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Allgemeiner Anzeiger : 29.12.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-12-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190012296
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19001229
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1900
-
Monat
1900-12
- Tag 1900-12-29
-
Monat
1900-12
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 29.12.1900
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Die chinesischen Wirren. *Die nun endlich aufgestellten unwider ruflichen Friedensbedingungen der Mächte weisen insofern eine Milderung auf, daß nicht direkt die Todesstrafe für den Prinzen Tuan und Konsorten verlangt wird, sondern nur die „a l l e r str e n g st e Strafe", entsprechend dem begangenen. Ver brechen. Als neue Forderungen werden gestellt: Genugtuung für die Ermordung oe^ Kanzlers der japanischen Gesandtschaft, alsdann soll nicht nur das Einfuhrverbot für Waffen und anderes Kriegsmaterial von früher aufrecht er halten, sondern noch dadurch verschärft werden, daß die Mächte die Herstellung vonWaffen in China selbst verbieten. Auch der Gesandte Amerikas hat als letzter am Freitag die Note mitunterzeichnet. *Jn der Eisenbahnfrage ist nach dem Pariser Matin' zwischen England und Rußland folgendes Uebereinkommen getroffen worden: Am 1. Januar werden die russischen Truppen die Ueberwachung der Eisen bahn von Peking nach Schanhaikwan an die englischen Truppen überlassen. Von jetzt ab bis zum 1. Januar steht dem deutschen Korps unter Graf Waldersee diese Ueber- wachung der Bahnlinie zu. * Prinz Tsching meinte in einer Unter redung mit dem chinesischen Zolldirektor Sir Robert Hart, die Hinrichtung von zwei oder drei hohen Schuldigen sei möglich, die lebenslängliche Einsperrung Tuans sicher. Er fügte aber hinzu, daß das von den Verbündeten in Peking beschlagnahmte Privat- und Staatseigentum im Werte voll kommen gleichkomme der von den Gesandten verlangten Entschäoigung. Deutschland. *Eine hohe Weihnachtsfreude hat der von seiner Reise an die deutschen Höfe nach Berlin zurückgekehrte Reichskanzler Graf Bülow erfahren. Kaiser Wilhelm hat ihm den Schwarzen Adlerorden ver netzen und persönlich überreicht. *Der Kaiser nahm am 22. d. einen ministeriellen Vortrag über den Sternberg- Prozeß, sowie über das, gegen Beamte der B erl in e r K r i mi n a l p oli z e i schwebende Verfahren entgegen. * Der in der Freitag-Nacht im Alter von mehr als 90 Jahren in Quellendorf bei Köthen verstorbene General - Feldmarschall Graf Blumenthal stand besonders dem Kaiser Friedrich nahe und war 1866 wie 1870 Chef des Generalstabs der Armee des Kronprinzen. Die Verdienste, die er sich in dieser Stellung erworben, insbesondere am Tage von Königgrätz und bei Wörth, würdigte Kaiser Friedrich alsbald nach seiner Thron besteigung durch die Ernennung Blumenthals zum General-Feldmarschall. * Mit einer Verschiebung der Verhand lungen über die Zolltarifvorlage auf die nächste Reichstagssession rechnet die,Nat.-lib. Korr/ als mit einer Thatsachc. *Es darf als sicher angesehen werden, daß der etatsmäßige Anschlag des Reichs-Zu schusses für die Invalidität?- und Altersversicherung im laufenden Jahre ebenso wie in den letzten Vorjahren durch die Wirklichkeit überstiegen werden wird. Der Grund hierfür liegt diesmal hauptsächlich in der Zu nahme der Rentenbewilligungen, welche durch die Bestimmungen des am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen neuen Gesetzes bewirkt ist. Diese Zunahme ist so bedeutend, daß, während man noch iür 1899 der Berechnung des Reichs zuschusses einen jährlichen Zugang an Jnvaliden- und Altersrenten von rund 114 000 zu Grunde legte, man jetzt mit einem solchen von rund 130 000 rechnet. *Die Eröffnung des preußischen Landtages soll am 8. Januar stattfinden. Ein Agrarierblatl will wissen, daß die Ein