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Politische Rundschau. Die chinesischen Wirren. * Auf die Z i r k u l a r n o t e d e s G r a f e n Bülow ist bisher noch keine formelle Antwort erteilt worden, doch gewinnt man den Eindruck, als ob man sich nirgends dem sachlichen Gewicht der deutschen Ausfübrungen habe entziehen können. Sonach ist Aussicht vorhanden, daß der deutsche Vorschlag bei den Mächten nicht nur ohne Voreingenommenheit, sondern mit vollem Wohlwollen geprüft werden wird. *Graf Waldersee ist in Schanghai einge troffen und wird sich nach Norden begeben. Er hatte natürlich eingehende Unterredungen mit dem neuen deutschen Gesandten v. Mumm. Der Tatarengeneral Schangschau sammelt eine große Truppenmacht in der Mandschurei, um noch einen letzten Versuch des Wider st a n d e s g e g e n die Russen zu machen. Die Rückzugslinie der Verbündeten von Peking aus war noch immer durch die Peitang- und Lutai - Forts bei Tientsin bedroht, die Russen hatten schon zweimal vergeblich und mit großen Verlusten gestürmt. Jetzt ist es den Anstrengungen der Verbündeten, wenn auch mitgroßenVerlusten, geglückt, die Forts zu nehmen. * Nach zuverlässigen Nachrichten dringt Deutschland darauf, die Mächte sollten die Schleifung der Kü st enbefestigungen und der Jangtse-Forts zur Vorbedingung für die Friedensverhandlungen machen. *Li-Hung-Tschang befindet sich nun auf dem Wege nach Peking, ohne die Be gleitung eines russischen Kriegsschiffes. — Der zum Friedensunterhändler mitcrnannte General Vunglu floh ausPeking, da ihm Ver haftung drohte. *Das Schicksal der Kaiserin- Witwe von China erscheint, wie die,Polit. Korresp/ authentisch aus Paris erfahren haben will, besiegelt, möge die Neuordnung der Dinge welche Wendung immer nehmen. Die Annahme, daß sie in Rußland einen Beschützer finden werde, sei absolut unhaltbar. Es wird vermutet, daß die russische Regierung sich gewiß nicht zur Fürsprecherin der Kaiserin- Regentin machen wird, ialls Deutschland die Beseitigung dieser leidenschaftlichen Fremden- hasserin als ein Stück der ihm zu bietenden Genugtuung bezeichnen sollte und für die Person der Kaiserin an der Spitze der Dynastie ein entsprechender Ersatz gefunden wird. * Vom afrikanischen Kriegsschauplatz. * Die aus englischer Quelle stammende Nach richt von der Uebergabe des Generals Louis Botha bestätigt sich nicht und wird auch von den in Laurenzo Margues eintreffenden Boeren energisch bestritten. Von dem Tode de Wets sind weitere Meldungen auffallender weise seit den ersten beiden Meldungen nicht eingetroffen, so daß man auch hier noch einige Hoffnung hegen darf. *Wenn eine Depesche des Lord Roberts, die am Donnerstag in London eingcgangen ist, die Thatsachen richtig schildert, wäre das Ende des B o e r e n k r I e g e s nun doch endgültig herangckommen. Die Depesche meldet: Von den Boeren, -DM an der Zahl, welche sich nach Komatipoorl zurückzogen, haben 700 die portu giesische Grenze überschritten, die übrigen haben sich zerstreut, nachdem sie vorher die schweren Geschütze und die Feldgeschütze zerstört haben. Von dem Boerenheer ist nichts mehr übrig geblieben, als einige marodierende Banden. Deutschland. * Der Kaiser hörte am Freitag in Ca - dinen den Vortrag des deutschen Botschafters Fürsten zu Eulenburg, der als Vertreter des Auswärtigen Amts eingetroffcn war. * In Gegenwart des Kaisers wurde am 22. d. inTilsit dasDenkmal der Königin Luise feierlich enthüllt. * Aus Budapest wird von sonst sehr verläß licher Seite gemeldet, KaiserWilhelm