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Allgemeiner Anzeiger : 31.10.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190010318
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19001031
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19001031
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
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- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1900
-
Monat
1900-10
- Tag 1900-10-31
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Monat
1900-10
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 31.10.1900
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Politische Rundschau. Die chinesischen Wirren. i * Die Zustimmung der Dreibundmächte Oesterreich-Ungarn und Italien zu dem deutsch-englischen China-Ab kommen ist am Dienstag in offizieller Form ergangen. Der Beitritt Japans steht in sicherer Aussicht. * L i - H u n g - T s ch a n g hat einen Sonder boten an den Kaiser Kwang-Szü gesandt, um von diesem ein eigenhändig geschriebenes Edikt zu erzielen, das die Hinrichtung aller Boxerchefs anbefiehlt. *Für die Aufbringung der Ent schädigungen seitens Chinas haben die Zollbehörden in Schanghai einen höchst kuriosen Plan ausgearbeitet. Danach sollen die Seezölle auf 10 Prozent erhöht werden mit einem weiteren Zuschlag von 5 Prozent, der an Stelle der Likinabgaben (der bisherigen an den Provinzgrenzen erhobenen Binnenzölle) treten soll: aus diese Weise glaubt man eine Milliarde Mark ausbringen zu können. — So würde der ausländische Handel einen Teil der Entschädigungen zahlen. Aber auf diesen schönen Plan werden sich die Mächte schwerlich einlassen. * Im Hinterland des deutschenSchutz- gebietes haben deutsche Truppen einen er folgreichen Kampf mit chinesischen Auf ständischen gehabt; die Deutschen hatten keine Verluste. Deutschland. * Der Kaiser wohnte am Freitag mit seiner- hohen Gemahlin der Enthüllung zweier neuen Denkmalsgruppen in der Berliner Siegesallee bei, und empfing sodann den Besuch des Königs von Württemberg, der auch dem Reichskanzler Grasen Bülow einen Besuch abstattete. * Zum hundertjährigenGeburts- tage des Generalfeldmarschalls Grasen von Moltke fand am Freitag bei dem Kaiser eine gröbere Tafel im königlichen Schloß zu Berlin statt, zu welcher der Chef des General stabes der Armee, Gras v. Schlieffen, der Generalquartiermeister Oberhoffer, die Ober quartiermeister und andere höhere Offiziere des Generalstabes, der Kommandeur der 1. Garde- Jnfanterie-Brigade, Generalmajor v. Moltke, der Regierungs-Präsident v. Moltke in Pots dam rc. geladen waren. * Der Jagdbesuch des Kaisers bei dem Fürsten von Pleß ist auf den 10. und 11. November anberaumt worden. Es wird geplant, eine Jagd auf die seit mehreren Jahren nicht mehr abgeschosscncn Auerochsen zu veranstalten. * Zum Gouverneur von Deutsch- Ostafrika ist, wie die ,Tgl. Rundsch.' er fährt, Generalmajor v. Trotha, der ehe malige Kommandeur der deutsch-ostawikanischen Schutztruppe, auscrsehen. Bekanntlich soll die Neubesetzung dieses Postens erst in einiger Zeit erfolgen. Gegenwärtig bekleidet Herr v. Troiha f eine Kommandostelle bei dem ostasiatischen Ex peditionskorps. Es sei anzunehmen, daß er demnächst zurückberufen werde. * Das Reichs-Versicherungsamt