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Allgemeiner Anzeiger : 29.08.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190008297
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19000829
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19000829
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-08
- Tag 1900-08-29
-
Monat
1900-08
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 29.08.1900
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Politische Rundschau. Der Boxer-Aufstand in China. *Die amtliche Meldung über die Vor gänge vor der Erstürmung Pekings durch die Verbündeten ist jetzt eingelaufen. Ueber Tschifu ist von dem kaiserlichen Konsul in Tientsin eine aus Peking vom 14. d. datierte Depesche des kaiserlichen Geschäftsträgers in Peking eingelaufen, wonach an demselben Tage der Entsatz der Hauptstadt durch russische, japa nische, englische und amerikanische Truppen statt gefunden hat. Dem Entsatz ging in der Nacht vom 13. zum 14. August ein letzter wütender Angriff chinesischer Truppengegen die Gesandtschaften voraus. Bei der Abwehr dieses Angriffs fiel ein Deutscher. Den stärksten Widerstand fanden an den nördlichen Thoren die Russen und die Japaner, während die Chinesenstadt von Eng ländern und Amerikanern schnell fortgenommen wurde. Mittags erschienen diese dann im Ge sandtschaftsviertel. Die chinesischen Truppen zogen sich in die Kaiserstadt zurück. Die Be völkerung verhält sich teilnahmlos. Die ver bündeten Truppen besetzten die Zugänge zur Kaiserstadt. (Inzwischen ist die ganze Stadt in allen ihren Teilen, von den Verbündeten besetzt worden.) * Von der Kaiserin-Witwe und dem Hofe fehlen noch immer sichere Nachrichten. * Das (sehr unzuverlässige) .Bürean Dalziefl meldet aus Schanghai: Die Verbündeten in Peking verlangen die Hinrichtung des Prinzen Tua n. Es heißt, mehrere aus ländische Damen seien in der britischen Legation infolge Erschöpfung gestorben. * Die Leiche des in Peking ermordeten deutschen Gesandten Frhrn. v. Kettel er ist anfgefunden worden. Sie war nach chine sischer Art in einem chinesischen Sarge beerdigt worden; sie ist nun nach christlichem Brauch beerdigt worden. *Von den 100 Mann der deutschen Schutz wache, die beim Beginn der Unruhen von deutscher Seite nach Peking gesandt wurde, sind nach amtlichem Bericht 11 getötet, 1 schwer, 15 leichtverwundet; letztere befinden sich alle auf dem Wege der Besserung. * Südlich von Tientsin, ungefähr sechs Meilen davon entfernt, soll am Sonntag ein kleines Gefecht stattgefunden haben. Genauere Angaben über das Gefecht macht ein Kabeltelegramm des amerikanischen Admirals Remey aus Taku vom 20. August, welches be sagt: Das 6. amerikanische Kavallerie-Regi ment und ungefähr 400 Briten und Japaner trieben acht Meilen von Tientsin 1000 Boxer auseinander, 100 Chinesen wurden getötet. * InHankau wurde am 20. d. ein Auf- standsversuch gemacht in der Absicht, die Bank und das Zollamt in Brand zu stecken. Der Vizekönig ergriff sofort Maßregeln zur Unterdrückung der Bewegung. Die Haupträdels führer wurden verhaftet und zwei der Schuldi gen enthauptet. Die beschlagnahmten Schrift stücke ergaben das Vorhandensein von Ver schwörungen und einer geheimen Ge sellschaft. * Die ,Patrik bringt eine interessante Unter redung mit einem hohen Wiener Diplomaten, in der es heißt: Die Besitznahme der Mandschurei durch Rußland sei sicher, dafür werde Rußland China gegen die An sprüche aller anderen europäischen Mächte schützen. Rußlands Aufforderung, den Grafen Waldersee zum Oberbefehlshaber zu erwählen, verfolgte den Zweck, Deutschlands Einsprache gegen die russischen Pläne vorzubeugen. Walder see befehle nur in Petschili, nicht im Norden. Die nächste Zukunft werde ein Bündnis Rußlands mit Japan bringen. * -t- -K Vom afrikanischen Kriegsschauplatz. *Als Antwort auf die Proklamation des Lord Roberts hat Präsident