Volltext Seite (XML)
und Ilse Wilde nur der Geistliche, der Haushofmeister und ein kleiner Herr etwa in den fünfziger Jahren mit glattrasiertem Gesicht und gvldener Brille, zurück, den Rupk^il dem Gaste des Schlosses als den Justizrat Trambach vorstellte. Die gedämpfte Erleuchtung des Zimmers schien eine Maßregel zu sein, welche der Graf selbst angeordnet hatte. War es doch menschlich, daß er der Frau, die er über alles geliebt, den Anblick seiner durch das schwere körperliche Leiden herb entstellten Züge ersparen wollte. Selbst für den Laien sichtbar hatte der Allbezwinger Tod den Stempel aus dieses edle Antlitz gedrückt. Wie zähe Gras August Ellabronn auch den Schein bis zu diesem Augenblick aufrecht erhalten, daß seine erloschenen Augen noch die Kraft hätten, wenigstens in nächster Nähe Gegenstände zu erkennen — es war ihm vielleicht möglich geworden, seine gewöhnliche Umgebung, gewiß nicht mehr sich selbst und den Arzt darüber zu täuschen, daß er völlig erblindet war. Glanzlos lagen die Pupillen tief in den Höhlungen, blutlos war das Antlitz, blutlos die leise vibrierenden Hände, gebrochen und klanglos die Stimme. Unbeobachtet von den anderen hatte Ilse Wildau mit einem einzigen glühenden Blick, der eine Welt voll Furcht und An spannung aller Kräste verriet, den Zustand des Grafen zu er forschen gesucht; dann trat sie schnell aus sein Lager zu, sank an demselben nieder und ergriff seine Hand, die-sie an ihr thränen- überströmles Gesicht führte. Leise, kaum vernehmbar klangen seine Worte: »Beruhige Dich, mein Kind — es wird alles gut werden — gräme Dich nicht um mich — ich bin glücklich.' Leise berührte Pastor Rhode die Schulter der Knieenden. Sie erhob sich langsam und ließ sich neben dem Bett nieder. Bon diesem Augenblick an blieb es totenstill in dem weiten Gemach, so daß der Geistliche sich immer mehr beeilte, um nach kurzem Gebet und einigen einleitenden Worten zu den Trauungssormeln überzugehen. Er hatte den Zug völliger Lethargie wahrgenommen, der sich immer verstärkter über das Antlitz des Kranken breitete, während Ilse, die ihren Blick auf den Grasen geheftet batte, all mählich heftiger erregt wurde, während sich ihr Weinen verstärkte. Sie schien noch an sich halten zu können, als Rhode die gesetzlich vorgeschriebenen Worte an den Grasen zu richten begann. Als er aber an den Grafen die vorgeschriebcne Frage richtete, ob der selbe Fräulein Elisabeth Margarete Maria Wildau zu seinem ehelichen Weibe nehmen wolle, brach sie in ein Schluchzen aus, das die Namen, welche der Pfarrer nannte, übertönte. Das bindende Ja war von beiden gesprochen worden; die Kräfte des Grasen erlahmten sichtlich. Mit einem halblaut ge sprochenen »Vaterunser' schloß Rhode. Noch einmal beugte Ilse ihr Haupt aus die Hand des Sterbenden, der die andere wie segnend auf ihrem Scheitel ruhen ließ, dann folgte sie mit leidenschaftlichem Schluchzen wieder dem Haushofmeister, während der Geistliche und Justizrat Trambach bei dem Grafen August zurückblieben. In dem Zimmer, in welchem sie vorhin geweilt hatte, sprach Ruperti mit umflorter Stimme: „Ich darf annehmen, daß die Befehle der gnädigen Gräfin den von Seiner Erlaucht getroffenen Anordnungen entsprechen und habe deswegen den Wagen wieder vorfahren lassen, um gnädige Frau zur Bahn zu bringen. Es ist aber noch eine