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Allgemeiner Anzeiger : 07.03.1917
- Erscheinungsdatum
- 1917-03-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191703070
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1917
-
Monat
1917-03
- Tag 1917-03-07
-
Monat
1917-03
-
Jahr
1917
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 07.03.1917
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Aussichten -es U-Voot-Urieges. Der verschärfte V-Bool-Krieg ist eine reif lich nach allen Seiten hin erwogene und sorg fältig vorbereitete Maßregel. Hindenburg ist nicht ein Mann, der ins Blaue hineinredet, und wenn er sagt, wir könnten alle Folgen unserer Sperrgebielserklärung auf uns nehmen, io wird es damit wohl seine Richtigkeit haben. England scheint es auch gar nicht mehr recht wohl in seiner Haut zu sein. Natürlich suchen die leitenden Persönlichkeiten die Gemüter zu be schwichtigen. Die besten Kräfte beschäftigen sich damit, Abwehrmittel gegen die große Ge fahr zu finden, die dem englischen Brotkorbe droht, aber daß man eins gefunden hat, davon verlautet noch nichts. Die Hoffnung ist alles, was man den täglichen Zahlenangaben über versenkte Schiffe entgegenstcllen kann. Kraft- ausdrückL wie „verrück! gewordener Prmsianis- mus, Seepest, Piratentum" mögen die Schreiber- eitelkeit befriedigen, aber sie heben kein ver senktes Schiff, bringen keine neuen Vorräte in die Speisekammer. Und diese Speisekammer ist keineswegs so gestillt, daß England der nächsten Zukunft mit Gleichmut entgegensetzen könnte. Wir wollen uns nicht auf Schätzungen cinlassen, selbst wenn sie sich auf Angaben des ,Economist' oder anderer volkswirtschaftlicher Fachblätter Englands stützen ; denn durch Streckung läßt sich die Zeit des Aushaltens mit den vorhandenen Vorräten verlängern, und unsere eigene Erfahrung lehrt, was sich durch systematische Zuteilung erreichen läßt. Mit Sicherheit wissen wir nur, daß in Friedenszeiten bei dem Rückgänge der eng lischen Landwirtschaft ^/s aller Lebensmittel von außen eingesührt werden mußten, und daß während des Krieges die angebaute Fläche nicht nur nicht größer geworden, sondern sogar etwas eingeschrumpft ist, obgleich Hundert tausende von Hektaren des besten Weizenbodens verfügbar waren, die nur als Viehweide dienen. Es ist für England eben unmöglich, die eigene Erzeugung von Lebensmitteln zu vermehren, weil es auf dem Lande an Arbeitskräften fehlt. Die immer mehr fortschreitende Industrialisierung hat dem Ackerbau viele Menschen entzogen, und bei dem herrschenden Landsystem, das dem Arbeiter eine Verbesserung seiner Lage, ein Selbständig- werden, unmöglich macht, sind die jungen Leute, die noch Schneid hatten, ausgewandert, zum größten Teil nach den Vereinigten Staaten, und so der alten Heimat verloren gegangen. Im Vergleich zu Deutschland war die englische Aus wanderung geradezu ungeheuerlich groß. Die Lage ist nun so, daß England für die Ernährung seiner Bevölkerung zum größten Teil auf überseeische Zufuhr ange wiesen ist, und wenn diese unterbunden wird, muß eine Gefahr ent stehen, wie sie größer gar nicht gedacht werden kann. Die Entziehung des besten Blutes der Nation durch Auswanderung hat bereits ihren Einfluß auf die allgemeine Gesundheit ans- geübt; in neuerer Zeil ist z. B. die Zahl der Geisteskranken bedenklich gestiegen. Bisher hat England noch leinen Mangel an Lebens mitteln gehabt. Bei den hohen Frachtsätzen fanden sich immer noch genügend neutrale Schiffe, die das