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Allgemeiner Anzeiger : 09.01.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190101095
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19010109
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1901
-
Monat
1901-01
- Tag 1901-01-09
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Monat
1901-01
-
Jahr
1901
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 09.01.1901
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Politische Rundschau. Die chinesischen Wirren. * Die Friedensaussichten scheinen «un doch wohl greifbare Gestalt an nehmen zu wollen. Die beste Bestätigung bildet ein Telegramm, welches die Gräfin Waldersee in Hannover am Neujahrstage von ihrem Gemahl erhalten hat, und welches lautet: „EndlichAussichtaufFrieden. Hurra!" Diese paar Worte des Oberst kommandierenden besagen mehr als lange Ab handlungen. *Die Gesandten in Peking haben in einer am Dienstag abgehaltenen Zusammen kunft beschlossen, auf Fragen der chinesischen Regierung in betreff der Forderungen der Mächte nicht zu antworten, solange die chinesischen Unterhändler deren Annahme nicht in aller Form unterzeichnet haben. Inzwischen werden die Gesandten eine Denk schrift vorbereiten, in der auseinandergesetzt wird, was nach ihrer Meinung zu geschehen hat in Sache der B e st r a f u n g e n oder sonst, um die Aussührung der gestellten Be dingungen zu sichern. * Zwischen Rußland und China ist, wie die.Times' melden, ein Uebereinkommen geschlossen, demzufolge die Provinz Fengtien in der M a n d s ch u r ei von den Russen fortan militärisch besetzt bleiben soll, während die Chinesen unter russischem Protektorat die Zivilverwaltung übernehmen. Ob es sich um einen vollzogenen Vertrag handelt, ob man er^t in den Vorverhandlungen steht, oder ob die ,Times' nur Schreckgerüchte als Versuchsballon auistr'gen lassen, ist noch nicht ersichtlich. Un möglich ist aber ein Sonderabkommen zwischen den beiden Mächten keinesfalls. * Die französischeExpedition des General« Bailloud, der nach Schingtingiu ab- geaangen war, um dem dort von regulären chinesischen Truppen bedrohten Obersten Guillei zn Hilie zu kommen, ist jetzt beendigt. Die Chinesen haben ohne Kampf dieFlucht ergriffen. Deutschland. * Prinz Heinrich arbeitet seit Mittwoch in Berlin im Auswärtigen Amt, um mit dem Gange der Geschäfte der äußeren Politik sich vertraut zu machen. Später soll er in die Geschäfte der inneren Politik eing-sübrt werden. Auch der Kronprinz Friedrich Wilhelm soll demnächst in die Staatsgeschäste eingeiührt werden, wie dies bekanntlich auch bei seinem Vater als Prinz Wilhelm der Fall war. * Eine ganze Reihe von Qrdensaus- zeichnungen für das chinesische Ex peditionskorps ist dem Vernehmen nach enolgt. Unter anderem hat der ausscheidende Generalmajor v. Hoepfner den Roten Adlerorden 2. Klasse mit Schwertern erhalten. Durch diese Verleihung erledigen sich auch die Vermutungen, die an seinen unerwarteten Ab gang geknüpft wurden. Herr v. Hoepfner soll bereits krank in Tientsin angekommen und als bald zu seiner Herstellung nach Japan ge gangen sein. *Das Befinden des Preuß. Finanz- ministers v. Miguel hat sich soweit ge bessert, daß er die Arbeiten in vollem Umfange wieder ausgenommen hat. Doch hat ihm der Arzt noch Schonung empfohlen. *Ein preuß. Lehrertag soll im Laufe dieses Jahres einberufen werden, da ver schiedene brennend gewordene Schul- und Lehrer fragen allgemeiner Erörterung