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Allgemeiner Anzeiger : 06.06.1917
- Erscheinungsdatum
- 1917-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191706062
- PURL
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1917
-
Monat
1917-06
- Tag 1917-06-06
-
Monat
1917-06
-
Jahr
1917
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 06.06.1917
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Macklenäe d-6oot-6efakr. In der letzten Sitzung des Unterhauses, das sich bis zum 5. Juni vertagte, hat Minister präsident Lloyd George dem Lande offenbar noch eine besondere Pfingstsreude machen wollen; denn er hat von der Verminderung der U-Boot- Gefahr gesprochen, indem er die großen Fort schritte hervorhob, die in der Bekämpfung der deutschen U-Boote vom Vierverband gemacht worden sind. Dabei ist dem Vielgewandten ein doppeltes Mißgeschick widersahren. Erstens hat der Zensor unbegreiflicherweise zugelassen, daß eine seeamtliche Veröffentlichung über Schiffs verluste in derselben Nummer der Zeitungen erschien, die die Rede des Ministerpräsidenten brachte. Aus dieser — von Lloyds Register stammenden — Liste ging hervor, daß bis zum 22. Mai 249 Schiffe versenkt wurden, während in derselben Zeit des vorigen Monats 210 Schiffe vrrlorengingen. Die Leser waren somit in der Lage Lloyd Georges Behauptungen an der Hand amtlichen Materials nachzuprüfen. Aber der Minister hatte noch ein zweites Mißgeschick. Er schränkte nämlich seine Zuversicht selbst ein -wenig ein. Alles, was ich sagen kann, ist, so w meinte er, daß wir große Fortschritte in der Bekämpfung der U-Boote gemacht haben. Unsere Maßnahmen werden immer zweckmäßiger, und seit den letzten drei oder vier Wochen gehen , wir mit immer größerem Erfolg als je zuvor gegen die U-Boote vor. Diese Erfolge zeigen sich wieder in der beträchtlichen Verringerung unserer Schiffsverluste; zwar haben wir den Mai noch nicht hinter uns, aber wenn in der letzten Woche die Verluste sich gegenüber den 25 ersten Tagen nicht erhöhen, wird die Verringerung im Ver gleich zum April tatsächlich sehr bedeutend sein. In der Nahrungsmittel-Versorgung haben sich die Aussichten infolge der Verbesserung der U-Bootlage wesentlich gehoben. Nachdem ich die Schiffahrt genau geprüft habe, kann ich sagen: wenn das Volk sparsam ist und sich keine Verschwendung zuschulden kommen läßt, wenn die Besitzer von Ackerland es gut aus nützen, wenn die Arbeiter Dampfpflüge liefern, wenn die Armee ihre verfügbaren Arbeits kräfte uns zurückgibt, wenn wir uns alle als vernünftige Geschöpfe betragen, die ihrem Lande die Katastrophe von Leiden und Entbehrungen ersparen wollen, braucht uns die U-Boot-Gesahr keine Angst einzuflößen, daß wir den Krieg da durch verlieren werden. Da die Deutschen ihre größte Hoffnung auf den U-Boot-Krieg setzen, sage ich jetzt, daß diese Hoffnung zur Enttäu schung verurteilt ist. Die von ihm verkündete Verringerung der Schiffsverluste scheint dem englischen Minister präsidenten also nicht ganz geheuer; denn er macht den Erfola der U-Boot-Bekämpsung doch von einer stattlichen Anzahl von Bedingungen abhängig, die dem unterrichteten Leser zeigen, daß die eigentlichen Abwehrmittel doch noch recht beschränkt sind. Erscheinen also Lloyd Georges Ausführungen an sich schon in eigen artigem Lichte, so erfahren sie eine erst recht interessante Beleuchtung durch die Tatsache, daß in der französischen Kammer zu gleicher Zeit eine U - Boot - Debatte stattsand, bei der man zu dem