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mit beiden Händen den Riegel des «alkonfensters, lehnte das müde Hnnpt daran und starrte hinaus. Hatte sie gehört, was der Haushofmeister Ruperti zu ihr gesagt? «Gnädiges Fräulein wollen kurze Zeit verzeihen — der Graf schlummerte vorhin. Der Arzt hat nachmittags beim Fort fahren angeordnet, Seine Erlaucht vor der Aufregung, welche ihm bevorstünde, ruhig schlafen zu lassen. Ich werde nunmehr den Pastor Rhode rufen lassen. — Darf ich mir erlauben, Er frischungen für das gnädige Fräulein hierher zu senden?" Einige Minuten später standen dieselben bereits auf einem Marmortischchen am Fenster neben Ilse; sie aber lieg sie un berührt und starrte in das langsame Dämmern des Juliabends. Man hätte denken können, sie habe vergessen, wozu sie ge kommen sei. Ilse Wildau besaß eine volle, ebenmäßig gebaute Gestalt mit ein wenig strengen, aber vollendet schönen Zügen. Das jetzt unnatürlich bleiche Antlitz ließ auf ein Alter in der Mitte der zwanziger Jahre schließen. Zwei große, etwas starre, braune Augen mit feingezeichneten Brauen blickten ernst und entschlossen unter einer hohen, weißen Stirn, welche zwischen Augen und Haaransatz die dunkelblauen Adern deutlich hervorschimmern ließ, eine Erscheinung, Ivie mau sie bei Willensstärken, leicht zu leiden- schastlichcr Erregung und schnellen Entschlüssen sortgerissenen Menschen oft findet. Das volle, saft schwarze Haar war in leichten Knoten unter dem eleganten Kapottehütchen ausgenommen. Ein jugendlich zierlich, aber doch vornehm gehaltenes stahlgraues Seidenkleid umspannte die Figur. Kein Schmuck, mit Ausnahme einer eigenartigen Brosche, eine goldene Dornenkrone darstellend, auf welcher kleine Rubinsplitter wie Blutstropfen lagen, Ivar an ihr zu sehen. Die seidenen Handschuhe hatte sie beim Eintritt in das Zimmer schnell von den nicht kleinen, aber sorgsam ge pflegten Händen gestreift und nebst Schirm und Mäntelchen neben sich gelegt. »Recht lack^Iiüs!" hatte der Haushofmeister vor sich hin- gemurmelt, als er nach einem laugen, prüfenden Blick vorhin das Zimmer verlassen halte. - Nach einigen Augenblicken erschien jener Diener, der Ilsens Gepäck in Verwahrung genommen hatte. Er zündete einen Wand leuchter an und setzte auf das Tischchen eine Lampe, deren Licht durch einen rosa Schleier gedämpft Ivar. Die tiesdunkle, eichen- kassetierte Decke des mächtigen Gemachs und die breiten, mit dunkelblauer Seide überzogenen Wände sogen so Viel Licht ein, daß nur der kleine Fleck, wo Ilse saß, völlig erleuchtet blieb, während der übrige Teil des Zimmers in Schatten gehüllt wurde. So bemerkte sie nicht, daß, noch während sie in dem Briese las, welchen sie einem kleinen Porteseuille entnommen hatte, ein neuer Besucher den Saal betrat. Sie las jene Zeilen, welche den Anlaß zu ihrem Kommen gegeben hatten und von ihr schon so oft studiert worden waren, daß jede Silbe sich ihrem Gedächtnisse eingeprägt hatte. Sie lauteten: Schloß Ellabroun, 24. Juli 1856. Gnädiges Fräulein! Nachfolgende Zeilen sende ich an Deren Adresse im Auf trage meines Herrn, Seiner Erlaucht des Grasen August von Ellabroun, und erlaube mir, denselben einige Bemerkungen hinzuzusügen: Gnädiges Fräulein haben ja Kenntnis von dem schweren Unglück, das über unsern Herrn gekommen ist, und wissen, wie ich höre, daß die Aerzte ein immer größeres Sinken der Seh kraft in Aussicht stellen. Es will uns, der nächsten Umgebung Seiner Erlaucht, sogar bedünken, als ob schon jetzt der Graf seine nächste Umgebung nicht mehr zu erkennen vermöchte und diese traurige Thatsache nur verheimlicht, um seine Umgebung, wie er glaubt, nicht zu belästigen. Leider ist mit diesem Un glück aber ein größeres verbunden. Geheimrat Peters, der vorgestern aus einen Tag von München hierher gekommen war, hat die bestimmte Erklärung abgegeben, daß in wenigen Tagen ein Gehirnfchlng plötzlich dem Leben unseres Herrn ein Ziel setzen könne. Gnädiges Fräulein wissen, wie Herr Graf mir früher erzählt, daß hochderselbe völlig abgeschlossen lebt; der letzte Erbe eines großen Hauses, wird er, nur von seinen Ge treuen umgeben, sterben. Seine Erlaucht hat nun, in völliger Kenntnis feines hoffnungslosen Zustandes, folgendes bestimmt und richtet, da er selbst nicht schreiben kann und nicht mehr im stände ist, einen längeren Brief zu diktieren, durch mich, der schon seine Kinderschritte gelenkt hat, solgende Bitte an Sie, gnädiges Fräulein: Seine Erlaucht wünscht sehnlichst, vor seinem Hinschciden Ihnen, gnädiges Fräulein, seinen Namen zu geben. Seine Worte in dieser Beziehung sind solgende: Er wolle eine heilige Pflicht erfüllen, welche nicht allein Sie felbst beträfe. Er wolle keinen Dank damit erzwingen und in