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nur dadurch aufgehalten, daß es in Deutsch land noch genug Jagdfrennde gibt, die den Hirsch oder vielmehr sein Geweih so hoch einschätzen, daß sie dem Grundbesitz nicht nur eine ab norm hohe Jagdpacht zahlen, sondern auch den von den Hirschen angcrichteten Schaden ersetzen. Um nur zwei Beispiele anzuführcn, bezahlt ein Finanzmagnat für den vertraglich festgesetzten Abschuß von fünfzehn geweihten Hirschen 47 000 Mk., während ein anderer jährlich 30- bis 40 000 Mk. für Wildschaden zahlen muß. Daß der Fleischwert bei solchen Zahlen keine Rolle spielt, liegt auf der Hand. Die treibende Kraft liegt nur in der Bewer tung der Trophäe. Eine andere Entwicklung, die aber auf denselben Ursachen beruht, hat dazu geführt, daß großgrundbesitzende Jagd herren ihren Waldbesitz eingattern, nicht nur, um ihr Land gegen Wildschaden zu sichern, sondern auch um die Hirsche gegen die Nachstellungen der Grenznachbarn zu schützen. So sind die Kaiserlichen Hofjagd- reviere Rominten, Schorfhaide usw. einge- gattert und viele Latifundienbcsitzer in Ost- elbien sind demselben Beispiel gefolgt. Die Herstellung eines viele Kilometer langen Gatters, das von Hirschen nicht überfallen werden kann, erfordert eine Stange Gold, wie man zu sagen pflegt. Dazu kommt noch die Ernährung des Wildes, die sich zum Beispiel für Rominten auf etwa 25000 Mk. jährlich beläuft. Schon jetzt kann man mit voller Bestimmt heit Voraussagen, daß der Hirsch im Laufe dieses Jahrhunderts aus der freien Wildbahn verschwinden muß, selbst wenn sich die Be wegung zum Schutz der Naturdenkmäler seiner annimmt. Aber er wird als Parktier, sozu sagen als halbes Haustier, vom Menschen geschützt und gehegt, weiter existieren, wie eS bereits dem Damhirsch ergangen ist. Das Rehwild wird sich aller Voraussicht nach in der freien Wildbahn behaupten, weil es ver hältnismäßig wenig Schaden anrichtet. Für einige Jahrzehnte kann eine Minderzahl von Jägern, noch die Freuden des Weidwerks auf den König des Waldes auskosten. Und man muß anerkennen, daß es ein stolzes und herr liches Weidwerk ist, den stattlichen Recken zu fällen. Zwar sind die Zeiten vorüber, in denen eine glänzende Jagdgesellschaft zu Pferde den Hirsch mit der Meute jagte. Auch die Haupttreiben, bei denen Tausende von Hirschen durch Armeen von Treibern auf einen engen Raum zusammengedrängt und von Netzwänden eingefchlossen wurden, um von fürstlichen Jägern in wenigen Stunden niedergeknallt zu werden, sind endgültig vorüber. Nur das Einlappen eines Revierteiles ist noch in Übung, und meistenteils — namentlich in eingegatterten Waldungen — auch notwendig, um den Über schuß der Wildbahn zur Strecke zu bringen. Das ist auch die einzige Axt, bei der das Weidwerk sozusagen unter Anwendung roher Gewalt ausgeübt wird. Denn beim Pürschen, das als die edelste Form des Weidwerks gilt, ist der Jäger nur auf seine persönliche Tüchtig keit, aus List, Ausdauer und seine Kunst fertigkeit im Schießen angewiesen. Das Pürschen ist auch die humanste Methode der Jagd, wobei auch die Vervollkommnung der Schußwaffe mitwirkt. Das Wild merkt in den meisten Fällen gar nicht, welche Ge fahr ihm droht. Und es ist sogar zweifel haft, ob es den Knall des