Ergebnis kam, daß die ll - Boot - Gefahr außerordentlich schwer sei. Dort führte einer der Redner aus: „Bis Ende September 1916 haben sich die Verluste ständig zwischen 300 000 und 350 000 Tonnen bewegt; seitdem aber haben sie immer zugenommeu, um bis auf 2 400000 in den ersten vier Monaten des Jahres 1917 anzusteigen, was dem Stand der französischen Flotte vor dem Krieg gleich kommt. Der Neubau begegnet der Gefahr nicht, und die Regierung tut in dieser Hinsicht nichts. Deutschland wird von den Neutralen verpflegt und braucht keine Tonnage, die Verbündeten aber benötigen eine Mindesttonnage sür ihre Kriegsindustrie und für die Versorgung der Bevölkerung. Aber über diese Mindest tonnage verfügen die Verbündeten nicht mehr." Zur Prüfung der Verteidigungsmittel sand dann eine geheime Sitzung statt. Die Eröffnungen der Abgeordneten sowie das Er gebnis der geheimen Beratung machten offenbar jo tiefen Eindruck auf die Kammer und ver sichern eine so ungünstige Wirkung nach außen, daß Admiral Lacäze zum Schluß in öffentlicher Sitzung die Erklärung abgab, er könne nur nach Lloyd George wiederhplen, daß die U-Boote Deutschlands die Verbündeten nicht auf Gnade und Ungnade in die Knie zwingen würden. Man sieht also, daß der U-Boot-Krieg unsere Feinde vollauf in Anspruch nimmt. Wir haben allen Anlaß, von seinen Erfolgen auch weiter hin den größten Einfluß auf Verlauf und Dauer des Krieges zu erwarten. verschiedene UriegZnachrichten. Die Bekämpfung der U-Boote. In diplomatischen .Kreisen Haags verlautet, daß unter englischer Leitung in Alexandrowski, dem Hafenendpunkt der zum Eismehr führenden Murmanbahn, wie auch in Kandallaska, dem Hafen des Weißen Meeres, eine große An zahl U-Boot-Zerstörer, angeblich auch kleine russische Kriegsschiffe, gebaut werden, die I in diesem Sommer gegen die U-Boote im nörd- j lichen Eismeer operieren sollen. * Enttäuschung in Frankreich. Nach den Versicherungen von Augenzeugen nimmt die Mißstimmung in Frankreich wegen der abgeschlagenen Offensive zu. In der Provinz bilde die Hauptunterhaltung die Revo lution der Zukunft, die den Krieg und die Regierung wegfegen und die Heimkehr der Soldaten erzwingen soll. Auch Soldaten er warten die Revolution. Ein Gewährsmann der ,Köln. Ztg.' hörte nachts auf einem großen Bahnhof die Unterhaltung zwischen Soldaten und Bürgern. Letztere wurden aufgefordert, sich zu erheben. Die Soldaten sagten: „Was zögert ihr, uns von der Hölle an der Front zu befreien? Wir zählen und warten auf euch!" Die Portugiesen bleiben zu Hause. Spanische Blätter erfahren aus Lissabon, daß wegen der letzten Vorfälle vorläufig von weiteren portugiesischen Truppen sendungen nach dem westlichen Kriegs schauplatz abgesehen werden müsse. Die Verschiffung der Truppen, die vor wenigen Tagen hätte erfolgen sollen, sei unterblieben. -i- Italienische Borsichtsmatzregeln. Von zuverlässiger Seite wird den ,Neuen Zürcher Nachrichten' aus Mittelitalien gemeldet, daß dieser Tage in Rom 15 000 Mann Karabinieri zum Schutze der Hauptstadt im Fall des Ausbruches einer Rebellion ausgehoben wurden. Infolge zu nehmender Widerspenstigkeit der Soldaten hat Cadorna jegliche Ullanbsbewilligungen abge schlagen. Diese Maßregeln zeigen am besten, wie erfolglos die Offensive der Italiener am Jsonzo und auf dem Karst geblieben ist. Eine neue russische Offensive? Der neue Kriegsminister Kerenski hat an Heer und Flotte einen eindringlichen Tages befehl gerichtet, in dem er u. a. sagt: „Ihr werdet in geschlossenen