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Allgemeiner Anzeiger : 18.04.1917
- Erscheinungsdatum
- 1917-04-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191704184
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19170418
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1917
-
Monat
1917-04
- Tag 1917-04-18
-
Monat
1917-04
-
Jahr
1917
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 18.04.1917
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Vie feinälicken Veeresbericdte. V e eu m d u n g en und Entstellungen. Aus dem Großen Haupiquartier wird ge schrieben : Wie von vornherein nicht anders erwartet wurde, sind die Engländer und Franzosen eifrig bemüht, die Preisgabe gewisser Landstriche im Somme- und Oisegebiet zu einem gewaltigen Waffenerfolg des Bierverbandes zu stempeln. Wir gönnen ihnen den billigen Triumph, uns „durch den unaushörlicheu englisch-französischen Druck" in die „Flucht" gejagt zu haben, und all die Heldentaten, die englische und französische Truppen bei der „Eroberung" verlassener oder von einer Handvoll Nachhutkämpfer verteidigter Ortschaften und Stellungen verübt haben sollen. Zwei Beispiele seien aber als besonders kennzeichnend sür die phantasievolle Bericht erstattung unserer Gegner nachstehend ange führt : Am 18. März berichteten die Engländer, daß ihre Truppen „nach fchweren Kämpfen" in Bapaume emgelückt seien. Demgegenüber sei iestgestellt, daß die planmäßige Räumung von Bapaume sich völlig unbemerkt — und daher ungestört — vollzogen hat; erst etwa 10 bis 12 Stunden später betraten die ersten englischen Truppen völlig tampslos die Stadt! Der französische Bericht vom 25. März meldet, daß auf dem westlichen Oise-User zwei vorgeschobene Forts der Festung La Före in französische Hände fielen. La Fere war als Festung — ebenso wie Laon — von den Fran zosen ausgelassen und von ihnen beim deutschen Vormarsch 1914 nicht verteidigt worden. Die beiden — gänzlich veralteten — Werle wurden von uns nicht verteidigt, sondern von unseren allmählich ausweichenden Nachhuten den Fran zosen als gesprengte Trümmerhaufen überlassen. Daß die Maßnahmen, die wir aus mili tärischen Gründen in dem von uns geräumten Gebiet ergreifen mußten, zu einer wüsten Preß- Hetze gegen uns ausgeschlachtet werden würden, war nach früheren Erfahrungen zu erwarten. Auch die amtlichen Berichte der feindlichen Heeresleitungen können sich über die „scheuß lichen Plünderungen" und den „systematischen Vandalismus" nicht genug entrüsten. Im deutschen Heeresbericht vom 20. März wurde ausdrücklich betont, daß wir gezwungen waren, alle Einrichtungen zu zerstören oder zu be seitigen, die dem Gegner später von Nutzen hätten sein können. Dazu gehören nicht nur Wege, Brücken, Bahnen, Fernsprechleitungen usw., sondern auch Wohnstätten und alles Material, das einem nachfolgenden Gegner zur Schaffung von solchen dienen könnte. Jedes Heer handelt in ähnlicher Lage so; das Maß der tatsächlich durchgesührten Maß nahmen hängt nur von der verfügbaren Zeit ab. Daß im vorliegenden Falle Zeit zu recht gründlichen Maßnahmen zur Verfügung stand, sollte eigentlich den Gegnern die Augen darüber öffnen, wie unsinnig ihr Gerede von unserer eiligen und überstürzten „Flucht" ist. Eino besonders wirksame Erschwerung des englisch-französischen Vormarsches bildete nach Angabe zahlreicher Gefangener der Wasser mangel. Es ist selbstverständlich, daß möglichst viele