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Allgemeiner Anzeiger : 11.08.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190008112
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19000811
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19000811
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-08
- Tag 1900-08-11
-
Monat
1900-08
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 11.08.1900
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Politische Rundschau» Der Boxer-Aufstand in Cbina. "Jetzt muß man auch an dem Wert der amtlichen Nachrichten zweifeln: von London wird der begonnene Vormarsch nach Peking gemeldet, wahrend von Paris aus das Gegenteil behauptet wird. Die Gesandten und Fremden in Peking sollen sich Wohlbefinden; sie sollen unter starker Bedeckung auf demWegenachTientsin sein und gleichze'trg will man eine von Con - ger, dem amerikanischen Gesandten in Peking unterzeichnete Depesche erhalten haben, welche besagt: ^Helft, wenn überhaupt, so> fort; m Peking ist keine Regierung, ausgenommen die militärischen Chefs, welche die Vernichtung der Ausländer be schlossen haben." In diesen Widersprüchen ver mag man sich nicht zurechtzufinden. "Zwischen England einerseits und allen übrigen Mächten anderseits find weaen des Schutzes vonSchanghai und dessen Hinterland (das Jangtse-Gebiet) erheb liche Meinungsverschiedenheiten zu Tage ge treten. Ein anscheinend offiziöser Artikel der .Köln. Ztg/ sagt, es sei bedauerlich, daß ein neuer Stein des Anstoßes geschaffen worden sei, denn nach einer russischen Note habe es nicht den Anschein, als ob die Mächte auf ihr Recht, ihre Unterthanen dortselbst durch eigene Mittel zu schützen, verzichten werden. Während somit das englische Vorgehen auf Widerstand bei den Mächten stoße, habe sich England auch von der japanischen Regierung eine empfindliche Ab weisung geholt, die gerade im gegenwärtigen Augenblick viel zu denken gebe. Als Bestäti gung dafür gilt, daß bezüglich der chinefischen Angelegenheiten in letzter Zeit eine Annäherung zwischen Japan und Rußland erfolgt sei. "Chinesische Truppen gehen, wie .Reuters Büreau' aus Schanghai meldet, selbst aus den fremdenfreundlichen Pro vinzen durch den Kaiser-Kanal nach dem Norden ab. * Der französische Minister des Aeußern er hielt ein Telegramm des Konsuls in Tschifu, in welchem es heißt, der Gouverneur von Mukden habe eine Proklamation erlassen, durch welche die Bevölkerung der Mand schurei aufgefordert wird, die Christen zu ermorden. Der Konsul meldet weiter, daß fast alle religiösen Anstalten zer stört seien, und daß die Missionare mit den eingeborenen Christen sich auf eine Verteidigung eingerichtet haben. * Die Versetzung der fremdenfreund lichen Vizekönige des Südens in den Anklagezustand kündigen Beamte in Schanghai an. l Bom afrikanischen Kriegsschauplatz. * Die Boeren haben einen Eisenbahn- zug zum Entgleisen gebracht, in dem sich der amerikanische Generalkonsul Nowe befand und der deshalb die amerikanische Flagge an der Maschine trug. Ob nun die Boeren die Entgleisung nicht mehr verhindern konnten, als sie diese Thatsache bemerkten, oder ob sie an einen Täuschungsversuch der Engländer glaub ten, jedenfalls wird dieses Ereignis von der britischen Presse gebührend in den Vordergrund geschoben. Vier Personen find dabei getötet worden und 40 Mann mit dem Obersten Lennox gefangen genommen. Also hat der Zug offenbar auch zur Militärbeförderung ge dient. Die