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Allgemeiner Anzeiger : 27.06.1917
- Erscheinungsdatum
- 1917-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- SLUB Dresden
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1917
-
Monat
1917-06
- Tag 1917-06-27
-
Monat
1917-06
-
Jahr
1917
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 27.06.1917
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Vie besiegten Neutralen. Nachdem die verzweifelte Lage der Saloniki- Armee den Vierverband gezwungen hat, die Maske gegenüber Griechenland fallen zu lassen, bekennt er sich schamlos zur Vergewaltigung der Neutralen. Und die Schrittmacher auf seinem dunklen Wege sind Italien und die Ver. Staaten. Italiens gewissenlosestes, aber einflußreichstes Hetzblatt, der Mailänder .Corriere della Sera' schreibt ganz unumwunden: „Die Zeiten der Neutralität sind vorbei, die Stunde der großen Entscheidungen ist da. Die furchtsamen skepti schen Neutralen werden besiegt werden". Mit andern Worten: „Ihr Neutralen, wenn ihr das Schicksal Griechenlands nicht teilen, wenn ihr nicht entwaffnet, eurer Freiheit beraubt und zum Hungertods verurteilt werden wollt, dann schließt euch schnell dem Vierverband an." Seit in Rußland die Revolution ausbrach und damit einer der wesentlichsten Machtsaktoren ans der Vierverbandsrechnung für die große allgemeine Frühjahrsoffensive ausschied, hat die Verzweiflung unsere Feinde dazu getrieben, ihre schamlose Heuchelei vor der Welt aufzu geben und rücksichtslos ihre Karten auf- zudecken. Mit den Ver. Staaten im Bunde, deren famoser Präsident Wilson schon lange im Komplott war, soll die Welt umgestaltet, soll Europa neu aufgeteilt, soll in erster Linie Deutschland vernichtet werden. Wer glaubt noch, daß der Vierverband für Recht und Un abhängigkeit der kleinen Völker vom Leder zog? Enis Toren! Deutschland wollen wir ver nichten, dessen Friedensintrige mehr denn vierzig Jahre die Welt getäuscht hat. Wir kämpfen für den Schutz der Schwachen? Unsinn! Wir wollen Deutschland zerstückeln, endgültig ohn mächtig machen, damit wir unsere Welt wirtschaftspläne verwirklichen können. Europa muß nach unserer — seit Jahren wohl erwogenen Karte — umgestaltet werden, damit wir endlich die längst ersehnte Beute teilen und den Raub in Asien und Afrika in Sicherheit bringen können. Und wenn wir satt sind, wenn unser Machthunger gestillt, wenn die Welt für immer unserem Zepter unterworfen ist, wenn die Weltwege unser, die Weltmeere uns unterworfen sind, und der Welthandel in unserer Hand ist, dann läuten wir den ewigen , Frieden, auf daß der so unter Rechtsbruch und Bölkervergewaltigung, Bruch heiligster Verträge, Absage an Treu und Glauben geschaffene Zu stand für immer oder wenigstens für absehbare Zeit bestehen bleibe. So und nicht anders klingt es heute aus den unvorsichtigen französischen und italienischen Organen wieder, während sich die englische etwas kühlere Presse noch immer bemüht, den Schein zu wahren. Aber auch nur den Schein. Inzwischen heißt sie es gut, wenn der englische Bestechungsstrom weiter die neutrale Welt über flutet, denn ganz sicher ist man des Sieges immer noch nicht, trotz der amerikanischen Hilfe,, von der man seinen Völkern Wunderdinge be richtet. Griechenland ist abgetan — so glaubt man wenigstens. Der neue König, der mit seiner Proklamation an das Volk schon das Mißtrauen in Paris und London wachgerufen hat, wird, wenn er den Thron behalten will, kaum anders können, als im Fahrwasser des Vierverbandes