Reihen vor- rücken, geführt von Manneszucht, Pflicht gefühl und grenzenloser Liebe zur Revolution und dem Vaterlande. Möge das freie Heer und die freie Flotte der Welt beweisen, daß hie Freiheit ein Unterpfand der Kraft und nicht der Schwäche ist. Nach dem Willen des Volkes syllt Ihr das Vaterland und die Welt von Gewalttätern und Usurpatoren befreien; das ist die Aufgabe, zu der ich Euch aufruse." In seltsamem Gegensatz zu diesem kriegerischen Auf ruf steht folgende Meldung aus Stockholm: Wie aus Petersburg berichtet wird, endete der Kongreß der russischen Frontabgeordneten, der fast eine Woche lang in Petersburg tagte, mit einer im Sinne der Anhänger Lenins ge haltenen Entschließung. Der Kongreß beschloß, sämtliche Maßnahmen, die auf Ergreifung einer Offensive durch die russischen Heere Hin zielen, nicht zu uuterstützen. Der Krieg müsse schleunigst auf Grundlage des Annexionen verzichtes beendet werden. Japans Anteil am Kriege. » In Tokio wird amtlich bekannt gegeben: „Seit Kriegsausbruch hat die japanische Flotte zum Schutz des Handels die Gewässer des Orients von feindlichen Schiffen gesäubert. Auf Ersuchen der englischen Regierung wirken japanische Kreuzer und Zerstörer im Indischen Ozean mit. Ein Geschwader unter dem Befehl des Admirals Soto ist kürzlich ins Mittelmeer entsandt, ein anderes ist jetzt im südlichen Atlantischen Ozean tätig. Die japanische Flotte tut ihr bestes zur Unterstützung der verbündeten Flotten." va§ unbesiegbare Deutschland. Trotz aller amtlichen Bemühungen, die Welt lage als sür England und den Vierverband äußerst günstig hinzustellen, beginnen weite Kreise in England langsam die Wahrheit zu sehen. Und gerade der Teil der Presfe, der einst in verblendeter Eitelkeit — oder aus ge schäftlicher Verlogenheit — nicht laut genug die schnelle Niederzwingung Deutschlands zu ver künden wußte, ist jetzt schweigsam geworden oder aber gibt ganz anderen Erwägungen Raum. „Die erschlagene Wahrheit", schreibt jüngst ein Londoner Blatt, „hält ihre siegreiche Aufer stehung." Und nun gilt es — so meint die Presse — sür England, der Wahrheit ins Ge sicht zu sehen. Zeder Zeniner Getreide er nährt 2S0Menschen täglich! Landwirte, helst uns siegen! Liefert Ge treide ab. Oie Lage duldet keinen Aufschub. Wir brauchen jedes Kon-, auf daß der Feinde Hungerplan zer chellt: Trotz Bestell zeit müßt Ihr liefern! „Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit und Prophezeiungen müßte Deutschland längst zu unseren Füßen liegen. Warum ist es trotz dem nach zwei Jahren und zehn Monaten Krieg noch ungeschlagen?" So fragt im Anschluß an solche Betrachtung der frühere Berliner Vertreter der .Daily Mail' und er kommt zu folgenden Antworten, die sür das Blatt und dem in seiner Redaktion und in seinem Leserkreise vollzogenen Wandel der Anschauungen bezeichnend sind: Sämtliche Männer, Frauen und Kinder Deutschlands betrachten sich als Teilnehmer am Kriege und benehmen sich auch dementsprechend. Das Deutsche Reich besitzt eine Regierung, welche wirklich regiert und keine anderen Ziele und keine andere Rücksicht kennt, als den Krieg durchzusühren und zu gewinnen. Die Regierung überläßt nichts, aber auch gar nichts dem Zu fall, sieht alle Möglichkeiten voraus und zögert nicht, sich mit ihnen irgendwie abzufinden, wenn sie eingetreten sind. Die Nahrungsmittel versorgung des Volkes, wenn auch eine absolut unzureichende, ist seit November 1914 auf einer Grundlage organisiert, die eine Aushungerung ein für