Wagnis unternahmen, England mit Korn und Fleisch zu versorgen. Jetzt aber scheint den Neutralen der mögliche Gewinn nicht mehr im Einklang mit der Gefahr zu stehen, und sie ziehen vor, ihre Schiffe aufzulegen. England selbst braucht von seinem eigenen Schiffsraum mehr als die Hälfte für Heer und Flotte, so daß für andere Zwecke nicht genügend übrig bleibt, und dieser Teil ist nicht minder dem Versenktwerden ausgesetzt. Wenn England nicht sehr große Vorräte aufgespeichert Hal, und um sür 45 Millionen Menschen zu genügen, müßten sie schon sehr groß sein, so liegt die Gefahr wirklichen Mangels in nicht allzu weiter Ferne. Trotz aller Beschwichtigungsversuche verhehlt man sich in England den Ernst der Lage nicht, daß nämlich England endlich am eigenen Leibe zu spüren haben wird, was Krieg bedeutet. Deutschland ist entschlossen, den ungehemmten V-Boot-Krieg durchzusützren. Was das heißt, kann nicht besser gesagt werden als mtt den t Worten der .Morning Post': „Gelingt es Deutsch- land, England zur See abznschtießen und die Stimmen der Neutralen unbeachtet zu»!assen, so wird es den Krieg gewinnen!" l). X. verschiedene ttriegsnachrichlen. Motorboote zur tl-Boot-BekämPfung. In New Iorker Blättern wird erklärt, die englische Negierung habe seit Beginn des Monats Februar 400 größere Motorboote, die zur Bekämpfung der V-Boote verwendet wer den sollen, gelaust. Amerikanische Firmen sind mit dem Bau einer großen Anzahl weiterer Motorboote beschäftigt. Der englische Minister Henderson erklärte bei einem kürzlichen Besuch der englischen Hafenstädte, daß die Angehörigen von Mannschaften der englischen Küstenflotte (diese besteht größtenteils aus kleineren Fahr zeugen, die zur Bekämpfung der U-Boote ver wendet werden) aus besondere Unterstützung der englischen Regierung rechnen könnten. Die ohnmächtige englische Flotte. .Nieuws van den Dag' schreibt in einem Leitartikel über die V ers en k u n g der hol ländischen Schiffe: „Das U-Boot scheint seine Arbeit so gemächlich verrichtet zu haben, als ob gerade bei den Scilly-Jnseln, der am meisten befahrenen Stelle in den westlichen englischen Gewässern, nicht die geringste Aus sicht bestanden hätte, einem englischen Zerstörer zu begegnen, ein Umstand, der für die englische Marine nicht gerade schmeichelhaft ist." — Das Reuterbureau, das offenbar durch die Arbeit der deutschen U-Boote auss peinlichste berührt ist, erklärt, die Schiffe seien abgefahren, ohne von der englischen Admiralität Instruktionen einzu holen. - Sie seien außerdem mit vollen Lichtern gefahren und hätten so die U-Boote direkt an- gelockt. -t- „Jetzt spürt England den Kriesg." Die Berichte neutraler Blätter aus England heben hervor, daß die drastischen Einschrän kungen in der Einfuhr, die Lloyd George angekündigt hat, das englische Volk völlig unvorbereitet getroffen hätten. Die eigenen Vorräte Englands seien in Wirklichkeit beun ruhigend gering, so daß die Maßregeln, um die Heimerzeugung zu steigern, in hohem Grade nötig seien. Wo sind die Blockadebrecher. Die Spannung, ob die „Orleans" und die „R ochester" den sicheren Hasen erreichen, hat sich in Bordeaux und Parts zu nervöser Unruhe gesteigert. Die Gerüchte und die Mel dungen durchkreuzen sich. Der Eigentümer der „Rochester" telegraphierte seinem Pariser Ver treter, die „Rochester" werde am Sonntag in Bordeaux eintreffen. Das.Journal' meldete am Sonntag abend, es bestätige sich, daß die „Ro chester" und „Orleans" an der Küste der Gi ronde gesichtet