hat nunmehr die Vorbereitungen für die An meldungen der durch das G e Werbeunfall versicherungsgesetz neu in die Ver sicherungspflicht einbezogenen Betriebe getroffen. Es ist anzunehmen, daß sich die berussgenossen- fchasiliche Eingliederung dieser Betriebe spätestens zum Anfang Oktober nächsten Jahres wird zum Abschluß bringen lassen. Die Zahl der der Unfallversicherung unterworfenen Personen wird durch die Neuerung, wenn auch keine allzugroße, so doch immerhin eine in Betracht kommende Erweiterung erfahren. Ganz zutreffende Zahlen hat man über den gegenwärtigen Umfang der Versicherten nicht, man schätzt ihn auf etwa 18 Millionen Personen. *Bei der R e i ch s t a g s st i ch w ah l in Brandenburg-We st Havelland siegte der Sozialdemokrat Pöus (10 991 Stimmen) gegen den Landrat v. Loebell (10 343 St.). *Tcr durch die Blätter gegangenen Nach richt von der W i e d e r z u la s s u n g der Jesuiten wird von mÄreren Seiten wider sprochen. Die bayrische Regierung stellt es in Abrede, daß sie mit den Bundesstaaten über die Aufhebung des Jesuitengesetzes verhandle. Und die ,L. N. N.' glauben auf das bestimmteste versichern zu können, daß die Aussichten einer — sei es vollständigen, sei es teilweisen — Aufhebung des Jesuiteugesetzes heut nicht besser sind als bisher. *Die Vorarbeiten für die erweiterte Kanalvorlage werden, wie von offiziöser Seite mitgeteilt wird, bis zur Einberufung des Preuß. Landtags beendet sein, sodaß die Be ratung dieses Gesetzentwurfs mit zu den Auf gaben der nächsten Tagung gehören wird. Wrqler, der neue Generalkapitän von Madrid. * Gegenüber der von der sächsischen Tages presse ernstlich erörterten Frage, ob die säch - fischen Staatsbahnen an das Reich oder an Preußen, sei es auf dem Wege des Verkaufs oder der Verpachtung oder in irgend einer andern Form, überlassen werden sollen, und ferner gegenüber dem Gerücht, nach welchem die preußische Regierung an die säch sische ein sehr hohes Angebot sür Ueberlassung der sächsischen Staatsbahnen gemacht hätte, ist das .Dresdner Journal' zu der ausdrücklichen Erklärung ermächtigt, daß das fragliche Gerücht aller und jeder Grundlage entbehre und daß die preußische Regierung weder das behauptete, noch irgend ein anderes ähnliches Angebot der sächsischen Regierung gemacht habe. *Das Präsidium des Bayrisch-Pfälzischen Gastwirtsverbandes hat beschlossen, in betreff des neuen Weingesetzes eine Petition an den Reichstag zu richten, worin die Be seitigung jeder Weinpautscherei verlangt wird. Oesterreich-Ungarn. *Eine ungarische Korrespondenz behauptet zu wissen, daß Erzherzog Franz Ferdi nand zu Gunsten seines Bruders Otto ab zudanken (? ?) entschlossen sei. *Die Budapester Stadtvertretung hat die Absendung einer Petition an die Regierung behufs Errichtung eines selbständigen ungarischen Zollgebietes beschlossen. Der Beschluß gilt als symptomatischer Ausdruck zollpolitischer Strömungen, welche seit einigen Jahren an Stärke erheblich gewonnen haben. Frankreich. *Zur Zuckerkonferenz in Paris meldet die .Agence Havas', die gegenwärtig in Paris stattfindenen Besprechungen zwischen Ver tretern Frankreichs, Deutschlands und Oester reich-Ungarns bezweckten, daß gegen eine in entsprechender Höhe erfolgende Aufhebung der Zuckerprämien von England