Boeren setzten Oberst Lord Lennox wieder in Freiheit, nahmen aber zwei Offiziere gefangen. Die Boeren wurden durch berittene Infanterie verfolgt. Drei Boeren wmden getötet, mehrere verwundet. Deutschland. "ES verlautet mit vollster Bestimmtheit, Generalfeldm arschall Graf Walder- see solle nach China gehen. Der Graf, der als General-Jnspekteur der 3. Armee-Inspektion in Hannover seinen Dienstfitz hat, begab sich am Mittwoch nach Wilhelmshöhe zum Kaiser. " DaS Kaiserpaar stattete am Montag der Stadt Bielefeld einen Besuch ab, wo selbst auf dem Sparenbrrge der Kaiser dem Großen Kurfürsten ein Denkmal hatte errichten lassen. Dieses wurde am Montag mit einer Ansprache des Kaisers enthüllt, worin der Monarch seinem großen Vorfahren nachrühmte, den Grundstein zu Preußens Größe und zur deutschen Einheit gelegt und den Weg über die See gewiesen zu haben. * Staatssekretär Graf Bülow hat seine bisher verschobene regelmäßige Urlaubs reif e nach dem Semmering ganz aufge geben und geht nur auf kurze Zeit nach Norderney. Ein vortragender Rat und mehrere Chiffreure begleiten ihn. Die Leitung der Ge schäfte seines Ressorts wird Graf Bülow auch während seines Aufenthalts in Norderney be halten. "Nachdem am 4. d. mit der „Phönicia" das 4. ostafiatische Infanterie-Regiment, eine Proviantkolonne, das Material zur Gebirgs batterie und der Truppen-Train, auf dem Dampfer „H. H. Meier" das 1. Bataillon des 2. ostafiatischen Infanterie-Regiments, die 3. Eskadron des ostafiatischen Reiter-Regiments, die Eisenbahnkompanie, Pioniere, sowie daS Personal des Lazarettschiffes in See gegangen find, ist die Verschiffung des Expedi tionskorps, abgesehen von Proviant- und Munitionsladungen, beendet. "Der Fernsprech-Verkehr zwischen Deutschland und Frankreich ist am Montag ohne besondere Feierlichkeit eröffnet worden. * Zur Frage eines ReichSwohnungs- gesetzes glaubt die Münchener ,Allg. Ztg/ zu wissen, daß nicht nur die preußische, sondern auch andere Regierungen Wert darauf legen, die Wohnungsreform zu denjenigen Fragen zu zählen, deren Lösung zunächst der Initiative der Einzelregierungen überlassen bleibt. "Wilhelm Liebknecht, einer der Hauptführer der Sozialdemokratie, ist am Diens tag früh in Charlottenburg plötzlich am Gehirn schlage verstorben. Er hat ein Alter von 74 Jahren erreicht und vertrat zuletzt im Reichs tage den 6. Berliner Wahlkreis. Frankreich. * Dem ,Echo de Paris' zufolge ist am Sonntag ein Anarchist namenS Ballette in Abbeville als Mitschuldiger Saisons ver haftet worden. Die in der Wohnung Ballettes beschlagnahmten Briefschaften legen dar, daß derselbe mehrere Attentate mit Saison und anderen Anarchisten geplant habe. Ballette wurde nach Paris geschafft. Italien. * Die Kammer hat beschlossen, daß ihr Sitzungssaal sechSMonatlangTrauer- schmuck tragen soll. Bei der Erörterung weiterer Ehmngen für den ermordeten König kam es leider zu unwürdigen, sehr heftigenSzenen, indem seitens der Rechten die Aufrichtigkeit der von fetten des republi kanischen Abg. Pantano bekundeten Trauer an gezweifelt wurde. "Die Verhaftungen von An archisten dauern fort. In der Nacht zum Sonntag verhaftete die Polizei in Rom 15 Anarchisten, darunter eine Frau, welche sich zu einem Bankett vereinigt hatten, um die Er mordung König Humberts zu feiern. Ein Kauf mann wurde in Florenz verhaftet, der Bresfi einen Helden nannte, dem ein Denkmal gebühre. Der Arbeiter Orci aus Benevent wurde in dem Augenblick verhaftet, als