werde Das kaiserliche Jagdschloß Rammten. im Oktober d. abermals Ungarn besuchen. Wie berichtet wird, hat Erzherzog Friedrich eine Einladung an Kaiser Wilhelm gesandt, im Herbst auf seinen Besitzungen im Baranyaer Komitat zu jagen, Kaiser Wilhelm habe die Einladung angenommen. Von anderer Seite wird die Richtigkeit dieser Meldung bestritten. * Infolge des Todes des Prinzen Hein rich v o n H e s s e n , der ohne erbfolgeberech tigte Leibeserben verstorben ist, ist als einziger männlicher Vertreter des großherzoglichen Hauses der Großherzog übrig geblieben, der bis jetzt nur eine 1895 geborene Tochter besitzt. Sollte er keine männlichen Erben mehr erhalten, so würde die landgräfliche Linie von Hessen-Kassel, zunächst also der fast erblindete Landgraf Alexander Friedrich, zur Thronfolge berufen sein. *Um zu verhindern, daß die Nach fuhr von Waffen und Kriegsmaterial für die in Ostasien befindlichen deutschen Streit kräfte erschwert oder verzögert wird, bat der Reichskanzler auf Grund der ihm durch § 2 der Verordnung betr. das Verbot der Ausfuhr von Waffen und Kriegsmaterial nach China am 6. August erteilten Ermächtigung die Ausfuhr aller Sendungen von Waffen und Kriegs material, die von einer Reichs- oder Staats behörde ausgehen, oder deren Bestimmung für China durch Bescheinigung einer solchen Behörde nachgewiesen wird, allgemein ge - stattet. Die in Betracht kommenden Behörden sind hiervon benachrichtigt. * Die Offiziere und Mannschaften des kleinen Kreuzers „Kormoran", die soeben ihre Dienstzeit auf der australischen Station beendet haben, haben sich sämtlich für den Dienst in China freiwillig angeboten. Kapitän Emsmann, der Kommandant des Kreuzers, hat diesen Wunsch seiner Besatzung dem Kaiser gemeldet. Oesterreich-Ungarn. *Der Schah von Persien ist am Freitag bei seiner Ankunft in Wien vom Kaiser Franz Joseph mit hohen Ehren em pfangen worden. Frankreich. *Die Untersuchung gegen Saison, der das Attentat auf den Schah von Persien verübte, ist erst jetzt beendet. Die Aerzte stellten seine Verantwortlichkeit fest; er erscheint infolgedessen in der zweiten Hälfte des Oktober vor den Geschworenen unter der Anklage des Mordversuchs. *Das Präsidium des Pariser Ge meinderats beschloß, durch Maueranschlag bekannt zu geben, daß die Summe von 200000 Frank, welche ursprünglich für das Festbankett bestimmt waren, unter die Pariser Armen ver teilt werden solle. Das Büreau des Munizipal rates ersuchte den Seinepräfekten, zur Verfügung der Maires der 20 Arrondissements 200 000 Frank zur Verteilung an Arme am 23. d. zur Verfügung zu stellen. Italien. *Aus Rom wird gemeldet, daß die Dreibundmächte wieder Militär- Attachös nach Paris senden werden. (Infolge der Dreyfus-Affäre waren sie abberufen worden.) Der italienische Attache soll bereits ernannt sein. * In Rom sollte am Freitag auf Anordnung des Königs Viktor Emanuel am Freitag der 30. Jahrestag der Einnahme Roms besonders festlich begangen werden; aber schon vom frühen Morgen ab regnete es in Strömen. Die Komiteemitglieder gingen infolgedessen einzeln zum Pantheon, woselbst ihrer 50 Veteranen und 100 Garibaldianer harrten. Nach Niederlegung prachtvoller Lorbeerkränze schrieben sich alle An wesenden in zwei bei den Gräbern der Könige anfliegende Register ein. Der Zug der Armen schüler nach der Porta Pia verregnete völlig. Sie wurden in etwa 200 Fiakern zum Aquarium gefahren, wo der Deputierte Santini die Be deutung des Festes erklärte. Darauf folgte die Reciticrunq des Gebets der Königin-Witwe. Bei