und den anderen Zuckcr-Eiwuhrländern der Verzicht auf die bestehenden oder geplanten Kompen sationsabgaben verlangt werde. Der Abschluß eines Abkommens zwischen den drei Mächten stehe nahe bevor, doch entsprächen die darüber von der ,Köln. Ztg.' gemachten Mitteilungen nicht dem Sachverhalt. Schweiz. *Den Schweizer Bundesrat hat, wie aus Genf gemeldet wird, Präsident Krüger um Vermittelung gebeten zwecks Erlangung besserer Friedensbedin gungen sür die südafrikanischen Republiken. Krüger wird während seines Aufenthaltes in Europa auch Bern einen Besuch abstatten. Holland. *Die Hochzeit der Königin Wil helmina mit dem Herzog Heinrich wird nach amtlicher Bekanntgabe in der zweiten Hälfte des Januar 1901 stattfinden. Afrika. *Auf dem Kriegsschauplatz in Transvaal dauert der Kleinkrieg fort. — Die Streitmacht Frenchs rückl gegen Heisel berg vor und hat täglich Scharmützel zu be stehen. Oberst Hurst mit der Jeomanry nahm 35 Boercn gefangen und erbeutete viel Vieh. Paget machte in drei Tagen 65 Gesungene. Aber auch die Enaländer verloren viel Mann schaften an Toten, Verwundeten und Gefangene. — Trotz der Unstcherbeit in dem ganzen Gebiet der eroberten Republiken hofft Lord Roberts, wie das englische Kriegsamt mitteilt, am 15. November Südafrika verlassen zu können. Uom neuen ZolltarifentWurf. Mit dem Ende voriger Woche erfolgten Ab schluß der Verhandlungen des Wirtschaftlichen Ausschusses ist der Entwurf des deutschen Zoll tarife? nahezu fertig und gelangt demnächst an den Bundesrat. Da mit den einzclstaailichen Regierungen eine Verständigung über die wesent licheren Punkte bereits erzielt sein dürste, in denen unser Zolltarif nach dem Entwurf von dem bisherigen abweichen soll, so wird anzu- nehmcn sein, daß der Entwurf, so wie er gegen wärtig beschaffen ist, Ende Februar oder Anfang März an den Reichstag als Vorlage der ver bündeten .Regierungen gelangt. Ueber die wesentlichste Abweichung von dem früheren Tarif erfährt die ,Deutsche volkswirtschaftliche Korr.': Der Entwurf sieht an Stelle des bis herigen einfachen autonomen Tarifs einen Dovpeltarif vor. Der eigentliche normale Zoll tarif wird jedoch der Maximaltaris des Entwurfs sein, während der ihm beigegebene Minimal- tarii den Zweck hat, die Grenze durch Gesetz fest,zulegen, bis zu welcher. Tarifkonzessivnen bei Handelsverträgen äußersten Falles gematzt werden dürfen. Nicht ohne ernste Bcdcr'c.i wird man sich zu dieser Neuerung emschlicfzen. Bei Ausstellung der Zollsätze des Tanscimvuns ist man von der Auffassung ausgegangen, die in einem Erzeugnis investierte Arbeit müsse den Maßstab sür die Höhe des Zollschutzes abgeben, der diesem Erzeugnis zu gewähren ist. Je mehr Arbeit also in einem Artikel steckt, desto höher muß der Tarifsatz bemessen sein, und dem ent spricht es, daß Rohstoffe wie bisher grundsätz lich zollfrei zugelassen werden. Hierbei ist man sogar so weit gegangen, auch Rohkupfer und Blei zollfrei zu belassen. Anderseits aber wird der internationalen Wirtschaftslage Rechnung getragen, indem zwar der Roheiscnzoll im Mi nimaltaris mit dem bisherigen Satz von 10 Mk. vorgesehen ist, im Maximaltarif indessen mit 15 Mk. erscheint, und zwar, um event. als Kampfzoll gegen die Ver. Staaten zu dienen. Werkzeugstahl steht mit 8Mk. im