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Allgemeiner Anzeiger : 24.10.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190010240
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19001024
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19001024
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- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1900
-
Monat
1900-10
- Tag 1900-10-24
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Monat
1900-10
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 24.10.1900
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Ueber den Tod des Hofrat Cordesschen Ehepaares, das in München freiwillig aus dem Leben schied und in Lübeck beigesetzt wurde, sind in der auswärtigen Presse Nachrichten ver breitet, die den Selbstmord bezweifeln und auf eine andere Todesursache schließen lassen. Dem gegenüber wird nun von dem Hofrat Cordes befreundeter Seite auf das bestimmteste ver sichert, daß das betagte und körperlich schwer leidende Ehepaar den Tod durch Cyankali gesucht hat. Seit Monaten bereits haben sich Cordes und Frau mit diesem Gedanken getragen und alles aus diesen Schritt vorbereitet. Die Ver hältnisse sind bis aufs kleinste geordnet und nachdem dies alles geschehen, schieden beide aus dem Leben. Ein eigenartiger Kampf wird zur Zeit in Dortmund gekämpft. Der Milchhandel lag bisher in den Händen von Handelsleuten, die etwa 13 Pfg. für das Liter an den Landwirt zahlten, während sie von den Kunden 18 Pfg. nahmen, mithin hatten sie an jedem Liter 5 Pfg. Verdienst. Vor einiger Zeit that sich jedoch eine große Anzahl von westfälischen Landwirten zu sammen und bildete eine Milchverkaufsgenossen schaft, ohne die Händler zu fragen. Es wurde ein Geschäftsführer mit 4000 Mk. Gehalt ange stellt, die Milchhändler sollten von der Ge nossenschaft beziehen, für das Liter 15 Pfg. zahlen, von den Kunden aber 20 Pfg. nehmen. Die Milchhändler waren unzufrieden, weil man sie nicht vorher gefragt hatte, sie er hielten von anderer Seite genügend Milch, nm ihre Kunden zu bedienen, denen sic den alten Preis von 18 Pf. berechneten. Die Genossenschaft konnte deshalb ihre Milch für 20 Pf. nicht los werden. Um ihren Zweck zu erreichen, verkauft sie jetzt die Milch zu 14 Pf. und so müssen die Händler wohl oder übel die Preise eben falls herabsetzen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die Genossenschaft, da ihr zahl reiche bemittelte Landwirte angehören, als Sieger aus dem Kampfe hervorgehen wird. Das Publikum aber wird später wohl die Kriegskosten zu tragen haben. Zahlreiche Ehescheidungen. In Essen gelangten am Dienstag vor der Zivilkammer des dortigen Landgerichts nicht weniger als 66 Ehescheidungssachen zur Verhandlung. Die Mehrzahl der Ehescheidungsklagen har in der Schlafburschenwirtschaft ihren Grund. Vom eigenen Bruder erschossen wurde in Groß-Kelle (Mecklenburg) der junge Guts besitzer Karl Glantz, welcher bis zum 1. d. beim Dragonerregiment in Parchim seiner Militär pflicht genügte. Karl ging mit seinem jüngeren Bruder, dem Studenten Emil, abends auf den Anstand. Der ältere Bruder verließ einen Augenblick seinen Standort, und erhielt vom Bruder, der ein Wild vor sich wähnte, einen Schuß in die Brust, der den Tod sofort herbei- führte. Mord und Selbstmord. Der Milchhändler Schmal aus Neviges erschoß am Donnerstag morgen in Elberfeld seine hier feit kurzem ver heiratete Tochter, dann sich selbst. Drei Kinder erstickt. In Siegburg wurden am Donnerstag drei Kinder im Alter von einem, drei und vier Jahren, die infolge Wohnungswechsels der Eltern sich in einem Zimmer allein befanden, bei der Rückkehr der Eltern tot aufgesunden; sie