Krüger seinerseits eine Proklamation erlassen, in welcher es heißt, es sei unnütz, die Waffen niederzulegen, denn Lord Roberts habe in seiner Proklamation erklärt, daß alle Boeren im Alter von mehr als 12 Jahren als Gefangene ange sehen werden sollten, und daß er sie nach St. Helena schicken werde. Es sei ebenso unnütz für die Bürger, ihre Kommandos zu verlassen, denn je mehr sie sich ihren Farmen näherten, näherten sie sich auch St. Helena. * InNatal, wo die Boeren so erfolg reich den Krieg begonnen hatten und das nach unendlichen Mühen durch Buller „gesäubert" worden war, haben sich wieder Boeren festge setzt und zwar in den schwer zugänglichen Drakensbergen. Von dort haben sic mittels des „langen Tom" einen Teil der Eisenbahn und einen Güterzug- zur Entgleisung gebracht. * Roberts hat das Todesurteil gegen den Leutnant Cordua (wegen Teilnahme an der angeblichen Verschwörung gegen Roberts und seine Offiziere) bestätigt. Eine zweite größere Abteilung von Transvaalboeren wurde auf Roberts Befehl deportiert. Deutschland. * Der Kaiser hat dem befreiten deutschen Geschäftsträger in Peking, Herrn v. Below, ein Glückwunschtelegramm und eine Ordens auszeichnung zugehen lassen. *Auch die deutsche Regierung hat Li -H u n g - T s ch a n g mit seinem Frie dcns- gesuch abfallen lassen. Am Donnerstag mittag verbreitete das ,Wölfische Büreaw im Auftrage des Auswärtigen Anues folgende Mit teilung: Auf einen Antrag des Vizekönigs Li-Hung-Tschang, in welchem die sofortige Zurückziehung der verbündeten Truppen und die Eröffnung von Friedensverhandlungen verlangt wird, hat die" deutsche Regierung erwidert, daß sie in Ermangelung gehöriger Vollmachten auf chinesischer Seite in Verhandlungen nicht ein treten könne. Der fremdenfreuudltche Pein? Tfching *Von der ursprünglich geplanten Teilnahme sämtlicher deutschen Bundesfürstenzu der am 18. Oktober stattfindenden Grundstein legung zu dem Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig ist nach Blättermeldungen Ab stand genommen worden. Der Grundstein legung wird voraussichtlich außer Kaiser Wil helm nur König Albert beiwohnen. * Der Kaiser hat der Magd. Ztgl zufolge bestimmt, das den verheirateten Offizieren, Sanitäts-Offizieren und Militärbeamten des o st asiatischen. Expeditionskorps, deren Familien infolge des Abganges ihrer Överhäupter nach Ostasien an einen anderen Ort des Inlandes verziehen, Umzugskoften und Mietsentschädigung gewährt werden. * Die Auflösung der sogenannten „Iägerbrigade" in Colmar im Elsaß ist zum 1. April 1901 festgesetzt. Die vier Jäger bataillone, das Magdeburgische, Rheinische, Hannoversche und Mecklenburgische, kehren nicht wieder, wie vielfach gehofft, in die Heimat zu rück, sondern bleiben zu je zweien im Verbände des 14. und 15. Armee-Korps. *Die englische Negierung hat der Wagnerschen Reederei in Altona Schaden ersatzansprüche in Höhe von 60000 Mk. für die im Beginne des Transvaalkrieges in der Delagoabai unberechtigt erfolgte Be schlagnahme der Bark „Hans Wagner", das Kriegskontrebande für die Boeren an Bord haben sollte, zuerkannt. Infolge der Vermitte lung des Auswärtigen Amtes gelangt die ge forderte Entschädigung jetzt zur Auszahlung. Frankreich. * Eine Verlängerung der Pariser Weltausstellung über das ursprünglich festgesetzte Datum, den 5. November hinaus wird, wie der ,Temps' am Donnerstag erklären zu können versichert, auf keinen Fall statt- findcn. *,Matin' schreibt: „Waldersee hat noch vor seiner Abreise seinem Vaterlande einen ernsten Sieg errungen: nämlich seinen Ober befehl. Leider hat er seinen Sieg nicht über China errungen." Die ,Autorit^ schreibt: „Man ist von dem tollen Delirium ernüchtert, womit man seiner Zeit das russische Herrscher paar empfing, das war ein recht würdeloses Delirium. Wir können nicht vergessen, wie vollständig man uns im kläglichen Faschoda- Zwischcnfalle im Stich ließ. Damals