bringung der Kanalvorlage erst nach Beendigung der China-Wirren erfolgen wird. nicht nur die Zivilliste des Großherzogs erhöht, sondern auch die Gehälter der Minister, die bisher 10 650 Mark und 2400 Mark Entschädi gung für Dienstaufwand betrugen, auf 12 000 Mark und 3600 Mark Entschädung erhöht. Alsdann wurde der Landtag geschlossen. * Im Osten Preußens erheben sich lebhafte Klagen, daß bei der Volkszählung vom 1. Dezember in verschiedenen Ortschaften und Bezirken bei der Feststellung der Mutter- jpracye von Len Zählern sehr eigenmächtig vorgegangen worden. Angeblich sollen ganze Ortschaften mit überwiegend polnischer Bevölke rung als deutsch eingetragen sein, ohne daß den Leuten die Formulare in die Hände gegeben worden. Da die Klagen in erster Linie in den jenigen polnischen Blättern zu finden sind, die gern eine Vorherrschaft des Polen tu ms in den ganzen Ostprovinzen feststellen möchten, so wird man sie mit einiger Vorsicht aufnehmen müssen. Generalfeldmarschall Blumenthal ch. *Eine Versammlung in Passau sprach sich gegen die Abhaltung des nächstjährigen deutschen Katholikentages dortselbst aus, da ein geeignetes Lokal mangele und die Erbauung einer eigenen Festhalle zn kostspielig sei. Somit dürfte Passau für die Abhaltung des nächstjährigen Katholikentages außer Betracht bleiben. * Die Sozialdemokratie hat in den einzelnen deutschen Landesvertretungen folgende Mitglicderzahl: Die bayrische, aus 159 Mitgliedern bestehende Abgeordnetenkammer zählt 11 Sozialdemokraten, Sachsen bei 82 Mit gliedern 4, Württemberg 5 bei 93, Baden 5 bei 63, Hessen 5 bei 50, Oldenburg 1 bei 37, Sachsen-Weimar 2 bei 33, Sachsen-Meiningen 6 bei 24, Sachsen - Koburg - Gotha 9 bei zu sammen 30, Sachsen-Altenburg 5 bei 30, Schwarzburg-Rudolstadt 2 bei 16, Reuß j. L. (Gera) 3 bei 15. Oesterreich-Ungarn. * Der Tiroler Landtag sucht den Selbstverwaltungs-Bestrebungen der Italiener im Süden Tirols entgegen zu kommen. Am Freitag wurde ein Antrag Grabmayr an genommen betreffs Einsetzung eines zwölf- gliedrigen Ausschusses, der den italienischen Selb st Verwaltungs-Antrag prüfen und in der nächsten Session einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen soll. Frankreich. * Ein Wiederaufleben der Drey fus-Affäre steht trotz der unter Ach und Krach erfolgten Annahme der Amnestievorlage zu erwarten. Beide Teile, Gegner wie An hänger Dreyfus', tragen daran die Schuld. Für die ^Nationalisten' bildet der Fall Cuignet den Ausgangspunkt eines neuen Feldzugs gegen das Kabinett Waldeck-Rousseau, wobei sie freilich zunächst wenig Glück gehabt haben. Einstweilen hat das Ministerium in der Kammer die Vertagung mit 309 gegen 192 Stimmen durchgesetzt. St bergprozeß und seine Begleit- ums nde. Sie glanzen zu der Schlußfolge rung, die Zustände in Deutschland seien nicht bester als in Frankreich. (Das ist Ansichts sache !) England. *Nach Südasrika werden schleunigst Verstärkungen von England abgesandt. Noch in dieser Woche sollen 800 Mann berittene Infanterie-Truppen und zwei Regimenter Kavallerie dorthin «bgehen. Belgien. * Der Ausstand der Hafenarbeiter in Antwerpen dauert an. Eine angesetzte sozialistische Versammlung wurde in letzter Stunde wegen der letzthin vorgekommenen Un ruhen polizeilich verboten. Die Auf regung unter den Streikenden ist sehr groß. Bei den Ausschreitungen find über 50 Personen verwundet worden; ungefähr 40 Personen befinden sich in den Spitälern. Der Brand eines Baumwollschuppens, der den Ausständigen zur Last gelegt wurde, ist, wie die eingeleitete Untersuchung ergab, auf eine Selbstentzündung zurückzuführen. Holland. * Präsident Krüger reist demnächst zu längerem Aufenthalt nach Nizza. Dort „dürste" dann eine Zusammenkunft mit dem englischen Premierminister Salisbury, der mit der Königin von England im Frühjahr an der Riviera eintrifft, statfinden. Balkanstaaten. * Der Kassationshof inBelgrad