waren durch den aus dem Kamin ins Zimmer cingedrungenen Rauch erstickt. Ein mysteriöser Mordanfall auf einen Militärposten wurde nachts in Danzig verübt. Der Musketier Werda erhielt plötzlich aus dem Hinterhalt neun scharfe Schüfst, welche aber nicht trafen. Der Posten verhaftete darauf den Arbeiter Franz Ostowski, welcher erklärte, sein Bruder Johann habe den Posten erschießen wollen, um sich seines Gewehrs zu bemächtigen. Der Bruder sei entflohen, er sollte warten und Nachsehen, ob der Posten gefallen sei. Johann Ostowski ist noch nicht verhaftet. Der Pariser Automobilklub beschloß, gemeinsam mit dem Berliner Automobilklub im nächsten Jahre eine Wettfahrt Paris-Berlin zu arrangieren. Wie Grai Talleyrand-Perigord, der Vizepräsident des deutschen Automobilklubs, dem Komitee mitteilte, beabsichtigt der deutsche Kaiser, einen Preis für den Sieger auszusetzen. Kleine Geschenke erhalten die Freund schaft. Königin-Viktoria von England hat dem Kaiser Menelik von Schoa zwei kleine Fox- Terriers geschickt. Zu diesem Geschenk, das dem Negus im Namen der Königin übergeben wird, kommen noch vier Windhunde hinzu, die von der britischen Regierung gespendet werden. Windhunde sind fast die einzigen Jagdhunde, die man in Nordairika benutzen kann, und ein guter „Slughi" ist ebenso viel wert wie eine Kamelstute und erzielt manchmal sogar den Preis eines Pferdes. Die Haftentlassung des berüchtigten Maffiahäuptlings Pallizzolo, der des Mordes an dem Präsidenten der Bank von Sizilien Notarbartolo angeklagt war, soll nach Nachrichten aus Palermo bevorstehen. Die Maffia von Palermo will den sauberen Patron, der „wegen Mangels an Beweisen" sreigelassen wurde, im Triumph durch die Straßen führen. Zu einem Theaterskandal kam es kürz lich in Helsingstrs. Die Sängerin Frau Alma Fohström, die auch in Deutschland bekannt ist, gastiert dort zur Zeit mit großem Erfolg. Ein Kritiker hatte sich nun einige völlig berechtigte Anmerkungen über die finnländische Diva er laubt und dies genügte, um den Zorn der Sängerin hervorzurufen. Als sie in dem trotz der dreifach erhöhten Preise ausverkausten Opernhaus den betreffenden Kritiker bemerkte, brach sie in ihrem Gesang plötzlich ab und er klärte kategorisch, sie würde nicht weiter singen, bevor nicht der Kritiker entfernt worden wäre, und gleichzeitig erging sic sich in den gröbsten Ausdrücken gegen den unglücklichen Publizisten. Das Publikum nahm für und gegen diesen Partei und es entstand ein Skandal, der eine volle halbe Stunde dauerte, bis der Kritiker sich schließlich lächelnd zurückzog — worauf die Diva wcttersang. Der graste amerikanische Kohlenstreik ist beendet und hat mit dem vollen Siege der Arbeiter geendet, die nicht nur eine Lohn erhöhung von zehn Prozent durchsetzten, sondern auch ihre Forderungen in bezug auf die Ar beitszeit und die Abschaffung des Trucksystems, außerdem aber die Anerkennung ihrer Organi sation durch die Grubenbesitzer. Der Wieder aufnahme der Arbeit scheint nun nichts mehr im Wege zu stehen. Ein Trust, der sein eigener Konkurrent ist, ist der amerikanische Spielkartentrust. Der hohe Zolltarif des Dingleygesetzes hatte es ihm ermöglicht, seine Preise im Jnlande gewaltig in die Höhe zu schrauben. Um so leichter konnte er nun im Auslande billig verkaufen, und that das zu Preisen, die kaum über die Selbstkosten hinausgingen. Als die amerikanischen Händler dies gewahr wurden, bezogen sie die Ware des Trust aus Europa, die sie zollfrei einführen dursten, nach dem Gesetz, das die Rückeinsuhr amerikanischer Erzeugnisse nicht mit Zöllen be lastet. Da die Fracht für die kompakte und leichte Ware nicht hoch zu stehen kommt, sieht sich der Trust bereits