Tarifentwurf, ein Satz, der ebenfalls die beabsichtigte Abwehr der amerikanischen Konkurrenz andeutet. Kupfer walzen, die bekanntlich schon lange einen Zank apfel in den Zolltarisverbandlungen gebildet haben, werden mit einem Eingangszoll vorge sehen werden. Für Material zum Bau von Flußschiffen soll Zollfreiheit nicht eintreten, während Flußschiffe selbst indessen zollfrei bleiben. Auf dem Gebiete der Textilzölle dürfte das interessanteste sein, daß harte Kammgarne zwar eine mäßige Zollerhöhung erfahren haben, daß man sich aber bisher noch nicht hat entschließen können, den verwandelten Verhältnissen in der Wollproduktion der Erde Rechnung zu tragen und den Unterschied in der Verzollung von Kammgarnen und Streichgarnen überhaupt fallen zu lassen. Wenden wir uns schließlich den Getreidezöllen zu, so werden diese mit 6 Mk. im Minimaltarif und mit 7V- Mk. im Maximaltarif erscheinen. Dabei ist von einer Unterscheidung zwischen Weizen und Roggen abgesehen, weil im Falle der Höher tarifierung von Weizen durch Mehranbau dieser Frucht sehr bald der jetzige Zustand einer dem Werte beider Getreidearten nicht entsprechenden Preisrelation wieder eintreten würde. Uon Nal, und Fern. Ueber Vorkehrungen zur Sicherheit des Kaiscrpaares bei seinem Besuch des Wuvperthales, entnehmen wir der .Rhein.- Westf. Ztg.' folgendes: „Der kaiserliche Wagen, mit vier prächtigen Rappen bespannt, fuhr in scharfer, fast galoppschneller Gangart durch die festgeschmücklen Straßen und nur wenige Augen blicke war das Kaiserpaar den huldigenden Massen sichtbar Die schmalen, engen Straßen Elberfelds sind alle durch Verschlüge hermetisch abgeschlossen. Diese unseres Wissens völlig neue Sicherheitsmaßregel für die Person des Kaisers soll angeordnet sein, um den Zu gang des Publikums aus den engen Seiten gassen zu verhindern. Die Verschlüge sind wie ein Zaun fest gebaut, so daß der Kaiser auf der ganzen Strecke gleichsam durch eine ge schlossene Bahn fährt." Der Großindustrielle Friedrich Alfred Krupp wurde vom Kaiser zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Prädikat Exzellenz er nannt. Die unschuldige Verurteilung cine- Fngenieurs macht fetzt durch die Berliner Blätter die Runde. Demnach sollte der Ver urteilte einem Mädchen ein Portemonnaie ge stohlen haben. Wie nun die Schwester seiner Haushälterin dem Gericht mitteilt, hat sie das Portemonnaie im Vorzimmer geftmden und ge glaubt, es gehöre einem Herrn Tcndloff, der sie nur einstweilen ängstigen wolle, um cs ihr nachher wiederzngeben. Als später Kriminal beamte in der Wohnung erschienen und von einem gestohlenen Portemonnaie sprachen, habe sie es mit der Angst bekommen und das Porte monnaie heimlich auf der St-aße weggeworfen. Da das Mädchen bei der Darstellung verblieb und erklärte, daß sie cs nicht mehr mit ansehen könne, wie Herr T. unschuldig leiden müsse, hat der Verteidiger die erforderlichen Schrille zur Wiederaufnahme des Verfahrens eingeleitet. Herr Tendloff sitzt aber einstweilen noch im Gefängnis. Einen „Orden" sür Männer, die sich im Ehrenamt oder als städtische Beamte um die Sladt Bielcicld verdient gemacht haben, hat der dortige Magistrat gestiftet. Er besteht aus einer Denkmünze, deren Vorderseite das alte Bielefelder Wavpcn mit der Umschrift trägt: „Gewerbe, Handel, Wissenschaft mein Gedeihen, meine Kraft." Die Rückseite enthält den Namen des zu Dekorierenden und die Widmung: „Für treue Arbeit im Dienste der Stadt Bielefeld" sowie das Motto des alten Harkort: „Das Leben gilt nichts ohne die Treue." Ein Blatt in Bielefeld bemerkt dazu: „Man lasse die Männer im Ehrenamt ihrem erhebenden Be wußtsein leben, daß sie sich selbstlos nützlich machen," die städtischen Beamten bezahle und behandle man so, daß sie zufrieden sind; sie werden gern auf Denkmünzen verzichten." Schiffahrtsstocknng auf dem Rheim Der Rheinschiffahrtsbetrieb stockt fast vollständig. An den Hauptzentren des Mittelrheins sammeln sich ganze Schiffsflottillen an, welche die Weiter- sahrt unterbrechen und bessern Wasserstand ab warten müssen. Obendrein macht sich auch, Meldungen aus dem Ruhrgebiet zufolge, Wagen mangel dort erneut empfindlich bemerkbar und übt auf den Kohlenversand überaus störende Wirkung aus. Im gesamten Rheingebiet mußte der Trajektbetrieb unterbrochen werden. Ein Eisenbahnunfall wird amtlich aus Köln vom 25. Oktober gemeldet: Heute morgen 8 Uhr 30 Min. entgleisten auf der Strecke 82) Wußte es sein? Roman von C. v. Berlepsch. Eo I! cunag »Sie haben Kanals meine Frau als Leiche gesehen," sagte der Graf plötzlich zu seiner Be- -leiterin. „Ist meine Tochter ihr ähnlich?" „Ja, das ist sie," war die schnelle Antwort, „nur in meinen Augen viel schöner." Als sie in eiligen Schritten die Stadt er reichten, nahm der Graf im nächsten Fuhrgeschäft einen Wagen und forderte Frau Pohl auf, dem Kutscher die Adresse anzugeben. Cr selbst fragte nicht, wo seine Tochter lebe, »b sie verheiratet sei oder nicht, er war nur ganz von dem Gedanken erfüllt, daß er sie ge funden habe, um sie nie wieder zu verlieren. Er hatte den Kopf in die Hand gestützt und sah vor sich hin. So bemerkte er nicht, daß das Schloß, welches er neulich so bewundert hatte, vor ihm austauchte, daß der Wagen durch eine lange Allee rollte und dann an der Freitreppe hielt. Er fand sich erst wieder in die Wirklichkeit zurück, als er in ernem großen, mit Gewächsen geschmückten Vorsaal stand und Frau Pohl ihn amerete. „Gnädiger Herr," sagte sie zitternd, „Ihre Tockter ist leidend, die Aufregung könnte ihr schaden. Was soll ich thun?" „Sie wollen doch nicht behaupten, daß sie gänzlich in Unwissenheit über ihre Geschichte gehalten ist?" fragte er. „Sie glaubt, daß ich ihre Mutter bin; ^veft.r weiß sie nichts." „Das ist ja unerhört!" brauste der Graf auf. „Führen Sie mich sofort zu ihr." Bleich und zitternd ging Ernestine Pohl voran, der Graf folgte, sein Herz zum Zer- springen voll. Nur noch wenige Augenblicke trennten ihn von dem Ziel seiner Sehnsucht. Und dann stand er ihr gegenüber, der lichten Erscheinung mit dem blonden Haar und den großen blauen Augen, in denen eine Welt von Schmerz sich spiegelte. Es lag ein solcher Hauch von Reinheit und Lieblichkeit über ihrem ganzen Wesen, daß er tief bewegt wurde. „EditHI" sagte er leise, und als sie ihn er staunt ansah, wiederholte er „Edith!" „Ich kenne Sie nicht," entgegnete die junge Frau erstaunt. Sie hatte auf einem Ruhebett gelegen, als er eintrat, bei der Nennung ihres Namens erhob sie sich und trat ihm entgegen. Jede Bewegung erinnerte so an ihre Mutter, daß Graf Prankenau