Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 04.07.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190007043
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19000704
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19000704
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-07
- Tag 1900-07-04
-
Monat
1900-07
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 04.07.1900
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Baruth. Ein schwerer Jagdunfall hat sich im Merzdorfer Revier ereignet. Dort saßen ein Berliner Jagdpächter und ein Hilfsjäger auf dem Anstande, ohne daß einer von des anderen Anwesenheit etwas wußte. Es dunkelte bereits, als der Hund des Hilfsjägers sich eine kurze Strecke von seinem Herrn entfernte. Der Jagd- Pächter, in der Meinung, einen Fuchs vor sich zu haben, schoß auf den Hund, und in dem selben Augenblick ertönte auch schon ein mark erschütternder Schrei; der unglückliche Schütze hatte den in gleicher Schußlinie hinter einem Gebüsch stehenden Hilfsjäger erschossen. Bier Posten in den Kopf hatten dem blühenden jungen Menschenleben ein jähes Ende bereitet. Der verzweifelte Schütze stellte sich sofort der Polizei behörde. Flensburg. Beim Anlegen eines Dampfers an der Brücke von Tirsback bei Beile stieß am Donnerstag das Schifi gegen die Brücke, so daß diese einstürzte. Von den auf der Brücke befindlichen Personen, zumeist Matrosen des deutschen Panzers „Odin", fielen gegen 50 ins Wasser, welche aber sämtlich, wenn auch mit großer Mühe, gerettet wurden. Fulda. Auf schreckliche Weise ist der bei der Güterabfertigung bedienstete Lademeister Rh. ums Leben gekommen. Er hatte gerade aus dem Mittelperron zu thun, als der von Ober hessen einlaufende Güterzug ihn erfaßte und buchstäblich zermalmte. Rh. war sofort tot. Pose». Einer unfinnigen Wette ist der 20jährige Sohn des Gutsbesitzers Jerome in Sussey an der russischen Grenze zum Opfer ge fallen. Der junge Mann wettete mit einem Zechgenossen, daß er unter den Flügeln einer im Gange befindlichen Windmühle des Nachbar- dorses hinwrgreiten wolle. Die beiden bestiegen alsbald ihre Rosse und ritten, von einer Schar Schaulustiger gefolgt, der Mühle zu. Hier wollte Jerome im Galopp zwischen den Flügeln hindurch, wurde aber von seinem Pferde, das vor dem niedergehenden Flügel scheute, abge worfen und fiel unglücklicherweise zwischen die Flügel hinein. Bei der nächsten Drehung wurde er infolgedessen in die Höhe mitgeführt und aus der Luft mit solcher Gewalt niedergeschleudert, daß er mit gebrochenen Gliedmaßen liegen blieb. Den bereits stark Verletzten traf noch ein »weiter Stoß, der ihm den Brustknochen ein- drückte. Nachdem er kaum in das Elternhaus zurückgebracht war, starb er an den Folgen des Sturzes. Ragnit. Der etwa 500 Morgen große Gutswald zu Randonatschen soll niedergelegt werden, womit man bereits den Anfang gemacht hat. Fern soll jedoch die Axt von einem Baume bleiben, an den sich eine geschichtliche Thatsache knüpft. Das schöne Gut, welches übrigens im Laufe der Zett zerstückelt ist, gehörte in alter Zeit der ostpreußischen Adelsfamilie von Katte au. Als der junge Leutnant, welcher Friedrich dem Großen zur Flucht nach England verhelfen wollte, seine That mit dem Leben bezahlen mußte, versuchte dessen Vater in übergroßem Schmerze seinem Leben durch Erhängen ein Ende zu machen. Der langjährige treue Diener Sattes, welcher wohl den unseligen Schritt seines Herrn ahnen mochte, war diesem aber heimlich in den Wald gefolgt, um ihn an seinem Vor haben zu hindern. Zum Lohn dafür setzte Satte ihn zum Lehrer der neugegründeten Schule ein und dotierte die Stelle u. a. mit 