lieferte Rußland uns an Händen und Füßen gebunden an England aus. Heute spannt Rußland uns ins deutsche Joch. Die Nachteile des Bünd nisses kennen wir, die Vorteile haben wir noch nicht wahrgenommen." Schweden-Norwegen. * König Oskar von Schweden hat das S ch i e d s r i ch t er am t in der Frage der Entschädigung der deutschen, englischen und ame rikanischen Unterthemen wegen der letzten Un ruhen auf Samoa angenommen. Balkanstaatcn. * Exkönig Milan soll verfügt haben, daß seine sämtlichen Effekten von Serbien nach Wien gebracht werden. Daraushin soll König Alexander verfügt haben, daß seinem Vater die Apanage verbleibt. Amerika. * Das Kriegsministerium in Washington hat Befehl erteilt, die 4000 Mann, die aus dem Wege nach Taku waren, nunmehr nach Manila zu transportieren. Uo« der Groderung Pekings werden noch folgende Einzelheiten gemeldet, die am 14. August abgesandt wurden: Die indischen Truppen zogen um 1 Uhr, die amerikanischen um 3 Uhr in die britische Ge sandtschaft ein und wurden von den abgezehrten Belagerten, welche nur noch für drei Tage Nahrungsmittel hatten und von den Chinesen zwei Tage lang heftig angegriffen worden waren, freudig empfangen. Die Russen verloren fünf Tote und 12 Verwundete, die Engländer und Amerikaner hatten nur einige Verwundete. Die Befehlshaber der verbündeten Truppen hatten eigentlich beabsichtigt, am 15. August zum all gemeinen Angriff zu schreiten. Die Truppen hatten fünf Meilen östlich von der Stadt ein Lager bezogen. Sie waren sehr erschöpft und schliefen in Kornfeldern bei strömendem Regen. Die Generale wurden dann durch heftiges Geschütz- und Gewehrfeuer alarmiert, aus dem sie entnahmen, daß die britische Gesandtschaft energisch angegriffen wurde. Sie gingen infolge dessen getrennt vor, und zwar die britischen, amerikanischen und französischen Truppen auf dem linken Ufer, die russischen und japanischen auf dem rechten Ufer des Flusses. Sie brachen nachts um 2 Uhr auf. Die Japaner lenkten den heftigsten Widerstand der Chinesen nach dem nördlichen Teile der Stadt ab, wo die japanische Artillerie die chinesische in einen schweren Kampf verwickelte. Die Engländer und Amerikaner trafen nur auf geringen Wider stand, bis sie in die Stadt einzogen, wo es zu einem Kampf in den Straßen kam. Die Truppen drangen schließlich durch den Kanal in die Fremdenniederlassung ein. Der Gesandte Conger teilte mit, daß die Chinesen am Tage vor dem Einzug der ver bündeten Truppen in Peking versuchten, die Gesandten und die anderen Ausländer zu ver nichten. Prinz Tschung hatte zwar sein Wort gegeben, daß er seinen Offizieren den Befehl erteilte, das Feuer gegen uns cinzustellen und zwar unter Androhung der Todesstrafe, doch wären die Gesandten wahrscheinlich ums Leben gekommen, wenn die Entsatztruppen mcht ein getroffen wären. Uon Uah und Fern. Aufklärung einer ulten Mordthat? Anfangs der neunziger Jahre wurde, wie. wohl noch erinnerlich sein dürste, die Postschaffners frau Wende aus der Jnvalidenstraße in Berlin ermordet, ohne daß es gelang, des Mörders habhaft zu werden. Die Blutthat scheint nun mehr ihre Sühne finden zu sollen. Bei der Polizei sind nämlich Anzeigen eingegangen, auf Grund deren jetzt Nachforschungen angestellt werden. Ueber die Art der Recherchen wird im Interesse der ganzen Angelegenheit tiefstes Stillschweigen gewahrt. Hoffentlich ist die Arbeit der Polizei von Erfolg gekrönt. Der Preitzelbeerversand der Fichtel- gebirgsvcrkanfsgenossenschast hat begonnen. Der Versand erfolgt nur in halben Zentner- und Zentnerkörben nach dem Tagespreise (zur Zeit 19—22 Mk.). Es wird nur beste, reife Ware verschickt, Körbe werden nicht eigens berechnet. Voreinsendung des Betrages ist erwünscht. Die Adresse ist Fichtelgebirgsgenossenschaft Ansbach. Bemerkt sei noch, daß es sich nicht um Er zielung eines Gewinnes handelt, sondern um Erzielung besserer Preise für die arme