bedürfen, z. B. Lehrerbildung, Lehrermangel und Präparanden- Anftalten, Durchführung des Besoldungs gesetzes ec. Seit seinem nun bald dreißigjährigen Bessehen hat der Preuß. Lehrerverein, der gegenwärtig nahezu 50 000 Mitglieder zählt, erst einmal getagt und zwar aus Anlaß des damals vorliegenden v. Goßlerschen Schulgesetz entwurfs in der Weihnachtswoche 1890 in Magdeburg. Oesterreich-Ungarn. * Die Streikbewegungin Böhmen scheint nun doch in Gang zu kommen. Behufs Durchsetzung der Forderung der Acht stundenschicht haben die Belegschaften in den Schächten des Brüxer, Duxer und Ober- leutensdorter Reviers am Donnerstag die Arbeit teilweise oder ganz eingestellt. Auch die Ar beiter der ersten öfter reich scheu Jute-Spinnerei und Weberei in Florisdorr bei Wien haben wegen Lohndifferenzen die Arbeit eingestellt. *Wie ans Budapest berichtet wird, werden F r e i w i l l i g e für den T r a n s v a a l k r i e g auch in Ober-Ungarn, besonders in dem ZipserKomitat durch englische Agenien angeworben. Jedem Freiwilligen werden 600 Gulden Hand geld versprochen. — Neulich wurde schon etwas ähnliches aus Siebenbürgen gemeldet. Frankreich. * Die Freisprechung des Majors Cuignet durchden militärischen Untersuchungs- rat hat in französischen Regiernngskreisen arg verstimmt. Jedenfalls beweist der Frespruch, daß das O snier'orps zum großen Teile der Negierung feindlich gegenübersteht. — Der sozialistische Deputierte Rouanet erklärt in der ,Petit Republique', die Freisprechung sei ein bedenkliches Zeichen für den unter den Offizieren herrschendenGeist. Auf eine solche Herausforderung könne die re publikanische Partei die Antwort nicht schuldig bleiben. Die Liga der republikanischen Aktion habe beschlossen, in allen Stadtvierteln von Paris, sowie in zahlreichen Devartements Orts gruppen zu gründen, um die nationalistische Agitation zu bekämpfen. * Aus guter Quelle wird übrigens berichtet, daß der Kriegsmimster eine ganze Reihe hoher Offiziere wegen ihrer politischen Ansichten demnächst aus der Armee ent fernen will. Unter denselben sollen sich auch mehrere Armeekorps-Kommandanten befinden. Diese Offiziere sollen sämtlich zur Disposition gestellt werden. England. *Feldmarschall Roberts ist am Donnerstag in London angekommen. Auf dem Bahnhof wurde er vom Prinzen von Wales und dem Herzog von Aork unter den Klängen der Nationalhymne bewillkommnet. Bei seiner Fahrt in die Siadt begleitete ihn die Menge mit begeisterten Zurufen. (Nach den Wandlungen aus dem Kriegstheater liegt kaum ein Anlaß zur „Begeisterung" vor.) Spanien. *Die Ministerkrisis wird nach Mel dungen aus Madrid als vertagt bezeichnet, da die Frage der Marinevorlage gemäß den Wünschen des Marineministers erledigt werden würde. Portugal. * In der Thronrede zur Eröffnung der Cortes gedenkt der König der engen Allianz zwischen Portugal und Eng land. Sodann beschäftigt sich die Thronrede mit der Finanzsrage. Die schwebende Schuld sei durch die aufeinanderfolgenden Defizitjahre gestiegen und der Papierumlauf habe bereits die äußer st e Grenze erreicht; die Verpflichtungen der Gastfreundschaft hätten ebenfalls die Schuldenlast erhöht. Die allge meine wirtschaaliche Lage der Nation habe sich ja vollständig gehoben, aber das Budget balanciere nicht. Die Staatsverwaltung dürfe keine Verpflichtungen einqehen, welche die Hilfsquellen des Staatsschatzes nicht leisten könnten, und das ganze Finanzwesen müsse vereinfacht werden. Balkanstaatcn. *Der serbische Oberst Simono