geschlagen und muß ent weder seine Auslandspreise erhöhen, falls er das wegen des Wettbewerbs kann, oder das Auslandgeschäft aufgeben oder die Jnlandpreisc heruntersetzen, falls er das bei dem geringen Gewinn seines Auslandgeschäfts vermag, oder endlich, er muß sich auflösen, was ihm am meisten zu wünschen wäre. GerichlshaUe. Berlin. Wegen versuchten Totschlags, Be drohung und Widerstands gegen die Staatsgewalt sollte am Mittwoch vor dem Schwurgericht gegen den Schankwirt Bottke verhandelt werden. Bottke hatte sich an einem Juliabende in der Fischerstraße gelegentlich einer Bierreise grober Ausschreilungen schuldig gemacht, sich dabei eines Revolvers bedient und einen Sergeanten ziemlich erheblich verwundet. Nachdem die Sitzung eröffnet worden war, machte der Vorsitzende den Prozeßbeteiligten die Mitteilung, daß eine Verhandlung nicht stattfinden könne, da der Angeklagte sich am Abend zuvor im Untersuchungs gefängnis erhängt habe. Bromberg. Daß man vor Gericht keinen Re volver bei sich lühren dars, lehrt ein Vorfall, über den wie folgt berichtet wird. Im Parieienzimmer des hiesigen Gcwerbegerichts gerieten, als sich der Gerichtshof zur Beratung zurückgezogen hatte, ein beklagter Kaufmann und ein zu dieser Sache ge ladener Zeuge in Wortwechsel, in dessen weiterem Verlauf der Zeuge einen Revolver hervorzog. In diesem Augenblick betraten die Richter wieder den Saal, ist -urch etwaige Unbesonnenheiten verhindert wurden. Der Zeuge, der sich für seinen Gang zum Gewerbegericht mit Mordwerkzeugen bewaffnen zu müssen geglaubt hatte, wurde wegen Ungebühr vor Gericht in eine Geldstrafe von 3V Mk. eventuell fünf Tagm Haft genommen. Frankfurt a. M. Das Schwurgericht ver urteilte die 22 jährige Marie Reich, die ihr acht tägiges Kind auf Geheiß ihrer Mutter in den Main geworfen, zu 3'/? Jahr Gefängnis, die Mutter zu neun Jahr Zuchthaus. Eine Zeugenaussage Schweningers. In dem Majestätsbeleidigungs-Prozeß gegen Maximilian Harden, der am 8. d. unter Aus schluß der Oeffentlichkeit stattfand, ist, wie ein Eingeweihter in österreichischen Blättern erzählt, manches gesagt worden, das historisches Inter esse hat. Von Bedeutung sind die Zeugen aussagen Dr. Schweningers. Von den Fragen seien folgende mitgeteilt. Frage: „Ist es wahr, daß ein Mitglied des Kaiserhauses dem Ge heimrat Schweninger gegenüber seine Aner kennung über den unter Anklage gestellten Artikel Hardens in der.Zukunft' ausgesprochen, und daß dieses Mitglied des Kaiserhauses gesagt hat, es sei wünschenswert, daß der Kaiser den Artikel zu lesen bekomme?" — Schweninger: „Ja." — Frage: „Ist es wahr, daß dieses Mitglied des Kaiserhauses, dessen Name nicht genannt werden soll, denselben Vater und die selbe Mutter hat wie der Kaffer?" — Schwe- ninger: „Ja." — Frage: „Ist es wahr, daß Fürst Bismarck den Angeklagten Harden einen guten Royalisten genanm hat?" — Schwcnin- ger: „Ja." Er rügt hinzu, daß Fürst Bismarck die freimütige Kritik, die der Angeklagte zu üben pflegt, gerade vom Standpunkt eines guten Royalismus gebilligt habe. — Frage: „Ist es wahr, daß Fürst Bismarck die Flasche Stein berger Kabinett, die ihm der Kaiser geschickt hatte, mit dem Angeklagten ausgetrunken hat?" — Schweninger: „Ja." — Frage: „Ist es wahr, daß Fürst Bismarck bei dieser Gelegen heit zu dem Angeklagten gesagt hat: „Ich weiß, Sie meinen es mit dem Kaiser ebenso gut wie ich?" — Schweninger: „Ja." — Frage: „Ist es wahr, daß sich der Vorgang in folgender Weise zugetragen hat: Fürst Bismarck, Herbert Bismarck, Schweninger und Harden saßen an der Tafel des Fürsten. Der Fürst sagte zu Harden: „Es ist eigentlich das erste Mal, daß Sie hier mit Herbert zusammen sind. Das sollte