbi sah den Sprecher mit einem so durch dringenden Blick an, daß dieser unwillkürlich die Äugen zu Boden schlug. „Der Herr Amtmann könnte mich und meinen Arrestanten Wohl begleiten," sagte er. — „Es ist besser, wenn dem Dvortschack zwei gegen über stehen." Diese letzten Worte waren an den Gerichts- beamten gerichtet, der nun das amtliche Siegel auf das beschlagnahmte Gut zu legen hatte. „Wahrhaftig — tot!" sagte dieser, die Kammer betretend und in die starren, wachs bleichen Züge des alten Auskat blickend. „Das Mädchen daneben auf der Erde ist wohl auch gestorben. Himmel, ist das ein Tag! Golt behüte uns in Gnaden vor ähnlichem!" Er bückte sich, hob das regungslose Mädchen vom Boden auf und legte es auf ein zweites, in der Kammer stehendes Bett. „Sie ist ohnmächtig!" sagte er dabei, er leichtert ausatmend. „Das arme Kind! Ja, ja, es ging scharf her da drinnen in der Stube — und derweilen that der alte Mann da seinen letzten Atemzug; wahrhaftig, dabei können einem wohl die Sinne vergehen." Einige Tage späie.r, zu abendlicher Stunde, stand eine tier Verhüllle Frauengestalt vor dem Besitzer der größten Gastwirtschaft in der Kreis stadt des Bezirkes und fragte schüchtern: „Ob der Herr Blankenstein wohl Arbeit und Obdach für sie habe?" Der Angeredete, ein ehrenhafter und menschen freundlicher Mann, sah von seinen Kontobüchern auf und der Sprecherin einen Augenblick forschend in die Augen. Dann sagte er, ihr die Hand zum Gruße hinreichend: „Und es ist doch so! Du bist die Lene Anskat aus Pergitten! Nicht wahr?" Sie nickie nur. Es that ihr wohl, daß der Herr Blankenstein sie cr'annte, wenn schon sie eigentlich lieber unbekannt bleiben wollte und auch sicher gedacht hatte, es würde uiemand sie erkennen in diesen abgetragenen Kleidern, die nicht einmal schwarz waren, wie es sich wohl für die trauernde Tochter geshickt hätte — und mit den blassen Wangen, den hohlen Augen, aus denen jetzt ein Strom von Thränen her vorstürzte. „Gewiß habe ich Arbeit und Obdach für dich, Lene!" sagte Herr Blankenstein freundlich. „Weine nicht, Kind. Ich führe dich zn meiner Frau — sie soll dich anstellen, in Haus, Hof, Küche oder wo sonst es ihr beliebt. Ich weiß, du bist eine fleißige, tüchiige Marielle; wo man dich hinstellt, da bist du auch am Platze." „Wie gut Sie zu mir sind!" sagte Lene. „Vielleicht wissen Sie nicht . . ." „Ich weiß alles. Glaubst du, Kind, daß solche Dinge, wie die, welche sich auf der Palwenkate zugetragen haben, hier im Städt chen unbekannt bleiben konnten?" „Und der Tobbi?" fragte die Lene kaum hörbar. „Ist er hier? Hat man ihn ins Ge fängnis gesteckt?" „Ja," sagte der Gastwirt achselzuckend, „das war nicht anders möglich. Sein Gewaltakt gegen den Amtmann und seine offenbare Wider setzlichkeit gegen den Gcrichtsdiener konnten un möglich ungestraft bleiben." „Stina Jakubeit sagt, sie würden den Tobbi aufhängen," schluchzte Lene, „oder doch lebens länglich gegangen halten." „Unsinn!" rief Blankenstein. „Altweiber geschwätz. Ein paar Wochen wird er wohl wieder brummen müssen, der allzu hitzige Palwen- kätner, und nachher..." Lene wiederholte in höchster Spannung diese beiden letzicn Worte, wie eine Frage, von dere» Beantwortung Leben oder Tod für sie abhing. „Nachher," fuhr Blankenstein fort, „wird es von dem Ausgang des Zivilprozesses abhängen, den Zehrmann gegen Dvortschack angestrengt hat, ob und was diesem von seinem Grundstück' ab- oder zugesprochen werden wird. Die An gelegenheit soll ziemlich kompliziert sein. Ich merke es daran, daß die Herren Richter und An wälte sich Abend sür Abend über den Ausfall dieses Nechtsmlles streiten. Es kann eine gute Weile dauern, bis das Urteil spruchreif wrd; aber ans Leben geht es dem Tobbi nicht, darüber kannst du ruhig sein." Verdingen wollte Lene sich nicht. Gegen Taglohn und Kost — vor allen Dingen gegen Obdach — wollte sie arbeiten, was und so viel man voy ihr begehren werde. „Aber ich binde mich nickt auf lange Zeit im voraus!" sagte sie fest und bestimmt. Fran Blankenstein schüttelte den Kopf. „Da guckt die ehemalige Prinzessin von Per gitten durch," sagte sie zu ihrem Manne. „Der alte Bauernstolz ist nicht klein zu kriegen. Die Lene sollte froh sein, in unserm Hause einen guten, festen Dienst zu finden, anstatt wie der Vogel auf deni Dache gewärtig zu sein,