witsch, der am 1. d. wegen Veruntreuung von Amtsgeldern verhaftet worden war, hat sich im Gefängnis erschossen. Durch die Untersuchung wurde festgestellt, daß Simo nowitsch als Leiter der geographischen Abteilung des Kriegsministerinms einen größeren Betrag veruntreut hat; er hat sich jedoch keinerlei poli tischen oder hochverräterischen Vergehens schuldig gemacht. Afrika. * Die Nachrichten aus der KapkoIo nie lauten täglich schlimmer und lassen erkennen, daß die eingedrungenen Boeren aus dem Wege sind, bis in das Herz des Landes zu gelangen und von der stamm verwandten Bevölkerung starken Vorschub er- sghren, ohne daß die englischen Streitkräfte t-hig und zahlreich genug zu sein scheinen, den Fonschritten der beweglichen und zweifellos wohlversehenen Gegner Einhalt zu thun. Um sich „konzentrieren" zu können, lautet eine Meldung aus Kapstadt, haben die englischen Truppen Jagersfontein und Faure- smilh geräumt. Die englischen Be wohner beider Orte wurden nach dem englischen Lager bei der Edenburg - Road Station ge schafft. „Die Zurückziehung der Truppen von so entlegenen Ortschaften nach einem Sammel punkt setzt die Behörden in den Stand, sowohl mit ihren Streitkräften wie mit den Transport mitteln sparsamer umzugehen." * Für die Unterstützungen, die den Boeren aus der Kolonie selbst zukommcn, spricht es, daß nach einer Meldung aus Kapstadt eine Anzahl Kisten, die in Fräserburg Road mit Beschlag belegt wurden und mit der Ausschrift „Kondensierte Milch" nach Fraserburg adressiert waren, 3000 Patronen, 500 Zündhütchen und 150 Pfund Dynamit enthielten. Gm englisches Tauschgeschäft. Ein Artikel im.United Service Magazine' schlägt vor, daß England Cypern für Deutsch- Ostasrika austauschen solle, und zwar aus dem Grunde, daß ein Teil der Kap—Kairo-Bahn unier den gegenwärtigen Verhältnissen durch ein fremdes Territorium laufe und der un gestörte Verkehr auf derselben von der Gnade einer fremden Macht abhängig sei. Damit sei jeder strategische Wert der Bahn von vorn herein zunichte gemacht und auch der Wert für den Handelsverkehr sei dadurch ein sehr viel geringerer. Der Besitz von Cypern sei iür England immer von etwas zweifelhaftem Wert gewesen, obwohl vor der englischen „Besetzung" von Aegypten die Insel noch den Vorteil ge boten hätte, daß England in der Nähe des Suezkanals einen Stützpunkt gehabt Hötte. Mit der Veränderung der Sachlage in Aegypten sei der Besitz von Cypern für England voll kommen wertlos geworden. Anderseits sei Deulsch-Ostassika von keinem besonderen Wert für Deutschland. Die Kolonie sei zu dürstig bevölkert, nm etwas einzubringen, zu tropisch, um stark kolonisiert zu werben. Aut allen Seiten sei sie von andern Ländern eingeschlossen und durch Tausende von Meilen vom Mutler lande und ihren Schwesterkolonien getrennt. Für England dagegen sei sie gerade kraft ihrer geographischen Lage von besonderem Wert. Cypern dagegen würde für Deutschland eine sehr wertvolle Acquisition sein, sowohl als Stützpunkt für seine Bestrebungen im näheren Orient, als auch eine Station auf dem langen Wege zu seinen Besitzungen im fernen Osten. Im Fall, daß Deutschland einmal in die Lage käme, seine Rechte in Klein-Asien mit Waffen gewalt verteidigen zu müssen, würde Cypern eine sehr wertvolle Operal-onsbasis sein und England habe von einer Uebernahme dieser Insel durch Deutschland in keiner Weise etwas zu fürchten. Im Gegenteil, die ganze Sache würde für England sogar unter Umständen van großem Vorteil