Brunnen von uns gesprengt, verschüttet oder sonstwie unbrauchbar gemacht wurden. Die Behauptung des englischen Berichts vom 20. März, wir Hütten die Brunnen mittels Arsenik vergiftet, ist eine böswillige Ver leumdung, der jede tatsächliche Unterlage fehlt. — Besonders breilgetreten werden in den feind lichen Berichten die Grausamkeiten, denen die Bevölkerung der betreffenden Landstriche angeb lich ausgesetzt gewesen sein soll. Es ist selbst verständlich, daß tief einschneidende Maßnahmen der Bevölkerung des in Betracht kommenden Gebiets gegenüber unvermeidlich waren. Zahl reiche Orte mußten geräumt werden. Nicht ar beitsfähige Bevölkerung (Kinder, Greise, Kranke) blieben in dem von uns zu räumenden Gebiet und wurden — mit Lebensmitteln für fünf Tage versehen — in unversehrten Ort- schasten unlergcbracht. Arbeitsfähige Personen beiderlei Geschlechts, deren Zurücklassung die Arbeitskräfte des feindlichen Landes vermehrt hätte, wurden in unser Etappengebiet überführt, und zwar Stadtbewohner in Städte, Landbevölkerung in ländliche Bezirke. Bei den gesamten Verschiebungen wurde auch das Zu sammenlegen von Einwohnern gleicher Orte und auf Familienzugehörigkeit, insbesondere aber aus Kranke, schwächliche und alleinstehende Personen, die denkbar größte Rücksicht ge nommen. Für die Eisenbahntransporte wurden Stroh, Decken und außer Verpflegung s-ür die Fahrt noch ein dreitägiger Bedarf ausgegeben; besonders war auch für'Kindermilch gesorgt; an den Ein- und Ausladepunkten war ein besonderer Gepäcktransportdienst eingerichtet. Die neuen Unterkünfte waren sorgfältig vorbereitet, reichliche Verpflegungsmittel waren bereitgestellt. Ärzt liches Personal stand an den Bahnhöfen zur Verfügung und begleitete jeden einzelnen Trans port. Kranke fuhren in deutschen Lazarettzügen und wurden von ihren bisherigen — franzö sischen — Ärzten und Pflegern begleitet. Mehr fach hat die betroffene Bevölkerung unaufgefor dert Dank und Anerkennung ausgedrückt für die Rücksicht und Schonung, unter der sich alles vollzogen hat. Nur blinder Haß kann solchen Tatsachen gegenüber sich zu Behauptungen ver steigen, Ivie der vom 20. März, die Deutschen hätten die Einwohner ohne Nahrung und Ob dach ihrem Schicksal überlassen. v. X. Politische Aunälckau. Deutschland. *Das Befinden des Prinzen Friedrich Karl von Preußen, der auf einem Fluge im Westen verwundet, in englische Gefangenschaft gefallen war, hatte sich in der letzten Zeit, wie aus den fortlaufend günstigen Nachrichten her vorging, in erfreulicher Weise gebessert. Aus diesem Grunde war wohl seine Überführung in ein weiter rückwärts gelegenes Lazarett ins Auge gefaßt worden. Nunmehr ist jedoch durch eine Nachricht des Königs von Spanien, der sich die ganze Zeit hindurch in besonderer Weise um die Übermittlung von Nachrichten an die besorgten Eltern bemüht hat, bekannt geworden, daß der Prinz in der Nacht vom 7. zum 8. d. Mts. au innerer Verblutung gestorben ist. *Die Postwertzeichen zu 15 Pf. werden sür das Neichspostgebiet und Württem berg nach Aufbrauch der bisherigen Bestände in blauvioletterFarbe ausgegeben werden. Polen. * In Sachen der Befreiung der in Deutschland und in Lsterreich-Uu - garn befindlichen polnischen Zivilge sang e n e n hat der provisorische Staatsrat auf einen dahingehenden Antrag ein Erwiderungs schreiben des deutschen Generalgouverncurs er halten, in dem vermerkt wird, daß die Wünsche des Staatsrates den