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Allgemeiner Anzeiger : 19.05.1917
- Erscheinungsdatum
- 1917-05-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191705193
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19170519
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19170519
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1917
-
Monat
1917-05
- Tag 1917-05-19
-
Monat
1917-05
-
Jahr
1917
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 19.05.1917
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Vie russische 8pkmx. Lie Zweifler, die der neuen Negierung Feine lange Dauer voraussagten, haben recht be halten, und wenn sich auch kein Regierungs wechsel "unter schweren Erschütterungen am Newastrande vollzieht, so ist doch sicher, daß die provisorische Negierung mit — ihrem „Latein am Ende" ist. Das ist unschwer ans einer j langatmigen Erklärung herauszulesen, die siej veröffentlicht und in der es u. a. heißt: „Seit dem Sturze der alten Regierung hat die einstweilige Negierung im Bewußtsein der Größe der ihr gestellten Aufgabe und der ihr auserlegten ungeheuren Verantwortung die Bürde der Macht ans sich genommen und sich alsbald an die Erfüllung und Verwirklichung des Programms der sozialen Freiheiten und der Fortsetzung des Krieges in enger Gemein- schasl mit den Verbündeten gemacht." Die Er- ktärnng zählt dann alle von der Regierung ge- mäß den von ihr dem Lande gegenüber einge gangenen Verpflichtungen verwirklichten Maß nahmen aus, namentlich Amnestie, Abschaffung d-er Todesstrafe, Rechtsgleichheit der Bürger, Versammlungs- und Vereinssrciheit usw. „Indessen kann die provisorische Regierung," heißt es weiter, „dem Volke nicht die Schwierig- ! leiten verbergen, denen ihre Tätigkeit begegnet, ! und die in der letzten Zeit in dem Maße zuge- nommen haben, daß sie beunruhigende! Befürchtungen hinsichtlich der Zukunft - erzeugt haben. Die Regierung sucht sich! auf moralische Kräfte zu stützen. Kein Tropfen - Blut deS Volkes ist durch ihre Schuld vergossen ' und kein Gedanke unterdrückt worden. Unglück licherweise hält der Stand der sozialen Ent wicklung des Landes die sichere Behebung der durch den Sturz der alten Negierung hervorge rufenen Schwierigkeiten auf. Eine Gruppe von vereinzelten wenig gewissenhaften Personen aus bestimmten Klaffen sucht ihre Absichten auf ge waltsamem Wege, der die innerpolitische Diszi plin zu vernichten und die Anarchie hervor- zurusen droht, zu verwirklichen. Die provisorische Regierung hält es für ihre Pflicht, deutlich zu erklären, daß diese Lage der Dinge, die die Verwaltung des Landes erschwert, das Land in innere Schwierigkeiten und zur Niederlage an der Front zu führen droht. Das Gespenst derAnarchieunddesBürgerkrieges,. daS die Freiheit bedroht, richtet sich vor Ruß- land auf." Um die erworbenen Freiheiten zu bewahren und zu befestigen, fordert die Kundgebung die Allgemeinheit auf, die Macht zu stärken, die sie schützt. Die Regierung werde ihrerseits die Bemühungen sorlsetzen und dahinstreben, sich in ihrer Zusammensetzung zu erweitern, indem sie dazu die Vertreter der lebendi gen und schöpferischen Kräfte des Landes auffordern werde, die bisher keinen tätigen und unmittelbaren Anteil an der Verwaltung des Staates genommen haben. Mit dieser Erklärung leitet die Negierung die Umbildung des Kabinetts im Sinne einer Verschmelzung mit den linksstehenden demokra tischen Parteien ein. Dasselbe Ziel verfolgt ein Brief des Justizministers Kerenski an