sein, denn dadurch, daß Deutsch land Interessen im Miuelmeer bekommen würde, würde es gezwungen sein, England in dem Widerstand gegen das Vordringen Frankreichs und Rußlands in diesen Regionen zu unter stützen und — nun kommt das beste! — im schlimmsten Fall, meint der Verfasser , könne England Deutschland im Kriegsfälle die Insel immer wieder wegnehmen, so lange das erstere die Seeherrschast Hobe. In London scheint man Lust zu haben, mit Deutschland wieder ein Geschäftchen nach der Weise des Sansibar-Vertrages zu machen. Die Sache hat nur einen Haken. Cypern gehört that- sächlich gar nicht England, sondern steht nach dem englisch-türkischen Abkommen von 1878 nur unter englischer Verwaltung. Von Mich nnd Fern. Vom Winter. Auf der Weichsel wie auf der Nogat steht das Eis. Im Osten sank die Nachttemperatur auf 22 Grad und tiefer. Aber auch an der Nordseeküste ist die Schiffahrt von Emden nach dem Emshä'en und dem Kanal völlig eingestellt. Seit mehreren Tagen ist die Insel Juist ohne Verbindung mit dem Fest lande. Eine verunglückte Ansprache. Als vor einiger Zeit der Großherzog von Baden in ein-m Orte empfangen wurde und der Bürger meister ihn in feierlicher Ansprache begrüßen sollte, fiel ihm in der Verwirrung kein Wort seiner schönen Rede mehr ein. „Königliche Hoheit!" begann er, „ein Tag hoher Freude ist für uns gekommen, weil Königliche Hoheit gekommen sind, und" — weiter kam der Bürger meister nicht, und als alles vergebens war: rief er: „und so wünschen wir, seine Königliche Hoheit und — und die ganze Zäbringer Löwen- samilie lebe hoch!" Der Großherzog lächelte, drückte dem Bürgermeister die Hand, aber den Zäbringer Löwenorden hat er ihm doch nicht verliehen. Vom Räuber Kneihl melden die Münch. N. Nachr.': Am Freitag, 28. Dezember, vor mittags 9 Uhr, wurde Kneißl von mehreren Gendarmen und Schutzleuten bei Sulzemoos in den Waldungen zwischen Wiedenshansen und Sulzemoos auf einem erhöhten Waldeck, von dem aus man eine weite Rundsicht gemeßt, be merkt. Dieser Standort war mit ziemlich viel Reisigholz belegt und vom Räuber geradezu als Beobachtungspunkt eingerichtet. Als Kneißl die Polizeiorgane wah-nahm, verschwand er im Dickicht; die sofort vorgenommene Streife durch die umliegenden Waldungen hatte keinen Erfolg. Am 28. Dezember, abends ss-7 Uhr, kam Kneißl vor das Gemeindehaus in Steinbach, wo er bei einer alten Gemeinde-Armen Einlaß begebrte. Diese ließ ihn aber nicht in das Haus, sondem machte alsbald der beim dortigen Wirte in Steinbach provisorisch eingerichteten Gendarmerie- ftation Mitteilung. Als die Gendarmerie daS Saus durchsuchte, war Kneißl schon wieder spur los verschwunden. — Derartige Bulletins im Full Kneißl werden in süddeutschen Blättem täglich ausgegeben — die Gendarmerie ist immer „sofort" da, aber fangen läßt der geriebene Spitzbube sich nicht. Die Gefahren des hohen v erlebte ein fideler Sänger in einer Wirtschaft in Schovpers- hof bei Würzburg. Wie die ,M. N. Nachr/ mitteilen, blieb ihm beim schönsten Jodler der Mund weit offen stehen, er hatte sich die Kiefer ausgerenkt. Auf der Polizeiwache richtete ein Arzt die Kiefer wieder ein. Ein schreckliches Familienunglück er eignete sich in einer oberungarischen Kememde. Dem Gutsbesitzer David, einem Verwandten des Statthalters von Dalmatien, wurden in wenigen Tagen fünf blühende Kinder vom Scharlach dahingerafft, die Mutter wurde walm- sinnig und starb an gebrochenem Herzen. Am Neujahrstage hat sich David aus ihrem Grabe