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Politische Rundschau. Die chinesischen Wirren. * Ueber die „Einigung der Mächte* läßt sich die ,Köln. Ztg/ in einem offiziösen Artikel dahin aus, daß man nach den letzten Pekinger Nachrichten zuversichtlich die Unter zeichnung der gemeinsamen Note durch sämtliche Gesandte in Peking erwarten dürfe. Den berechtigten deutschen For derungen sei in der Note volle Rech nung getragen. Allerdings würde nicht mehr Todesstrafe, sondern nur die „schwersten Strafen" für die Hauptschuldigen verlangt. Dagegen hätten sich neuerdings die Gesandten in Peking wieder dabin geeinigt, daß die aus gestellten Forderungen ausdrücklich als „un- widerrustich" bezeichnet werden. Ferner sei auf Antrag des englischen Kabinetts noch beschlossen worden, zu erklären, daß, bevor nicht China sich diesen Forderungen gefügt haben wird, die Gesandten in Peking keine Aussicht aus Zurück ziehung der verbündeten Truppen aus Peking und der Provinz Tschili eröffnen können. Ohne Zeitverlust werde die gemeinsame Note an Tsching und Li-Hung-Tschang überreicht werden, deren Sache es nun sei, den Kaiser und die Kaiserin-Witwe zur Annahme und Durchführung der unwiderruflichen Friedensbedingungen zu bestimmen. * Gras Waldersee ist von der durch englische Blätter verbreiteten falschen Meldung von seiner Erkrankung an Dysenterie peinlich berührt. Es laufen fortwährend telegraphische Anfragen nach seinem Befinden ein; ebenso kommen unzählige Sendungen von Heilmitteln und Choleratropsen. Auch gute Ratschläge kommen in Hülle und Fülle. *Das traurige Schicksal des Grafen Aork hätten, wie aus Peking gemeldet wird, beinahe sieben deutsche Offiziere geteilt. Sie sveisten zusammen zu Abend und ließen das Zimmer mit Kohlenbecken Heizen. Alle wurden von den aufsteigenden Gasen be täubt und bei vieren dauerte es eine halbe Stunde, bis sie wieder zum Bewußtsein kamen. Jetzt sind alle schon wieder auf dem Wege der Besserung. Deutschland. *Zu den bei dem Untergang der „Gneisenau" als vermißt gemeldeten 38 Personen sind noch nachträglich drei hinzu gekommen, so daß sich der Gesamtverlust auf 41 Personen beläuft. Hiermit dürfte hoffent lich die traurige Liste erschöpft sein. * Ueber die Beerdigung des Kapi tän s K r e t s ch m a n n von der „Gneisenau" wird noch ausführlicher berichtet: An dem Leichenzug nahmen die Spitzen der Behörden, der deutsche Konsul und der Botschaftsattache sowie der zweite Offizier der „Gneisenau" teil. Der Sara wurde von sechs Seekadetten ge tragen. Es folgte ein Bataillon Infanterie mit der Fahne und Musik, das Konsularkorps, spanische und englische Marineoffiziere, der Provinzialrat, der Stadtrat, die deutsche Kolonie und viele hervorragende Persönlichkeiten der Stadt. Die Mannschaften der „Gneisenau" bildeten Spalier und schlossen sich dann dem Zuge an. Aus dem englischen Friedlich waren spanische und englische Matrosen aufgestellt. Die Infanterie feuerte drei Ehrensalven über das Grab. Vor der Beisetzung sand im Konsulat, wo die Leiche aufgebahrt war, ein ergreifender Trauergottesdienst statt. * Ueber etwaige Bergungsversuche der „Gneisena u",. vor allem aber einzelner Teile derselben, kann erst beschlossen werden, nachdem das Wrack durch Taucher untersucht sein wird. Ehe endgültige