allemal unmöglich macht. Die industriellen Kreise arbeiten, von der Erkenntnis ausgehend, daß es sich in diesem Kampfe ebenso sehr um ihre Existenz wie um diejenige Deutschlands handelt, mit Leib und Seele sür die nationale Sache. Trotz seiner Fehler und unangenehmen Eigenschaften ist das deutsche Volk sparsam, ge nügsam, in hohem Maße vaterlandsliebend und von einer grenzenlosen Opferfreudigkeit beseelt. Die deutschen Armeen sind »ach vierunddreißig monatlicher Kriegsjührung, mit geringen Aus nahmen, immer noch im Besitze der ungeheuren Ländermassen, die ihnen ihre überlegene Aus bildung und Bereitschaft zu erobern und festzu- halteu, ermöglichte. Die deutsche Flotte bildet noch immer ein geschlossenes Ganze; sie ist ziffernmäßig mächtiger denn je und fähig, kühne Vorstöße in die britischen Minenfelder zu unternehmen. Überdies versenkt sie in jedem Monat Hunderl- tausende von Tonnen Schiffsraum der Entente und der Neutralen. Die deutsche Volkskraft, die vor dem Kriege am einer Be I völkerung von rund 70 Millionen fußte, ist der Erschöpfung nicht um ein Haar breit näher als die britische Volkskraft, die damals nur 46 Millionen zählte. Die deutsche Re gierung, die von „Kriegsmaßnahmen" in der Art des Verbotes von Pferderennen, um Hafer zu sparen, absieht, scheut sich dennoch nicht da vor, sich auch mit brennenden Bedürfnissen, wie die Rationierung des Brotgetreides, zu befassen. Ja, die deutsche Reichsleitung wird selbst kein Bedenken haben, die Lust, die man einatme», zu rationieren, wenn sich diese Maßnahme für den glücklichen Ausgang des Krieges als not wendig erweisen sollte. Ganz gewiß sollen diese Antworten kein Lob- ! lied auf Deutschland, sondern eine Mahnung und j Warnung sür die Landsleute sein. Zugleich aber sind sie ein beredtes Zeugnis sür Englands Unterlegenheit. Politische ArmciWZu, Deutschland. *Die in den letzten Tagen von deutschen und österreichisch-ungarischen Regiemngsver- tretern in Berlin geführten Verhandlungen über den Export deutscher Kohle nach Osterreich und böhmischerKohle nach Deutschland haben zu einem günstigen Ergebnis geführt. Die Einfuhr oberschlesischer Steinkohle nach Böhmen wird wieder aufge nommen. Dadurch wird in Böhmen Braun kohle, die als Ersatz sür die schlesische Kohle heraugezogen wurde, zur Ausfuhr nach Bayern und Sachsen wieder frei werden. *Der König von Bayern hat den Bischof Faulhaber voir Speyer zum Erzbischof von München ernannt. Erzbischof Faul haber ist 48 Jahre alt, stammt aus einer klein bürgerlichen Familie in Klosterheidenseld bei Schweinfurt in Unlerfranken und hat als Ein- jährigsreiwilliger gedient. 1910 wurde er zum Bischof von Speyer ernannt. Der Erzbischof ist verfassungsgemäß Mitglied der bayerischen Reichsratkammer. Als Bischof voir Speyer hat Dr. Faulhaber wiederholt seine Pfälzer Truppen im Felde besucht. *Jm Landesverratsverfahren gegen den württembergischen radikal-sozialistischen Landtagsabgeordneten Westmeyer ist, wie Stuttgarter Blätter melden: die Hauptverhand lung vor dem Reichsgericht auf den 4. Juni anberaumt worden. Italien. *Jn einer Reihe von Berichten von hervor ragender katholischer Seite ist dem Papst das Los der in Frankreich internierten deutschen Kriegs- und Zivilgefangenen am Grund zuverlässigen Materials geschildert worden. Der Papst hat diese Berichte mit großer Aufmerksamkeit gelesen und sich wieder holt bei einflußreichen Persönlichkeiten sür Milderung des Loses der deutschen Gefangenen verwandt und dabei den heißesten