sich kaum enthalten konnte, sie in die Arme zu schließen. Aber er mußte vor sichtig sein; er sah wie zart sie war. Er wandte sich an Frau Pohl mit der Bitte, sich zu ent fernen. Edith hielt sie zurück. „Es ist meine Mutter," sagte fie. „Sie dürfen fie nicht fortschicken." „Ich komme bald wieder, teures Kind," be merkte die Frau. „Du mußt anhören, was dieser Herr dir zu sagen hat; aber bleib' ruhig und laß dich nicht zu sehr aufregen!" Sie verließ das Zimmer, und Edith wandte sich wieder zu dem Fremden. „Sie nennen meinen Namen," begann fie, „und schicken meine Mutter fort, was haben Sie mir zu sagen?" Plötzlich schien ein Ge danke fie zu durchzucken. „Hat Herr v. Hohen- stedt Sie zu mir geschickt?" fügte fie hinzu. „Herr von Hohenstedt ?" wiederholte er er staunt. „Nein, er hat nichts mit dem zu thun, was ich Ihnen sagen muß. Setzen Sie sich, Sie find nicht stark, und ich habe Ihnen viel mitzuteilen." Seine eigenen Gefühle nahmen ihn so sehr in Anspruch, daß er gar nicht auf die Ver mutung kam, seine Tochter könne mit der Erzäh lung Hohenstedts in Verbindung stehen, so nahe auch der Gedanke lag. Edith sank halb erschöpft, halb erschrocken auf einen Sessel, der Graf setzte sich ihr gegen- über. „Edith," begann er, „sehen Sie mich an, ob mein Erficht keine Erinnerungen in Ihnen wach ruft. — Doch nein, wie thöricht ich bin! Wie können Sie sich meiner erinnern, Sie waren ein kleines Kind, als ich Sie zuletzt sah." „Ich entsinne mich Ihrer nicht," sagte Edith leise. „Ich habe Sie, soviel ich weiß, fÄher nie gesehen." „Mein liebes Kind," bemerkte er in einem zärtlichen Ton, der sie tief rührte, „das ist sehr traurig für mich." „Sie find doch nicht etwa der Herr, der uns, als ich ein kleines Kind war, oft besuchte? Ich habe nur eine ganz dunkle Erinnerung an ihn, er pflegte mir seine Uhr zu zeigen und mich auf Ausfahrten mitzunehmen." „Nein, das war jedenfalls Dr. Reinhold. Pch selbst habe Sie zuletzt gesehen, als Sie vier Tage alt waren. Seitdem habe ich ein Ver mögen hingegeben, um Sie wiederzufinden." „Und weshalb? Wer find Sie?" „Teuerste Edith, ich hab« die heiligsten Rechte an Sie, aber ich will Sie nicht erregen. Sagen Sie mir nur daS eine: Haben Sie die Frau, die uns eben verließ, immer für Ihre Mutter gehalten?" „Selbstverständlich," entgegnete Edith er» staunt. „Und jenen unglücklichen Verbrecher für Ihren Vater?" „Ja," wiederholte fie. „Wird es Ihnen leid thun, zu hören, daß beide nicht im entferntesten mit Ihnen verwandt sind, daß Frau Pohl nur zu Ihrer Pflege an genommen wurde und Sie mütterlich liebte, weil fie ihr eigenes Kind eben verloren hatte d „Ich kann es nicht fassen," flüsterte Edith. „Wer find Sie, daß Sie mir solche Aufklärungen geben?" „Mein Name ist Graf Hubert Prankenau, und darf ich Ihnen sagen, wer ich sonst noch bin?" „Ich bitte darum." . . . „Ich bin dein Vater, Edith, dem Vater, der sein Leben in vergeblichem Suchen nach dir hin» gebracht hat." .. „Mein Vater?" sagte fie matt. „Ich bm nicht die Tochter des Sträfling- ? Mein Vater ist ein vornehmer Herr?" , „Ich bin dein Vater," wiederholte A „mw du, mein Kind, bist das Ebenbild deiner MUK . „Und fie, die uns eben verließ, fie sttyr m gar keiner Verbindung mit mir r
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