den Ar- ! beiterrat. Die Regierung tut damit einen Schritt, der sie, so unlieb er ihr auch ist, vorläufig da vor behüten kann, zu Ärgerem gezwungen zu werden. Ob es ihr gelingt, dadurch die Wach samkeit der der Kriegshetze entgegenarbeitenden Elemente im Arbeiter- und Soldatenrat abzu schwächen, muß noch abgewarlet werden. Gelingt das nicht, so können sich die Schwierigkeiten eher noch vergrößern, und die von den Kadetten und dem Vierverband angestrebte - Ausnutzung der Revolution im Sinne einer entschlossenen .Kriegsführung wäre endgültig gescheitert. * Ein Bild, wie eS im übrigen Rußland aus- iiehl, geben folgende Neutermelduugen: General major Kartzow, der Kommandeur einer Division sibirischer Schützen, ist in Riga ermordet worden, als er in der Nähe des Bahnhofs spazieren ging. Die Soldaten, unter denen Kartzow sehr beliebt war, glauben nicht, daß die Mörder Soldaten waren. Der Ausschuß des Bezirkes Schlüsselburg erklärte sich unabhängig und bildete verschiedene Unterausschüsse. Die Führer be schlossen, den ländlichen Privatbesitz und die Viehherden sofort zu beschlagnahmen. Der Präsident der Semstwo und verschiedene frühere Senistwvmilglieder wurden verhaftet. verschiedene ttriegsnachrichten. Der gescheiterte Durchbruch. Obwohl sich die amtlichen Stellen Englands immer noch krampfhaft bemühen, die Welt zu überzeugen, daß die Kämpfe, die im Gebiet von Arras im Gange sind, sich nicht aus einer Durchbruchsabsicht der Engländer entwickelten, finden sie auch bei ihren freundlich gesinnten Neutralen keinen Glauben mehr. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, so hat ihn die Häufung von Artilleriematerial hinlänglich er bracht. Nach einer vorsichtigen amtlichen Schätzung dürsten an der gesamten 20 Kilo meter langen Angriffsfront vom Ostermontag mindestens 4000 Geschütze und Minen - Werfer in siebentägigem Feuer durch Obis 10 Millionen Geschosse die deutschen Stellungen sturmreif geschossen haben. Die von den Engländern bis zum 10. Mai in Ler An griffsfront verfeuerte Munition darf auf minde stens 25—30 Millionen Granaten und Minen berechnet werden. Rußlands Kriegskosten. Der russische Finanzminister Tereschenko er klärte, die russischen Staatsschulden seien in den drei Kriegsjahren von 8800 auf 36 000 Millionen Rubel gestiegen, die Kriegs kosten, die bei Kriegsbeginn 15 Millionen täglich betragen hätten, erreichten heute 50 Mil lionen. Man erwarte kräftige finanzielle Hilse von den Ver. Staaten, doch hätten diese eine Erklärung der Einstweiligen Regierung über die Lage des Landes eingefordcrt und Bürgschaften verlangt, wie der Minister des Äußern Mil jukow in der Nachtsitzung vom 3. zum 4. Mai im Vollziehenden Ausschüsse des Arbeiter- und Soldatenrates mitgeteilt habe. Dies sei die wichtige Geheimnote, von der in den letzten Tagen gesprochen worden sei. Das gescheiterte Saloniki - Unternehmen. Die führenden Pariser Blätter befassen sich mit der Balkanlage und erkennen die wachsenden Schwierigkeiten des Saloniki-Unternehmens an. Sie schreiben, Sarrails Hauptauf gaben, die Wiedereroberung Serbiens und Rumäniens, seien endgültig gescheitert. Der U-Boot-Krieg gefährde die Haltung Alt griechenlands. Das Problem erfordere schleunigste Lösung. Der Fachkritiker des Matin' sagt, die Verbündeten würden gut tun, die dem Balkan unternehmen zugewiefenen Aufgaben als un durchführbar aufzugeben, denn die Tonnagefrage rechtfertige die Wetterführung nicht. * Hilfsmittel gegen die U-Boote. Die ,New Jork Times' schreiben