Schusses, der ihn tötet, noch vernimmt! Denn die Durchschlags kraft der modernen Geschosse ist so groß, daß sie alle Blutgefäße rings um den Schußkanal zM Bersten bringt. Das Wild bleibt, wie der Jäger sagt, unter dem Fever! Früher war in der Mehrzahl aller Fälle noch eine stundenlange Nachsuche erforderlich. Ja, es war gar nicht erwünscht, daß das Wild unter dem Feuer blieb, weil man den Hunden Ge legenheit gebim wollte, auf einer Schweiß fährte zu arbeiten. Man wartete daher einige Zeit, bis das Wild krank geworden war und sich niedergetan hatte, legte dann die Hunde an die Schweißfährte und folgte ihnen, bis man den Hirsch verendet fand oder ihm den Fangschuß geben konnte. Aus der Lebensgeschichte des Hirsches in teressiert auch Laien am meisten die Tatsache, daß er alljährlich seinen Kopfschmuck ab wirft und ein neues Geweih aufsetzt. Ein merkwürdiger Vorgang, wenn man bedenkt, daß dies Gebild, das nur in der Brunstzeit als Waffe dient, 15 bis 25 Pfund wiegt, die der Hirsch in acht bis zehn Wochen aus feinem Körper produzieren muß. Als eine blutreiche, mit Bast bedeckte Gewebcmasse wächst das Ge weih aus den Stirnzapfen hervor und ver ästelt sich, je nach dem Alter, in mehr oder weniger Sprossen. Sobald es seine volle Größe erhalten hat, beginnt es, sich zu ver härten, bis es knochenhart geworden ist. Dann fegt der Hirsch, d. h. er scheuert an einem Bäumchen den Bast ab. Das gefugte Ge weih ist zunächst ganz hell, dunkelt aber in acht bis vierzehn Tagen nach. Ob die zwischen gelblich- bis fchwarzbraun wechselnde Farbe etwa von dem Saft des Baumes, an dem der Hirsch gefegt hat, herrührt, ist eine offene Frage. Nach welchen Regeln sich die Form des Geweihes bildet, ist viel erörtert worden. Als sicher kann es nur gelten, daß der Hirsch nach dem ersten Lebensjahre zwei Spieße auf setzt, die sich im nächsten Jahr gabeln und sich nun regelmäßig um zwei Sprossen ver mehren sollen. Das geschieht aber keines wegs. Manchmal bilden sich am Geweih mehr, manchmal weniger Sprossen, als ihm nach seinem Jahrgang zukommen. Daß bei alten Hirschen die Kraft zur Geweihbildung abnimmt, ist erwiesen. Sie setzen zurück, d. h. ihr Kopfschmuck wird dünner und kürzer und weist wenige Sprossen auf, die stumpf endigen, ein deutliches Zeichen, daß sie die Vollkraft ihres Lebens, das höchstens 25 bis 30 Jahre dauern kann, überschritten haben. In der freien Wildbahn werden viele schon zur Strecke gebracht, ehe sie völlig ausgewachsen sind, weil das Gesetz keine Beschränkungen nach dieser Richtung auferlegt. Da gilt der Grund satz: Nimm, was du kriegst, denn der Nachbar handelt ebenso. In eingegatterten Revieren kann man rationell wirtschaften. Da werden nur die Kümmerer, die ein schwaches Geweih haben, rechtzeitig abgeschlossen, damit sie nicht an der Brunst teilnehmen können, ebenso die über ständigen alten Herren. Dagegen werden alle Hirsche, die ein starkes Geweih haben, als Zukunstshirsche geschont. Nur so ist es mög lich, kapitale Geweihe von mehr als zwanzig Enden und mehr als zwanzig Pfund Gewicht mit Hilfe einer reichlichen Fütterung zu er zielen. Spöttisch spricht man wohl von Kar toffelhirschen, aber zu Unrecht. Denn das eingegatterte Wild ist auf die Fürsorge des Jagdherrn angewiesen und