bestätigte das Urteil gegen den früh eren Minister Gentschitsch. Der deutscheGesandte verwahrt sich in einer Erklärung dagegen, mit der Begrüßung Gentschitschs im Gerichtssaale irgend eine demonstrative Absicht verbunden zu haben. Amerika. * Die Zustimmung Englands zu dem Vertrage über den Nikaragua-Kanal wird sicher erwartet. Auch in der Philip pinen-Frage scheint die Lösung nahe zu sein, nachdem sich eine Filipinos-Partei unter Fübrung von Aguinaldos früherem Minister präsidenten Buencamino gebildet hat, die die amerikanische Oberhoheit anerkennt, aber Selbst verwaltung wünscht. Afrika. *Die in die Kapkolonie eingefallenen Boerenkommandos haben nicht nur die Eisen bahnlinien zwischen Kapstadt und Pretoria an verschiedenen Stellen gründlich zer stört, sondern sie graben auch an den ihnen bekannten Stellen die Geschütze wieder aus, die sie bei ihrem früheren schleunigen Rückzüge zurücklassen mußten, von denen aber bisher noch nicht ein einziges durch die Engländer entdeckt worden war. Den sehr siegesgewiß auftretenden Boeren haben sich schon viele Holländer aus dem Norden derKap - kolonie angeschloffen, sodaß die Besorgnis der Engländer vor einem allgemeinen Afrikanderaufstand wächst. Die Haupt kassen der zunächst bedrohten Städte find nach der Küste, nach Port Elizabeth geschafft worden. *Jn Transvaal selber schwärmen die Boeren bis dicht in die N äh e von Pretoria und Ioh annesburg, die Zerstörung der Verbindungslinien scheint hier wie im Kapland der militärische Hauptzweck ihrer Operationen zu sein. * General French ist mit dem nach Norden durchgebrochenen de Wet zusammengetroffen und hat mit diesem mehrere, anscheinend ent scheidungslose Kämpfe gehabt. Asien. "Die am vergangenen Donnerstay fällig gewesene Zinsrate der chinesischen Staatsschuld ist, wie ein Wölfisches Tele gramm aus Schanghai meldet, bezahlt worden. Unsere Schulschiffe. Der jähe Untergang des Schulschiffes „Gneisenau" ruft ganz naturgemäß die Frage jedoch bis zur Stunde hierüber ar. Nachrichten vorliegt, genügt noch nicht, um dieselben klar zu erkennen, so daß ein dienstlicher Bericht ab gewartet werden muß. Dem Anschein nach hat sich der Vorgang in folgender Weise voll zogen. Das Schulschiff, ein Dreimaster-Vollschiff, ankerte auf der Winterreede von Malta, südöst lich der Ostmole des durch künstlichen Molen bau tzergestellten Hafens von Malaga und etwa 500 Meier von der Ostmole entfernt. Hier be findet sich an zwei ziemlich nahe bei einander liegenden Stellen guter Ankergrund. Da es Sonntag war, ein Auslau-en des Schiffes also nicht bevorstand, befand fich kein Feuer unter den Kesseln. Ein sofortiges Verlassen des Ankerplatzes war also nur unter Segel mög lich, mlls nicht Zeit zum Dampfaufnehmen blieb. Die Konstruktion des vor mehr als zwanzig Jahren gebauten Schulschiffes vom Typ der Stoschklaffe mit der hohen vollen Takelage bringt es mit fich, daß die Wirkung der Maschine auf das Schiff bei stürmischem Wetter ganz erheblich durch den Winddruck auf die Takelage beeinträchtigt wird. Sind die Stengen nicht gestrichen (heruntergelassen), wodurch die dem Winve ausgesetzte Gesamtfläche der Takelage erheblich vermehrt werden kann, so tritt die Beeinträchtigung der Maschinenwirkung in ver stärktem Maße aui. Der verhängnisvolle, aus südöstlicher Rich tung, also vom Ankerplatz der „Gneisenau" nach der Außenseite der Ostmole hin wehende Sturm drohte, wenn die Anker versagten, dem Schiff schwere Gefahr. Der Kommandant, dies erkennend, hat so rasch als möglich durch Heizen der Kessel Dampf aufzumachen und jedenfalls auch die Takelage zu verkleinern ge sucht. Aber der Sturm, über den, da er von offener See herkam, keine Warnung irgend einer Küstenfignalstation vorliegen konnte, brach so schnell herein, daß die sehr richtigen Maßnahmen des Schiffsführers nicht mehr vollständig aus- gesührt werden konnten, und genügend Dampf für die Maschine, die dem Schiff überhaupt unter günstigsten Verhältnissen bei gutem Wetter nur etwa 12 Knoten Geschwindigkeit verleihen konnte, ebenfalls nicht mehr zn er zielen war. Das Brechen der Sieuerbord- Ankerkette, die, nachdem der Backbord-Anker geflippt war, dem Schiff eine günstige Lage zum Jn-See-gehen gegeben hätte, besiegelte die Katastrophe, so daß das Schiff seitlich gegen die Felsenfundamente der Ostmole geworfen wurde und hier so schwer leck sprang, daß es sofort versank. Es ist in der Presse die Frage laut geworden, schreibt die ,Berl. Börs.