beeren pflückende Bevölkerung. Abzug des Militärs aus Konitz. Einem telegraphisch eingelaufenen Befehl gemäß find zwei Kompanien des in Konitz infolge der Winterschen Mordaffärc einquartierten Bataillons nach Graudcnz zurückgekehrt. Die Abberufung einer dritten Kompanie wird in den nächsten Tagen erwartet. Man mutz sich zu helfen wissen. Von dem Warenhaus B. in Beuchen (Oberschlefien) wird berichtet, daß es sich die Warenhaussteuer vom Budget abgewälzt hat, indem es von seinen Angestellten eine Kopfsteuer erhebt. Wer 30 bis 40 Mk. Gehalt bezieht, muß 1 Mk Steuer zahlen. Bei 40 bis 50 Mk. Gehalt beträgt die Steuer 2 Mk., bei 50—80 Mk. Gehalt 3 Mk. und bei über 80 Mk. Gehalt 4 Mk. Gleich zwei Naturfettenheite« weist gegenwärtig die Stadt Jena auf. Neben einer weißen Schwalbe wurde auch eine weiße Amsel beobachtet. Vom elektrischen Strom getötet wurde Montag abend in Gildehaus (Hannover) der Arbeiter I. Büld, als er das Licht der elek trischen Lampe in seiner Wohnung anzünden wollte. Das gleiche Schicksal traf "den Buch halter Herms in Gildehaus, der Zeuge deS Unglücks in der Büldschen Wohnung gewesen war und, zu Hause angekommen, seinen Haus genossen an der eigenen Lampe zeigen wollte, wie das Unglück bei Büld entstanden sei. Der Hund, welcher über die Leiche seines Herrn weg sprang, wurde ebenfalls getötet. Begnadigung. Die vom Tübinger Schwur gericht zum Tode verurteilte Witwe Haas wurde zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt. Totschlag wegen 3 Pfennig. In Wilden- ranna (bayrischer Wald) wurde ein lediger Zimmermann von einem 19jährigen Graphit arbeiter auf der Kegelbahn im Streit um 5 Pfennig mit einem Terzerol erschossen. Der Thäter wurde ins Amtsgerichtsgefängnis ein geliefert. Die Liebesgabe der Kinder. Man be richtet aus Marienbaum (Kreis Moers): Die hiesigen Schulkinder sammeln unter Aufsicht ihrer Lehrer Waldbeeren als Liebesgabe für die deut schen Soldaten in China; an einem einzige« Tage haben sie über 500 Kilo gesammelt. Die Beeren, die sowohl roh genossen als auch za Kompott zubereitet, ein bewährtes Heilmittel bet Durchfall und Rnhrkrankheit bilden, die bekannt lich bei Truppenansammlungen leicht Vorkommen, sollen gedörrt, in Büchsen verpackt und dem nächst an die Hauptsammelstelle für das Ost asiatische Expeditionskorps Bremerhaven gesandt werden. Wußte es fein? 14s Roman von C. v. Berlepsch. lF lletzim«.) Ein eigentümliches Lächeln zuckte u« den Mund der Gräfin. .Das werde ich dir nicht sagen,' entgegnete sie. „Du siehst, was davon kommt, wenn man awf verbotenen Wegen wandelt! Es war nicht meine Absicht, daß du die jungt Dame sehen solltest.' „Aber sage mk doch, wer sie ist.' „Das kann ich nicht,' antwortete Gabriele »nd wieder lächeltet« so eigen. „Gleicht sie deinem Ideal?' setzte sie nach einer Pause hinzu. „Sie ist mein Ideal,' bemerkte Walter, .nicht mehr und nicht weniger!' „Also endlich gefunden! Und trotzdem darfst du nicht an sie denken.' „Warum nicht? Ist sie verheiratet oder verlobt?' „Das Kind? Sie ist ja kaum der Schule entwachsen. Wenn dir wirklich so viel daran Legt, will ich dir sagen, wer sie ist, aber du darfst es nie erwähnen? „Mein Wort darauf,' entgegnete er. „Es ist eine weitläufige VerwanRe von uns,' sagte Gabriel«, „die Familie ist gänzlich verarmt." „Sie ist Oo mit deinem Mann verwandt? Sonst, wenn sie dir nahe stände, müßte ich doch schon früher von ihr gehört haben.' „Ja, sic gehört zu seiner Familie, wenn auch ganz eulseriü. Wir haben sie sozusagen an genommen und wollen ihr später eine Aus stattung geben. Ihre Mutter war unglücklich verheiratet.' „Aber sie war verheiratet?' „Ja, gewiß. Sie hat nur viel Unglück ge habt. Trotzdem hat die Tochter eine gute Er ziehung bekommen und wird jetzt ganz bei uns bleiben. Aber Walter, ich kann dir doch in dieser Sache so fest vertrauen wie sonst?' .Unbedingt,' sagte Walter von Hohenstedt. „Mein