zu segeln. Von Griechenland ist, wenn erst das Land „beruhigt" und durch entsprechende drakonische Maßnahmen — militärische Be setzung, Ausweisung aller Angehörigen der Mittel mächte, Kontrolle der Finanzen und des Ver kehrs — jeder Gedanke an einen Ausstand erstickt ist, nichts mehr zu befürchten. Und mit einem Zynismus, der in der Weltgeschichte un erhört ist, weist nun die ehrlose Hand der Räuber auf das Opfer: Seht, das ist das Schicksal der besiegten Neutralen. Und wer die Melodie nicht versteht, der sei auf die geheimnisvollen Berichte aus Spanien hingewiesen, die jetzt die englischen Blätter veröffentlichen. So begann es auch in Griechenland, nachdem der Vierverband den Verräter Venizelos mit schnödem Gold für sich „begeistert" halte. Da wird der Vater wider den Sohn, die Mutier gegen das eigene Fleisch und Blut gehetzt, da werden alle Leidenschaften anfgestachelt, inncrpolitische Gegnerschaften, wirt schaftliche Gegensätze, religiöse Meinungsver schiedenheiten, abweichende Weltanschauungen in frivolster Weise ausgebeutet, um ein Land in Unruhe zu stürzen und seine öffentliche Meinung zu verwirren. Ist das gelungen, so findet sich das andere von selbst. Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, der weiß, welchen Zwiespalt Spanien setzt aus- zukämpsen und wem es diese Wendung de» Dinge zu verdanken hat. Noch immer leidet man in England und Frankreich darunter, daß es noch Neutrale gibt. Die ganze Welt soll sich geschlossen gegen Deutschland erheben. Und wo die Lockung nicht Hilst, da droht man, und wo die Schmeichelei nichts nützt, da wird man grob und wo versteckte Andeutungen versagen, schreit man es schamlos in die Gassen: Helst uns oder ihr werdet — wie Griechenland —besiegt werden! Fürwahr, es ist eine edle Kumpanei, die da sür Wahrheit, Recht und Freiheit auszog: die Grey, Asquith, Poincars, Viviani, Briand, Ssasanow, Iswolsky, Salandra, Sonnino, Bratianu und Wilson. Wenn späteren Ge schlechtern dieser ungeheure Krieg weltenfern wie eine Sage klingen wird, dann weiden noch diese Namen mit dem Makel der Besieger der Neutralen behaftet sein. N. v. verschiedene Uriegrnachrichten. Die neue Offensive des Bierverbandes. Nach englischen Blättermeldungen dient die Pause der Haupthandlungen an den Fronten Vorbereitungen und Plänen, die alle bis herigen Kriegsoperationen über treffen würden. Im Zusammenhang mit dieser Nachricht des Londoner Blattes sieht eine Pariser Meldung der schweizerischen Blätter, wonach die englischen Häfen ausnahmslos für den freien Verkehr gesperrt sind, mit Ausnahme des schottischen Hafens Greenock. — Im merhin aber lassen offenbar von amtlicher Stelle stammende Auslassungen im .Journal des De- bats' und im,Temps' die Annahme zu, daß die gemeinsame Generaloffensive bis zur end gültigen Lösung der griechischen Krise vertagt worden sei. * Italienische Geständnisse. AuS Mailand meldet man dem .Berner Tagblatt': Eine Wiederaufnahme der Js'onzo-Offensive ist nach einem sehr bezeichnenden Artikel des Militärkritikers des .Corriere della Sera' ausgeschlossen, weil die rechte Flanke am Meere vollständig eines Stützpunktes ermangelt und es ein ver hängnisvoller Fehler wäre, sich darauf zu ver steifen, um den Preis von Tausenden von Soldatenleben derartige Stellungen zurück erobern zu wollen. — Es ist dies das erste mal, so betont das Berner Blatt, daß in der italienischen Presse ein Militärkritiker so un verhohlen von einem Verzichte auf weitere Offen sivpläne und noch von einer Begründung