erschossen. Eine höchst sonderbare Sekte, die Sekte der Dyrniki, hat sich, wie russische Blätter be richten, in einem Dorfe bei Omsk fest nieder gelassen. Die Dyrniki verachten alle Heilnen- hl'der und verrichten ihre Andacht unter freiem Himmel, wobei sie das Antlitz nach Osten wenden. Da es aber im Winter nicht immer gut möglich ist, im Freien zu beten, begnügen sie sich mit einer Oeffnung in der Zimrner- wand, die sie gewöhnlich mit Lappen verstopfen. Jeden Besucher ihrer Hütte segnen sie mit dem Zeichen des Kreuzes. Will jemand zu ihnen übertreten, so muß er vorher eine 40 tägige Fastenzeit durchmachen. Nach dieser Prinung und Abschwören alles sündhaften Lebenswandels begibt sich der Neubekehrte mit dem Taufpaten und den Lehrern an einen See oder Bach, wo der Taufakt vollzogen wird, und zwar find zu diesem Zweck im Winter zwei Löcher ins Eis gehauen. Der Täufling wird vollständig ent kleidet in das eine Loch hineingetaucht und dann mit Hilfe von Stricken durch das andere Loch wieder herausgezogen, worauf er in Pelze gehüllt, nach der Wohnung des Taufpaten ge tragen wird; dort ist inzwischen schon für die entsprechende Stärkung gesorgt. Keimatkos. 18s Roman von C. b. Zell. (Fortsetzung.) Der Schlag auf den Kopf, den die Straßen räuber dem allen Anskai in jener Schreckens nacht versetzt hatten, mocht sein Gehirn erschüttert haben. Er war halb kindisch geworden. Was weit zurücklag in seinem Leben, dessen erinnerte er fich mit bewunderungswürdiger Klarheit; aber was gestern, was heute geschehen war, das blieb nicht mehr Haiten in seinem Gedächtnis. Auch des Brandes und des mörderischen An falles entsann er sich nicht mehr. Er lebte in dem glücklichen Wahn, seinen Bauernhof in Pergitien verkauft zu haben und nun auf seinem „Altenteil" zu fitzen als „Ausgedinger", und sowohl Lene als auch Tobbi hüteten sich, dem armen Assen diesen Wahn zu rauben, ihm die traurige Wahrheit klar zu machen. Vielleicht hätte er sie nicht einmal erfaßt! Tobbi ließ fich selten anders als bei den Mahlzeiien sehen. AnSkat hielt ihn sür seinen Ackerknecht, nannte ihn Daniel und besprach gern mit ihm die wirtschaftlichen Einrichtungen. Im übrigen aber war der Alte froh, den großen Hör in Pergitten „los" zu sein. Hier gefiel es ihm viel besser und er hatte nicht halb so viel Sorgen und Scherereien. Bei einer leisen Andeutung Lenes, daß fie in Rukischken bei der Muhme Baltruszatis wohnen könnten, geriet Anskat so in Zorn, daß Lene sich fest vornahm, so bald nicht wieder daraus zurückzukommen, obgleich sie l selbst eigentlich gern die Palwenkate verlassen hätte. Der Tobbi war ja garnicht wieder zu er kennen, seit sie dort lebten. Ob es ihm nicht doch eine allzu schwere Last dünkte, daß die Anskats sich bei ihm festgesetzt? Er lhat und sagte zwar nicht das geringste, was so hätte ausgelegt werden können. Lene war unermüd lich fleißig im Hause, auf dem Hofe, im Garten; eine Magd würde nicht halb so viel geschafft haben, als sie; der Tob bi sagte es oft mals nnd fügte hinzu, daß ihn das in der Wirtschaft sehr vortvärts brächte und daß er es der Lene Dank wisse, wenn fie so tüchtig mitarbeite. Aber er sagte es so kalt, so geschäftsmäßig. Natürlich, der Palwenkätner dachte wohl schon längst nicht mehr daran, daß er einst um die Lene geworben! Ja damals, da war fie auch eine reiche Erbin gewesen — und jetzt, du lieber Himmel, jetzt besaß fie viel weniger noch als nichts! Die Armut legt sich so leicht wie kaltes Wasser auf ein