Wunsch aus gesprochen, bald das Ende dieser vielen Leiden zu sehen. Der Papst hat gleichzeitig ange- ordnet, daß die Beschwerden dem Kardinal von Paris unterbreitet werden mit der Bitte, seinen ganzen Einfluß aufzuwenden, um sür Abhilfe Sorge zu tragen. Schweden. * Die russischen Sozialisten haben nunmehr endgültig ihre Teilnahme am Stockholmer Kongreß erklärt. Ebenso der Vorstand des Verbandes italienischer Syndikate. Inzwischen fand die erste Besprechung des Ausschusses mit den österreichischen Sozialdemokraten statt, an denen auch der Führer Dr. Victor Adler teil nahm. Man erhofft ein günstiges Ergebnis von diesen fortdauernden Eiuzelbefprechungeu. Amerika. * Nachdem der diplomatische Ausschuß des Kongresses das Gesetz angenommen hat, das das die Neutralität Brasiliens im deutsch-amerikanischen Kriege erklärende Dekret vom 25. April ausheb 1, ist der Präsident ermächtigt, alle Maßregeln zu ergreifen, die zur Durchführung dieses Gesetzes notwendig sind, und die Handlungen vorzubereiten, die sich aus dein Auihören der Neutralität ergeb««. Dar lauient« Feuilleton wirb durch solgenbe Erzählung «verbrochen Der wäblerilcke ^oci. Kriegsskizze von Heinrich Leis.*) Es war das Kirchlein des flandrischen Dorfes mit seinen zierlichen Verschnörkelungen an der Fassade und dem schlanken, spitzen Turm ehe mals ein kleines Kunstwerk der Gotik, gar nicht paffend zu den einfachen Bauernhäusern. Ter Volltreffer einer schweren Granate hatte das Dach der kleinen Kirche zerschlagen, im Jnnenraum, wo sonst durch buntglasige Fenster die Sonne in sarbigen Streifen über den Sonn- tagSputz friedlicher Zuhörer hinhuschte, lagen wüste Haufen von Schutt und Geröll. Der Turm hing windschief noch auf drei Ecken, von dem zersetzten Gebälk dort, wo der Riß klaffte, preschte der Wind durchs Gestühl und den zwei Beobachtern an der Luke um die Ohren. Es sind zwei Unteroffiziere, die Ausschau ins Gelände halten. Der eine von der Ar tillerie, der andere ein Kavallerist, noch unmutig, daß man ihn mit seiner Truppe aus dem Osten herbeorderte, ihnen die Pferde nahm und sie in dir Schützengräben stellte zu Infanterie- dienstcu. Unter dem dunkelblauen, gewitterfarbenen Himmel dehnte sich das Gelände flach mit wenigen kleinen Hügeln und Waldfleckchen. Es war seltsam klar, obwohl die Landschaft etwas Trübes, Düsteres hatte von der schwergetürm ten Wolkenlast. Soweit ober der Blick ging, *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. kein lebendes, sich bewegendes Wesen. Der Krieg ruhte aus. Den Nachmittag gestern und die Nacht hatte der Boden gezittert von dem Losbrüllen der Kanonen und dem donnernden Bersten der Einschläge. Da hatte es gebrannt hier und da in den Dörfern, wo nun stumpfes Schwarz starrte wie ein wunschloses Sich-Be- scheiden. Der Krieg ruhte aus. Keine Sturmreihen sah man, wie jüngst, ins Feuerspeien anrennen unter Rauch und glühenden Kugeln der Schrap nelle, die in der Luft zerplatzten ... wie ver ödet und verlassen waren die braunen Erdränder der Schützengräben, der zerwühlte, durchackerte, aufgeworfene Boden. Ein Maschinengewehr sängt zu hämmern an. Gewehrschüsse surren. Die aufgeschreckte Ruhe flüchtet aus dem Tal. „Sehen Sie dort den Mann?" sagte der Ka vallerist. „Tollkühnheit! Au den Schützen gräben spaziert er, bleibt stehen — jetzt kommt er auf uns zu. Jst's nicht ein Offizier?" Der Artillerist sah hin und nickte. „Oberst Albrecht. Um ihn ist's eine Geschichte sür sich. Ein alter Offizier außer Dienst — hat sich