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Allgemeiner Anzeiger : 24.10.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190010240
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19001024
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19001024
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1900
-
Monat
1900-10
- Tag 1900-10-24
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Monat
1900-10
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 24.10.1900
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Politische Rundschau. Die chinesische» Wirren. * Gras Waldersee ist am 18. Oktober in Peking eingetroffen und hat in dem Palast d e r K ai s e ri n - W it w e Quartier genommen. * Die beiden „F r i e densbevoll - mächtigten" Prinz Tsching und Li-Hung- Tschang haben den fremden Diplomaten fol gende Vorschläge unterbreitet: China spricht sein Bedauern über die Vorgänge aus, die zu dem Konflikt geführt haben, und verspricht dafür zu sorgen, daß sie sich nicht wieder holen. China werde die Mitschuldige n der Boxer nach eigenen Gesetzen richten und strafen. China wolle Entschädigung für die Sachschäden leisten, die durch Delegierte genauer sestzustellen wären. Die alten Handelsverträge sollen wieder in Kraft treten, oder cs könnten neue abgeschlossen werden. Die militärischen Maß nahmen der Mächte sollten sofort ein gestellt werden. (Das sieht ganz danach aus, als ob China der Sieger wäre und den Frieden zu diktieren hätte.) *Aus der Fülle weiterer Meldungen, die samt und sonders, soweit sie aus Ostasien kommen, unkontrollierbar sind, heben wir einige besonders unglaubwürdige hervor: Li-Hung-Tschang ist wieder degradiert (!). — Die Kaiserin und der Kaise r sind gar nicht in Siansu, sondern ganz nahe bei Peking versteckt. — Kaug-Hi, einer der Hauptschuldigen, habe S e l b stmord begangen. — Paotingfu sei in französischen Händen. Sollte die letztere Mitteilung sich bestätigen, so kann cs sich nicht um die Brigade Bailloud handeln, die am 12. d. von Tientsin abmarschicrtc, son dern nur nm ein Kavalleriespitze. * Im Norden von Peking wächst die B o x e rb e w e gu n g an; die Verbündeten werden eine Expedition dagegen unternehmen. Die Aufständischen im Süden, die j den Sturz der Dynastie herbcisühren wollen, erlitten durch chinesische Regierungstruppen eine schwere Niederlage. * Die Witwe des ermordeten deutschen Gesandten, die jetzt ihr Geburtsland, die Ver. Staaten, erreicht hat, erklärte, die chinesische Regierung habe die Ermordung ihres Gatten vorsätzlich geplant; Prinz Kuang sei damit betraut gewesen, deren Ausführung zu leiten. Deutschland. * Die kaiserliche Familie nahm am Freitag das heil. Abendmahl und machte dann der Kaiserin Friedrich einen Besuch, deren Befinden sich langsam, aber stetig bessert. *Der Kaiser hat dem zurückgetrctenen Reichskanzler Fürsten Hohenlohe mittels eines sehr huldvollen Schreibens den Schwarzen Adlerorden mitBrillanten verliehen. * Aus Anlaß des Geburtstages des Kaisers Friedrich ließen der Kaiser und die Kaiserin am Donnerstag einen prachtvollen .Kranz von Tuberosen und Veilchen im Mauso leum bei der Friedenskirche zu Potsdam nieder legen. Um 11 Uhr fand im Neuen Palais Gottesdienst statt, welchem Prinz Joachim und Prinzessin Viktoria Luise beiwohnten. Weitere Kränze traten von der Kaiserin Friedrich und deren bei