Grundsätzen entsprechen, durch die sich das Generalgouvernement bezüg lich der Freilassung von Zivilgesangenen von Anbeginn seines Bestehens an, also auch schon vor dem Akt vom 5. November, habe leiten lassen. Diese Grundsätze lausen darauf hinaus, daß, ausgenommen diejenigen Personen, die selbst die Gesangenenlager nicht zu verlassen wünschen oder Beschäftigung beziehungsweise Verdienst in den kriegswirtschaftlichen Betrieben gefunden haben, alle sonstigen Zivilgesangenen sreigelassen werden können, selbst diejenigen, die strafweise verschickt worden sind, es sei denn, daß bei erneuter Durchsicht ihrer Angelegenheit ihr Verschulden unbedingt deutlich bekräftigt wird, oder wenn anzunehmen ist, daß ihre Heimkehr zukünftig zweifellos Verwicklungen herbeiführen, würde. — In ähnlichem Sinn hat sich das öster reichisch-ungarische Gouvernement geäußert. England. *Das angesehene Blatt .Nation' schreibt:! Tie große Maschinerie des Chamberlain- schen Hilfsdienstes, wenn je eine solche da war, ist z usamm e n gebroch en. Das Ergebnis ist erbärmlich; nur eine Handvoll Arbeiter, und zwar kaum solche aus den Kreisen der gelernten Arbeiter, hat sich gemeldet. Inzwischen bleiben die Bauernhöfe verwaist, das Korn ungedroschen, die Acker ungepflügt, und das Vieh wird verkauft, da niemand da ist, um es zu versorgen. Hat man je eine solche Farce erlebt? Oer Kaiser an äas Volk. Wahlresorm in Preußen. Kaiser Wilhelm hat an den Reichskanzler und Präsidenten des Staatsminisleriums Dr. von Bethmann Hollweg folgenden Erlaß ge richtet : Noch niemals hat sich das deutsche Volk so fest gezeigt wie in diesem Kriege. Das Be wußtsein, daß sich das Vaterland in bitterer Notwehr befand, übte eine wunderbar ver söhnende Kraft aus, und trotz aller Opfer an Blut draußen im Felde und schwerer Entbeh rungen daheim ist der Wille unerschütterlich ge blieben, sür den siegreichen Endkampf das Letzte einzusetzen. Nationaler und sozialer Geist ver standen und vereinigten sich und verliehen uns ausdauernde Stärke. Jeder empfand: was in langen Jahren des Friedens unter manchen inneren Kämpfen aufgebaut war, das war doch der Verteidigung wert. Leuchtend stehen die Leistungen der gesamten ' Nation m Kampf und Not vor Meiner Seele. Die Erlebnisse dieses Ringens um den Bestand des Reiches leiten mit erhabenem Ernste eine neue Zeit ein. Als dem verantwortlichen Kanzler des Deutschen Reiches und ersten Minister Meiner Regierung in Preußen liegt es Ihnen ob, den Erfordernissen dieser Zeit mit den rechten Mitteln und zur rechten Stunde zur Erfüllung zu verhelfen. Bei verschiedenen Anlässen haben Sie dargelegt, in welchem Geiste die Formen unseres staatlichen Lebens auszubauen sind, um sür die freie und freudige Mitarbeit aller Glieder unseres Volkes Naum zu schaffen. Die Grundsätze, die Sie dabei entwickelten, haben, wie Sie wissen, Meine Billigung. Ich bin Mir bewußt, dabei in den Bahnen Meines Großvaters, des Begründers des Reiches, zu bleiben, der als König von Preußen mit der Militär-Organiialion und als Deutscher Kaiser mit der Sozialresorm monar chische Pflichten vorbildlich erfüllte und die Voraus setzung dafür schuf, daß das deutsche Volk in einmütigem, ingrimmigem Ausharien diese blutige Zeit überstehen wird. Die Wehrmacht als wahres Volksheer zu erhalten, den sozialen Ausstieg des Volkes in allen seinen Schichten zu sörderu, ist vom Beginn Meiner Regierung an Mein Ziel gewesen. Bestrebt, in