Entscheidungen dar über getroffen werden können, wird es notwendig, daß eine Sachverständigen - Kom mission sich an Ort und Stelle über die Lage des Wracks, seinen Zustand re. informiert. * Wie die ,Tägl. Rundsch.' von gut unter richteter Seite erfährt, ist der Präsident Krüger! schon in Paris von deutscher Seite amt - ! l i ch ersucht worden, seinen Besuch in Berlin ! zu „verschieben". Die von boerischer ! Seite verbreitete Nachricht, dem Präsidenten wäre nur mitgeteilt, daß es ungewiß sei, ob der Kaiser ihn empfangen könne, ist falsch. * Die aus China zurückgekehrten Marine- mannschaften haben, soweit sie nicht zur Entlassung gelangt find, den ihnen bewilligten 45tägigen Heimatsurlaub angetreten. * Entgegen den bisherigen Meldungen, daß die Einberufung des preuß. Land tags zum 15. Januar erfolgen werde, erfahren die ,Königsb. Reuest. Nachr.' von wohlunter richteter Seite, die Eröffnung sei bereits zum 8. Januar beabsichtigt. * Der Hauptmann v. Besser, der wegen Einleitung einer militärischen Untersuchung von Kamerun zurückberufen wurde, ist nun in Deutschland wieder eingetroffen. Bemerkenswert ist, daß über die Vorgänge und die Anklagen, die zu der Untersuchung geführt haben, überhaupt nichts Authentisches bekannt geworden ist. Afrika. *Auf dem Kriegsschauplatz in Südafrika stehen neue größere Kämpfe bevor, da die Boeren allenthalben eine früher bei ihnen ungewohnte Offensivlust zeigen. Im Norden schickt sich Delgrey zu einem abermaligen Vorgehen gegen die Engländer an. Auch im Süd osten Transvaals, nicht weit von der Natalgrenze, machen sich Boerenkom- mandos bemerkbar. *Das Eindringen der Boeren in die Kapkolonie ist in weiterer Aus dehnung begriffen. Die Boeren halten den Bezirk Colesberg besetzt. Mittwoch früh wurde nördlich von Krügersdorp heftiges Geschützfeuer gehört. Äoerrngrnrral Delareq Oesterreich-Ungarn. * In Böhmen hat die Streikbewe gung in den Kohlenbergwerken, die erst nach Neujahr beginnen sollte, schon jetzt eingesetzt. Schweiz. Im Nationalrat erklärte der Vorsteher des Jndustriedepartements, der Bundesrat werde im geeigneten Zeitpunkt bei den europäischen Indu striestaaten diplomatische Schritte behufs Er richtung eines internationalen Büreaus für Arbeiterschutz thun. Holland. *Da das Augenleiden des Präsi denten Krüger sich in bedenklicher Weise verschlimmert hat, wird sich der Präsident bei Professor Swellen in Utrecht einer Kur unter ziehen. Balkanstaaten. *Ter deutsche Gesandte in Bel grad, dem der Vorwurf gemacht wurde, daß er den wegen Majestätsjbeleidigung verurteilten Minister Gentschitsch im Gerichtssaale mit warmem Händedruck begrüßt habe, erklärt, er habe Gentschitsch nur flüchtig im Gerichtssaal als alten Bekannten und ehe maligen Minister begrüßt. Da er der serbischen Sprache nicht mächtig sei, konnte er nicht wissen, daß der Minister verurteilt war. Amerika. *Die Aufständischen in Kolum bien haben eine schwere Niederlage er litten. Zwischen kolumbischen Regierungslruppen und Aufständischen soll bei Girardo-Point sm Magdalenenkran eine große Schlacht statt gefunden haben, die zwei Tage gedauert und mit einem entscheidenden Siege der Regierungstruppen geendet habe. 600 Auf ständische sollen getötet und viele Hunderte derselben verwundet sein. Auch von anderen Stellen würden