ihr weilenden Kindern ein. Im Laufe des Vormittags erschienen von den alten Ge treuen Kaiser Friedrichs Generaladjutant von Mischke und mancher andere vom früheren' Dienst des hohen Herrn, sowie Deputationen von Offizieren des 1. Garde-Regiments zu Fuß und anderer Regimenter, deren Chef der verstorbene Kaiser gewesen oder zu denen er in besonderen Beziehungen gestanden. Auf dem Palais der Kaiserin Friedrich wehte die Purpur standarle der Königin von Preußen auf Halb mast, von dessen Mitte große Trauerschlcisen mit langen Florbändern herabwallen. *Bei der Frühstückstafel aus Anlaß der Konfirmation des Prinzen Adalbert brachte der Kaiser solgenden Trinkspruch aus: „Du mußt festeren Boden unter den Füßen haben als jeder andere; du wirst See mann! Im Kampf mit Sturm und Wellen sei dein Hort die Religion!" * Die Verlobung der jungen Königin der Niederlande mit dem Herzog Heinrich zu Mecklenburg-Schwerin war eine große Ueberraschung; das Geheimnis war vortrefflich gewahrt. Wie die ,Kreuz-Ztg.' hört, haben sich Braut und Bräutigam im Laufe des Jahres öfter gesehen, so im Mai in Pots dam, im August in Schwarzburg, und haben Gefallen aneinander gefunden. Im September, als die Königin in Süddeutschland weilte, hat dann noch eine Zusammenkunft in Höchst am Main stattgefunden. — In der amtlichen Be kanntmachung ist der Name des Prinzen schon als Hendrik angegeben. Graf Bernhard v KM»W, der neue Reichskanzler. * Für st Hohenlohe ist bereits am Donnerstag in aller Stille von Homburg nach Baden-Baden abgereist. Später kehrt der Fürst nach Berlin zurück, um die Geschäfte seinem Nachfolger zu übergeben. Die Verabschiedung in Homburg erfolgte in den einfachsten Formen, nur wenige Personen hatten ihn auf den Bahn hof begleitet. *Die Einberufung des Reichs tags zum 14. November wird im .Reichsanz/ amtlich bekannt gegeben. Die Verordnung ist unterzeichnet: „Gegeben im Schloß zn Hom burg v. d. H., den 16. Oktober. Wilhelm. Fürst zu Hohenlohe." Die Unterzeich nung dieser Verordnung ist also die letzte politische That des Fürsten Hohenlohe. *Jm Rcichstagswahlreise Westhavel land fand am Donnerstag Ersatzwahl statt. Es ist Stichwahl nötig zwischen von Loebell (kons.), der etwa 7400 Stimmen, und Pöus (soz.), der etwa 9300 Stimmen erhielt. Der Rest fiel aus Bode (frs.) mit 3300 Stimmen. Balkanstaaten. * Der Plan des Prinzen Georg von Griechenland betr. die Neuregelung der staatsrechtlichen Stellung Kretas findet nach der ,Polit. Korresp/ nirgends Zustimmung. Alle Mächte haben den Grundsatz, an dem bestehen den Zustande nicht zu rütteln und lassen die ernste Erörterung einer Abtretung Kretas von der Türkei nicht zu. Prinz Georg werde schon in Rußland dementsprechend belehrt werden, daß sein Bestreben aussichtslos sei. * Der türkische Militärattache in Brüssel Tewfik Pascha hat um Enthebung von seinem Posten ersucht mit der Begründung, daß finanzielle Gründe ihm nicht gestatten, sein Amt länger zu versehen. — Er hat jedenfalls, wie so viel andere türkische Vertreter im Aus land, gar kein Gehalt bekommen. * Die b u l g ar i s ch e S o b r a n j e ist zum 31. Oktober einberusen worden. Gleichzeitig ist die Aufhebung des Belagerungs zustandes verfügt worden, die in mehreren Bezirken bestanden hatte. Afrika. *Jn Südafrika wird der Guerilla krieg mit wechselndem Erfolg weitergeiührt. General Kelly-Kenny