über die Rolle, die die Amerikaflotte gegenüber den U-Booten spielen könne: Ebenso wie England werden wir unsere großen Schlacht schiffe im Hafen lassen und nur die schnellsten Fahrzeuge hinausschickcn. Gegen Tauchboote, deren Höchstgeschwindigkeit 20 Knoten beträgt, haben wir Panzerkreuzer mit durchschnittlicher Schnelligkeit von 22 Knoten. Die Hauptrolle werden natürlich die Torpedo jäger und Torpedoboote spielen. Ani Jahres anfang standen 43 Torpedojäger von 30 Knoten zur Verfügung, 28 andere sind im Bau, wovon 8 mit 38 Knoten bald fertiggestellt sind. Für den Patrouillendienst auf See sind 17 Torpedo- jäger nötig mit 24 bis 30 Knoten. Wenn man hierzu die fast unbegrenzte Zahl äußerst schneller Motorpatrouillenjahrer rechnet, die jederzeit in Dienst genommen werden können, sei die ameri kanische Flotte durchaus imstande, der Tauch bootgefahr an dieser Seite des Atlantic zu be gegnen. — Man merke wohl auf: An dieser Seite des Atlantic, d. h. an der amerikanischen. Wie man die Verbündeten gegen die Tauch bootgefahr unterstützen will, die doch alle Hoffnung auf Amerika setzen, davon ist nicht mehr die Rede. VAillcber Keickslag. (Orig.-Bencht.) Berlin, 10. Mai. Auf der Tagesordnung des Reichstags standen die deutsch-türkischen Rechtsverträgc. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Z i m m ermann leitete die Aussprache mit etwa folgenden Bemerkungen ein: Der Zweck der Vertrüge ist, jür die' Kapitulationen einen Er satz zu schaffen. Diese waren ursprünglich ein Zeichen, daß die Fremden in der Türkei nur geduldet wurden und sich selbst überlassen sein sollten. Im Lause der Zeit aber wurde daraus ein Vorrecht, die Fremden nahmen eine bevorzugte Stellung ein. Das wurde von der Türkei als ein Obel empfunden, namentlich seit Japan als erster nicht christlicher Staat von der Konsular-Gerichtsbarkeit befreit worden war. Überdies ist 1908 die Türkei in die Reihe der Verfassungsstaalen ein getreten. Es herrschte dort schon vor dem Kriege der einhellige Wunsch, die Kapitulationen zu beseitigen. DaS suchte der Vierverband gegen uns auszunutzen, indem sie sich zum Verzicht auf die Kapitulationen bereit erklärte, wenn die Türkei neutral bleiben würde. Die Türkei zog daraus nur die Folgerung, daß die Kapitulationen abgeschafft werden müßten, aber ihre Neutralität sei nicht käuflich. Wenige Monate später trat die Türkei an unsere Seite, und es ist bekannt, wie sich die Türken als Bundesgenossen bewährt haben. Wir haben anerkannt, daß die Abschaffung der Kapitulationen für. das osma nische Reich das vornehmste, wenn nicht das einzige Kriegsziel sei. Im beiderseitigen Inter esse bitte ich Sie, die Verträge möglichst bald und möglichst einhellig anzunehmen. Die Abgeordneten Dr. Spahn (Ztr.), Dr. v. Liszt (sortschr. Vp.), Kreth (kons.), Dr. Thoma (natl.), Freiherr v. Nichthofen (natl.), Mertin (Dtsch. Frakt.) und Lands berg (Soz.) sprechen sich unter warmer An erkennung dessen, was die Türkei im Kriege ge leistet hat, für die Annahme der Verträge aus. Dr. Landsberg erklärt nur, gegen den Aus lieferungsvertrag stimmen zu müssen, weil er als Auslieferungsgrund auch politische Verbrechen und Vergehen vorsehe. Die Verträge wurden angenommen. Es folgte dann die Besprechung der Ernährungsfrage». Dazu nahm nach den Berichterstattern zuerst das Wort der Leiter des Kriegsernährungs amies v. Batocki: Wir können dankbar dafür sein, daß trotz der zunehmenden Schwierig keiten die landwirtschaftliche Erzeugung einiger maßen auf der