Siege der Regierungstruppen gemeldet. Die Regierung glaube, daß ihre Stellung durch diese Erfolge sehr gefestigt sei. ! Der Prorek Sternberg hat nach fast achtwöchentlicher Dauer mit der Verurteilung Sternberg? zu 2'/., Jahr Zuchthaus seinen endlichen Abschluß gefunden. Sternberg, der schon in einen ähnlichen höchst skandalösen Prozeß verwickelt war, stand unter der Anklage, sich "von neuem an einem noch schulpflichtigen Mädchen, Frieda Woyda, in unsittlicher Weise schwer vergangen zu haben. Das Mädchen hatte in der Voruntersuchung eine bis ins einzelne gehende Schilderung des Thatbestandes gegeben, in der Verhandlung vor Gericht aber und zwar von Anfang bis zu Ende und trotz eindring lichsten Ermahnens des Staatsanwalts und des Vorsitzenden behauptet, sie habe in der Vor untersuchung gelogen und sei dazu durch einen Kriminalschutzmann (Stierstädler) angestiftet worden. Da? Gericht hat die Aussage, welche von der Woyda in der Voruntersuchung gemacht worden ist, als die richtige angenommen. Der schmutzige Inhalt der Anklage und die ebenso schmutzigen Ergebnisse der Beweis aufnahme sind von der Sensationspresse mit breitestem Behagen in spaltenlangen Berichten wiedergegeben worden. Die Blätter boten damit eine Lektüre, wie sie sich unschicklicher im den Familientisch nicht denken läßt. Denn man muß sagen, daß die Beweisaufnahme im Pro zesse Sittenbilder entrollt hat, im Vergleich mit denen die bekannten Episoden aus dem Heinze- und ähnlichen Prozessen geradezu harmlos zu nennen find. Nicht diese Sittenverwilderung ist es aber, welche die Aufmerksamkeit des ernsten Poli tikers, des Menschenfreundes in erster Linie auf sich zieht, vielmehr ist dies eine Reibe über raschender Begleiterscheinungen dieses Prozesses, die fast noch mehr zu denken geben. Schwerlich ist jemals früher ein Prozeß verhandelt worden, in dem in einem solchen Umfang die schmäh lichste Beeinflussung der Zeugen stattgefunden hat, wie es in diesem Prozesse zu Tage ge treten ist. Die Macht des schnöden Mammons ist in geradezu erschreckender Weise von be teiligter Seite ausgebeutet worden, um die Schuldfrage zu verwischen und der Recht sprechung ein Schnippchen zu schlagen. Stern berg hat ein riesiges Vermögen (man schätzt es aus 18 Millionen Mark) durch mindestens sehr zweideutige Gründungen erworben, was schon seit vielen Jahren eine bekannte Thatsache ist. Sein Geld hat unter den Zeugen eine heillose Verwirrung des Gewissens angerichtei. Man kann -war heute noch nicht sagen, wer aus der Gesellschaft von Dirnen, Kupplerinnen, Privat- Detektivs und verwandten Elementen, die im Moabiter Gerichtsgebäude auftraten, gegen Be zahlung wahrheitsgemäße Aussagen unterließ oder zu Verbindern bemüht war, oder wer von ihnen aus Aerger über den Entgang einer Be stechungssumme unwahre Aussagen beschworen hat; das wissen die Richter wohl selber noch nicht. Aber zwei Zeugen sind vom Fleck weg unter dem Verdacht des Meineides verhaftet worden und Richter und Staatsanwalt haben schon ausgesprochen, daß damit die Unter suchungen gegen andere Zeugen noch nicht ab geschlossen sind. Einer er obersten Beamten der Berliner Kriminalpolizei, Herr v. Meerscheidt- Hüllessem, hatte zugestanden, mit Sternberg gesell schaftlich verkehrt und von ihm eine (später aber wieder