er wieder nach Amerika, von wo er im Juni gekommen war, zurückkehren wollte. Alle Verhafteten werden nach Mailand gebracht. Balkanstaaten. "Die Vermählungsfeier des Königs Alexander mit Draga Maschin am Sonntag ist ohne jede Störung verlaufen. Die ,N. Fr. Pr.' berichtet, König Alexander habe dem neu ernannten Ministerium erklärt, daß er nicht nur dem Drange seines Herzens folge, wenn er dre Ehe mit Draga Maschin schließe, sondem daß er auch als Privatmann ge zwungensei, im Interesse seiner Ehre so zu handeln. * In Bukarest wurde in der Nacht zum Wuntag Professor Michaileano durch einen Revolverschuß getötet. Der Mörder, ein 18 jähriger Bulgare namenS Stoian Dimitrow, wurde verhaftet und gestand ein, das Ver brechen aus politischen Gründen be gangen zu haben. Er sei vor einigen Tagen auS Uesküb eingetroffen, um Michaileano zu ermorden, der aus Macedonien stammt und ein Blatt herausgab, das die bulgarische irredentisti« sche Bewegung bekämpft. Das staatliche KestedelangSWesr« im Oste«. Auf dem Kongreß der deutschen Geometer vereine, der vom 29. Juli bis zum 1. August in Kassel getagt hat, hat der Oekonomierat Wittschier-Posen über das staatliche Befiedelungs- wesen gesprochen. Seiner Rede find folgende Angaben zu entnehmen: Bis zum 1. Juli d. hat die Ansiedelungs- kommisfion 290 Erwerbungen gemacht, darunter 230 Güter und 60 Bauernwirtschaften mit einem Flächeninhalt von rund 142 300 Hektar und einem Ankaufspreise von 96 Mill. Mk. Davon stammen 128 Güter mit einem Flächeninhalt von rund 80 000 Hektar aus polnischer Hand. Wenn die erworbenen Güter noch nicht „be- fiedelungsreif" find wegen ihres schlechten wirt schaftlichen Zustandes, werden sie in eine so genannte „Zwischenzeitliche Verwaltung" ge nommen, um dadurch für die Besiedelung vor zubereiten. Ist ein Gut befiedelungsreif ge worden, so beginnt die Thätigkeit der Ver messungsbeamten mit dem Entwurf des Teilungsplanes, von dessen richtiger Lösung mehr oder minder das Gedeihen der Ansiede lung abhängig ist. Die Formen der Ansiede lungen bestehen in: 1) geschloffenen Ortslagen, 2) Gruppendörfern, 3) Reihendörfern, 4) Einzel höfen oder Ausbauten, 5) gemischten Systemen. Neben den Bauemstellen werden in jeder An siedelung noch einige Stellen für bäuerliche Handwerker, als Schreiner, Stellmacher, Maurer, Schuster, Schneider rc., mit drei bis vier Hektar Land angelegt. Die Versuche, deutsche Arbeiter einzusetzen, waren bisher nicht sonder lich erfolgreich. Als Mittelglied zwischen Bauern- und Handwerkerstellen gibt es die Halbbauernstellen mit etwa fünf bis zehn Hektar Land. Diese Befitzgröße gewährt jedoch für dortige Verhältnisse kein hinreichendes Aus kommen, hauptsächlich schon deshalb, weil das Beackern mit Kühen unbekannt ist und jeder Bauer ein Pferd halten muß. Der planmäßigen Austeilung find bisher unterworfen worden: 210 Güter mtt etwa 120 000 Hektar. Davon find an die Anfiedler ausgelassen bezw. bereits in das Grundsteuerkataster übernommen: 105 Güter mit 52 643 Hektar. Um den Ansiedlern den Uebergang in die fremden klimatischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erleichtern, werden denselben 1—3 Freijahre gewährt, in denen^fie von der Rentenzahlung, nicht aber von Steuern und öffentlichen Abgaben bestell find. Redner erörterte sodann die hauptsächlichsten Aufgaben der Anfiedelungskommisfion: nämlich die Heranziehung frischen deutschen Blutes aus anderen Landesteilen in dieAnfiedelungsprovinzen und die