50 Morgen des besten Gutslandes. Noch heute gehört daher jene Stelle zu den besten des Bezirks. Der Baum aber, welcher zu der verhängnis vollen That ausersehen war, wird heute noch durch eine Tafel mit einer darauf bezüglichen Inschrift ausgezeichnet. Budapest. Eine merkwürdige Begebenheit die mit ihren Einzelheiten der überhitzten Phantasie eines Sensations - Romanschreibers entsprungen scheint, soll fich in einem Dorf in Ungarn abgespiett haben. In der Gemeinde Kreßnig starb der alle rumänische Landwirt Georg Gaja, Oberhaupt einer zahlreichen Familie. Dem Brauche gemäß sollte am »weiten Tage nach der Bestattung ein Leichen schmaus stattstnden. Es wurde auch alles zu diesem Zweck vorbereitet, doch ließ der aus dem Nachbarort bestellte Pope im letzten Moment sagen, daß er die Einsegnung erst am nächst- solgenden Tag vornehmen könne. Die Trauertz gäste beschlossen hierauf, da das Essen bereut fettig war, die herkömmliche Ordnung umzu kehren und den Schmaus vor der Bestattung zu absolvieren. Gegen Mitternacht — die Gesell schaft war bereits in animierter Stimmung — Hötte man plötzlich aus dem Nebenzimmer, wo der Tote lag, ein eigentümliches verdächtiges Geräusch. Einige der kuragiertesten jungen Burschen wollten eben nächsten, was vorgeht, als fich die Thür öffnete und der vermeintliche Tote heraustrat. Entsetzt stoben die Gäste aus einander, mehrere krochen unter die Möbel. Gaja begriff bald die Situation, setzte fich ge- mütlich zu Tisch mit den Worten: „Fürchtet euch nicht, ich thue niemand etwas zuleide, ich bin auferstanden und werde jetzt wieder leben." Nach und nach faßten die Gäste Mut und setzten fich zu Gaja an den Tisch. Eine Stunde später kehrte die Frau Gajas, die während des Leichenschmauses von Hause ab- wesend war, in die Wohnung zurück. Als sie die Thür öffnete und an der Spitze des Tisches ihren totgeglaubten Gatten fitzen sah, brach sie mü lautem Aufschrei tot zusammen. Der Schreck hatte ihrem Leben ein Ende bereitet. Anstatt des Mannes wurde nun die Frau zu Grabe getragen. Rom. Die Voruntersuchung gegen den früheren italienischen Abgeordneten Palizzolo, der bekanntlich der Anstiftung zur Ermordung des Bankdirektors und Exbürgermeisters von Palermo, Komm. Notarbattolo, beschuldigt wird, ist dem Abschluß nahe. Palizzolos Freunde hatten in den letzten Wochen das Gerücht ver breitet, daß das Verfahren gegen den Maffia- Häuptling eingestellt worden sei und daß Palizzolo demnächst aus der Hast entlassen werden würde. Das wird jedoch nicht der Fall sein. Die Schuldbeweise gegen Palizzolo haben fich vielmehr gehäuft, so daß die Staatsanwalt- schäft schon in den nächsten Tagen gegen den famosen Exdeputierten die Anklage wegen An stiftung zum Mord erheben dürste. Mailand. Eine Alpentruppe in Brescia machte am Sonntag einen Uebungsmarsch auf die Berge bei Ceto. Die Soldaten waren mit Seilen aneinander gebunden. In der Nähe der Ortschaft Listino del Monte glitt der Korporal Brafi, der das letzte Glied der Kette bildete, aus und riß 70 Soldaten 300 Meter wett in einen Abgrund. Vier Soldaten gerieten bei ibrem Fall in eine Schneelawine; sie wurden jedoch von den unverletzt gebliebenen Kameraden sofort herausgezogen. Drei Soldaten erlitten schwere Verletzungen und mußten in das Hospital von Breno geschaßt werden. Viele andere wurden leichter verletzt. Petersburg. Auf der Insel Sachalin (Ost- fibirien) ermordeten fünf flüchtig gewordene Strafarbetter einen Poften, verwundeten zwei Wächter schwer und einen Auffeher leicht. Nach Ausübung dieser Verbrechen bewaffneten fich die Sträflinge mtt Flinten, Dolch und Revolver, nahmen 30 Patronen mtt fich und ergriffen