fest bewahrter Einheit zwifchen Volk und Monarchie dem Wohle der Gesamtheit zu dienen, bin Ich entschlossen, den Ausbau unseres inneren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens, so wie es die Kriegslage gestattet, ins Werk zu setzen. Noch stehen Millionen Volksgenossen im Felde, noch muß der Austrag des Meinungsstreites hinter der Front, der bei einer eingreifenden Verfassungsänderung unvermeidlich ist, im höch sten vaterländischen Jnreresse verschoben werden, bis die Zeit der Heimkehr unserer Krieger ge kommen ist, und sie selbst am Fortschritt der neuen Zeit mitralen und -laten können. Damit aber sofort beim glücklichen Ende des Krieges, das, wie Ich zuversichtlich hoffe, nicht mehr fern ist, das Nötige und Zweckmäßige auch in dieser Beziehung geschehen kann, wünsche Ich, daß die Vorbereitungen unverweilt abgeschlossen werden. Mir liegt die Umbildung des preußischen Landtags und die Befreiung unseres gelamten innerpolitischen Lebens von dieser Frage be sonders am Herzen. Für die Änderung des Wahlrechts zum Abgeordnetenhause sind auf Meine Weisung schon zu Beginn des Krieges Vorarbeiten gemacht worden. Ich beauftrage Sie nunmehr, Mir bestimmte __ Vorschläge des Staatsministeriums vorzu legen, damit bei der Rückkehr unserer Krieger diese sür die innere Gestaltung Preußens grundlegende Arbeit schnell im Wege der Gesetz gebung durchgesührt werde. Nach den gewalti gen Leistungen des ganzen Volkes in diesem furchtbaren Kriege ist nach Meiner Überzeugung für das Klasseuwahlrecht in Preußen lein Raum mehr. Der Gesetzentwurf wird ferner unmittel bare und geheime Wahl der Abgeordneten vor- zusehcn haben. Die Verdienste des Herrenhauses und seine - bleibende Bedeutung sür den Staat wird kein König von Preußen verkennen. Das Herren haus wird aber den gewaltigen Anforderungen der kommenden Zeit bester gerecht werden können, wenn es in weiterem und gleichmäßigerem Um fange als bisher aus den verschiedenen Kreisen und Berufen des Volkes führende, durch die Achtung ihrer Mitbürger ausgezeichnete Männer in seiner Mitte vereinigt. Ich handle nach den Überlieferungen großer Vorfahren, wenn Ich bei Erneuerung wichtiger Teile unseres festgefügten und sturmerprobten Staatswesens einem treuen, tapferen, tüchtigen und hochentwickelten Volk das Vertrauen ent gegenbringe, das cs verdient. verschiedene Unegsnachrichten. Das Märchen vom Panzerkreuzer „Baden". Der Lyoner Funkspruch vom 1. April und im Anschluß daran .Havas' verbreiten dieNach- i richt, daß an Bord des deutschen Panzerkreuzers „Baden" wegen Ernährungsschwierig keiten Meuterei ausgebrochen und 100 Mann des Schiffes in der Marmekaserne ein gesperrt seien. Wenn es sich nicht um einen Aprilscherz des französischen Radiodieustes handelt, so liegt eine überaus plumpe Erfindung vor. An der ganzen Geschichte ist kein wahres Wort, vielmehr sind die Verpflegung?- und Disziplinar verhältnisse aus dem genannten Schiffe durch aus normal. * Folgen des U-Boot-Krieges. Holländischen Blättern zufolge ist in Eng land großerMangelanBewachungs- sahrzeugen eingelreten; eine Anzahl kleinerer Stützpunkte sür Bewachungsfahrzeuge ist daher aufgegeben worden. — Die Rückkehr der „Möwe" hat nicht nur in der öffentlichen Meinung Englands, sondern auch iu der eng lischen Admiralität große Verstimmung gegen das Flottenlommando hervorgerusen. * „Cormoran" von der deutschen Be satzung zerstört. Die Besatzung des deutschen