-Ztg.', weshalb ein solches Schiff nicht, wie beispielsweise die Dampfer des Norddeutschen Lloyd seit der Katastrophe von Hoboken, fortgesetzt unter Dampf läge? Hier bei wird übersehen, daß diese alten Schulschiffe in erster Linie Segler find, weshalb sie ja auch ihre volle Bemastung führen, während die Lloyd- dampfer absolut keine Segel haben, also ohne Dampf bewegungslos sind, deshalb immer Dampf auf haben müssen. Ein gutes Segel schiff kann aber einem Sturme mit sehr großer Ruhe entgegensehen, wenn es darauf vorbe reitet ist und dementsprechend seine Takelage vermindert hat. Hier liegt die Ursache der Katastrophe in dem Umstande, daß keine Sturm warnung vorlag und wahrscheinlich auch keinerlei beachtungswertes Anzeichen, das das Nahen eines so plötzlichen Sturmes angezeigt hätte. Denn man darf andernfalls mit Sicherheit an nehmen, daß von dem erfahrenen Kommandanten eines deutschen Schulschiffes, zu denen die be währtesten Offiziere ausgesucht werden, keine nautische Vorficht außer acht gelassen wäre, wenn ein Sturmanzeichen vorgelegen hätte. Die Katastrophe lenkt ganz naturgemäß das Augenmerk aui unsere Schulschiffe überhaupt und wirft die Frage auf, ob dieselben in ihrer gegenwärtigen Gestalt ihrem Zwecke voll ent sprechen. Man darf diese Frage, ohne daß da mit irgend einer Dienststelle zu nahe getreten wird, verneinen. Die Schulschiffe find leider einmal so wie sie sind vorhanden, da sie die Restöestände unserer alter. Kreuzerfregatten und Korvetten sind, die fich bereits nautisch und Keimattos. lb) Roman von C. v. Zell. (Fortsetzung.) Tobbi wollte Lene umfassen, an seine Brust ehen. Das Mädchen aber sprang erschreck! uf und rief: „Fort, fort, der Vater kommt. Geht in die immer! Schleicht Euch hinten hinaus und ns Haus herum und dann tretet herein, als tret Ihr eben gekommen." Sie sagte es in atemloser Hast, Tobbi mit hi Händen vor sich herdrängend und die Kmmerlhür hinter ihm mit dem großen Holz- rgel abschließend. Vergebens mühte sie fich ab, eine unbe- fagene, Seelenruhe verkündende Miene anzu- nemen. Ihr heftig klopfendes Herz, die brnnend heißen Wangen spotteten aller Be- mihungen. Indes, der alte Anskat hatte zu Lenes un- fägjcher Freude keinen Blick für die Erregtheit seimr Tochter. Er war in ungewöhnlich guter Lav' e vom Tilsiter Markte heimgekehrt und als er dm „Palwenkätner" — wie Tobbi jetzt all- aem.in in der Umgegend genannt wurde — auf sein Haus zukommen sah, da rief er vergnügt: ,.M, das ist brav, daß Ihr kommt, Nachbar. Nehmt Platz und laßt uns eins trinken. — Lene," rief er mit erhobener Stimme nach dem Vorplatz hinaus, wo das Mädchen fich in selt samer Hast mit allerhand Haus- und Küchen gerät zu schaffen machte, „laß nur alles stehen und liegen, trag' aus, was Küche und Keller aufzuweisen hat! Vergiß auch den Honig nicht, hörst du? Der Nachbar Palwenkätner soll Lust bekommen, fich einen Bienenstand zuzulcgcn. Ihr habt noch keinen, nicht? — Nun ja, gut Ding will Weile. Man kann nicht alles auf einmal beschaffen. Aber auf der Palwe ist Futter genug für ein paar Dutzend Bienen stöcke. Honig und Wachs ist nicht zu ver achten, ob man's nun fürs Haus verbrauchen oder zu Geld machen will." Der Bauer schob Tobbi einen hölzernen Schemel hin und lud ihn mit herablassender Handbewegung zum Sitzen ein, während