bisherigen Höhe blieb. Der Rückgang bei unseren Feinden ist viel größer, trotzdem die Verhältnisse bei ihnen viel günstiger liegen. Es kommt daraus au, eine gerechte Verteilung herbeizusühren. Das aber kann nicht der freie Handel, sondern nur die öffent- > liche Bewirtschaftung. Auch unsere Feinde gehen mehr und mehr zur öffentlichen Bewirt schaftung über. Ohne rauhe Eingriffe in die Produktion ist die öffentliche Wirtschaft freilich nicht möglich. Die bewirtschafteten Waren ver schwinden nicht vom Markt. Sie verschwinden nur aus den Schaufenstern, in denen sie zu hohen Preisen sür reiche Leute bereit lagen, und werden der Gesamtheit der Verbraucher zugeführt. Fehler haben wir auch ge macht. Die Hoffnungen auf die Ernteergebnisse in den besetzten Gebieten haben enttäuscht. Rumänien wird sie vielleicht erfüllen, aberlange nicht in dem phantastischen Umfang, den das Volk allgemein annimmt. Schließlich hat man Hoffnungen auf unsere Verbündeten gesetzt. Die Türkei und Bulgarien aber führten schon Kriege, als bei uns noch tiefster Friede herrschte, und Ungarn hat schwere Mißernten hinter sich. Wir sind also allein auf uns selbst gestellt. Wir waren hauptsächlich auf die Einfuhr von Fetten angewiesen. Das deutsche Volk hat die Kohl- rübenprobe des letzten Winters glänzend be standen. Wir werden auch in diesem Jahre die Prophezeiungen unserer Feinde zunichte machen. Abg. Lederer (Zentr.): Man muß auf die Stimmung der Landwirte Rücksicht nehmen. Denken Sie an die russischen Bauernunruhen. In Bayerrn sind die Verhältnisse golden im i Vergleich zum Norden. Für 50 oder 75 Pf. > bekommen Sie bei uns noch den schönsten ! Braten. Das liegt einzig an der besseren ! Rationierung und daran, daß wir keinen Wucher ! haben. Abg. Robert Schmidt (Soz.): In dieser harten Zeit muß auch der Bauer hergeben, was für die Allgemeinheit notwendig ist. Es ist ge radezu erstaunlich, daß der erste Redner des Zentrums hier die Ernährungssckwierigkciten w einseitig und so wenig sachlich würdigen konnte. Der Redner übt im einzelnen eingehende Kritik an den Fehlern, die in der Regelung derVolks- ernährung und insbesondere in der Verteilung der Vorräte begangen worden seien. Darauf vertagte sich das Haus. poMkbe Kunälckau. Deutschland. *Der Bundesrat hat in seiner letzten Sitzung u. a. den Entwurf einer Bekannt machung betr. Zollfreiheit für Erdbeeren und .Karpfen, den Entwurf eines Gesetzes betreffend ein Verbot der Abwälzung des Warenumsatz stempels und den Entwurf einer Bekanntmachung betr. das Verbot der Verarbeitung von Topi nambur zu Branntwein angenommen. * Im Verfassungsausschuß des Reichstages wurde nach längerer Debatte folgende Entschließung angenommen: Den Reichskanzler zu ersuchen, dem Reichstag als bald einen Gesetzentwurf vorzulegen, der be stimmt, daß bis zu einer allgemeinen neuen Festsetzung des Verhältnisses der Wählerzahl zur Zahl der Abgeordneten die Wahlkreise mit besonders starkem Bevölkerungszuwachs, die ein zusammenhängendes Wirtschaftsgebiet bilden, eine entsprechende Vermehrung der Mandate — unter Einführung der Verhältniswahl sür diese — erhalten. — Die Beratung der Wahlrechlsanträge im Verfassungs ausschuß des Reichstages hat gewisse Schwierig keiten gezeigt, zu deren Beseitigung Be sprechungen zwischen den Nationalliberalen, dem Zentrum, der Fortschrittlichen Volkspartei und den Sozialdemokraten stattgesunden haben, die bereits zu einer Einigung über die Frage der Einführung der Verhältniswahl geführt haben sollen. - *Ju