doch besonders gefeiert werden." Darauf wandte sich der Fürst zum Diener und gab Befehl, die Flasche Steinberger Kabinett herein zubringen. War dies der Hergang?" — Schweninger: „Ja." — Frage: „Ist es wahr, daß Harden einige Tage, nachdem er wegen Majestätsbeleidigung in Anklage gesetzt und vom Berliner Landgericht unter Vorsitz des Land gerichts-Direktors Schmidt freigesprochen wor den, beim Fürsten Bismarck dinierte, und der Fürst bei der Tafel Harden zutrank, und zwar auf das Wohl des Landgerichts-Direktors Schmidt?" — Schweninger: „Ja." — Frage: „Der Angeklagte behauptet, der Kaiser sei manchmal nicht richtig informiert worden. Ist es beispielsweise wahr, daß der Kaiser dem Geheimrat Schweninger gegenüber die Acuße- rung gethan, Fürst Bismarck sei nicht mehr im stände, die Amtsgeschäfte zu versehen, weil er dem Morphinismus verfallen sei?" — Geheimrat Schweninger erwidert, er möchte auf diese Frage keine Antwort geben, weil sie den Kreis der ärztlichen Berufspflichten berühre. — (Ob's wahr ist?!) Die Katarrhe beim herbstlichen Witterungswechsel. Es gibt böse Zeiten im Jahre, deren Ein fluß auf den Menschen man wohl kurz mir der Aeußerung kennzeichnet: „Es ist alles erkältet." Bekanntlich liegt die ärztliche Kunst mit bezug auf die sogenannten Erkältungen noch sehr im argen, und man weiß von ihrer Herkunft ebenso wenig wie von ihrer Verhinderung und ihrer Behandlung. Da ist eine Abhandlung von Dr. Adler aus Breslau willkommen, der in den ,Therapeut. Monatsheften' einiges zur Aufklä rung der Katarrhe zu thun versucht. Er macht zunächst einen Unterschied zwischen solchen Ka tarrhen, die auf Ansteckung beruhen, und denen, die sich bei vielen, vielleicht sogar den meisten Leuten regelmäßig während der beiden großen Witterungsänderungen im Jahre einstellen, also am Anfang des Herbstes und des Frühlings. Man kann diese vorübergehenden Erkrankungen zweckmäßig als Uebergangskatarrhe bezeichnen, und zwar beziehen sie sich wesentlich auf die Nafe, sind daher das, was man im gewöhnlichen Sinne Schnupfen nennt. Gewöhnlich ist hierbei die Erkrankung mit ihrem Niesreiz und der Söbleimabsonderung nach wenigen Tagen ge bessert und nach etwa einer Woche ganz ge hoben. Der eigentliche Schnupfen, der von Ansteckung herrührt, ist ein weit schlimmerer Bruder, da er dem Menschen nicht nur das Geruchsvermögen auf Wochen völlig zu rauben vermag, sondern auch sein Allgemeinbefinden auf das empfindlichste und auf lange Zeit schädigt. Der Uebergangskatarrh meldet sich übrigens gewöhnlich zuerst im Schlunde, wo ein eigentümliches Gefühl von Rauhigkeit sich einstellt, das von einer Affektion der Rachen schleimhaut ausgeht. An den Uebergangs- katarrhen nehmen außer der Nase gelegentlich der Kehlkopf, die Luftröhre und andere Organe teil, aber auch von ihnen weicht die Krankheit ge wöhnlich binnen kurzer Zeit. Die verhältnis mäßige Harmlosigkeit der Uebergangskatarrhe und ihr geringer Einfluß auf das Gesamt befinden spricht durchaus gegen eine Entstehung durch Ansteckung, sondern es ist wahrscheinlich, daß sie auf einer direkten Einwirkung des Witterungs- und besonders des Temperatur- Wechsels aui das Gewebe der Schleimhäute be- ruheu. Die mangelhafte Entwickelung eines kräoigen Schleimhautgewebes für den Winter ist besonders dem höheren Alter eigentümlich, und daher leiden so viele Personen in höherem Lebensalter an dauernden Katarrhen während der ganzen rauhen Jahreszeit. Wer die Er fahrung gemacht hat, daß seine Schleimhäute nicht diszivliniert genug sind, um sich dem jahreszeitlichen Wechsel in geeigneter Weise an zupassen, der muß eben, wenn es ihm seine Mittel gestatten, ein Klima anssuchen, wo sich der