damit verbundenen Schwierigkeiten. In den ersten Jahren des Bestehens der Kommission konnten nur 200 Anfiedlerfamilien jährlich ab gesetzt werden, in den letzten Jahren hat sich diese Zahl jedoch verdoppelt nach Anwerbung von Vertrauensmännern, Errichtung einer Aus kunftsstelle und vor allem unter Mitwirkung der Tagespresse. Bis jetzt find insgesamt 4182 An fiedlerfamilien gewonnen, die bei dem erfreulichen Kinderreichtum der meisten Ansiedler einen deutschen Bevölkerungszuwachs von mindestens 26 000 Seelen bedeuten. Von diesen 4182Familien stammen ms der Provinz Posen und Westpreußen 1496 gleich 85,8 Prozent und aus den anderen Landesteilen 2686 gleich 64,2 Prozent. Das Streben der Anfiedler, fich nach Landsmann schaften zusammenzuthun, wird unterstützt. Was die öffentlichen Bauten in den Anfiedelungs- dörsern anbetrifft, so wurden bis Ende 1899 gebaut: 16 Kirchen (darunter eine katholische), 11 Bethäuser, 17 Pfarreigehöfte (darunter ein katholisches), 1 Organistengehöft, 98 Schulen, 1 Obftbaumschule, 65 Gebäude für Gemeinde zwecke (Armenhäuser, Spritzenhäuser rc.) mtt einem Gesamtkostenbetrag von 2 714150 Mk. Erwähnenswert ist noch, daß die älteren An siedelungen fich schon jetzt eines gefestigten Wohl standes erfreuen, die meisten Besitzer find außer dem auf der gesellschaftlichen Letter eine oder mehrere Stufen emporgestiegen, aus Tage arbeitern sind Kleinbauern, aus letzteren Pferde» bauem geworden. Don Uah und Fern. Berlin. Der 25 Jahre alle Portier Waack, Karlstraße 20, wurde am Montag wegen Mord versuchs gegen seine im Wochenbett liegende Frm verhaftet. Er ist geständig, dieser ein mit Phosphor vergiftetes Brötchen zum Essen ge geben zu haben, weil er mit ihr in Unfrieden lebt und sie beseitigen wollte. Durch den starken Phosphorgeruch aufmerksam gemacht, hat die Frau jedoch das Brötchen nicht gegessen. Waack hatte ein Verhältnis mit einer Kellnerin, welche gleichfalls verhaftet wurde. Waldenburg. Ein BiSmarckdenkmal wurde hier am Sonntag enthüllt. DaS Denkmal ist insofern besonders interessant, als eS nach de« Modell hergestellt ist, mtt dem der junge taub stumme Bildhauer Fritz Schneider in Charlotten burg bei dem Wettbewerb um das Bismarck denkmal vor dem Reichstagshause den ersten Preis, 5000 Mk., errang. Der Kaiser zollte dem Künstler und seinem Entwurf damals -war seine Anerkennung, bestimmte aber den Entwurf des Professors Begas zur Ausführung. Die Waldenburger Stadtverwaltung kaufte den Schneiderscheu Entwurf sofort an und so prangt das eigentlich für Berlin bestimmte Bismarck- Denkmal jetzt in Waldenburg. Köln. Frau Kommerzienrat Eugen Rauten strauch überwies der Stadt Köln zur Erinnerung an ihren verstorbenen Gatten zur Begründung eines Museums für Völkerkunde die Summe von 250 000 Mk. und erklärte fich außerdem bereit, für die nächsten zehn Jahre alljährlich 2500 Mk. für Besoldung des Direktors dieses Museums zur Verfügung zu stellen. Bremerhaven. Welche Quantitäten von Liebesgaben an die Truppentransporte nach Ostafien während der letzten Lage verteilt find, davon geben folgende Zahlen beredte« Zeugnis. Es wurden verteilt: 75 Hektoliter hiesiges Bier, 10 Hektoliter bayrisches Bier, diverse Biere in 20 Siphons, 80 Mille Zigarren, 1000 Pakete Rauchtabak, 10 OM Stangen Kautabak, 600 große und eine große Anzahl kleiner Tafeln Schokolade, mehrere Tausend Butterbrote, 400 Flaschen Zitronen-, Apfelsinen- und Himbeersaft, 30 000 Postkarten. Leipzig. Die hiesige