dieses Verzichts durch dessen hohe blutige Verluste spricht. Die Untätigkeit ver Russen. Noch immer ist der Vierverband in Sorge, ob die Russen zur Offensive ansetzen oder nicht. Zwar hat die Duma in privater Sitzung eine Entschließung angenommen, die einen Sonder frieden oder eine verlängerte Untätigkeit an der Front als Verrat gegenüber den Verbündeten bezeichnet und eine unverzüglichcOffen - sive als notwendig sür die Sicherheit Ruß lands und die Aufrechterhaltung der gewonnenen Freiheiten fordert, aber es kommen doch auch andere Stimmen aus Rußland, besonders von verschiedenen Frontteilen, wo man von einer Offensive nichts wissen will. Und auch die in Petersburg angelangten italienischen Sozialisten, die mit dem Arbeiter- und Soldatenrat eine Besprechung hatten, betonten vergeblich die Not wendigkeit dec Fortsetzung des Krieges. Die russischen Sozialisten hielten an der Möglichkeit des Friedens fest, durch den die Absichten der Völker ohne weiteres Blutvergießen verwirklicht würden. Trotzdem sie von einem Sonderfrieden nichts wissen wollen, sind sie säst ausnahmslos micht gesonnen, sich zu schlagen. So berichten italienische Blätter. * Englisch-italicnischcr Borstoh gegen Mokka. Nach der Landung einer Abteilung italieni scher Truppen in Port Said schreiben die römi schen Regierungsblätter: Ein englisch-italienischer Vorstoß zur Eroberung der heiligen Orte werde demnächst erfolgen. Es wird, wie eine Meldung der .Köln. Ztg.' besagt, behauptet, die italienische Mitwirkung an diesem Unternehmen bedeute keine Kräftezersplitterung, da das Expeditions korps in Libyen entnommen worden sei. Tlas soll nun werden? — Englische Beklemmungen. — In der Londoner Monatsschrift .National Review' wird ein Artikel über die Lage ver öffentlicht, der u. a. folgende Ausführungen enthält: Noch immer erblicken wir keinerlei Anzeichen des deutschen Zusammenbruches, von dem uns unsere berufsmäßigen Optimisten Jahr um Jahr erzählt haben, um England da von abzuhalten, Art und Größe des Krieges zu erkennen und entsprechend zu handeln. In diesem Jahre hat England eine schwerere Last zu tragen als je vorher. Um so unrichtiger ist das System, daß die Minister nicht offen und frei das Volk darüber unterrichten, wie die Lage ist und was von ihm verlangt werden muß. Die Regierung sollte das Publikum ins Vertrauen ziehen und ihm genau sagen, wie weit wir noch vom Ziel entfernt sind. Warum soll man es nicht lehren, die Zukunft Englands wie das Schicksal der ganzen Zivilisation ins Auge zu fassen? Wir sprechen jetzt vom end gültigen Siege und harren vertrauensvoller als je seines Kommens. Aber fraglos liegt er noch in weiterer Ferne, als je vorher gedacht wurde. Denn die wichtigsten Kriegstalsachen bestehen augenblicklich in Deutschlands ungeheurer Stärke im Westen, in der unterbrochenen Tätigkeit Rußlands und darin, daß die Ver. Staaten, so wertvoll ihre moralische Unterstützung gewesen ist, noch keines wegs so gerüstet sind, daß sie ernsthaft am Kriege teilnehmen. Diese große Republik ist langsam, und wir dürfen auf lange Zeit hinaus nicht viel von ihr erwarten; wir dürfen uns auch nicht verhehlen, daß der Zusammenbruch des preußischen Militarismus durch die russi sche Krise verzögert worden ist, während doch gerade auf Rußlands Mitwirkung im diesjährigen Feldzug fest gerechnet worden war. Der militärische Ausblick ist sehr ernst, und sein bedenklicher Charakter ändert sich nicht, so lange Rußland in Auflösung verharrt. Um so nachhaltiger sind die