eingelöste) Hypothek erhalten zu haben. Herr v. Meerscheidt-Hüllessem wurde von seinem Amte suspendiert und die Disziplinarunter suchung sollte gegen ihn eingeleitct werden, als gerade am Tage der Urteilssällung ein plötz licher Tod ihn seinen Richtern entzog. Der Kriminal - Schutzmann Stierstädter, welcher sich zugestandenermaßen selbst an zwei Zeu ginnen in dem Prozeß sittlich vergangen hat, beschuldigte seinen Vorgesetzten Kriminal- kommissarius Thiel, bei ihm Bestechungsversuche vorgenommen zu haben, um ihn für Sternberg günstig zu stimmen. Nach anfänglichem hart näckigen Leugnen machte Thiel Geständnisse und gab auch zu, von Sternbergs Leuten selber be stochen worden zu sein. Thiel wurde natürlich verhaftet. Man wird Aufklärung darüber ab warten müssen, ob bei Thiels Uebernahme in den Polizeidienst den Vorgesetzten bekannt war, daß er mit einer für ihn erdrückenden Schulden last eintrat. War es bekannt, dann war seine Anstellung als Polizeibeamter ein schwerer Febler; war es nicht bekannt, so entsteht die Besorgnis, daß die Auswahl des Personals für Stellungen, in denen die Versuchung so groß ist, wie in denjenigen der Kriminalbeamten, nicht mit der erforderlichen Vorsicht statlfindet. Ein reicher Mann wie Sternberg kann sich, wenn es ihm vor Gericht an den Kragen gebt, mehrere Verteidiger leisten. Zwei seiner Verteidiger und ein dritter, bei ihm direkt in Dienst stehender Rechtsanwalt sind vom Gericht wegen Verdachts der Begünstigung (8 257 des Strafgesetzbuchs) nicht vereidet worden. Wenn damit auch noch nicht festgestellt ist, daß diese Begünstigung im sträflichen Sinne wirklich vorliegt, so stehen doch heute schon zwei Thatsächen sest, die von diesem Gerichtsverfahren unabhängig sind und über die ein Urteil zulässig ist. Die eine ist die, daß einer der Verteidiger sich nicht gescheut hat, gegen den Staatsanwalt, der sich innerhalb der Grenzen seines Dienstes gehalten hat, eine Herausforderung zum Zweikampf er- aehen zu lassen. Die zweite ist der aus den Verhandlungen und den Aussagen d'er Rechts anwälte sich ergebende Verdacht. Was das Vorliegen eines derartigen Verdachts für die ganze Stellung und das Ansehen eines Rechts anwalts als Verteidiger bedeutet, das geht schon daraus hervor, wenn man die Ausgabe des V-rteidigers innerhalb der Rechtspflege ins Auge faßt. Der Verteidiger muß unter allen Um ständen der Erforschung der Wahrheit dienen, er darf nichts thun, wodurch das Recht ge kränkt werden kann. Er hat nicht die Unschuld seines Klienten darzuthun; er hat nur darüber zu wachen, daß alles, was den Angeschul digten belasten soll, gründlich in bezug auf Wahrheit und Glaubwürdigkeit geprüft und ge würdigt wird; er ist weder berechtigt noch ver pflichtet, Anträge zu stellen oder Erklärungen abzugeben, die den Angeschuldigten belasten; er kann sogar dem Angeschuldigten Rat erteilen, an ihn innerhalb des Strafverfahrens gerichtete Flogen nicht zu beantworten; denn ein Ange schuldigter ist nicht verpflichtet, an seiner eigenen Belastung und Uebersührung mitzuwirken. Aber darüber kann ebensowenig ein Zweifel sein, daß. jeder Verteidiger in dem Augenblick sein Amt niederlegen muß, wo ein Gegensatz zwischen seiner eigenen Ueberzeugung, seinem bestimmten Wissen über die vom Angeschuldigten öffentlich