berichtet: Leutnant Malcolm griff mit einer kleinen Abteilung Pol'" en von Wepener die Boeren in der Nähe cn Boeren wurden getötet, zwei gewu , ge nommen. Die Engländer hatten keine Verluste. Kapitän Pine Caifin traf am 14. Oktober bei Ventersburgroad-Station auf Boeren und Ver trieb diese. Er erhielt sodann die Nachricht, daß eine andere Boerenabteilung seine Nückzugs- linie bedrohe, und verlor am dem Rückzug, bei dem er hart gedrängt wurde, einen Leutnant und zwei Mann tot, vier Mann verwundet. — General Barton berichtet aus Welwerdiend, kleine Bocrenabteilungen in der Nachbarschaft richteten so viel Schaden an wie sie vermöchten; er habe am 14. Oktober mehrere derselben an getroffen; einige seien getötet, viel Munition er beutet. Theunis Botha, ein Bruder des Gene rals Botha, habe Volksrust übergeben. Die gegenwärtige Kohlennot. Der Bund der Industriellen, welcher gegen wärtig im Reichstagshause seine fünfte General- Versammlung abhält, hat in erwünschter Aus führlichkeit zu der Kohlenfrage Stellung ge nommen, zu der großen Frage, welche der Industrie ihre enormen Schwierigkeiten bereitet und dem kleinen Manne, der tagtäglich seinem Kachelofen die Preßkohlen haushälterisch spar sam zuzählt, zu einem wahren Leidwesen ge worden ist. In der Versammlung ließen sich Autoritäten wie Kommerzienrat Hoesch-Königs- Hütte, Dr. Bauck-Dresden, Geh. Oberbergrat v. Ammon vernehmen, und es kam ein Gut achten des Bergrats Schroecker aus Halle zur Verlesung. Das Endergebnis der Verhand lungen und Darlegungen prägte sich in dem Nachweis aus, daß wir gegenwärtig bereits den Höhepunkt der Kohlennot überschritten und daß von einer Kohlenangst, die in der Phantasie der kleinen Haushälter ungeheuerliche Dimensionen angenommen, auf die Dauer fürder nicht mehr die Rede sein könne. Das klingt gewiß beruhigend. Es darf angenommen werden, daß die Kohlen preise nicht weiter in die Höhe gehen werden, allerdings dürften sie sich auf der gegenwärtigen Höhe noch einige Zeit halten. In dem obenerwähnten Gutachten wird dar- gethan, daß die Ursachen der gegenwärtigen Kohlennot nicht in der ungenügenden Entwicke lung unseres Bergbaus zu suchen sind, sondern von außen bereingetragen sind. Außer den Bergarbeiter-Ausständen in Böhmen und Sachsen haben auch die kriegerischen Verwickelungen im Transvaal das ihrige dazu beigetragen. Wenn nun also diese Ursachen nicht mehr wirksam sind, werden sich auch ihre Folgen nicht mehr fühlbar machen. Vorläufig ist allerdings nicht daran zu denken, daß der Ausfall, der durch den böhmischen Ausstand hervorgernsen, sobald wie der eingeholt wird. Das aber dürste auf die Hebung des deutschen Braunkohlenbergbaus günstig einwirken. Gesteigert wurde die Kohlen- not noch durch die stürmische Nachfrage nach der Hausbrandkohle. Die bösen Erfahrungen, die der böhmische Ausstand im vorigen Winter in Sachen der Kohlenbeschaffung gebracht, ferner hin die Angst vor weiterer Preissteigerung veranlaßten alle Welt, den Bedarf so zeitig wie möglich zu decken, so daß die Nachfrage die Leistungsfähigkeit der Braunkohlengruben bei weitem überstieg. Besonders die landwirtschaft lichen Kreise, welche gewohnt sind, den Winter- bedars an Brennmaterial zwischen Aussaat und Ernte zu beziehen, haben gerade unerfüllbare Anforderungen gestellt, wodurch die unbegrün dete Angst vor Kohlennot noch vermehrt und die