er selbst ihm gegenüber am großen Tisch in behag licher Würde Platz nahm. Er kam sich in seiner Eigenschaft als Gönner ungemein er haben vor. Tobbis Herz war zum Zerspringen voll. Die Lene hatte ihn lieb und der alte Anskat, Lenes Vater, ihm gegenüber, lud ihn selbst zum Sitzen, zum Zulangen, zum Plaudern ein, als sei Tobbi seinesgleichen, als gäbe es zwischen ihnen keine Schranke. Tobbi war noch niemals „Gast" gewesen. Nun durste er es in diesem Hause sein; wie ihm das alles durch Kopf und Herz ging! Er hätte nie gedacht, daß das Glück, dieser große Wunderbaum, so viele kleine, köstliche Zweige und Aestc haben könne — und nun meinte er mitten in seinem schattigen Grün ein stilles, heimliches Nestchen zu erblicken und darinnen ... „Ja," sagte Anskat in ungewönlich red seliger Laune, die Hände behaglich über dem runden Bäuchlein verschränkend und fich in den Stuhl zurücksetzend, denn er war nun satt und zum Ergreifen des biergefüllten Steintopfes vor sich auf dem T.sch brauchte er nur den Aim auSzustrecken. „Ja, mein junger Freund, es ist einmal nicht anders! Kein Stand geht über den Nährstand! Was sind Wehrstand und Lehrstand dagegen gehalten? und was wären beide ohne uns? — Wir ohne jene... ei, das läßt fich schon denken, aber umgekehrt geht's nicht. Ich hab' mein Lebtag weder lesen noch schreiben gelernt, abcr mein Schäfchen hab' ich doch ins Trockne gebracht! Freilich — rechnen kann ich! Das muß ein rechtschaffener Mann verstehen, weil die nicht rechtschaffenen es ge wöhnlich nur zu gut verstehen! . . . Aber das war's nicht, was ich sagen wollte. Ich wollte Euch Glück wünschen zum guten Fortgang Eurer Wirtschaft, Palwenkätner! Wahrhaftig, Ihr habt das Ding beim rechten Ende angesaugen, darum wird's auch Bestand haben. Eure Winterung steht besser wie bei manchem allen Ackerstück. Es ist freilich vorderhand noch eine winzige Fläche. Ihr braucht Euch aber der selben nicht zu schämen. Es steckt ein gut Teil Arbeit und Mühsal darin. Das weiß der am besten, der auch klein angesangen hat. Ich bin auch nur eines Eigenkätners Sohn; diesen Bauernhof habe ich mir angeheiratet." Der Alte räusperte sich und brach ab. Es war ihm augenscheinlich unangenehm, daß er so offenherzig gesprochen hatte. Was ging denn den armen „Kesselflicker" die Lebensgcschichte des reichen Anskat an? Um etwas anderes zu sagen, fragte er nach einer Pause: „Wie weit seid Ihr mit Eurem Hause, Nach bar ? Der Winter ist vor der Thür. Ihr habt Eile, wenn Ihr noch unter Dach und Fach kriechen wollt, wie der Dachs in den Bau, ehe es friert und schueit." „Morgen bekomme ich die bestellten Tische und Bänke," rief Tobbi mit glänzenden Augen, „das Haus ist fertig und bald eingerichiet. Wenn Ihr dann einmal bei mir einen kleinen Imbiß einnehmen möchtet, Anskat, zum Vergelt für die Ehre, die Ihr mir heute erweist, so würde es mich aufrichtig freuen." Der Bauer schwieg. Er sah in höchstem Erstaunen auf sein Gegenüber. War das ein kühner Bursche! Lud den reichen Anskat zu fich auf die Palwenkate! Der Hochmutsteufel stieg dem Bauern auf den Nacken. „Glanb's schon, daß eS Euch freuen würde, mein Lieber," sagte er mit seltsamer Betonung. „Aber es ist ein gewaltiger Unterschied, ob Ihr mein Gast seid, oder ob ich der Eurge bin. Leute wie ich können ihre Beine nicht so ohne weiteres wie Ihr unter jedermanns Tisch stecken!" Das Helle Blut schoß dem Zurückgewiesenen in die Schläfen. Er bedurfte seiner ganzen Willenskraft, um nicht in heftigem Zorn aufzu lodern. Wer weiß, was er trotzdem gesagt oder ge- than hätte, wenn nicht gerade in diesem Augen blick die Lene an den Tisch getreten wäre, als wolle sie frisches Bier eingießen. Sie mußte alles gehört haben! Ein angstvoller, iast flehender Blick, den fie auf Tobbi warf, schien es zu verraten. Verdarb Tobbi es mit dem Vater, wie konnte
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