worden seien. Anderseits meldet eine New Aorker- Depesche, daß dort Unruhe wegen des Schicksals der beiden Versuchsschiffe herrsche. Es gehe das Gerücht, daß beide Dampfer versenkt seien. Irgendwelche Bestätigung liegt nicht vor, aber in den Wetten an der New Docker Börse ist bereits Verwirrung augerichtet. * Das Elend der Saloniki-Expedition. Nach den Berichten englischer Blätter üble im Unterhause der Abgeordnete Dillon scharfe Kritik an der Saloniki-Expedition. Er sagte: Wenn die Politik des Kriegsministeriums darauf berechnet gewesen wäre, die Expedition lächerlich zu machen und zu vernichten, w hätte sie nicht anders sein können, als sie war. Die 200 000 Mann befinden sich in einer schrecklich u n g ü n st i g e n Lage. Im Vorjahre gab es infolge von Seuchen 60 000 Kranke. Überdies habe man Sarrail die Verstärkungen, die er wiederholt verlangte, nicht geschickt. — Die V-Boote werden nun der Expedition das Ende bereiten. Oas 6näe äes Krieges. Wie der Parder .Demps'berichtet, hatten der Slaaisiekrelär des Äußern Zimmermann und der Uniecstaatssckretär von dem Bussche eine Unterredung mit dem Berliner Vertreter des Madrider Blattes ,ABC'. Dabei rühmte Herr Zimmermann die aufrichtige Neutralitätspolitik und insbesondere die edle charitative Tätigkeit des spaniichen Königs, der wohl in keinem anderen Lande so viel Sympathien genieße wie in Deutschland. Uber den L'-Boot-Krieg gab Dr. Zimmermann folgende Erklärung ab: Wir möchten, daß man sich über unsere Lage Rechnung gibt. Bei niemandem kann der ge ringste Zweifel über das wirkliche Ziel unserer Feinde bestehen: unsere völlige Zer schmetterung und Vernichtung. Gegenüber einem so schrecklichen Dilemma, im Besitze des Mittels, mit dem wir die Pläne unserer Feinde zum Scheitern bringen können, konnten wir da unser Volk dadurch opfern, daß wir dieses Mittel nicht anwandten? Wir haben nicht den Kopf verloren, ganz im Gegenteil: Unser Entschluß ist erst allmählich gereift. Wir faßten ihn in der Gewißheit, daß man ihn nicht als eine Herausforderung an die Neutralen auslegen wird. Wir bedauern den den Neu tralen zugesügten Schaden aufrichtig und sind bereit, alles, was in unserer Macht steht, zu tun, um ihn zu verringern. Uber die Spanien unterbreiteten Vorschläge äußerten sich Staatssekretär Dr. Zimmermann und Unlerstaatssekretär von dem Bussche ge meinsam wie folgt: Deutschland wird Spanien die nötige Kohle in unbegrenzter Menge zur Verfügung stellen. Die spanischen Schiffe können die Kohlen in den zu bezeichnenden deutschen oder dänischen Häfen holen; sie würden z. B. die für Spanien nölige Kohle in Kopen hagen finden. Deutschland wünscht einen großen Teil der spanischen Fruchternte zu kaufen und hat zu diesem Zweck sofort in bar zahlbare Bestellungen gemacht. Man wird aus diesen Früchten Marmelade und Konfitüren Herstellen, die Deutschland nach Kriegsende geliefert werden. Deutsch land ist bereit, Spanien einige seiner in den spanischen Häfen internierten Schiffe zu ver kaufen. Diese Schiffe dürfen aber nicht im Interesse deS Vierverbandes verwendet werden und müssen die Sperrzone umgehen. Anderseits müssen die spanischen Reeder die Verhandlungen wegen der Schiffsverkäuse an England ab- brechen. Zwischen Spanien und England wird ein wöchentlicher Passagierdienst auf Grund lage einer vereinbarten Schiffsroute eingerichtet werden. Die spanischen Schiffe dürfen dabei leine Kriegskonlerbande transportieren und müssen Unterscheidungsmerkmale tragen. Uber die Aussichten