Meinung erzeugt wurde, als ob es wirklich an den erforderlichen Kohlen mangle. In Wahrheit war es aber nur der gleichzeitige Ansturm auf die Gruben, der eine gewisse Panik hervor- gerusen hat. Gegenwärtig ist diese Sturm- und Drangperiode im großen und ganzen glücklich überstanden, die Hauswirtschaften haben in zwischen ihren Kohlenbedarf gedeckt und die Nachfrage aus den Kreisen der Industriellen hat merklich nachgelassen. Fernerhin hat die Einfuhr englischer Steinkohlen wiederum er heblich zugenommen und die inländischen Stein kohlen- und Brannkohlenwerke haben ihre Pro duktion zu steigern vermocht. Namentlich ist in den letzten Jahren die Braunkohlenfördernng um 50 Prozent gesteigert worden und kann noch weiter gesteigert werden. Das Gutachten kul miniert in dem zusammemasscnden Endsatz, daß die Kohlennot der Industrie in nicht allzu langer Zeit völlig überwunden sein wird und die Koblenangst der Hauswirtschasten für den heran nahenden Winter so gut wie unbegründet ist. Uon Kals und Fern. Die Einweihung des Bölkcrsrhlacht- denkmals bei Leipzig am 18. d. litt sehr unter anhaltendem Regen. 1000 Sänger nahmen an dem Fest teil. Nach dem „Siegesang der Deutschen nach der Hermannsschlacht" folgte die Festrede des Oberbürgermeisters der Stadt Leipzig, Dr. Trondelin. Eine feuchtfröhliche Siüung der Stad:- verordneten-Versammlung zu Elberfeld, die letzte im alten Rathause, hat im Beisein des Ober- präfidenten der Rheinprovinz und des Regie rungspräsidenten Holleuffer stattgcuinden. Der einzige Punkt der Tagesordnung war: „Probe des von der Firma Himmelmann-Pothmann ge stifteten Ehrentrunkes für den Kaiser." — Zu dem geplanten Kaiscrbesuch im Wupperthale am 13. d. hatten u. a. auch die Wirte in Elber feld mit weiser Vorsicht ihre Keller und Vor ratsräume mit allerhand delikaten Sachen ge füllt. Da plötzlich kam die Absage, und da manchem infolgedessen der Appetit vergangen sein soll, harren nunmehr zwei Fuhren Herings salat, 1200 belegte Schinkenbrötchen, 600 be legte Käsebrötchen und zwei Tonnen Salzgurken noch immer ihrer Bestimmung. Mit den Lecker bissen soll daher demnächst durch eine öffentliche Auktion aufgeräumt werden. Gottlieb v. Hippel, dem Verfasser des Aufrufs „An mein Volk" von 1813, wurde auf seinem Grab in Bromberg ein prächtiges Denkmal errichtet. Die Typhusepidemie, die in der Gar nison in Mülheim a. Rh. herrschte, ist in der Abnahme begriffen. Ein Drittel der Kranken konnte aus dem Lazarett als geheilt entlassen werden und im Oktober sind neue Erkrankungs fälle nicht mehr vorgekommen. Die Bahnhofswirtschaft in Hamm war fast 25 Jahre hindurch sür nicht ganz 3000 Mark verpachtet. Vor etwa sechs Jahren wurde die Pacht auf jährlich 6000 Mk. erhöht. Nun ist eine Neuansschreibung erfolgt und das Er gebnis war überraschend. Das Höchstgebot be trug 51000 Mark das Jahr, aber die Eisen bahnbehörde berücksichtigte das sich jährlich auf 32 000 Mk. stellende Gebot eines Münsterschen Wirtes. Ein mysteriöser Fall, der seit siebzehn Jahren in der deutschen Aerztewelt vielfach er örtert wurde, hat nun seinen Abschluß gefunden somit vielleicht auch seine Aufklärung. Vor siebzehn Jahren verunglückte auf einer sächsischen Bahn ein Bremser namens Dietrich und blieb seit dieser Zeit gelähmt und anscheinend be ständig im Starrkrampf liegend. Dietrichs Familie in Dresden erhielt reichliche