politische Polizei hob am Montag mtt Unterstützung von Gendarmerie und Gemeindepolizei im Vorort Leutzsch eine geheime Anarchistenversammlung auf. 15 Teil nehmer wurden sistiert, aber wieder entlassen, da fich ihnen nichts Strafbares nachweisen ließ. Dresden. Erhebliches Aussehen erregt die Eröffnung des Konkursverfahrens gegen den Besitzer des weit bekannten „Palast-RestaurantS" und der „Philharmonie". Das Palast-Restau rant war eines der größten Konzert-Etablisse ments Sachsens. Die Passiva find noch nicht bekannt. Oschersleben. Ein schreckliches Eisenbahn unglück ereignete fich am Sonntag nachmittag zwischen Hadmersleben und Oschersleben. Die Opfer waren ein Einjährig-Freiwilliger vom 5. Garderegiment und eine junge Dame, an scheinend seine Braut. Das junge Paar wollte an einer Haltestelle vor Oschersleben auSsteigen, da jedoch die Thür von außen nicht geöffnet wurde, und die jungen Leute im Zweifel waren, auf welcher Seite fie auSsteigen hätten müssen, öffneten fie die Thür nach der falschen Seite und kamen auf diese Weise auf den Schienen strang, aus welchem gerade der Schnellzug von Thale angesaust kam. Im Augenblick erfaßte der Zug beide und zerriß die junge Dame förmlich in Stücke, während der Einjährige gegen den andern Zug geschleudert wurde. Beide waren auf der Stelle tot. Wußte es sei»? Roman von L v. Berlepsch. Sobald fie in dem Ballsaal erschien, war fie mich von den Herren umschwärmt, voran ihr eifrigster Verehrer, Graf Brandner. Sie ahnten Me nicht, daß ihr Lächeln beiden mehr oder weniger offenen Komplimenten nm dem Umstaude galt, daß daS junge Mädchen garnicht zuhörte. Und Wie sollte der Graf mutmaßen, daß das flüchtige Erröten, welches er zu seinen Gunsten deutete, durch Walter von Hohenftedts Eintritt in den Ballsaal Hervorgemfen wurde. Dieser konnte sich nm geschmeichelt fühlen dmch die Art und Wesse, in der Gabriele ch« empfing. „Ich wurde schon ungeduldig, Walter," be gann fie; dann fich seiner Aeußerung im Theater erinnernd, fügte fie schnell hinzu, „ungeduldig über den gänzlichen Mangel au Abwechslung. Es scheint, als ob in allen Gesellschaften die Menschen immer dasselbe sagen." Hohenstedt lachte. „Was sollen fie Wetter thun? Sie versuchen fich und ihre Mitmenschen zu amüsieren. Du verlangst doch nicht, daß ein Herr inmitten des Vergnügens und der Festfreude dich während des Tanzes über Weltgeschichte oder Chemie unterhalte tz" „Nein, aber er könnte doch mal etwas Ge scheites sagen. Du z. B. machst eine andere Konversation." „Danke s-hr für das Kompliment" versetzte iuoem er ihre Tanzkarte nahm. „Ich sehe, du hast sämtliche Walzer für mich aufbewahrt," fuhr er fort; „ich werde jedenfalls morgen eine stattliche Anzahl Duell-Forderungen erhalten." Im nächsten Moment schwebte fie, von seinen Armen umschlossen, nach den Klängen des be liebten Douauwalzers durch den Saal. Als die Must! schwieg, fragte er Gabriele, ob fie fich ein wenig ausruhen wolle. Sie ver neinte und bat ihn, fie durch die Reihe glänzend erleuchteter Zimmer zu führen. Zuletzt kamen fie in einen Raum, der einen reizenden Zimmer- garten darstellte. Zwischen Farnkräutern und Blattgewächsen aller Art blühten buntfarbige Blumen, die milde Wohlgerüche aushauchten; ein kleiner Springbrunnen plätscherte leise, eine angenehme Kühlung verbreüend und rosa Ampeln gaben ein gedämpftes Licht. Wenn die Liebe in eines Mannes Seele verschwiegen ruhte — hier war ein Ort, lauschig genug, um fie in Worte zu