des verschärften V-Bool- Krieges erklärte Staatssekretär Dr. Zimmer mann : Ter Krieg wird dieses Jahr beendet werden, unsere H-Boote werden das besorgen. Wenn daher die Ver. Staaten die Dauer des Krieges ernstlich abzukürzen wünschen, dürsen sie der Verwendung dieser Waffe keine Hindernisse in den Weg legen. Möge Amerika uns freies Feld für den Kamps gegen unsere Feinde lassen, und es wird dann sehen, daß der Krieg viel früher zu Ende ist, als es denkt. Anderer seits sind die meisten neutralen Staaten als Seemächte zu schwach und haben ein Interesse daran, daß das V-Boot triumphiert, weil sie dann über eine sichere Waffe versügen würden, mit der sie sich gegen den mächtigsten Staat verteidigen können, dessen Joch fiie bisher nicht abschütletn konnten. Durch ihren Widerstand gegen die Verwendung des bl-Bootes weisen sie das Drittel zurück, das ihnen die rasche Befreiung von der Tyrannei in die Hand gibt. Dr. Zimmermann gab dann eine Begründung dafür, warum Deutschland im letzten März alles zur Vermeidung eines Zusammenstoßes mit Amerika getan habe. Heute sei die Lage völlig anders. Die Vierverbandsnote an Wilson tei eine unglaubliche, unbegreifliche und unerklärliche Note — darüber besteht kein Zweifel. Was die zehn Verbündeten wollen, ist unsere Vernichtung und die unserer Verbündeten. Es bleibt also nichts anderes übrig, als zu dem äußersten Mittel zu greifen. Andererseits hat sich die bl-Boot-Waffe in unserer Hand derart ent wickelt, daß, was vielleicht srüher nicht möglich war, heute möglich ist. Darüber haben wir unbedingte Gewißheit. Auf die Frage des Korrespondenten, ob man denn keinerlei Unter schiede bei der Versenkung neutraler Schiffe machen werde, antwortete Dr. Zimmermann: Absolut keinen. Unser Entschluß ist un erschütterlich, denn nur dadurch kann der Krieg in diesem Sommer b e e n d e t w er d e n, un d d a s i st unser aller Wunsch! VolLMcke Aunälcbau. Deutschland. *Jn die Stammrollen für Hilfs- dienstpflichtige, die jetzt nach einer Be kanntmachung des Bundesrats ausgestellt werden, sollen alle männlichen Deutschen ausgenommen werden, die nach dem 30. Juni 1857 und vor dem 1. Januar 1870 geboren ' sind. Die Be kanntmachung teilt ferner mit, daß die Kriegs ämter ermächtigt werden, bestimmte Betriebe als nicht sür die Hilfsdienstpflicht in Frage kommend zu bezeichnen. England. * Schatzkanzler Bonar Law teilte im Unter- Hause mit, daß die gesamten Zeichnungen auf die Kriegsanleihe sich auf eine Milliarde 312 095 Pfund (das sind etwa 20 Milliarden und 70 Millionen Mark) be laufen, wovon nur ungefähr 22 Millionen in steuerfreien Anleihen angelegt wurden, der Rest in fünjprozentiger Anleihe. Holland. * Die Regierung hat dem König von Spanien mitgeteilt, sie biete sich bedingungslos an zur Hilfeleistung an die Zivil bevölkerung in Belgien und den be setzten Gebieten Frankreichs. Dänemark. * In den drei nordischen Reichen ist in naher Zukunft eine Portoerhöhung zu erwarten. In Schweden werde die Erhöhung 1 bis 2 Ore für Briefe und 5 Ore für Post anweisungen betragen. In Norwegen sei eine größere Erhöhung geplant. Unter anderem solle das niedrigere Ortsporto aufgehoben werden. Schweden. * Wegen der Streitigkeiten, die in den letzten Jahren in der sozialistischen Partei vorgekommen sind, die unter anderem ausgeprägte Gegensätze zwischen der Hauplpartei und der jungdemokratischen Gruppe sowie auch in der Neichstagsfraktion herbeigesührt haben, in der 15 Mitglieder eine radikalere Politik