die Flucht. Von den Verwundeten find zwei ge storben. Odessa. Die Bauem des dem Großgrund besitzer Grafen Wolkow gehörigen Rittergutes Kalinowka beschlossen, aus Rache wegen eines Prozesses, den er gegen sie angestrengt hatte und den di« Gerichte zu seinen Gunsten entschieden, den Grafen zu ermorden. Sie schickten zu diesem Zweck einen Bevollmächtigten aus ihrer Mitte nach Odessa, wo derselbe den berüchtigten Dieb und Einbrecher Blank für eine ansehnliche Geld summe zum Meuchelmord dang. Der Chef der Kiewer Detektivpolizei konnte, obwohl rechtzeitig von dem Mordplan in Kenntnis gesetzt, die Ausführung desselben nicht verhindern, da ihm als Thatort fälschlich das Gut Anouje« ange geben wurde. Inzwischen reiste Blank nach Ka linowka, wo Graf Wolkow kurz vorher emge- troffen war und tötete ihn während einer Spazier fahrt durch einen wohlgqielten Revolverschuß. Der Kutscher trieb entsetzt die Pferde zu rasender Eile an, und erst vor dem Schlosse augelangt, entdeckte man in der Equipage den Grafen als Leiche. Der Thäter Blank ist wahrscheinlich mtt einem Dampfer nach der Türkei entkommen; mehrere geständige Bauem find verhaftet worden. Gerichtshalle. Oldenburg. Ein peinlicher Vorfall hat fich kürzlich in der Schwurgerichtssttzung zugetragen. Einer der Geschworenen war nicht zurechnungsfähig, d. h. betrunken, und deshalb wurde nach dem Antrag des Vertreters der Staatsanwaltschaft die Sitzung ausgesetzt. Der Betrunkene ist wegen des skanda lösen Vorfalls am Dienstag zu 300 M. Geldstrafe und in die durch ihn entstandenen Kosten verurteilt worden. Budapest. Freigesprochen wurde am Mittwoch der ehemalige Garibaldische Legionär Privatbeamter Michael Nyuly, der vor einigen Monaten in einem Erbschaftsprozeß den gegnerischen Advokaten seiner Schwester nach heftigem Wortwechsel totgeschossen hatte. Die Geschworenen verneinten die Zurechnungs fähigkeit. A«s der Jugendreit der Kaiserin von China berichtet das,Hamb. Fremdenblaü' folgendes: Ihr Vater war ein Mandschu von Adel, der zu Peking eine gute und einträgliche Stellung inne hatte, diese aber ohne seine eigene Verschuldung verlor. Darauf fiedelte er im Jahre 1838 nach Kanton über. Seine Familie bestand auS Frau, Sohn und Tochter. Von allen Mitteln ent blößt, beschlossen die Eltern, ihre Tochter zu verkaufen. Ein reicher Kaufmann erstand sie. Das Mädchen war stark, gesund und hübsch, sowohl für den mongolischen als den mandschu rischen Geschmack. Da das Kind von mandschu rischem Blut war, hatte es keine verkrüppelten Füße; diese wurden ihm auch, nachdem es ver kauft war, nicht nachträglich verstümmelt, da es die Stellung einer bevorzugten Sklavin bei seinem neuen Herrn inne hatte. Dieser und seine Familie behandelten das Mädchen gut und rücksichtsvoll. Sie war ehrgeizig, hoch- begabt und schien ihre zukünftige Schönheit bereits zu ahnen. Sie lemte lesen und schreiben, noch bevor sie acht Jahre all war. Im Jahre 1848 erließ der Kaiser Hien Tung die „HetratS- Verordnung", nach der alle berechtigten jungen Mädchen von mandschurischem Blut im Alter von fünfzehn bis achtzehn Jahren fich im kaiser lichen Palast zu Peking vorstellen sollten, damit der Kaiser seine zweite Gemahlin sich auS ihnen erwählen könne. Dieses ist ein ganz gewöhn liches Ereignis in China, und es strömen bei dieser Gelegenheit immer Tausende von jungen Bewerberinnen nach der Reichshauptstadt. Die junge, hübsche Sklavin Tfi-An las den Aufruf und sprach sofort den Wunsch aus, fich zur Wahl zu stellen. Zuerst wurde sie ausgelacht, dann aber verstand fie so zu reden und zu argumentieren, daß ihre Pflegeeltern ihr die Erlaubnis zu dem kühnen Unternehmen