parlamentarischen Kreisen rechnet man allgemein mit einer Sommertagung des Reichstages. Es soll dem Verfassungs ausschuß das bisher schon dem Haushaltausschuß gewährte Recht gegeben werden, auch während der Reichstagsferien seine Beratungen fort- zusetzen. Diese Ferien sollen aber auch nicht bis zum Herbst dauern, da angenommen wird, daß sich gerade in den kommenden Monaten Fragen von der größten Bedeutung ergeben könnten, die eine sofortige Erörterung erfordern. Italien. * Trotz der Arbeit der Behörden und der Kriegshetzer läßt sich die Friedensbe wegung nicht mehr unterdrücken. In fast allen Städten Norditaliens fanden Kund gebungen statt und die Sozialisten fordern, die Regierung solle schon jetzt in der Kammer mif- teilen, in welcher Weise sie sich an der kommenden Friedenskonferenz zu beteiligen gedenkt, damit nicht wieder unverantwortliche Politiker, wie bei Kriegsausbruch, das Wort führen. Schweden. * Die Teilnehmer an der sozialistischen Friedenskonferenz sind immer noch nicht mit Sicherheit festgestellt. Der Vorstand der englischen Arbeiterpartei hat ausdrücklich eine Teilnahme an der Stockholmer Konferenz abgelehut. Ebenso tobt der Kampf der Mehr heil und Minderheit der französischen Sozia listen immer noch weiter. Der Vertreter der Minderheit Longuet weist in einem Brief an den ,Temps' darauf hin, daß auch Russen aller Parteirichtungen, unter ihnen Tscheidse und Kerenski, in Stockholm sein würden. Er, Longuet, wolle auch in Stockholm die Rückgabe von Elsaß-Lothringen. verlangen. Aber die Mehrheit lehnte ab. — Die Aussichten des Kon gresses werden also immer geringer. frieäe Sörrenlen. z kj Roman von H. Courths-Mahler. ' iFoüiebvng.) „Böse? Dir? Wie könnte ich dir böse sein, mein gutes, liebes Kind. Was du mir gewesen bist in all der letzten bitteren Zeit, das habe ich erst heute voll empfunden. Gott segne dich dafür! Und nun geh', es ist Zeit, zu Tisch zu gehen, Mama wartet nicht gern!" Ruth küßte ihn noch einmal. Er nickte ihr zu, und sie ging hinaus. 5. Ruth hatte am Nachmittag einen Althändler in der Wilhelmstraße ausgesucht und ihm ihr Anliegen vorgebracht, Während sie in dem mit allerlei Altertümern angefüllten Laden auf sein Erscheinen wartete, sah sie sich einen an der Wand hängenden Gobelin an. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals hinauf, als sie zu er kennen glaubte, daß dieses Gewebe jenem in der Truye sehr ähnlich sah. Der Händler hatte sich sofort bereit erklärt, zu kommen und sich die Sachen anzusehen. Er traf auch noch am selben Nachmittag pünktlich ein und Ruth führte ihn zum Speicher hinauf. Klug und bedacht führte sie die Verhandlung mit ihm. Ter Händler hatte mit dieser jungen Dame durchaus nicht so leichtes Spiel, wie er gehofft halte. Wie um ihr LiebeSglück feilschte sie mit ihm. Sie stellte ihre Forderungen sehr hoch, in der Vorausjetzung, daß er viel weniger bieten würde. Und sie zeigte ihre heiße Freude nicht, als sie schließlich sür Bilder und Bücher, Bank und Truhe siebenhundert Mark gelöst hatte. Der Alkhändler seufzte und stöhnte und verschwor sich hoch und teuer, daß dies ein Geschäft sei, bei dem er nicht einen Pfennig verdiene. Nur aus Gefälligkeit gegen den Herrn Major von Steinbach und das gnädige Fräulein Tochter zahle er so horrende Preise. Ruth war klug genug, um nicht daran zu glauben, und ließ ihren Vorteil nicht aus der Hand. „Js das alles, was Se mer haben zu ver kaufen ?" fragte der Händler, nachdem das Ge schäft abgeschlossen war. Ruth holte