Witterungsumschlag möglichst wenig bemerk bar macht. Jedenfalls kann sich der Erkrankte nach den obigen Darlegungen damit trösten, daß er wegen eines starken Katarrhs während der Uebergangszeit nicht zu verzagen braucht, da dieser einen ganz natürlichen Vorgang dar stellt, der gar nicht aus einer Ansteckung beruht und bald vorüber geht. Kuntes Allerlei. Waggcngruh bei der deutschen Handelsmarine) Nach einer zwischen dem „Norddeutschen Lloyd" und der „Hamburg- Amerika-Linie" getroffenen Vereinbarung, der sich die Mehrzahl der deutschen Reedereien an- geschlossen hat, werden vom November ab für den Austausch des Flaggengrutzes auf See für die Schiffe der deutschen Handelsmarine be sondere Vorschriften in Kraft treten, welche be zwecken, den Flaggengruß zwischen deutschen Handelsschiffen allgemein zu einem obligatorischen zu machen. * * * Rangerhöhung. „Ist denn Ihr Freund, der alte Herr, mit dem Sie allabendlich kneipen, wirklich Geheimrat?" — „Nein, das nicht. Er ist eigentlich bloß ein gewöhnlicher Kanzleiral, aber wenn es nach zehn Uhr ist, und seine Frau zu Hause auf ihn wartet, so rede ich ihn häufig mit „Geh heim, Rat", an!" Ja so t A.: „So, Herr Leutnant fühlen sich nicht wohl? Sie haben sich gewiß gestern bei der Soiree den Magen überladen?" — > Leutnant: „Nein, das Herz!" einigem Zögern, „daß ich es über meine Lippen bringen würde, aber ich vertraue Ihnen, und Venn Sie mir helfen können, will ich den Tag segnen, an dem ich Sie kennen lernte. Nur eins muß ich noch vorausschicken: meine Frau ist vollständig unschuldig, sie hat mich weder getäuscht noch belogen. Also: An unserm Hochzeitstag erfuhr ich, daß ihr Vater ein ganz gemeiner Verbrecher ist, der seine Strafe im Zuchthaus verbüßt." Graf Prankenau sah entsetzt aus. „Wie war es denn aber möglich, daß Sie w hintergangen wurden?" „Das kann oder vielmehr darf ich Ihnen Vicht sagen, weil dadurch eine dritte Person bloßgestellt würde, die mir früher sehr teuer war, und die ich auch jetzt noch schonen will, obgleich ne es nicht um mich verdient hat. Nur soviel: es war ein teuflischer Racheakt, dem wir zum >>Pfer fielen. Meine Frau hat mich nicht ge täuscht; die Aermste glaubte sest, daß ich ihres «aters Geschichte kannte. Als sie an unserem Hochzeitstage erfuhr, daß dies nicht der Fall Var, und sah, wie entsetzt ich über diese Ent deckung war, ging sie von mir. Sie sagte, die Tochter des Zuchthäuslers dürfe nie die Blutter Weiner Kinder sein, und auch ich selbst solle uicht in meiner gesellschaftlichen Stellung und w meiner politischen Laufbahn durch einen solchen Aakel behindert werden. Nun Sie Mes wissen, Graf Prankenau, sagen Sie mir Ihre Ansicht: Mbe ich recht gethan, dem Willen meiner Frau tu folgen?" . Dieser sah in ein so schmerzerfülltes Gesicht, er nicht gleich antworten konnte. Walter v. Hohenstedt wiederholte seine Frage: „Habe ich recht gehandelt oder nicht?" „Das ist schwer in eine kurze und sofortige Antwort zusammenzufassen," entgegnete Graf Prankenau. „Der Konflikt widerstreitender Ge fühle, der in diesem Falle bei Ihnen zum Ausbruch gekommen ist, würde je nach dem Temperament, der Lebensanschauung und über haupt der ganzen ureigensten Pcrsönlichket: bei dem einen diesen, bei dem andern wieder jenen Abschluß gefunden haben. Wie ich selbst mich in einem derartigen Falle benommen hätte, kann ich wirklich in diesem Augenblick nicht sagen. Aber — Ihre arme, arme Frau vor allem muß °ja unter der Sache namenlos gelitten haben und noch leiden!" „Gewiß, sie fühlt den Schmerz womöglich noch schärfer und herber als ich. Aber nun sagen Sie mir, gibt es einen Ausweg für mich?" „Ich wüßte keinen," war die Antwort. „Eine Hoffnung hatte