Eindrücke, welche wir durch die außerordentlichen Leistungen der englischen Armee in Frankreich in diesem Jahr erhalten. Aber die Engländer können die Lage gar nicht nüchtern genug ansehen, noch auch zuviel leisten; denn sür den Augenblick hängt sehr viel, wenn nicht überhaupt alles von England ab. Wir waren immer bereit, die Hauptlast zur See zu tragen, wie wir auch die Hauptfinanzlast und die größte industrielle Last des großen Krieges tragen. Aber die Ver hältnisse haben uns auch noch das, was wir kaum erwarteten, aufgebürdet, nämlich die mili tärische Hauptlast, die überdies dauernd wächst. Dankbar müssen wir den Männern sein, die von Anfang an eine Lage für möglich gehalten haben, wie sie sich jetzt zeigen kann, in der nämlich die Entscheidung zu Land wie zur See haupt sächlich auf England lastet. Es war eine Überraschung sür uns, fest stellen zu müssen, daß die Deutschen Maßregeln ergriffen hallen, die ihnen nochmals frische Truppen verschafft haben. Rät gespannter Auf merksamkeit wartete Europa darauf, ob die Deutschen Petersburg, Venedig oder Calais überfallen, oder ob Hindenburg die französische Ostarmee in der Schweiz überflügeln und einen neuen Angriff auf Paris machen würde. Hindenburg aber hat die Initiative nicht wieder an sich j reißen können, um irgendeinen Schlag auszu- - führen, für welchen seins Bewunderer so stark« Reklame gemacht hatten. Auch der viel befürchtete deutsche Einfall in Italien ist dank den Opfern der englischen und fran zösischen Armeen unterblieben. Im Gegenteil: General Cadorna war in der Lage, gegen Triest offensiv vorzugehen. Nur an den russischen Ver hältnissen liegt es, wenn die Heere unserer öst lichen Verbündeten sich nicht nach Preußen hineinwälzen, und ein siegreicher Friede am Horizont erscheint. Aber die Last der Franzosen und Engländer ist dadurch, daß Rußland am Kampf nicht teilnimmt, entsprechend gewachsen. Nachdem nun der russische Zusammenbruch es dem Ver bände zugestandenermaßen unmöglich gemacht hat, in diesem Jahre den Krieg zu gewinnen, taucht die Frage auf, ob wir den entscheidenden Feldzug im Jahre 1918 oder 1919 erleben werden. Der französische Kriegsminister Pain- levs hat erklärt, daß das Ende noch nicht in Sicht sei. Wenn heute diese Ansicht in Paris herrscht, so kann das nur bedeuten, daß Frank reich die amerikanische Schwesterrepublik als einen wichtigen, wenn nicht gar als den ent scheidenden militärischen Faktor betrachtet. polilifcbe Kunälckau. Deutschland. *Die Vorbesprechungen zurWahl- reform in Mecklenburg, sind am dritten Tage abgeschlossen. Bei der Besprechung des Wahlrechts trat eine größere Anzahl Teilnehmer für ein allgemeines, aber abgestuftes und be- rufsständiges Wahlrecht ein, eine weitere An zahl sür ein gleiches und geheimes Wahlrecht mit Pluralwahl und eine Minderzahl iür eine Reform auf Grund des Neichstagswahlrechtes. Die überwiegende Mehrheit war sür die Ein führung der geheimen Wahl. Abgelehnt wurde dagegen ein Proportionalwahlrecht. Am Schluffe der Beratungen gab Staatsminister Dr. Lang feld eine Zusammenfassung der wichtigsten Er gebnisse der Besprechungen. Er schloß mit der Mitteilung, daß die Negierung beabsichtige, in nächster Zeit den Ständen auf Grund der Be sprechungen eine neue Verfassungsvorlage zur Be ratung zukommen zu lassen. So darf wohl mit einer neuen Einberufung des Landtages gerechnet werden. Österreich-Ungarn. ' *Von unterrichteter Seite wird aus Wien mitgeteilt: Der Ministerrat hat beschlossen, daß infolge des gegen die Negierung