liebewarmes Herz! . . . Aber der Tobbi sollte nicht glauben, die Lene schmachte ihm nach! O gewiß nicht! Ihretwegen konnte er lhun und lassen, was er wollte. Und wäre es nicht um den alten Vater gewesen, die Lene wäre längst auf und davon gegangen. Aber konnte sie den verlassen? ... Es war das einzige Herz, das ihr gehörte. Auskat hing an seiner Tochter, wie ein kleines hilfloses Kind an seiner Mutter; sollte fie ihm das einzige Glück raube«, das der arme Me noch besaß? Sic böne ihm gern zu, wenn er dies Glück pries. „Was fehlt mir?" pflegte er zu sagen. „Ich brauche mir über nichts auf der Welt graue Haare wachs.n zu lassen. Kein Schlaufuchs kann mich mehr beim Korn- oder Viehhandel übers Ohr hauen! Niemand und nichts kann mich jetzt aus meiner Seelenruhe bringen. Kein Hagelwetter, kein Blitzstrahl, kein Viehsterben und kein Mißwachs. „Ungestört kann ich ein Pfeifchen nach dem andern rauchen. Und dann denke ich an meine Jugend. „Da drüben in Rukischken kenne ich jedes Haus, jeden Stein, jeden Baum. Dem alten Kirchturm sagten wir Kinder nach, er wolle sich in den Himmel hineinbohren und wir würden durch das Loch, das er gestoßen, dermaleinst ins Jenseits befördert werden! Und der Wetter hahn auf dem Kirchdach! Ich meinte immer, etwas Prächtigeres gäve es auf der ganzen Welt nicht! Nur daß er nicht krähen konnte, verdroß mich; das Kreischen, wenn der Wind ihn nach rechts und nach links drehte, hätte ich ihm auch gcru geschenkt. „Ich weiß noch alles genau von damals. Soll ich dir davon erzählen, Lene?" „Ja, Vater, ich höre dir gern zu." Anskat wies auf die muldenförmige Boden senkung unmittelbar vor der Ortschaft Rukischken, durch welche die gelblich schimmernde Landstraße sich hinzog, eine breite Furt durch ein kleines Wiesenwasser bildend, das sich dort entlang schlängelt, gerade so ruhig und gemächlich, wie im allgemeinen das Blut der Bewohner dieser Gegend. Der Bach heißt die Swenloje — der „heilige Fluß". — Es geht die Sage, daß er aus schließliches Eigentum des Gottes Potrimpos gewesen sei und daß dieser jeden Sterblichen unerbittlich vernähtet habe, der es gewagt, das Wasser der Swenloje in irgend einer Weise seinen eigenen Zwecken nutzbar ZN machen. Anskat erinnerte sich dieser Sage und er zählte fie der Tochter zu wiederholten Malen. „Uns aber hat der alte Bärbeiß, der Poirim- pos, nichts angethan," sagte er, „wenn wir uns — wir Jungens — die großen Krebse aus seinem Wasser heraus fischten. „W r machten daS schlau mit selbstvcrferligten Reusen. Wie umgekehrte kleine Sonnenschirme, die man auigespannt hat, sahen diese Fang maschinen aus. Wir überzogen sie mit einem groben Netz und banden an den Stock dicht über dem Netz ein großes Stück Fleisch. Je älter dieser Köder war, desto besser! Der schlechte Geruch ist die Hauptsache beim Krebsen. „Nun stießen wir die „Schirme" mit ihren Spitzen sest in den Grund. — dicht am Uier, wo die Krebse ihre Löcher haben — und warteten, ohne uns zu rühren, bis wir sahen oder hörten, daß es lebendig wuroe am den Reusen. Daun aber galt es, mit einem einzigen schnellen Ruck die Maschinen aufs Trockene zu ziehen, damit keiner von den grünschwarzen Näschern uns entwischen konnte. Und wenn diese dann — ost auf einmal sechs, auch acht an der Zahl — um uns herum auf dem Boden zappelten, und wenn wir sie vorsichtig, sehr vor sichtig mit Daumen und Zeigefinger von hinten nm den Rücken packten, um fie in die mitge-
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