ich, aber auch diese wurde zerstört. Ich dachte an die Möglichkeit, daß der Vater unschuldig verurteilt sew könnte und fich vielleicht irgendwie ein sogenanntes Wiederaufnahmeverfahren einleiten ließe. Ich fuhr extra nach Leoben, um ihn zu sprechen." „Sie haben ihn gesehen?" fragte Graf Prankenau erstaunt. „Ja, aber ich mußte sofort jede Hoffnung aufgeben. Er ist ein ganz gemeiner Ver- brecher. Als ich ihn fragte, ob er den Einbruch begangen hätte, gab er eS ohne weiteres zu. Er nannte als Grund mit größter Gelassenheit den Wunsch, reich zu werden uud Neid und Mißgunst gegen die Besitzenden, obwohl gerade dir Familie, bei der er den Diebstahl begangen, ihm und den Seinigen nur Gutes erwiesen hatte. Als ich den Menschen sah und sprechen hörte, sagte ich mir, daß de* Entschluß meiner Frau der rechte gewesen war. und daß unS nichts anderes übrig blieb, als uns zu trennen." „Die Sache lieg: allerdings schlimmer als ich dachte," bemerkte Graf Prankenau: „ich kann Ihnen unter diesen Umständen auch nichts weiter als Ergebung in Ihr Schicksal anraten." Bei fich dachte er, daß er vie junge Frau wohl einmal sehen möchte, um sich zu über zeugen, ob sie ebenso litt wie ihr Gatte. Er begriff auch nicht, wie die Tochter aus solchem Hause mit inneren und äußeren Reizen aus- gestattet sein konnte, die einen Mann wie Hohen stedt zu bezaubern vermochten. Edith hatte keine Ahnung, vie nahe Waller ihr war, Sein Brief und die Erlaubnis, ihre Mutter zu fich zu nehmen, hatte sie mit Freude und Dankbarkeit erfüllt, und obgleich sie es für unnötig hielt, hatte sie dieser noch eingeschärft, völliges Schweigen zu beobachten. Ernestine Pohl verstand fie sofort. „Sei unbesorgt, Edith," sagte fie, „so lange ich in deinem Hause bin, wird der Name deines Vaters nicht über meine Lippen kommen." Das Leben war für Edith nun doch etwas weniger trostlos. Wenn fie auch nichr viele ge meinsame Interessen mit ihrer Mutter hatte, so war diese doch beständig um fie, sorgte für sie und pflegte fie. Daß Frau Pohl jetzt einiger- maßen klar sah, war nicht zu vermeiden. Sie hatte vorausgesetzt, daß Edith in Schloß Berg heim lebe und fand sie iu dem reizenden aber abgelegenen WaldhauS. Weshalb wohnte fie hier allein? So lange fich Walter außer Landes befand, mochte ja ein Grund dafür vor- liegen, aber jetzt, wo er zurückgekehrt war, wie man ihr erzählt hatte, gehörte seine Frau doch zu ihm. Edith sprach jedoch nie darüber, und Frau Pohl mochte nicht direkt fragen. Aber als fie ihre Tochter langsam hinwelken sah, als fie bemerke, wie diese immer bleicher und stiller wurde und an nichts mehr Freude hatte, da wurde fie besorgt. Oft und oft konnte sie das liebe Antlitz betrachten mit dem innigen Wunsch, Edith möchte fich ihr anvertrauen, ohne daß fie es jedoch wagte, selbst eine Aussprache herbeizuführen. Noch mehr staunte fie, daß niemand im Hause fich über den langen Aufenthalt der jungen Frau hier wunderte. Es schien, alS ob alles so sein müsse, wie es war. Frau Pohl sprach nichr mir den Dienstboten, aber schließlich erfuhr fie doch aus gelegentlichen Bemerkungen, daß Edith nie in Schloß Bergheim gelebt hatte, sondern stets hier, und daß Herr von Hohen stedt fie nie besuchte. Wie kam das? War das der Grund des tiefen Kummers, der aus Ediths Augen blickte, und ihres langsamen HinfiechenS? Frau Pohl beschloß endlich, zu sprechen. Eines Tages, als Edith fich mit einem Seufzer vom Fenster abwandte, um den Hellen Sonnenschein und die blühenden Blumen nicht zu sehen, sagte ihre Mutter: „Du sprichst ja nie mehr von der Gräfin Brandner; besucht fit dich nicht?" Mu so (Fortjetzung folgt.)
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