Mann war nicht einverstanden, daß ich sie hernahm, und mag nicht gern darüber sprechen; deshalb erwähne die Sache, bitte, ihm gegenüber gar nicht. Kommt mal die Rede darauf, so wird er es nur als eine Laune von mir bezeichnen. Das junge Mädchen aber fühlt sich glücklich hier. Ihr meint immer, wir Frauen könnten kein Geheimnis bewahren; mein Gast ist schon mehrere Wochen bei mir, und heute er fährst du es nur durch einen Zufall.' „Und was beabsichtigst du mit ihr?' Gabriele lehnte sich in ihren Sessel zurück und sprach in vertraulichem Ton: „Ich sehnte mich nach einer Gesellschafterin,' sagte sie. „Frau von Palm wohnt auf meine Bitte in Rodenhof, dort genügt die Haus hälterin nicht zm Aufsicht. Da fühlte ich mich so einsam.' „Du hast doch deinen Mann.' „Ja, aber der ist viel beschäftigt, und ich bin seit jeher immer an weiblichen Umgang ge wöhnt. Und dies junge Mädchen ist so sanft und gut, sie ist mir sehr sympathisch im Verkehr.' .Wirst du sie in die Gesellschaft einführen?' „Ich habe vorläufig nicht die Absicht, sie ist noch ein Kind und soll nicht verdorben werden. Nein, ich will sie für mich behalten.' „Wie heißt sie?" „Wie neugierig ihr Männer doch seid,' lachte Gabriele. „Nun sage ich es dir gar nicht — oder doch, es ist gerade der richtige Name für ein Ideal — sie heißt Edith.' „Edith!' wiederholte Walter, „wie schön - Edith." „Der Name paßt ganz für sie,' bemerkte die Gräfin. „Doch nun muß ich dich ver abschieden, Walter, ich habe ein paar notwendige Besuche zu machen." „Du willst mich also nicht mit deinem Schützling bekannt machen?" „Nein, gewiß nicht, du sollst dem Kinde nicht seine Ruhe rauben." Walter von Hohenstedt ging nachdenklich fort. Er konnte das süße Bild nicht vergessen, es verfolgte ihn beständig. Vergeblich suchte er es aus seinen Gedanken zu verbannen. Wieder und wieder bemühte er sich, den Eindruck zu verwischen, aber stets stand die holde Erscheinung lebendig vor seinem Geiste. Wohin er blickte, meinte er die schönen blauen Augen, das goldene Haar, die liebliche Gestalt, von Rosen umrahmt, vor sich zu sehen, und als er am Abend ein schlief, träumte er von nichts anderem. Er hatte manches schöne Gesicht gesehen, aber nie hatte eines so sein ganzes Inneres erfüllt, wie dieses. „Ich muß den Zauber brechen," sagte er sich. „Morgen werde ich nochmals hingehen, um das junge Mädchen zu sehen, dann wird es mir wohl klar werden, daß meine Phantasie mir einen Streich gespielt hat." Er führte seinen Plan aus, aber als er a» nächsten Vormittag nach der Gräfin fragte, be richtete der Diener, sie sei in die Kunstausstellung gefahren. „In die Ausstellung?" fragte er erstaunt. „Wissen Sie das bestimmt?" „Ganz bestimmt,' war die Antwort. „Ich hörte auch, wie die Frau Gräfin heute früh von den Gemälden dort sprach." Walter von Hohenstedt konnte nicht begreifen, was Gabriele dort wollte. Er hatte Lust, ihr zu folgen, fand es aber ausdringlich. Hätte s« seine Begleitung gewünscht, würde sie ihn auf» gefordert haben. Ob fie wohl ihre Gesell schafterin mitgenommen hatte? Er mochte nicht danach fragen, und es fiel ihm auch ein, daß er nicht einmal ihren Namen wußte. , > Wie sollte er den Tag verbringen? Seme Unnihe hatte eher zu- als abgenommen. Am Abend würde er Gabriele auf dem Ball beim französischen Gesandten treffen, dann wollte er sie nochmals bitten, ihn mit ihrer Gesell schafterin bekannt zu machen. Sie unterhielt sich mit dem Gesandten, alt er eintrat, aber mit einem freundlichen Lächeln winkte fie ihn zu sich heran. , „Ich hörte, daß du heute bei mir warst, sagte fie; „ich vergaß ganz, dir mitzuteilen, daß wir in die Kunstausstellung fahren wollten.' „Wie kamst du plötzlich auf diese Idee? „Du wirft mich auslachen, aber zuweilen bin ich auch einmal selbstlos. Meine kleine Edith schwärmt für die Kunst, und ich mochte
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