erteilten. Zunächst erhoben fie das Mädchen aus dem Sklavenstande zu einer Adoptivtochter und thaten dann ihr Möglichstes, um fie für ihren Zweck auszurüsten. Sie gaben ihrer Tochter eine hübsche Ausstattung und eine genügende Geldsumme, daß fie von Kanton nach Peking als zukünftige Mandschu-Fürstin reisen konnte. Die höfischen Behörden erklärten fie für ein tadelloses Mitglied des weiblichen Geschlechts, für gut von Sitte und tugendhaft, kenntnisreich und Lug. Nach der Prüfung stand fie unter den ersten Zehn auf der Wahlliste. Sie wurde in den kaiserlichen Palast geführt und hier in den Frauengemächern untergebracht. Jetzt be gann fie mtt ihren Intrigen: Sie erwies der Kaiserin ganz besondere Aufmerksamkeiten, be nahm fich aber auch den Hunderten von anderen Weibern gegenüber mtt solcher Schlauheit, daß fie sich nitter ihnen nur Freundinnen und fast keine Feindin erwarb. Allmählich wurde fie der Kaiserin unentbehrlich und auf diese Weis« in die Gesellschaft des Kaisers eingeführt. Bald erregte fie seine Bewunderung und Leidenschaft und schließlich schenkte fie ihm einen Sohu. Da die Kaiserin kein Kind männlichen Geschlechts hatte, und da der Sohu der Konkubine von dem Kaiser sehr geliebt wurde, ließ fich dieser von der letzteren beschwatzen, fie zur „Kaiserin des Westens" zu ernennen. Dieses war ein Meister stück der Diplomatie. Der Titel war vor Zeiten zwar Mich gewesen, aber in Vergessenheit ge raten. Unter dem alten Gesetz war mü, ihm der höchste Rang verbunden, den ein Neben weib des Kaisers überhaupt erreichen konnte. Er stellte ein solches ziemlich gleichberechtigt neben die Kaiserin, die den Titel führte „Kaiserin des Ostens". Von jetzt ab stieg das ehrgeizige junge Weib immer höher, bis es die wirkliche Macht im Reiche ganz in seinen Hände« hatte. !tt 4000 Frank fSr eine Photo graphie. Ein französischer Koch namens Commiffaire, der in Amerika ein kleines Vermögen erworben hat, kam jüngst, nach 22 jähriger Abwesenheit von der Heimat, nach Paris, um die Ausstellung zu besuchen. Als er fich vor einigen Tagen auf dem „Trottoir roulant" hetzend, wurde er von zwei Engländern angesprochen, die einen photographischen Apparat mtt sich führten. „Bitte, stehen Sie einen Augenblick still," sagte der eine, „ich will Sie photographieren." Der Koch hatte nichts dagegen. Die beiden Engländer forderten ihn dann auf, am nächsten Abend in ein Boulevard-Cafö zu kommen, wo er ein Probe bild erhalten sollte. Das Bild war vorzüglich und Herr Commiffaire machte nähere Bekannt schaft mtt den beiden Photographen. Die neue Freundschaft wurde tüchtig „begossen", und der franko-amerikanische Koch wurde sehr redselig. Er erzählte, daß er 4000 Frank bei fich trage, daß er aber trotzdem nicht fürchte, bestohlen zu werden, da das Geld im Hoscnbund versteckt sei. Dann sprach man wieder vom Photo graphieren, und der Koch erklärte, daß es sein heißester Wunsch sei, einmal als Heinrich HI. photographiert zu werden. „Das können Sie haben," sagten die Engländer. „Kommen Sie nur in unser Atelier, wir haben prächtige historische Kostüme, und Ihr Wunsch soll erfüllt werden." Freitag (22. Juni) nachmittag wurde Herr Commissafte von seinen beiden Freunden in das „Atelier" geführt, in welchem nur ein photographischer Apparat und ein Stuhl stand; auf dem Stuhl lag das historische Kostüm. Der Koch vertauschte seinen modernen Anzug gegen die königliche Tracht und stellte fich in majestätischer Pose vor den Apparat. „So ist's gut," sagte der Photograph, dessew Freund das Zimmer schon vorher verlassen hatte. „Bleiben Sie rnhig so stehen, ich will die Platten holen." Sprach's, ging hinaus und ward nicht mehr