gerichteten Be schlusses der Polen das Kabinett seine Demission gebe. Man nimmt an, daß Kaiser Karl, den Grafen Clam-Martinic mit der Bildung eines neuen Kabinetts beauftragen wird und daß nur eine teilweise Neugestaltung des Ministeriums erfolgen werde. Schweden. * Die Pariser Besprechungen der Stockholmer Erklärung der deutschen Sozialisten gipfeln in der glätten Zurückweisung aller Vorschläge. Der,Temps' findet, daß selbst den bescheidensten Erwartungen, die man in den Vierverbandsländern der Kundgebung der Richtung Scheidemann entgegengebracht, uner füllt geblieben seien. Allzu deutlich merke man die Absicht der deutschen Friedensapostel. Un- frieden innerhalb des Vierverbaudes zu stiften. Das .Journal des Debats' wirst die Frage auf, wie die im Scheidemann-Protokoll ent haltenen Worte von einer möglichen Verständi gung über gewisse Grenzberichligungen aufzu- sassen seien. Nach allem, was das Schriftstück sonst enthalte, sei die Vermutung gerechtfertigt, daß die nach Stockholm entsandten deutschen Vertreter an Vorteile zugunsten Deutschlands denken. Auch die englische Presse meint, es seien keine Aussichten auf Verständigung. Damit scheinen die Stockholmer Konserenzeu auf einen toten Punkt gelaugt zu sein. Griechenland. * Wie verlautet, wird sich König Kon - stantin nach kurzem Aufenthalt in der Schweiz nach Dänemark begeben. Der König ist bereits auf Schweizer Boden angelangt. friede Sörrenlen. 16j Roman von H. CourthS-Mahler. § (fforHetzmig.) „Ich werde also deine Mutter und Ellen einladen, uns zu besuchen," fuhr Tante Friede fort. „Es wird Frühling und wir können ihnen hier nichts weiter bieten als gute Luft und eine hübsche Umgebung. Hans wollte ja auch im Mai auf ein paar Tage kommen. Dann haben wir sie zusammen hier. Platz genug haben wir. Deine Mutter und deine Schwester können oben im ersten Stock die Zimmer be wohnen, die jetzt unbenützt stehen. Da werden sie am wenigsten in ihrem Morgenschlummer ge stört. Auch Hans bringen »vir da unter, er wird ja nur einige Tage bleiben." Da warf sich Ruth erregt in Friedes Arme und umfaßte mit Inbrunst ihren Hals. „Liebe, liebe Tante — wie schrecklich ist es, daß ich mich auf Mamas Besuch nicht freuen kann. Ich weiß, es ist unkindlich und unrecht, und doch kann ich nicht anders." Friede konnte ihr aus dieser Seelennot nicht helfen, aber der Groll gegen Lizzi verschärfte sich. Nicht genug, daß sie ihrem und Fritz S.einbachs Leben zum Fluch geworden war, auch ihr Kind mußte unter der eigenen Mutter leiden. Warum ist das so ost im Leben so, daß die guten Menschen um der bösen willen büßen müssen? — Als Friede am nächsten Tag den Ein- kadungsbrief an ihre Schwester schrieb, lag ein abgeklärtes Lächeln auf ihrem Gesicht. Daß sie Lizzi im millare« lasten wollte über ibre Ver mögensverhältnisse, stand fest bei ihr. Mochte sie nun kommen, die wißbegierige Schwester, und mit geheimem Forschen hier allerlei er gründen wollen. Sie würde hier ihre Maß regeln so treffen, daß Lizzi nichts weiter in Er fahrung brachte. Frau Lizzi beantwortete die Einladung sofort. Es war in den ersten Maitagen, als sie ihren und Ellens Besuch für den nächsten Montag an meldete. Zehn Monate waren seit dem Tode von Fritz Steinbach verstrichen. 