weshalb sollte er es nicht hegen und pflegen, wenn er dadurch Trophäen erzielt, die ihm Freude bereiten? Das Weidwerk leidet darunter nicht, denn in einem eingegatterten Revier von vier Quadrat meilen benimmt sich das Wild genau so wie in der freien Wildbahn. Im Laufe des Juli haben die Hirsche vereckt und gefegt, so daß am 1. August die Jagd beginnen kann. Eigent lich ist es nicht rationell, die Kapitalhirsche vor der Brunstzeit abzuschießen. Aber die Gefahr ist, wie man aus den Katalogen der Geweihausstellungen fcststellen kann, nicht sehr groß. Wo es irgend geht, schonen die Jagd herren den Hirsch im August, nicht nur mit Rücksicht auf die Brunstzeit, sondern auch, weil er durch die Geweihbildung stark mit genommen und noch schlecht bei Wildbret ist. In wenigen Wochen jedoch hat er diesen Zu stand überstanden und sogar noch feist an gesetzt, so daß man den um diese Zeit erlegten einen Feisthirsch zu nennen pflegt. Man könnte fast annehmen, daß der Hirsch es weiß, daß die Zeit der Gefahr für ihn begonnen hat, denn er wird plötzlich so vorsichtig, daß man ihn kaum noch bei Büchsenlicht zu Gesicht be kommt. Am Tage steht er in den dichtesten Schonungen und tritt erst bei völliger Dunkel heit aus. Der Kirchgang, d. h. die Rückkehr in den Wald, erfolgt schon vor der Morgen dämmerung. Ganz kapitale Hirsche leben das ganze Jahr hindurch so heimlich und tauchen nur in der Brunstzeit für kurze Zeit auf, wobei sie manchmal die tödliche Kugel ereilt, wie den gewaltigen Achtundzwanzig-Ender in Rominten. Anfang September beginnt der Hirsch unter dem Einfluß der Brunstgefühle unruhig zu werden ynd weit umher zu wan dern, bis er ein Rudel Tiere gefunden hat, das er in Besitz nehmen kann. Nicht selten findet er einen glücklicheren Nebenbuhler, der ihm zuvorgckommen ist. Dann kommt es, wenn die Rivalen sich an Kräften ziemlich gleich sind, zu erbitterten Kümpfen, die ost mit einer schweren Verwundung des Unter liegenden endigen. Ja, man hat schon Hirsche verendet gefunden, die sich mit ihren Ge weihen so verkämpft hatten, daß sie sich nicht mehr voneinander trennen konnten. Über den Sieger, den Platzhirsch, kommt manchmal noch ein Stärkerer, der ihn ver treibt oder tötet. Daß einer dem anderen den Platz räumt, geschieht wohl sehr selten, und auch nur da, wo Tiere in großer Mehr zahl vorhanden sind. In der Brunstzeit, die Mitte September beginnt und bis in den Oktober hinein dauert, hallt der Wald nächt licherweile von den Schreien der Hirsche wider. Wie ein Orgelton setzt er ein und steigt mit gewaltiger Kraft an. Für das Ohr des Jägers gibt es kein schöneres Konzert, als wenn zehn, zwölf Hirsche zu gleicher Zeit ihre Stimme erheben. Weit höher steigt das Weidwerk im Gebirge, mit seinen Strapazen, mit denen oft genug noch Gefahren verbunden sind, wenn man ohne Weg und Steg im Dämmerlicht dem Brunstschrei des Hirsches entgegengeht. Spärlicher ist der Erfolg, aber höher die Ehre und beglückender das Weidmannsheil! Tagrsfprüchr. Dem Entschluß soll die Tat nicht nachhinken, sondern rüstig und schnell folgen, wie dem Hammer schlag der Schall- (Ebers.) Die Wälder und Felder grünen, ES trällert die Lerch' in der Lust; Der Frühling ist erschienen, Mit Lichtern und Farben und Duft. (H. Heine.)