Kanonenbootes „Cormoran", das im Hafen von Guam interniert war, hat sich geweigert, es den amerikanischen Behörden zu übergeben, und hat es zerstört. Zwei Unteroffiziere und 5 Matrosen wurden getötet, 20 Offiziere, 12 Unteroffiziere und 321 Matrosen gefangengenommen. — Es handelt sich um den zu Kriegsbeginn von der „Emden" aulgebrachten, in Tsingtau in einen deutschen Hilfskreuzer umgewandelten und von dem früheren deutschen Kanonenboot „Cormoran" bemannten und bestückten ehemals ruffischen Dampfer „Rjäsan", der als deutscher Hilfskreuzer „Cormoran" alsbald in Dienst gestellt wurde. * Deutsche U-Boote in amerikanischen Gewässern. Deutsche U-Boote sind, wie das Panier ,Journal' aus Washington ersährt, zwischen den Bermuda- und Porto- Rico-Jnseln wahrgenommen worden. — Dasselbe Blatt meldet aus Washington die Mobilisation der amerikanischen Flotte. » * Kuba erklärt den Krieg. Der Tragödie folgt das Satyrspiel. Wie aus Havanna der staunenden Welt verkündet wird, hat der Präsident von Kuba die Erklärung des Kriegszustandes mit Deutschland unter zeichnet. Die Regierung hat drei inter nierte deutsche Schiffe beschlagnahmt. Die Mannschaften sind verhaftet worden. Es ! verlautet, daß bezüglich der beiden in Cienfuegos und des in Santiago internierten deutschen Schiffes dieselben Maßnahmen getroffen werden sollen. — Der Präsident der Republik Panama unterzeichnete eine Proklamation, in der er den Ver. Staaten die H il f e Pana m a s zur Ver teidigung des Kanals zusichert. Die deutschen Untertanen sollen im Falle von Ver schwörungen verhaftet werden. Novelle von L. Reichardt-Galli.*) ' Vom Kirchturm schlägt es sieben Uhr; »wie Schneeflocken steigen die letzten Nebel schleier vor den warmen Strahlen der Sonne zu den höchsten Berggipfeln empor. Durch das geöffnete Fenster dringt der Dust frischen Heues und das süße Gezwitscher der jungen Brut, die neugierig die Köpfchen aus dem Nest steckt. Die Grillen zirpen, das Bächlein murmelt, und die Blätter rauschen im Frühwind. Vom Berghang leuchtet das weiße Kirchlein, und zwischen dunklen Zypressen blitzen die Kreuze auf. Aber die tiefliegenden, schmerzvollen Augen des jungen Weibes sehen nichts von der Pracht des Sommermorgens, sie folgen nur den Bewegungen Les Spinnrades. Hastig dreht sich das Rad, der Faden läuft zitternd zur Spule, die Arbeit ist in vollem Gang. Bloßfüßig und erhitzt kommen die beiden Kinder ins Zimmer gesprungen: „Wo ist das Brot, Mutter? Wir haben Hunger!" „Sucht dort im Kasten, es muß noch Äbriggeblieben sein." Die Kinder wühlen in der Schublade, aber mit leeren Händen und hängenden Mäulchen kommen sie wieder zur Mutter, und der kleinere schreit mit der unschuldigen L Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. Grausamkeit seiner sieben Jahre: „Es ist nichts mehr da, Mama, und ich habe so großen Hunger!" „So geht zum Tonio, sagt ihm, er soll euch ein Pfund Brot geben, ich bezahle es später." Kalter Schweiß perlt auf ihrer Stirne, ihre Lippen sind noch blasser geworden, und ihr Blick unsicher, aber das Spinnrad saust ununterbrochen weiter. — Wieder kehren die Kinder mit leeren Händen und weiner lich verzogenen Gesichtern zurück. — „Tonio sagt, du hättest das Brot seit drei Tagen nicht bezahlt, er gab uns nichts." „Oh, Herzchen, dann müßt ihr ein biß chen warten, bis ich mit dem Flachs zu Ende bin, dann trage ich alles hinunter in die Fabrik und bringe euch Brot mit." „Aber dann