kleiden. „Wie viel schöner ist es hier als in dem heißen Ballsaal," bemerkt« Gabriele. „Du hast mir übrigens noch keine Silbe über meine Toilette gesagt," fuhr fie fort, von dem Wunsch beseelt, seine Gedanken auf sich zu lenken. „Als wir Kinder waren, kritisiertest du immer meinen Anzug." „Wirklich? Wie unhöflich ich also damals war! Jetzt würde ich das nicht mehr wagen. Uebrigens bist du schön wie immer, Gabriele, und in dieser Beleutung sieht dein Gewand wie aus Mondlicht gewebt aus." „Gesalle ich dir in der Thal, Walter, oder ist es nur Schmeichelei-" „Du weißt, daß ich immer sage, was ich denke, ohne zu schmeicheln," erwiderte er. „Ja, das muß ich zugeben. Aber ich wählte meine Toilette in der Hoffnung, dir zu ge fallen; es freut mich, wenn eS mir gelun gen ist." „Hörst du - Es beginnt ein neuer Walzer," sagte Walter uud bst ihr seinen Arm; „wir wollen in den Saal zurückkehren." So war auch diese Gelegenheit wieder vorbei! „Wann wird er lernen mich zu lieben?" dachte Gabriele. „Die Erfüllung meines heißen Wunsches scheint so «»erreichbar, wie die Sterne am Himmel." * . Walter von Hohenstedt verließ Wien nicht so bald, wie er beabsichtigt hatte. Er traf viele alte Bekannte uud Freunde Md ließ fich gern be reden, länger zu bleiben, da er fich im Umgang mit ihnen und in den gesellschaftlichen Kreisen wohl fühlte. Auch war der lebhafte Verkehr mtt seiner Koufine nicht ohne Reiz für ihn Md bot seinem Geiste mannigfache Anregung. Aber gerade in dieser Beziehung wurde er allmählich gewahr, daß er in eine schiefe Stellung geriet. Er fing an zu bemerken, daß fich der Kreis teilte, der Gabriele stets umgab, sobald er in ihre Nähe trat, und daß ihm alle ein Vorrecht einräumten. Einer nach dem andern verschwand, bis er schließlich allein neben ihr stand. Und fie selbst — mußte er sich nicht gestehen, daß fie ihn auffällig bevorzugte? Wollte jemand einen freundlichen Blick, ein Lächeln von ihr, so brauqte er nur Hohenstedt lobend zu erwähnen oder ihm das Feld zu räumen. Er war natür lich der letzte, der diese Beobachtungen machte, die Gesellschaft aber hatte fie längst angestellt und besprochen. NM wurde ihm auch klar, daß ihn Gabriele, in ihrer liebenswürdigen Weise natürlich, ganz mit Beschlag belegte. Sie sah es als selbstverständlich an, daß er alle Tage mit ihr ausritt und zu Mittag und Abend bet ihr speiste. Sie erbat seine Begleitung zu Kon« zerten und Theatern, und wenn er andere Ver abredungen vorschützte, meinte fie ganz einfach, niemand habe doch wohl so viel Anrecht aus ihn, wie fie. Er wußte dann nicht gut auszu- weichen, ohne unhöflich zu sein, und sah auch ein, daß die Verwandtschaft mit ihr ihm Pflichten auferlegte. Aber war ihr häufiges Beisammen sein nicht dazu angethan, falsche Mutmaßungen zu erregen. Völlig wurden seine Augen erst bei Gelegen heit eines Gartenfestes geöffnet. Er stand mtt mehreren Herren zusammen und einer derselben bemerkte: „Wie entzückend Fräulein von Roden heute wieder ausfieht! Es ist gut sür uns arme Männer, daß fich so viel Schönhett bei dem weiblichen Geschlecht nur veremzeS findet." „ . „Wenn je einer bezaubert war, bemerkte Leutnant von Ellrichshofen, „so ist es der arme Brandner; ein so aussichtsloser Fall lst nur allerdings in meiner Praxis noch nicht vorge kommen." Walter lachte. „ „Der Graf ist ein guter Freund von mtt, sagte er; „ich wünsche ihm den besten Enolg bei Fräulein von Nooen."
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