gesehen. Zwanzig Minuten lang stand der Koch als Heinrich III. vor dem Objektivglas. Dann ging er den Photographen suchen: aber der war längst verschwunden und mit ihm die Hose mit den eingenähten 4000 Frank. Herr Commiffaire mußte dann als König Heinrich zur Polizeiwache fahren, wo mau ihn fast eingesperrt hätte, da man seine Verkleidung für einen verfrühten oder verspäteten Karnevalsscherz hielt. Von den genialen Spitz buben fehlt jede Spur. Kunte» Allerlei. Wahlbeeinfluffuug durch Stiefel. Die italienische Zettung ,Giorno' bringt eine spalten lange Schilderung von der Art, wie man in Süd-Italien bei den Analphabeten die Wahlen macht, ohne daß das Blatt allerdings den Schau platz des wahrhaft grotesken Vorganges nennt. Dem Unterpräfekten von X. wird der Besuch eines ministeriellen Kadidaten, des Proßessors Gomma, angemeldet. Dieser setzt ihm auseinander, daß er aus der Gegend gebürtig ist und wohl Ursache habe, auf verwandtschaftliche Einflüsse zu rechnen. Und daun redet man über die Fonds. „12 000 Lira werden kommen," meint der Professor. „Ach, das reicht hier nicht; Sie müssen be- denftn, hier ist man Fünfundzwanzig-Lirascheine gewöhnt. Fünf- Lirascheine nehmen die Leute nicht mehr. Ja, wären Sie früher aufgetreten, so hätte man es mit den Stiefeln versuchen können." „Mit den Stiefeln?" „Ja wohl, das wissen Sie noch nicht? Sehen Sie, vor der Wahl erhallen die Leute einen Stiefel, und wenn unser Kandidat glücklich durch ist, den anderen." Kin freudiger Blick goldiger Hoffnung. — Aber dieser Ernst, der über sie ausgegossen schien, hob ihr« wunderbare Schönheit noch mehr — K schön war fie dem jungen Lord niemals er schienen. Und welch sonderbarer — man konnte sagen, Kelch heiliger Ton lag in den leis gesprochenen «orten, als fie seine Hand ergriff und sprach: »Willst du mir schwören bei den ewigen Sternen dort droben, daß, sobald ich mit dir den Fuß Ars Land gesetzt habe, du mich zu deinem Helichen Weibe machst?" , „Kannst du zweifeln?" entgegnete leiden schaftlich der junge Mann und schloß das Amdersame Mädchen in seine Arme, — „ich schwöre es dir bei den Sternen, bei dem Ewigen, Äsen Wohnung wir in jenem Weltenreich dort "brn glauben, du wirst mein Weib, sobald wir N Land find, der erste Priester soll unsem «ebesbund segnen, soll uns als Mann und Werb verbinden." . Henriette trat zurück, ihre großen, leuchten- Ä Augen blickten den geliebten Mann an, es ein unbeschreiblicher Blick, der ms ihnen l^ach, dann sagte fie feierlich: „Wohl, ich glaube, ich traue dir ganz, und A fliehe mit dir. Sinne auf unsere Flucht, er- ?^gliche fie, ich bin jeden Augenblick bereit, — Ase nichts weiter, - ich bin die Deine - laß Krs fliehen." War denn das alles ein Traum, — noch Awal hielt der junge Mann die Geliebte in ^men Armem — das schöne ernste, so ganz um- ^wandelte Mädchen erwiderte den Kuß, den er ihren süßen Mund drückte, — dann entzog es fich seiner Umarmung und huschte lautlos, wie es gekommen, fort, hinab die Treppe, welche in die Familien. Kajütte führte. Und wieder vergingen Tage und Wochen, — fliehen, das war in all der Zett der einzige Ge danke des Squires und sein Vorhaben wurde begünstigt. — Er gewann jenen englischen Ma- trosen durch Gold, der Plan zur Flucht war fertig, ob er ausgeführt werden konnte, war eine andere Frage. Der Plan war mehr als tollkühn, — aber er sollte garnicht so, wie er ersonnen war, zur Ausführung kommen, — der Zufall begünstigte das Liebespaar bei der Ankunft in Dover. Zu jener Zett hatten alle, und auch die nur in Dover anlegenden Schiffe, fich einer kurzen Festungs-Quarantäne zu unterwerfen, und um diese zu umgehen, beabsichtigte Kapitän