mit dem Krieg der Militärbehörde zur Ver fügung gestellt — Kommandeur des Landwehr- Regiments . . . Wissen Sie, er sucht de» Tod." Auf den fragenden Blick des anderen fuhr er fort: „Sagen wir, irgendeiner von uns, Sie oder ich zum Beispiel, wir liefen dort an der vordersten Linie ohne Deckung, bei Hellem Tage... ich glaube kaum, daß wir heil davon kämen. Aber der Oberst ist gegen Kugeln wie gefeit. Das macht er will sterben, ganz sicher. Er kommt zur Beobachtung neulich; auf unsere Warnung, den Laufgraben zu be nutzen, sagt er kalt: Lassen Sie auf mich schießen! Und kauin klettert er aus dem Graben, geht ein wütendes Maschinengewehr feuer los. An derselben Stelle war jüngst unsere Leitung zerschossen. Auf dem Bauch krochen die Leute hin, um sie zu flicken, uird einen nach dem andern putzten die Franzosen weg mit einem wahren Geschoßhagel. Die Leitung konnte vor der Dunkelheit nicht aus- gebessert werden. Aber der Oberst ging vorbei wie durch einen Mückenschwarm." Der Offizier war näher gekommen, durchs Fernglas konnte man erkennen, daß er grau haarig war und von fahler Gesichtsfarbe. Ein schwarzweißer Hund hatte sich zu ihm gefunden und tappte nebenher. „Das Unglück, das durch den Krieg in seiner Familie geschah, hat ihm die Lebens kraft gebrochen. Zwei Söhne, aktive Offiziere — der eine ist gefallen, der andere durch einen Schuß ums Augenlicht gebracht. Die Mutter hat sich vor Gram darüber uin den Verstand geweint. Nun will et von der Welt, aber es soll der Schlachtentod sein, den er sucht. AIS rechte Schicksalsironie — die Kugel, auf die er wartet, versagt sich ihm. Andere kommen gerade in den Krieg, die gern leben wollen: vielleicht sind sie ein paar Tage draußen, da wird ihnen schon das Grab geschaufelt. — Ich denke noch an die Erstürmung der kahlen Höhe dort, ver gangenen Herbst. Der Oberst ist schon immer ein Draufgänger gewesen. Damals hat es viel Blut gekostet. Höhe D. war ein Haupt stützpunkt der Franzosen. Dreimal haben sie uns wieder heruntergeworfen, ihr Trommelfeuer war furchtbar. Viermal sind wir angerannt, und immer der alle Oberst vorne, mit der Säbelspitze nach dem Feind. Hinter ihm und neben ihm sind seine Leute gefallen — er ist unverletzt geblieben, als ob er nicht sterben durfte, scheint es, um noch alles, was ihm zugerechnet war, zu erleben. Ich meine manch mal, die Muselmanen haben sehr recht mit ihrer Lehre vom unabänderlichen Fatum . . . ." „Da lassen Sie auch mich auf eine Er innerung kommen," sagte der Kavallerist. „Es war in einer Sumpfgegend in Rußland, während einer überstürzten Verfolgung. Nur die Moräste hemmten uns, und meisterhaft verstanden dis kleinen Patrouille« der flüchtenden Nachhut mit uns herumzuplänkeln, bis dis Brücken zerstört waren. Immer wieder mußte erst der Pionier park vorgeholt werden. Ein mühseliges Arbeiten schon, bis man nur Grund für die Träger der Stützbalken sand. Selbst ein noch so unscheinbarer Wasserlauf hatte den Wiefen- boden rings versumpft. Tas Gras zeigte das harte, verdächtige Grün der Riedstächen. Wagen und Pferde verschlingt der Morast. Wieder standen wir vor einem Sumpf, die einzige Brücke hielt ein Trupp abgesessener Kosaken. Da erbot sich ein Flüchtling, ein Pole, uns nachts eine wenig bekannte Brücke über den Sumpf zu zeigen. Die Aussicht war ver lockend. Gelang es so, den Feind im Rücken zu greifen, dann wurde er gejagt oder zu- sammengeschosscu, ehe er die Brücke zerstören konnte.
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