12. « Am Tage vor Lizzis und EllenS Ankunft war Friede mit Ruth, wie sonst an den Sonn tagen, zu Volkmars hinübergegangen. Georg stand mit seinen Eltern im Frühlings sonnenschein auf der Veranda, als die beiden Damen durch das eiserne Gartentor eintraten. Mit einigen Sätzen war er die Treppe hinab und ging ihnen entgegen. „Tante Friede, du bist heute unpünktlich, der Kaffee wird kalt," sagte er vorwurfsvoll, als er die Damen begrüßte. „Heute sind wir im voraus entschuldigt, Georg. Du weißt doch, daß wir morgen Gäste bekommen. Da gab es noch allerlei zu tun." „Ach so — das hatte ich vergessen. Ich ge währe seierlichst Absolution. Nun gehe du einstweilen zu den Eltern, trinkt euren Kaffee mit Behagen. Ich will Fräulein Ruth erst noch hinten im Garten unsere Veilchen zeigen. Man merkt, daß hier alter Waldbodeu ist. So herr liche VeilLen aibt es nicht noch einmal. Kommen Sie, Fräulein Ruth! Oder verlangt Sie erst nach Mamas Kaffeekanne?" „Die wird ja nicht davonlaufen, Herr Doktor, ich trinke dann später Kaffee." „Daran tust, du recht, Kind. Unsere Veilchen hier sind wirklich eine Seltenheit." Ruth begrüßte schnell erst Herrn und Frau von Volkmar und ging dann an Georgs Seite durch den Garten. Es war, als wenn sich die linde, weiche Frühlingslust beklemmend auf die jungen Ge müter legte. Sie sprachen nicht viel mit ein ander. Der übermütige Ton, den Georg in der letzten Zeit Ruth gegenüber oft angeschlagen hatte, wollte ihm heute nicht über die Lippen und ernsthaft mit ihr über seine Arbeit zu reden, hatte er kein Verlangen. So wechselten sie nur einige gleichgültige Worte, bis sie vor den Veilchen standen. Die dufteteu allerdings so lieblich, daß Ruth einen entzückten Ausruf tat. „Wie schön, wie wunderschön!" Georg sah in ihr strahlendes Gesicht. „Ja," sagte er, „wunderschön." „Und ich darf für Tante Friede welche pflücken?" „Gewiß — und ich helfe Ihnen dabei." Gemeinsam machten sie sich an die Arbeit. Georg hielt sich dabei so dicht an Ruths Seite, daß sich zuweilen ihre Hände berührten. Ein mal kam er ihr so nahe, daß ihr Haar seine Wange streifte. Da wurde ihm so wunderselig zumute, daß er plötzlich ohne alle Veranlassung die beiden schlanken, schön geformten Mädchen hände ergriff und eine nach der anderen an dächtig küßte. Ebenso plötzlich ließ er sie dann wieder los, als seine Augen ihr schwarzes Kleid streiften. Nein, so lange sie Trauer trug, mußte er sich beherrschen. Aber sobald sie die schwarzen Kleider abgelegt hatte, dann wollte er sie um ihre Hand bitten, und er hatte keine Angst, daß sie ihm dieselbe verweigern würde. Ruth hatte, als er so plötzlich ihre Hand küßte, vor Schrecken fast die Veilchen fallen lassen. Nun beugte sie sich verwirrt wieder zu den duftenden Blüten nieder und pflückte unsicher mit zitternden Händen darauflos. Georg sah, was er durch sein Ungestüm angerichtet hatte. Aber pflücke mal einer Seite an Seite mit ein:m lieben Mädchen die duftenden Frühlingsboten, während ringsum kein Mensch zu sehen ist und nur die Vögel im stürmischen Daseinsdrang singen und jubilieren! Aber er wollte sich doch zusammennehmen und sogar artig Konversation machen. „Also morgen kommen Ihre Frau Mutter und Fräulein Schtvester zu Besuch, Fräulein Ruth?" „Ja, Herr Doktor, und bald kommt auch mein Bruder Hans auf einige Tage." „Dann werden Sie natürlich ganz vergessen, daß hier auch noch Leute wohnen, die Ihre Gesellschaft nicht entbehren können!" „Daß hier Leute wohnen, deren Gesellschaft ich nicht entbehren kann, das werde ich sicher nicht vergessen," antwortete sie, sich emporrichtend. „Und werden Sie nach wie vor wenigstens Sonntags zu uns kommen? Natürlich mit Ihren Angehörigen." „Wenn ich die mitbringen darf — ger^ sehr gern."
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