bestrittene That und dem Vorteil des Ange schuldigten vorliegt. Noch weniger aber darf er einen Versuch machen, zu Gunsten des von ihm verteidigten Angeschuldigten das Belastungs material umzuändern, beiseite zn schaffen, zu vernichten; in solchem Fall verwandelt er sich aus einem Verteidiger zum strafbaren Begün stiger seines Klienten. Wie weit diese allge meinen Grundsätze von den jetzt nicht beeidigten Anwälten verletzt worden sind, das wird eine neue Untersuchung ergeben. In vorstehendem sind nur die hervorspringendsten Punkte des an Sensationen überreichen Prozesses berührt worden, aus denen sich eine ganze Anzahl neuer gericht licher Prozeduren ergeben wird. Don Aal, and Fern. Bier Bankdirektoren verhaftet! Die Direktoren von der verkrachten Grundschnldbank und der Preußischen Hypotheken-Aktien-Bank, Heinrich Schmidt und Kommerzienrat Sanden, sowie ihre beiden Stellvertreter Wassteski und Puchmüller, find in Haft genommen worden. Keimaltos. 14s Roman von C. v. Zell. (Forts-Sung.) Viele Quadratruthen Landes hatte Tobbi bereits umgegraben. Wohl triefte ihm bei der harten Arbeit der Schweiß in dicken Tropfen von der Stirn; wohl bildeten sich harte Schwielen in seinen seit Jahren nur an leichtere Arbeit gewöhnten Händen; wohl sank er abends halbtot vor Ermüdung in Schlaf, um früh bei Tagesgrauen mit erneuter Kraft an sein Riesen werk zu gehen, und dennoch dünkte ihm dies Leben unaufhörlichster, schwerster Arbeit schön und erst der Mühe wert, gelebt zu werden! Schaffte und wirkt er doch jetzt endlich mit Zielbewußtsein. Galt es doch nun, sich eine so lange und so schmerzlich entbehrte Heimat zu gründen! Ein Haus zu bauen! Was war ihm da Mühe und Anstrengung? Was er irgend allein zu vollbringen im stände war, dazu benutzte er nie eine fremde Arbeitskraft. Als die Grundsteine gelegt, der Rauchfang mit gut gebrannten Ziegeln vom Maurer in die Höhe geführt war, als der Zimmermann die Außenbalken mit den Stütz- und Querbalken kunstgerecht verbunden, auch das Lattenwerk und die Sparren für den Dachstuhl geschnitten, und ausgesetzt hatte, da machte Tobbi sich selbst daran, das Haus fertig zu stellen. Er füllte die Zwischenräume der Balken nach ortsüblicher Weise mit Lehm und Stroh aus, stopfte Moos in die Ritzen und Fugen der Hölzer und deckte endlich selbst, einem geübten Dachdecker gleich, das Dach über seiner Wohn stätte. Alle diese Verrichtuugen hatte er in seinem Leben so unzählige Mal vollbringen sehen und jedesmal in Gedanken dabei mitgeholfen. Das kam ihm nun zu statten und er machte seine Arbeit besser als manch einer, der sich damit sein Brot erwerben muß. Freilich — der Tobbi baute ja auch am eigenen Hause! Wie stolz und freudig schlug ihm bei dieser Vorstellung das Herz in der Brust! Mit welchen glänzenden Blicken be trachtete er das Wachstum seiner — gewisser maßen aus dem Nichts entstehenden Heimat! Mit welchem unbeschreiblichen Gefühl von Be hagen sagte er sich immer wieder und wieder: „Hier will ich leben, hier will ich sterben. Dies kleine Fleckchen Erde soll mir niemand auf der Welt streitig machen. Es ist mein, mein für alle Zeit!" Fenster und Thüren waren fertig. Tobbi spannte den Braunen vor einen Leiterwagen, zu dem das Untergestell des alten „Rumpel kastens" noch herrlich hatte verwendet