keinem- Falle Sie an sein Krankenlager fesseln. Er bäte Sie inständigst, in eine stille Trauung mit ihm auf Schloß Ellabroun zu willigen. Es solle Ihnen, mein gnädiges Fräulein, völlig sreistehen, ja Seine Erlaucht wünscht sogar, daß Sie unmittelbar nach stattgehabter Ceremonie wieder abreisen und erst zurückkehren, wenn alles vorüber und Sie von Ihrem Erbe Besitz ergreifen könnten. Ihre Anwesenheit im Krankenzimmer soll auf die denkbar ge ringste Zeit beschränkt und Vorsorge getroffen werden, daß kein Unberufener Sie sähe. Ich habe die Ehre, zu bitten, gnädiges Fräulein wollen, um den Wunsch unseres sterbenden Herrn zu erfüllen, noch heute abreisen und vorher eine Depesche zustimmenden Inhalts nbscnden. Da der Zug auf der nächsten Station Rittberg gegen acht Uhr eintrisft, können gnädiges Fräulein mit dem Wagen, welchen ich dorthin entsenden werde, eine Viertelstunde nach acht Uhr bereits hier eintreffen, wo alles zur Ceremonie um halb neun Uhr vorbereitet sein wird. Es wäre dann, so meinte Seine Erlaucht, für seine Gemahlin möglich, den Zug, der um zehn Uhr von Nittberg abgeht, zur Heimkehr zu be nutzen. Er würde alsdann nm nächsten Tage durch Herrn Justizrat Linke in Köln Ihrer Erlaucht alle Vorschläge für die Zukunft unterbreiten lassen. Und seine letzten Worte, die er mich beauftragte wörtlich hierher zu setzen, sind: „Das schwere Unrecht, welches ich Fräulein Wildau zugesügt, das Leid, welches sie seit Monaten um meinetwegen erduldet, kann ich nicht gut machen; aber sie möge in dem Unglück, das mich getroffen, er kennen, daß keine Schuld ohne Sühne bleibt, und die von mir jetzt dargebrachte ohne Zwang oder Bedenken annehmen." Der Brief war unterzeichnet: Ludwig Ruperti, Haushofmeister Seiner Erlaucht des Grasen August von Ellabroun. Das Couvert trug die Aufschrift: Fräulein Elfe Wildau Köln, Nolandsgasse 26. «Ich soll erkennen, daß keine Schuld ohne Sühne bleibt," ganz leise murmelten es Ilsens Lippen. „Ich will die Schuld aus mich nehmen nm Deinetwillen, Camille." Das Porteseuille, in welches sie den Bries wieder versenkte, umschloß auch ein winziges Miniatur-Pnstellbild, welches den Kops eines noch sehr jungen Mannes zeigte. In seine Uesen und welt entrückten Augen versenkte Ilse die ihrigen; dann aber schloß sie hastig die Brieftasche und ließ sie in das Kleid zurückjchlüpsen, als aus dem Dunkel des Gemaches jene Gestalt, welche dort schon längere Zeit gestanden hatte, mit einer leichten Verbeugung auf sie zutrat. Es war ein junger Mann im Ornate der evangelischen Geistlichen. Seine milden und doch ernst prüfenden Augen blieben wie vorhin, als er sie beobachtete, voll aus Ilse gerichtet. „Ich bin der Pastor Rhode, mein Fräulein, und darf Sie vor der Trauung um eine kurze Unterredung bitten," sprach er Ilse au. Sie verneigte sich stumm und deutete auf den Sessel in ihrer Nähe, während sie sich selbst auf dem Bärenfell des Ruhebettes niederließ, mit der rechten Hand auf den erschrecklich naturgekreu ausgeführten Kopf des Tieres gestützt. Ihr Gesicht war zwar dem Pastor zugewandt, lag aber im liefen Schatten, da die Wand- leuchter und die Lampe hinter ihrem Rücken brannten. „Es ist eine traurige Veranlassung, mein Fräulein, welche mich heute in dieses Schloß ruft," fuhr der Pfarrer fort, „ich bin erst seit wenige» Monaten zum Pfarrer der Gemeinde Ellabroun bestellt und trat mein Amt gerade um die Zeit an, als unserem edel» Herrn jenes entsetzliche Unglück auf der Bahn Passierte, welches uns allen einen gütigen und allezeit hilssbereiten Schloß herrn, Ihnen, mein Fräulein, wie ich erst jetzt höre, einen teuren Freund zu rauben droht. Sie kennen den Grasen, wie ich höre, seit ungefähr einet» Jahr?" Wiederum bestätigte ei» stummes Nicken die Richtigkeit seiner Worte. „Sie wissen, daß eine seiner Hnupteigenarten jene Scheu ist, irgend jemanden, am wenigsten aber einen Menschen, den er liebt, in seine Sorge» u»d Leide» mit hilleinzuziehen. So ist es ihm den» auch überaus schwer geworden, Sie zu einer so traurigen und sein ganzes Unglück schonungslos ausdeckendeu Stunde zu sich zu rufen." „Wie durfte ich zögern, Herr Pastor, dem Ruf des Grase» August zu folgen, da mir Herr Ruperti die ihm drohende Lebens gefahr meldete?" erwiderte Ilse. „Steht cs wirklich so schlimm mit dem Unglücklichen?" Den Prediger berührte der To» der Frage peinlich, da er mehr Ivie der Ausdruck angstvoller Neugierde, als wie derjenige schmerzlicher Teilnahme klang. Aber es war wohl natürlich, daß die Erregung dieser Stunde die Stimme der Fragende» so »»schön modulierte. „Hoffnungslos, Fräulein Wildau," erwiderte Rhode, „ich darf es Ihnen nicht verschweigen. Doktor Schotting erwartet die Auflösung spätestens im Lause der morgigen Nacht! Darum