Witt außerhalb des Hafens ein Boot auszusetzen und mit demselben den Squire in den Hafen bringen zu lassen. Ein schweres Wetter aber, das losbrach, ließ den Kapitän den Hafen von Dover sogar als willkommenes Asyl aufsuchen und die „Hen riette", glücklich dem furchtbaren Sturm ent gangen, warf im sicheren Port von Dover ihre Anker aus. — Es war am Abend, als das Schiff einlief. — Kaum waren die Segel gefallen, als der Kapitän, der längst jenes ihn betroffene Unwohl- fein auf See überwunden hatte, in die Kajütte des Squire trat. Er richtete seit jenem Tage, an welchem der Squire um die Hand Henriettens angehalten hatte. — die ersten Worte wieder an ihn. „Wir find in Dover, Sir", sagte er, „morgen werde ich Euch an Land setzen lassen." Weiter sprach er nichts, ruhig wie er ge kommen, verließ er die Kajütte." Wieder hielt der Squire mtt dem Erzählen inne, — er richtete seinen Blick auf die Tochter, als wolle er dieselbe fragen: — nun was sagst du zu meiner Geschichte? Edith saß noch — die gefalteten Hände in den Schoß gelegt, regungslos da, sie sprach kein Wort, sie hatte keine Zwischenfragen an den Vater zu richten. Der Squire begann aufs neue zu sprechen: „Der nächste Morgen sollte dem Kapitän eine Ueberraschung bringen, welche er nicht erwartete. Der Squire von Avonshire war mit der Schwester des Kapitäns vom Bord der „Henritte" ent flohen. Geahnt, gefürchtet hatte der Kapitän dem ähnliches, aber er glaubte so sichere Vor beugungsmittel getroffen zu haben, daß er fich völlig sicher wähnte. Er machte die Rechnung ohne den von dem Squire bestochenen englischen Matrosen, der beiden zur Flucht verhalf. Der junge Lord hieü dem unglücklichen Mädchen Wort, er brach nicht seinen Schwur, den er bei dem ewigen Lichte dec Sterne geleistet hatte; — er nahm Extrapost nach Hythe, und ehe die Sonne am nächsten Tage im Zenith stand, waren der Squire von Avonshire und Henriette Witt ein von Priesterhand gesegnete?, ehelich verbundenes Paar. Ich nannte soeben Henriette ein unglückliches Mädchen, ich hätte fie richtiger ein unglückliches Weib nennen sollen, denn tief unglücklich wurde fie durch ihren Entführer. Der junge Lord war trotz seiner leidenschaftlichen Liebe, einer Liebe, welche er einsargen, aber nie vergessen konnte, ein Heuchler und Schurke. Das junge Ehepaar reiste auf das rascheste nach Avonshire, erstaunt blickte die Dienerschaft blickte der Verwalter den Squire an, als er m Begleitung eines schönen, lieblichen Weibes ein traf, die er als Herrin von Avonstzire, als sein Weib vorstellte. Herrin von Avonshire! — unglückselige Be nennung, dieser armselige Tüel sollte der schönen, edlen, jungen Frau teuer zu stehen kommen, fie sollte ihn mtt allem bezahlen, was fie einzu setzen hatte. Der Squire liebte — er liebte sein schönes Weib rasend, abgöttisch, er vergaß in seiner glühenden Leidei schaft alles um fich her. So verging fast ein Jahr, als er plötzlich erwachte, oder vielmehr mtt gewaltigem Schlage auS seinem Liebestraum gerissen wurde. Eines Tages war der Verwalter, auf den der Squire bisher sein ganzes Vertrauen gesetzt hatte, verschwunden, mit ihm die herrschaftliche Kasse, und die Flut, welche bisher künstlich ge staut war, brach unaufhaltsam über den un erfahrenen Gutsherrn herein. Seine Mißheirat war, obschon er mit seiner jungen Frau wie gefangen im Schloß lebte, nicht ganz geheim geblieben, weshalb fich dir aristokratischen Nachbarn fern hielten, über dies hatte der Squire nicht ein einziges Mal nach irgend einer Freundschaft oder Bekanntschaft gestrebt. Jetzt stand er und fühlte fich ganz allein. B i4 (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)