dem Festmahl der Kinder servierten Gari baldianer in roten Blusen. Nachmittags fanden bei besserem Wetter große Volkskundgebungen statt. Holland. *Jn der niederländischen Kammer erklärte der Ministerpräsident: Als die Regierung er fahren habe, daß Präsident Krüger sich in Laurenzo Marques befinde, habe sie ihn gefragt, was seine Absichten seien, und als Krüger ant wortete, er wolle ans Gesundheitsrücksichten nach Europa reisen, habe die Regierung ihm ein Kriegsschiff zur Verfügung gestellt. Hiervon sei die englische Regierung benachrichtigt wor den, welche erwiderte, sie beabsichtige nicht, sich in die Reiseplänc des Präsidenten Krüger einzumischen. — In Laurenzo Marques geht das Gerücht, Krüger wolle nach England kommen und eine persönliche Zu sammenkunft mit derKönigin Vik toria zu erlangen suchen. Balkanstaaten. *Der deutsche Gesandte in Bel grad, Baron Wacker-Gotter, wurde auf seinen eigenen Wunsch von seinem Posten ab- berufen. Er hatte dem Ansuchen des frühe ren serbischen Ministeriums König Milans Folge gegeben und Schritte gethan, um die Ver mählung KönigAlexanders mit einer Prinzessin aus einer fürstlichen Familie Deutschlands anzubahnen. König Alexander zerstörte diesen Plan durch seine unerwartete Vermählung mit Frau Draga Maschin, und Baron Wäcker erbat infolgedessen seine Ab berufung. * Fürst Ferdinand von Bulgarien ist nach Sofia zurückgekehrt. Er gedenkt an geblich nach Konstantinopel zu reisen, um die Vermittelung des Sultans zur Beilegung des rumänisch-bulgarischen Konflikts anzurufen. Don Uah und Fern. Frauen für Deutsch - Südwest - Afrika. Die deutsche Kolonial-Gesellschast bat mit ihren Bemühungen, den Ansiedlern in Deutsch-Süd- wesi-Amka die Gründung eines Hausstandes mit deutschen Mädchen zu ermöglichen, bisher gute Erfolge erziel!. Bisher sind im ganzen 60 Personen aut Kosten der Gesellschaft nach Dcutsch-Südwest-Asrika befördert worden. Ein Teil von ihnen waren Dienstmädchen, ein anderer Bräute. Ehefrauen und sonstige Ange hörige von Ansiedlern. Die HinauGendung ge schah in jedem Fall nur unter der Bedingung, daß vom kaiserlichen Gouvernement eine Be stätigung dafür gegeben wurde, daß die Hinaus- gesandtcn in der Kolonie ein gesichertes Unter kommen finden wurden. Von den übergcsiedel- ten Mädchen sind alle mit wenigen Ausnahmen bereits verheiratet oder verlobt. Die Ansiedler begrüßen das Unternehmen der deutschenKolonial- Gesellschaft mit der lebhaftesten Anerkennung. Zum ehrenden Gedächtnis des am 16. September 1809 zu Wesel mit seinem Bruder und neun anderen Kameraden erschosse nen Offiziers Albert v. Wedel wurde in seinem Geburtsort Kriegsdorf bei Merseburg, ein Denk mal enthüllt. Die Festrede hielt Landrat Graf d'Haussonville. Ans dem Sprcewald. Der außerordent lich niedrige Wasscrstand im Spreewald hat in der letzten Zeit sehr viele Personen veranlaßt, von Lübbenau nach Lehde zu gehen oder zu fahren, um die Absperrung der Wasserläufe und die Baggerarbeiten in Augenschein zu nehmen. Die Gelegenheit, einmal durch den Sprcewald zu Fuß zu wandern und die alten Stämme im Flußgrunde zu bewundern, mar seit 58 Jahren nicht mehr geboten. Enttäuscht. Ein Einwohner in Hildburg hausen hatte sich als Freiwilliger nach China gemeldet und erwartete seine Einberufung. Da diese nicht kam, wandte sich der Mann direkt an den Kaiser und erhielt sehr bald darauf eine Nachricht: drei Tage Arrest abzusitzen. Am Mittwoch hat er diese Strafe angelreten. Uebcr hundert Strafbefehle sind in letzter Zeit in Holzminden ausgestellt wegen