ver- solgten als die Mehrheit, hat ein neuerlich ab gehaltener Kongreß der Partei beschlossen, die Parteileitung zu ermächtigen, Maßregeln zu er- greisen, um die Minderheit dazu zu bewegen, sich den Beschlüssen der Mehrheit zu unterweisen. Die Folge davon war, daß die Vertreter der Minderheit in der Reichstagssraktion sowie der übrigen Opposition in der Partei eine Kund gebung versandten, in der erklärt wird, daß auf einem Kongresse, der vom 12. bis 14. Mai 1917 in Stockholm stattfinden soll, eine neue sozialistische Partei gebildet werden soll. Die neue Partei soll auf Grund der Zimmerwalder Internationalen arbeiten. Amerika. * Die Negierung der Ver. Staaten hat angeblich eine Verschwörung gegen das Leben Wilsons entdeckt. Viele Per sonen sollen verhaftet worden sein. Asien. * Nach chinesischen Berichten besagt die deutsche Antwort auf die ch ine lischt Protestnote: Deutschland ist gezwungen, zu den äußersten Maßregeln zu greifen und den Krieg auch gegen die Neutralen zu lenken, verspricht aber Maßnahmen zu treffen, die das Leben der Chinesen sichern werden. O^oknen. 3s Noman von M. Berger. (Fortsetzung.) „Soviel ich weiß, handelt eS sich um Auf stellung einer Kandidatur sür den Reichstag, gnädige Frau," wandte sich der Doktor an die Kommerzienrätin. „Man hat mir dies an- i gedeutet. Diesmal wird es wohl schwer halten, einen geeigneten Mann zu finden, der sich der ziemlich aussichtslosen Arbeit widmet, dieMassen für den gesunden Gedanken der sozial-resorma- tocischcn Bestrebungen der Gegenwart zu be- gustern." Die Kommerzienrätin hakte aus dem Munde! des Galten ersahr'en, aus welchen Gründen er f auf eine Wiederwahl verzichte. „Mein Mann," sagte sie daher mit leichtem Seufzer, „beklagt sich bitter über den Geist der Widerspenstigkeit, der künstlich den Arbeiter massen eingeimpft wird." Hedwig hatte bisher schweigend dem Ge spräch angewohnt; sie traf ein Blick des Doktors, so sragend und sehnend, daß fie hocherrötend, um ihrer Verwirrung Herrin zu werden, sich au der Unterhaltung beteiligte. „Papa hat ein Recht, über den Undank der Leute erbittert zu sein, denn nichts mehr ver letzt den Gentleman, den Mann von Geist und Erziehung, als ungerechtfertigter Haß und frivoler Undank. Wir hassen doch unsere Ar beiter nicht, aber sie machen es uns schwer, sie zu lieben," sagte das schöne Mädchen und strich sich eine widerspenstige Stirnlocke zurecht. .Was die Arbeiter ertrotze» wollen," be stätigte Frau Lang und eine Wolke von Unmut lagerte über ihrer Slirn, denn sie fürchtete die schlechte Laune ihres Gatten, dessen politischer Ehrgeiz, wie sie wohl wußte, sich nur schwer der Macht der Verhältnisse fügte, „kann ihnen niemand freiwillig gewähren ; sie selbst empfinden es am meisten, daß in ihren Endzielen sie das Unmögliche verlangen!" Der Doktor sthmiegte sich behaglich in die Polsterung des Fauteuils: er tat das immer, wenn er im trauten Kreise über ernste Dinge sprechen durfte. „Gewiß, meine Damen," sagte er, und sein Blick traf das junge Mädchen vor ihm, welches ihm stets lo aufmerksam zuzuhören Pflegte, daß er nm einen bewundernden Blick von ihr förmlich warb und anregender als vielleicht sonst sprach. Doktor Faller galt sür einen glänzenden, forensischen Redner, der, wo und über was er auch sprach, befeiert und bejubelt wurde. „Die Suprematie der physischen Arbeit über die geistige ist purer Wahnsinn. Der Osmane hat da ein Sprichwort, das heißt: „Der ungebildete Mensch ist lein Mensch." Ein menschenwürdiges