Unter stützungen von den Behörden und von Privat- gersonen. Während der im Starrkrampf liegende Dietrich für die Aerzte ein Rätsel blieb, be haupteten viele seiner Bekannten und Nachbarn, er sei ein geschickter Simulant, und vor einigen Tagen wurde von der einen Seite gemeldet, es sei die Entlarvung des Dietrich gelungen, während anderseits seine Aerzte den Zustand des Dietrich für echt erklärten. Nunmehr be richtet ein Telegramm folgendes: Bremser Dietrich wurde heute mit durchschnittener Kehle tot aufgefunden; seine Frau erhängte sich. In einem hinterlassenen Briefe sagt die Frau, sie gehe mit ihrem unglücklichen Mann infolge der Verdächtigungen schlechter Menschen in den Tod. Jedenfalls ist die Frau durch verschiedene Zeitungsartikel der letzten Tage, in denen der Zustand des Dietrich als Simulation ausgelegt wurde und von Entlarvung die Rede war, schwer geängstigt worden. Wußte es sein? SOI Roman von L v. Berlepsch. lFo N yungl Zum zweiten Mal war Walter nahe daran gewesen, die Wahrheit zu erfahren. Das erste Mal, als er Sraf Prankenaus Lebensgeschichte anhörte; eine Namensnennung hätte damals alles aufgeklärt. Und jetzt würde Pohl ihm unbedingt gesagt haben, daß Edith nicht sein Kind sei, wenn er weniger abweisend gewesen wäre. Waller war bitter enttäuscht nach Men und dann nach Brünn zurückgekehrt. Er empfand erst jetzt, wie hoffnungsvoll er gewesen war, und wie tief ihn das Schettern seiner Erwartungen niederdrückte. In dieser Stimmung hatte er nicht das Herz, Ediths Bitte um den Besuch ihrer Mutter ab- zuschlagen; er bat sie nur, dieser einzuschärfen, daß sie mit keiner lebenden Seele über ihr beiderseitiges Verhältnis, sowie über ihres Mannes Schuld sprechen möchte. Die Antwort seiner Frau rührte ihn tief. Sie versicherte ihm, daß er ganz ruhig sein könnte, ihre Mutter würde schweigen wie das Grab. Bis jetzt habe diese ohnehin noch nichts von der stattgehabten Trennung gewußt. „Ich wollte ihre Sorgen nicht vermehren," schrieb Edith; „wenn sie jetzt zu mir kommt, wird fie zwar merken, daß wir nicht zusammen leben, daß ich dich nie sehe, aber den Grund dafür wird fie niemals erfahren." Welch eine edle Natur war doch Edith! Wie tapfer ertrug fir ihr Unglück ganz für sich, ohne eS jemand zu klagen! 18. Waller von Hohenstedt sah sich plötzlich ge nötigt, nach Schloß Bergheim zu gehen. Lange genug hatte er es vermieden, die Stätte seines höchsten Glückes und tiefsten Schmerzes wieder zu sehen, jetzt konnte er es aber nicht länger unterlassen, ha verschiedene durchgreifende Neu- und Umbauten, die sich aus bau- und sanitäts polizeilichen Rücksichten als notwendig erwiesen hatten, seine Anwesenheit auf mehrere Wochen erforderten. An einem schönen Junitage traf er nach dreijähriger Abwesenheit in Schloß Bergheim ein. Es waren schwere Tage für ihn; nichts hätte ihn bewegen können, die Bilder-Galerie zu betteten — in früheren Jahren fein Lieb lingsaufenthalt, jetzt ihm nur als ein Ort er innerlich, wo er am Nachmittag seines Hochzeits tages sein junges Eheglück in Scherbin gehen sah. Durchstreifte er die Waldungen und Fel der, so wurde die Sehnsucht übermächtig, zu seiner Frau zu eilen, von der ihn jetzt nur eine kurze Entfernung trennte. Das einzige Mittel, seinen Schmerz zu betäuben, war die Arbeit; er erledigte mit größtem Eifer die augenblicklich vorliegenden und sonstige