Nicht beachtung des H 15» der Reichsgewer'beordnung, demzufolge Gewerbetreibende, die einen offenen Laden haben oder Gast- und Schankwirlschaft betreiben, verpflichtet sind, ihren Familiennamen mit mindestens einem ausgeschriebenen Vor namen an der Außenseite oder am Eingänge des Ladens oder der Wirtschaft in deutlich les barer Schrift anzubringen. Eine aufregende Jagd hinter einem lebensmüden Soldaten veranstalteten an del Strecke der Militärcisenbahn in Jütcrbogk in der Richtung nach Station Werder zehn Kameraden und ein Unteroffizier. Nachdem der Flüchtige ungefähr vier Kilometer gelaufen war, sprang er bei der Bürgermühle in einen Teich und be gann, sich den Hals zu zerschneiden. Seine Verfolger kamen indes noch hinzu, bevor er den beabsichtigten Selbstmord vollenden konnte. Der Schwerverletzte wurde mittels Tragkorbcs in das Lazarett zu Jütcrbogk geschafft; er soll die verzweifelte That aus Furcht vor Strafe wegen Unterschlagung begangen haben. Im Kölner Dom wurde durch die Un achtsamkeit eines Fremdenführers eine Gesell schaft von drei Personen von auswärts, welche die Domtürme bestiegen hatten, in der Höhe des Glockenstuhles eingeschlossen und erst nach mehrstündigem Warten wieder befreit. Nach dem sich alles Winken mit Taschentüchern als resultatlos erwiesen hatte, machte sich ein Mit glied der Gesellschaft daran, eine zufällig vor handene Birne auszuhöhlen, in den Hohlraum einen entsprechend beschriebenen Zettel zu stecken und dann diese Post von der Höhe hinabzu werfen. Ein Kutscher hob den Zettel auf und veranlaßte die Befreiung der Gefangenen. Wußte es fein? 82) Roman von C. v. Berlepschs Es war eine bittere Rache, eine Infamie, die zwei Menschen traf, welche ihr kein Leid, nichts Böses zugefügt hatten; waS konnte er dafür, daß fi« fich das Vorhandensein feiner Liebe eingeredet und fich in diesem Wahne immer fester eingelebt hatte? EditHS Armut war keine Schande, war kein Grund, fich darüber auch nur einen Moment Kopf« schmerzen zu machen, aber ihr Vater ein Ver brecher! — sein Name, sein Geschlecht, seine Ehre waren befleckt! Hätte er die Wahrheit früher gewußt, so würde er seiner Liebe entsagt haben, und wenn es um den Preis seines Lebens gewesen wäre. Die Tochter eines Zuchthäuslers! und er hatte sie nach Schloß Bergheim gebracht, nach dem Sitz eines alten, edlen Geschlechts! Zum ersten Mal haftete ein Makel daran. So rein und schön und gut fie auch selbst war — die Tochter des Zuchthäuslers sollte die Mutter seiner Kinder sein?! Er vermochte den fürchter lichen Gedcwken nicht auszudenken. Walter nebte zum ersten Mal und hing mit seinem ganzen Herzen an seiner jungen Frau. Der Blitzstrahl war zu jäh, zu unvermutet über ihn gekommen; er schlug die Hände vors Ge- ficht, und ein tiefes Stöhnen entrang fich seiner Brust. Sein ganzes Lebensglück, dessen er fich noch eben gefreut hatte, lag in Trümmern. Er horchte auf. Das war ihr leichter Schritt, fie kau» M ihm prrück — und er fürch tete fich jetzt, fie als sein Weib ans Herz zu drücken. Eine große Veränderung war in der kurzen Zeit mit ihm vorgegangen; Schmerz und Verzweiflung standen auf seinem Antlitz ausge prägt. Langsam kam Edith durch die Galerie geschritten, ihre Augen glitten über die Bilder ihrer Vorgängerinnen hin, und dann stand fie vor ihrem Mann in der ganzen Fülle ihrer Jugend und Schönheit. Als fie zu ihm aufblickte, erschrick fie über sein Aussehen. „Walter," rief fie, „war ist dir? du siehst auS, alS ob du krank wärst." Sie kniete