werden können, während dieser selbst, auf demPalwen- boden gestellt, bisher Tobbis Wohnstätte ge blieben war, und fuhr damit zur Stadt, um sich seinen Hausverschluß abzuholen und gleich zeitig mit dem Tischler und andern Handwerkern wegen einiger noch fehlender Hausgeräte Rücksprache zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit machte er im Hause des erwähnten Handwerkers die Bekanntschaft eines Mannes, die er längst ersehnt und doch fast gefürchtet Halle, die Bekanntschaft von Lenes Vater. Der alte Anskat gehörte zu den wenigen, die das rüstige Wirken und Schaffen des jungen Ansiedlers auf der öden Steinpalwe mit wirk licher Freude beobachteten, und nun er Tobbi einmal selbst zu Gesicht bekam, sprach er sein Wohlwollen unverhohlen aus. „Wenn Ihr einmal um Rat oder Hilfe ver legen sein solltet," sagte er, „so wendet Euch nur ohne Scheu an mich. Ich bin ein alter Praktikus und kann Euch manchen Wink geben, der für einen jungen Awänger etwas wert ist." Das ließ Tobbi sich nicht zweimal sagen, und der alte Ankat war augenscheinlich erfreut und geschmeichelt durch des jungen Ansiedlers eifriges Bemühen, sich von ihm belehren und zurechtweisen zu lassen. Aber so ost nun auch Tobbi in Pergitten bei dem alten Anskat vorsprach — bald geschah es unter diesem, bald unter jenem Vorwande — die Lene bekam er fast nie zu sehen. Und wenn er ihrer gar einmal gewahr ward, so huschte sie einem flüchtigen Schatten gleich an ihm vorüber. Noch kein einziges Mal war es ihm ge lungen, sie zu grüßen oder gar ein Wort an sie zu richten. Endlich aber traf fich's günstiger. Tobbi betrat eines Tages ganz unerwartet die ge räumige Wohnstube des alten Anskat, zu einer Zeit, da dieser abwesend war, und fand nur dessen Töchterchen daselbst vor. Das junge Mädchen saß am flackernden Herdfeuer und spann. Sie hatte den Eintretenden mit einem raschen Blick erkannt, aber sie gab nicht ein einziges Zeichen, daß ihr seine Anwesenheit überhaupt bewußt war. Lauter als zuvor summte sie ein Liedchen vor sich hin, als ob sie ganz allein im Raum wäre. Und weder das flinke Rädchen, noch die geschickten Hände, die unablässig den silbergrauen Flachs zu feinen Fädchen zurechtzupften und zogen, kamen je aus der unablässigen takt mäßigen Bewegung. Es surrte und schnurrte unaufhörlich vor Tobbis Ohren; alle Gedanken in seinem Kopf drehten sich rastlos rund um, wie das Spinnrad selbst. Es war, als wollte dies Rad alles, was Tobbi durch den Kopf ging, mit dem Gespinnst zugleich über die dicke Spule wickeln. Endlich gelang es Tobbi, die Frage hervor zustottern: wo der Vater sei? „In Tilsit," antwortete die Lene. „Er Wilk einige fette Ochsen verkaufen." Dann aber schwieg sie wieder beharrlich still und spann mit einer Hast, als müsse der ganze Flachsbüschel da vor ihr in der bunten Papp hülse noch in der nächsten Minute zn Fäden versponnen werden. Tobbi dagegen drehte die dicke Filzmütze in seinen Händen auch unaufhörlich hin und her und besann sich vergeblich, womit er ein Ge spräch beginnen könne. Er stand wie auf Kohlen. Die Lene hatte ihn noch nicht einmal aufgefordert, Platz zu nehmen. Das ärgerte ihn, aber es stachelte zugleich seinen Mut und er stieß endlich etwas rasch und rauh die Frage heraus: „Sie kennt mich wohl nicht mehr, Jungfer Lene?"