lange vernachlässigten Geschäfte. Allmählich erregte es seine Verwunderung, daß er nie etwas von Edith Hötte. Niemand schien fie gesehen zu haben, sie hatte sich völlig in ihre Einsamkeit vergraben und ihre Existenz war offenbar ganz in Vergessenheit geraten. Sem armes Weib! Wie sich sein Schmerz erneute beim Gedanken an fie und ihr hartes Geschick! Ihm bot das Leben, so trostlos es für ihn war, immerhin mancherlei Abwechselung und Zerstreuung. Sie lebte völlig abgeschieden, ohne Umgang, ohne Anregung, nur ihren Er innerungen und ihrem Schmerze hingegeben. Und er gedachte mit Kummer daran, was fie ihm über ihre angegriffene Gesundheit geschrieben hatte. Wenn er doch etwas thun könnte, um ihr Los zu erleichtern! Walter Weille ungesähr zwei Wochen in Bergheim, als er eines Morgens einen Brief vom Grafen Prankenau erhielt, in welchem sich dieser, der in der Nähe zum Besuch weilte, an meldete. Eine größere Freude hätte ihm in seiner augenblicklichen Stimmung gar nicht wer-, den können. Die beiden Männer harmonierten trotz der Verschiedenheit der Jahre so vollkommen, daß ihre Freundschaft sich immer mehr befestigt hatte. Es machte Waller großes Vergnügen, seinem Gast, der schon am nächsten Tage eintraf, alle Reize und schönen Punkte von Bergheim zu zeigen, und da der Graf gleichfalls ein großer Naturfreund war, durchstreiften die beiden Herren täglich Wald und Flur. Einmal hatten fie sich Wetter als sonst vom Hause entfernt; unter leb haften Gesprächen und des Weges nicht achtend waren fie in die Nähe des Schlößchens Wald haus gekommen, dessen zierlicher Bau plötzlich durch eine Waldlichtung schimmerte. Graf Prankenau bewunderte die Aussicht. „Da find wir ja schon ein ganzes Stück von Bergheim entfernt," sagte er. „Wie heißt das hübsche Schlößchen?" Das Blut stieg Hohenstedt ins Gesicht. „Das," entgegnete er, „ist das Waldhaus, wo meine Frau lebt." t . Der Graf sah mit erhöhtem Interesse hinüber. „Sehr hübsch, aber auch sehr still für ein so junges Wesen," bemerkte er. „Ihre Frau Ge mahlin ist wohl viel jünger als Sie, nicht wahr?" „Ja, um zehn Jahre," entgegnete Walter. „Welch' trauriges Geschick!" suhr der Graf fort. „Sagen Sie, Hohenstedt, haben Sie den Rat eines Juristen eingeholl, ehe Sie sich von Ihrer Frau trennten?" „Nein, es war ja auch unnötig, die Sache lag vollkommen klar, und wir waren schließlich beide ein und derselben Meinung darüber." „Ich möchte nicht, daß Sie mich für aus dringlich hielten," versetzte Graf Prankenau, „aber wir find doch jetzt wenn auch nicht gerade alte, so doch intime Freunde und haben großes Vertrauen zu einander — also, sagen Sie mir, Hohenstedt, was Sie noch keiner Seele ander- traut haben: weshalb leben Sie nicht mit Ihrer Frau zusammen?" Walter zögerte einen Moment. „Was soll es nützen?" sagte er. „Zwei Köpfe find immer klüger als einer r ich könnte doch vielleicht einen Ausweg finden. Es steht ja bei Ihnen, ob Sie mir Ihr Ver- trauen schenken wollen oder nicht, aber ich hoffe immer noch, Ihnen helfen zu können. „Die Sache ist absolut hoffnungslos ' er- widerte Walter. „Sie würden ebeniallS keinen Ausweg finden. Um meiner Frau willen möchte ich lieber darüber schweigen." . , „Das Geheimnis Ihrer Frau wrrd bei um so sicher sein wie bei Ihnen." „Ich hätte nie gedacht," begann Walter nach
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