nieder, schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn, was fie nie zuvor gethan hatte. Walter versuchte ihre Arme zu lösen, aber fie schmiegte fich nur enger an ihn. „Du fühlst dich gewiß unwohl und willst es mich nicht merken lassen. Aber bin ich nicht dcine Frau, und haben wir nicht heute vordem Attar geschworen, gute und böse Tage gemeinsam zu tragen?' „Mein süßes Lieb," entgegnete er, „ich biu nicht krank, aber ich habe in der kurzen Zeit, seit du fort warst, so Schweres erlebt, wie kaum ein Mensch ertragen kann." Sie sah ihn an und der Ausdruck von Ver zweiflung in seinem Gesicht ließ fie erbeben. „Bekifft es mich?" ftagte fie leise. Wie sollte er das Schreckliche in Worte fassen und ihr sagen, was ihr den Todesstoß geben mußte! Sein eigenes Leben würde er geopfert haben, um fie zu schonen. „Es muß etwas sein, was mit mir zu sammenhängt," begann sie wieder. „O Walter, sei barmherzig und sprich. Du hast meine Arme von deinem Hals gelöst, du willst nichts mehr von mir wissen — liebst du mich nicht mehr?" „Quäle mich nicht, Edtth, ich bin fast von Sinnen." „Aber waS kann nur geschehen sein ? Ich verließ dich kaum vor einer halben Stunde, du küßtest mich und sahst mir liebevoll nach; ich bin dieselbe geblieben, und du bist so furchtbar verändert. Es ist mir wie ein Traum." „Wollte Gott, es wäre ein Traum! Ich habe meinen Glauben an die Menschen verloren, mein Glück, meine Hoffnung. O Edith, wie soll ich dir alles sagen!" Seine furchtbare Aufregung gab ihr die Ruhe wieder; fie nahm seine Hand und streichelte fie. „Denke nicht an mich, sondern nur an dich," bat fie. „Was du kagen mußt, kann ich auch tragen. Laß mich deine Sorgen mit dir teilen, mein Geliebter." Er sah ihr in die keuen, klaren Augen. Wie sollte er ihnen allen Glanz nehmen I Wie konnte er eS über fich gewinnen, sein holdes Weib unter der Wucht der schrecklichen Nachricht zusammenbrechen zu machen! Mit heiserer Stimme sagte er endlich: „Lies diesen Brief, Edith! Wissen mußt du ja doch alles, aber ich selbst kann daS Furchtbare nicht aussprechen." 14. Langsam nah» die junge Frau den Brief und öffnete ihn. „Von der Gräfin Brandner selbst?" ftagte fie erstaunt. Matter sah, wie fie fich auf einen niedrigen Stuhl setzte. Ueber ihr war ein Fenster, in welchem in bunten Farben das Wappm seine- Hauses eingefügt war. Dieses schillerte auf ihrem weißen Gewände und die scheidende Sonne warf die letzten Strahlen über ihr goldi ges Haar. Er beobachtete die Züge seiner Frau, während fie las; er sah, mit welchem Ent setzen ihre Augen über die Zeilen glitten, er sah, wie jeder Blutstropfen aus ihrem Antlitz wich und es geisterhaft erbleichen ließ. Langsam, als könne fie seinen Inhalt nicht fassen, las Edith Blatt für Blatt den Brief zu Ende. Und dann schlug fie den Blick zu ihrem Mann auf, und er sah ein unsagbares Weh darin, zu groß, als daß Worte ihm Ausdruck geben konnten. Sie blickten einander stumm an, jedes von ihnen versuchte die Gedanken de- andern zu lesen. Leise glitten die Bogen zur Erde. Edith rang stumm die Hände; fie trat ni<Ä zu ihm, sie berührte ihn nicht; es war, als ob fie fich fürchte, ihm damit körperlichen Schmerz zu bereiten. So saßen fie einige Minuten, während die Sonne im Westen niedersank. „Edith, mein geliebtes Weib," begann Walter endlich, „ich wäre lieber gestorben, alS daß ich dir diesen Schmerz anthun mußte. „Ich weiß das," erwiderte fie, „aber Waller, was sollen wir thun, wie kann ich dich von mir befreien?" „Davon ist keine Rede," sagte er. Sie stand auf und Kat ans Fenster»