mußt du uns währenddem das Lied singen von dem Brot, das der Bäcker erst backen muß und das erst am Abend fertig wird. Du singst so schön, Mama." Und sie fetzen sich ihr zu Füßen und schauen erwartungsvoll zu ihr auf. Die Unglückliche tut den Kindern den Willen. Leise, halb erstickt dringen die ersten Töne aus ihrer Kehle, aber die Kinder lauschen andachtsvoll. Allmählich wird ihre Stimme klarer, und der melancholische Ge sang erfüllt das Zimmer mit Tönen, Lie Musik sein sollen, aber Aufschreie eines gequälten Herzens sind. Die letzten zitternden Worte sind verhallt, und sie beugt sich nieder und küßt den Kleinen zwischen die goldigen Bäckchen. ^Oh, Mania, wie brennen deine Lip pen? Warum brennen sie so, sag'?" „Ich Lin ein bißchen müde, Herz, ich habe schlecht geschlafen heute nacht. Geht nun und spielt, bis ich fertig bin." Die langen, schwarzen Haare haben sich von der Bewegung gelöst und fallen wie ein dunkler Mantel über ihre Schultern. Die ärmliche Kleidung kann die ländliche Schönheit dieses Weibes nicht entstellen, aber ihre Züge verzerren sich im qualvollen Nachdenken. Wenn sie auch krank würde? Wenn der Tod schon wieder, nach kaum sechs Mo naten, seinen Einzug in ihr armes Heim hielte? O Gott, es kann, es darf nicht sein! Der Blick der dunklen Augen, in denen schon das Fieber aufglüht, läuft hinauf zum weißschimmernden Kirchlein, zu den Kreuzen im dunklen Grün. Er war gut, fleißig, brav. In seinen flinken Händen blitzte die Sense im Sonnen licht, keiner konnte besser als er die Ochsen am Pfluge lenken, keiner so schön wie er die Gebirgslieder singen, um am Abend seine Rückkehr anzuzeigen. Und nun ruhte er seit sechs Monaten da oben beim weißen Kirchlein unter einem kleinen Hügel, über dem das Gras wuchs. Seine fleißige Hand hatte zum letztenmal auf dem Köpfchen der Kleinen geruht, die erblaßten Lippen hatten ein Gebet, einen Segenswunsch gemurmelt, und zwei große Tränen waren über Lie eingesunkenen Wangen gerollt, aus jenen Augen, die schon der Tod umschleiert hatte. „Ich habe nur meine Arme" — hatte sich die Unglückliche gesagt, „nur mein Spinnrad, das mich und die Kinder erhalten kann. Ich werde weniger schlafen, weniger essen und für mich und ihn arbeiten und stark sein, wie er war." Und sie hatte all ihren Schmerz unter drückt, damit er sie nicht schwäche; sie hatte keine Zeit gehabt zu weinen. Bis tief in die Nacht hinein sauste das Spimstad, und mit der Morgendämmerung erhob sie sich wieder vom ärmlichen Lager, und das Rädchen schnurrte. Leb' wohl, du stilles Glück, lebt wohl, ihr Träume von einem rubigen Alter! Sie hatte die beiden Knaben vor sich gesehen, groß und brav, wie der Vater! hatte sie mit ihm in den Feldern arbeiten sehen und am Abend die alten Lieder von den jungen, frischen Stimmen zu hören geglaubt. Das alles war nun ver schwunden unter jenem kleinen, grünenden Hügel; unter jenem ärmlichen Kreuz ruhk all' ihre Freude und Hoffnung. — Der Jubel der Kinder, die den Schmetterlingen und den Sonnenstrahlen nachjagen und dar über den Hunger vergessen, unterbricht ihre trüben Gedanken, um noch trübere hervor zurufen. „Ob guter Gott, oh ihr Heiligen alle, steht mir bei, daß ich meine Arbeit zu Ende bringe; wenn ich nicht alles zusammen in die Fabrik bringe, bekomme ich lein Geld für Brot!" , Das laufende Feuilleton wird durch folgende Erzählung k«ü«brochen: Überwunden.
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