tief Atem und zwang sich zu einer gleichgültigen Miene. „Einen Gobelin habe ich noch zu verkaufen. Haben Sie dafür Interesse?" fragte sie ruhig. „Einen Gobelin? — Warum soll ich nicht haben Interesse für einen Gobelin, da ich habe das größte Geschäft damit. Bitte zeigen Sie mir," antwortete der Händler und seine Augen funkelten begehrlich. Ruth hotte das Gewebe hervor. „Es ist ein sehr schönes und wertvolles Stück," sagte sie, als wisse sie ganz genau Bescheid. „Nu — werd' ich kaufen, wenn es ist schön und wertvoll." Ruth breitete das Gewebe aus und beob achtete scharf das faltige, schlaue Gesicht des Alten. Aber kein noch so leises Zucken verriet ihr, was er dachte. Herzklopsend wartete sie seine genaue und umständliche Prüfung ab. Endlich richtete er sich hoch und sah mit einem kurzen, scharfen Blick in ihr Gesicht. Sie vermochte ihre ruhige Miene festzuhalten. „Was soll er kosten — der Gobelin?" Ruths Hände zitterten. Sie ließ den Gobelin fallen und bückte sich danach, um ihrs Unruhe zu verbergen. Dann nahm sie allen Mut zu sammen und sagte klar und bestimmt: „Dreitausend Mark." Der Händler duckte den Kopf zwischen dis Schulter und machte eine abwehrende Ge bärde. „Warum haben Sie aufbewahrt den Gobelin hier oben auf dem Speicher, wo er konnte zer fressen werden von den Motten?" fragte er, statt aller Antwort. Ruth frohlockte. Sie wußte jetzt, daß sie tatsächlich ein kostbares Gewebe gefunden hatte. „Da wir ihn verkaufen wollten, sollte er nicht in unserer Wohnung hängen bleiben. Haben Sie Lust, ihn zu erwerben?" „Lust? Wie haißt Lust. Werd' ich ihn kaufen, wenn Sie mir einen Preis stellen, wo ich kann dabei was verdienen." „Ich stelle Ihnen doch solch einen Preis." Er zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. „Wenn ich will machen damit ein Geschäft, kann ich Ihnen zahlen die Hälfte, mehr nicht." Ruth hätte am liebsten laut aufgejubelt, aber sie brachte es fertig, nun auch ihrerseits bedauernd die Achseln zu zucken. „Dann können Sie ihn nicht bekommen. Zweitausend Mark find mir schon dafür geboten worden, aber er war mir nicht dafür seil," sagte sie kühn. Der Händler bllckte sie wieder forschend an. Dann begann er von neuem, den Gobelin zu prüfen, zu messen und von sich abzuhalten. „Wenn ich Ihnen werde geben zweitausend Mark, werden Sie mir lassen das Stück?" „Nein, das ist mir zu wenig." „Dann will ich geben noch hundert Mark drauf." „Auch das genügt mir nicht." Da ließ er den Stoff fallen und wandte sich zum Gehen. „Dann ist nicht zu machen daS Geschäft." Ruth erschrak und wollte schon auf seinen Vorschlag eingehen. Da sah sie, wie er an der Tür zögerte, scheinbar ruhig legte sie das Ge webe zusammen. Da sagte er seufzend: „Werde ich legen noch hundert Mark darauf, dann ist er bezahlt glänzend. Sie müssen doch auch mich verdienen lassen ein paar Mark. Und ich werde verdienen keinen Heller, wenn ich mehr zahle als zweitausendzweihundert Märk." Ruth richtete sich auf. „So will auch ich Ihnen meine niedrigste Forderung sagen. Geben Sie mir zweitausend dreihundert Mark, dann gehört der Gobelin Ihnen und Sie werden noch ein schönes Stück Geld daran verdienen." „Haißt das e Geschäft, wenn ich muß warten jahrelang auf einen Käufer und ver- diene dann, wenn ich habe Glück, hundert Mark?" „Sie werden mehr daran verdienen. Unter dreitausend Mark brauchen Sie diesen Gobelin nicht zu verkaufen. Zweuausenbdreihundert Mark — nicht einen Pfennig weniger."
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