Viertelstunde Zeit. Darf ich inzwischen noch nach weiteren Befehlen Ihrer Erlaucht fragen?' „Ich danke; ich fühle mich furchtbar angegriffen und werde sofort wieder abreisen,' erwiderte Ilse. „Ich bitte Sie, mir morgen sofort zu melden, wie es dem Grasen geht.' „Ihr Befehl soll Pünktlich erfüllt werden, gnädige Gräfin,' sagte der Haushofmeister mit tiefer Verbeugung. Die Dienerschaft, noch um einige Köpfe verstärkt, hatte sich in der Vorhalle aufgestellt, als Gräfin Ilse von Ellabronn, nicht mehr Ilse Wildau, das Schloß verließ. Ein Lakei schwang sich auf den Bock, der Haushofmeister drückte den Schlag zu, und im schnellsten Laufe entführte sie das prächtige Gefährt dem Schlosse, welches sie zum erstenniale in ihrem Leben vor einer Stunde betreten, und in das sie nach den Bestimmungen ihres Gemahls in einem halben Jahre als Herrin zurückkehren sollte. Zu Tode ermattet und dennoch mit dem zufriedenen Lächeln dessen, der einen großen Erfolg errungen hat, lehnte sich Ilse in die weichen Kissen des Wagens zurück. * * Fünfundzwanzig Jahre nach dieser seltsamen Vermählung saßen in dem Arbeitszimmer des Justizrats Linke drei Herren einander in eifrigem Gespräch gegenüber. Der eine derselben, der Justizrat Linke, zeigte den echten Typus eines unverheirateten alten Rechtsanwalts, der noch der sogenannten „guten alten Zeit" entstammt. Aus behäbigem Körper ein stark gerötetes, wohl wollendes Gesicht, weiße, eng an den mächtigen Scheitel gebürstete Haare, weiße Augenbrauen, ein gleichfarbiger, dichter Schnurrbart, kluge große Augen hinter einer goldenen Brille. Sein Svcius, Rechtsanwalt Alt, hatte mit ihm nur die stark hervorgekehrte Einfachheit in der äußeren Erscheinung gemein; sonst war er sein direktes Gegenbild. Doktor Alt schien am Ende der dreißiger Jahre zu stehen; die ernsten, braunen Augen bedurften noch eines Glases, das schwarze Haar war voll und dicht; die wohlgepflegte Hand strich während des Plauderns oft über den langen, schwarzen Bart, der auf die Brust herabhing. Seine Kleidung war modern, aber einfach. Die fesselndste Erscheinung unter den dreien war unstreitig die des jungen Mannes, welcher den beiden gegenüber saß. Sein blasses Gesicht hatte regelmäßige Züge; das leicht gelockte, blonde Haar bedeckte eine Stirn, welche trotz ihrer Niedrigkeit auf einen energischen Denker schließen ließ. Die leuchtenden, braunen Augen hingen in diesem Augenblick gespannt an den Lippen des Justiz rats Linke. „Ich will Ihnen also zunächst meine Kenntnis von der ganzen Angelegenheit übermitteln, Herr Wildau,' begann dieser. „Ich stand lange Jahre mit den, Justizrat Trambach zu Rittberg in Bayern in sogenannter Kartellverbindung; das heißt, wir waren gewöhnt, einander diejenigen Prozesse zu .überweisen, welche i» unserer Stadt zum Austrag zu bringen waren. Ich bemerke hierbei gleich, daß Trambach vor einigen Jahren gestopben ist. Bor fünfundzwanzig Jahren also erhielt ich von Trambach eine Mitteilung folgenden Inhalts: Gras August von Ellabronn, einer der größten Grundbesitzer des Landes, dessen Herrschaft in det Nachbarschaft von Ritlberg lag, habe sich aus dem Sterbebette in seiner Gegenwart mit einer Dame verheiratet, mit der er in den letzten Monaten vor seiner Erkrankung intim verkehrt hätte. Diese Dame war ein Fräulein Wildau aus Köln. Der seit Monaten