Dasein — ich bin nicht so brutal wie der Osmane — soll auch der Mann aus dem Volke, der einfache Mann haben, der ein Recht hat, auf seiner Hände Arbeit stolz zu sein, denn er erfüllt wie jeder andere seine Pflicht. Der Wert der Arbeit allein ist ver schieden. Die geistige Arbeit aber ist die Gründerin, die Schöpferin der Kultur. Wer die physische Arbeit ihr gleichstellt, oder sie sogar höher stellen will, der rüttelt an den Säulen der Kultur und versucht Berge abzutragen. Die vernünftigen Arbeiter, ich kenne sie, wissen selbst, daß die geistige Arbeit höher stehen muß." „Mir ist es nicht erklärlich, weshalb dieser revolutionäre Wahn nicht in sich zusammen bricht!" meinte die Kommerzienrätin. „Weil er Methode hat!" antwortete der ! Doktor. „Die Agitation aber, mag sie noch so groß ! sein, führt eine zweischneidige Waffe, die ein ! einziger Schlag unschädlich macht!" „Da bin ich begierig," bemerkte Hedwig gespannt, denn sie interessierte gerade dies Ge spräch ungemein. Die Kommerzienrätin hatte dem Doktor die Rauchutensilien und eine Kiste Zigarren hin gestellt. Er bediente sich und nahm das brennende Zündhölzchen, das ihm Hedwig darbot, mit einer leichten Verbeugung entgegen. „Die Agitation wiegelt den Arbeiter auf, von uns zu fordern, was wir bei wechselnden Zeitvcrhälinissen dem Arbeiter geben müssen und gegeben hätten. Durch das schroffe Fordern aber werden wir ungeduldig, wir wissen, daß wir den kleinen Finger denen geben, welche die ganze Hand wollen. Und das, meine Damen, verstimmt viele von uns so sehr, mit Recht oder Unrecht, das lasse ich dahingestellt, daß sie ihre menschliche Pflicht vernachlässigen. Wohl war es ein Fehler, daß wir die ver änderten Zeitverhältnisse, welche volkswirtschaft lich veränderte Ansprüche stellen, nicht sofort er kannten. Wir haben uns eine Blöße gegeben, indem wir den Anschein weckten, daß mau uns etwas abgernngen habe, was wir freiwillig niemals gewährt hätten. Auf der anderen Seite aber wird die Gesellschaft von ihren Bresten geheilt, wenn sie geheilt sein will, denn die soziale Frage, mit deren Lösung wir uns jetzt beschäftigen, dient den Freunden der heutigen Gesellschaftsordnung mehr als ihren Gegnern. Ist die Gesellschaft von ihren Bresten geheilt, dann ist sie auch gegen den Umsturz gefeit." „Ist sie es denn noch nicht?" unterbrach die Kommerzienrätin den Sprecher. „Nein, sie ist es noch nicht!" Der Doktor bljes den Rauch seiner Zigarre weit von sich. „Die Gesellschast hat die Veränderungen und die großen, ja epochemachenden Lehren der letzten 50 Jahre noch nicht verstanden!" „Will denn das die Gesellschaft nicht?" fragte Hedwig. Der Doktor zuckte mit den Achseln. „Sehen Sie doch nur die Drohnen der Ge sellschaft an, die ihr erbärmliches Leben niit Spielen, Welten und Orgien aller Art aus- süllen, die sich selbst alles, anderen aber, und wären sie noch so verdienstvoll, nichts verzeihen, die dem Manne aus dem Volke die Ehre ab schachern, die seine Töchter zu trügerischem Glanze verlocken und wie eine ausgequetschte Zitrone mit einem Fußstoße dann auf die Straße Hin ausschleudern. Wenn sie in ihrem Kupec, mit übernächtigem Gesicht, blasiert, ein ekles Nichts durch die Straßen jagen, rujen wir da nicht alle: Platz der Faulheit, sonst zerschmettert iie uns die Glieder. Das verbittert, meine Damen, nach oben wie nach unten." „Ich sehe aber nicht ein, -daß wir sür unsere Drohnen, die wir allerdings dulden, büßen
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