schwer leidende Graf hatte keine Gelegenheit gesucht, Trambach nähere Mitteilungen über die Persönlichkeit seiner zu künftigen Gemahlin zu machen. Trambach wußte nur, daß es dem Grafen, der in großem Ansehen bei Hose stand, gelungen war, den Dispens von jeder kirchlichen Förmlichkeit bei seiner Eheschließung zu erhalten. Die Vermählung hatte in Trnmbachs Gegenwart durch den Ortsgeistlichen Pastor Rhode stattgesunden. Aus den ausdrücklichen Wunsch des Grafen hatte seine junge Gemahlin unmittelbar nach Einsegnung der Ehe das Schloß wieder verlassen und war nach Köln zurückgekehrt. Es wurde mir mit diesem Briese eine sehr beträchtliche Summe zur Verfügung und der Besuch der Gräfin in Aussicht gestellt. Unmittelbar auf dieses Schreiben folgte ein zweites, welches die Nachricht von dem Ableben des Grasen enthielt und mich anwies, mich nunmehr völlig zur Disposition der Gräfin zu hallen. Letztere erschien bereits am nächsten Tage bei mir, in tiefe Trauer gekleidet. Ich muß vorausschicken, daß trotz ihrer ausfallenden Schönheit die Gräfin von Ellabronn in dem Aus druck des Gesichts etwas hatte, was mir nicht sympathisch war. Es war ja natürlich, daß die Erlebnisse der letzten Tage eine hoch gradige Aufregung in ihr hervorgerusen haben mußten; aber die Angst, welche sich trotz aller Selbstbeherrschung deutlich in ihren Zügen ausprägte, berührte mich seltsam. Man merkte der Gräfin beständig an, daß sie ihre Kräste anspannte, und daß die Re gungen, welche sie zu beherrschen suchte, nicht so sehr Trauer und Abspannung, als vielmehr eine immer wieder hervorbrechende Furcht und Beklommenheit waren. Auch schauspielerte sie mir zu sehr. Da ich jedoch damals noch keine Ahnung von jenen That- sachen haben konnte, welche das hinterlassene Schreiben Ihrer Mutter uns heute enthüllt hat, Herr Wildau, so jagte ich mir nur, es würde wohl noch eine geraume Zeit dauern, ehe die Gräfin die Schauspielerin, die sie bis-jetzt gewesen war, ganz vergessen und sich die Repräsentation der vornehmen Dame er worben haben würde. Gräfin Ilse von Ellabronn erklärte mir damals, sie denke in wenigen Tagen nach Italien zu reisen und dort bis zum nächsten Frühjahr ihren Aufenthalt zu nehmen. Sie ersuchte mich, den Justizrat Trambach und den Haushof meister vom Schloß Ellabronn, Ruperti, zu beauftragen, die Leitung der herrschaftlichen Angelegenheiten völlig im Sinne des verstorbenen Grasen und seinen Aufträgen entsprechend fort- zusühren. Alle Zahlungen an diejenigen Personen, welche die Gräfin benennen würde, sollten durch das Haus Leon und Cie. in Köln geschehen. Sie wünschte zunächst, daß ich in Verbindung mit Trambach eine Gesamtdarlegung der Vermögensverhältnisse ausarbeitcn solle und ihr alsdann monatlichen Bericht erstatte. Alles, was sie sprach, war ungewöhnlich gescheidt, ihre Anord nungen klar und präzis. Gräfin Ilse machte durchaus den Ein druck einer außerordentlich starkgeistigen, klar denkenden und energisch handelnden Frau. Mit diesem Charakterbilde in selt samem Widerspruch stand die scheue, tastende Art ihrer Ausdrucks weise, das Forcierte, was ich damals Schauspielerei nannte, das sie annahm, sobald die Rede ans ihre Beziehungen zu dem Ver blichenen kam. Nur einmal vibrierte diese Art ibres Wesens auch bei Gelegenheit einer praktisch-« Anordnung. Diese bezog sich,