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Allgemeiner Anzeiger : 30.06.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190006309
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1900
-
Monat
1900-06
- Tag 1900-06-30
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Monat
1900-06
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 30.06.1900
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Politische Anndschau» Vom afrikanischen Kriegsschauplatz. * Langsam, aber unerbittlich neigt sich das Schicksal des heldenmütigen Boerenhäufleins seinem Ende zu. Nach einer Meldung aus Standerton fahren die Burghers fort, den Neutralitätseid zu leisten und die Waffen niederzulegen. Die Trupven- macht, die dem Präsidenten Krüger jetzt zur Ver fügung steht, wird auf 15 — 20 000 Mann ge schätzt; sein einziger Gedanke soll jetzt sein, den Krieg bis zu den amerikanischen Präsi dentschafts-Wahlen fortzuführen, da er hofft, daß dann eine Intervention er folgen werde. M V Hk Der Aufstand i« China. * Das chinefische Dunkel lichtet sich insofern, als Tientsin durch die europäischen Truppen entsetzt iü. Die Truppen find dann in der Richtung auf Peking weitergezogen. Zwanzig Kilometer von der Stadt soll sich Seymour mit den bereits früher abgesandten europäischen Hilfstroppen befinden und die fremdenGe- sandten mit sich führen. Seine Abteilung wird aber von Boxern und chinesischen Soldaten hart bedrängt. Das ihm von Tientsin entgegenkommende Hilfskorps wird ihm hoffentlich Luft Mn Rückzug nach der Küste schaffen. *Der Aufstand breitet sich aus und hat auch die Grenzen der deutschen Einflußsphäre Schantung erreicht. Chinesische Truppen und Boxer find mit vorzüglichen Kruppkanonen versehen und außerdem find fest dem letzten Kriege in China monatlich 20 000 moderne Gewehre eingeführt worden. Die reguläre Armee ist von d eu ts ch en Offizieren gedrillt worden. Tientsin ist entsetzt, es wird dort aber wohl nur noch wenig zu retten gewesen sein; die Chinesen sollen im Fremdenviertel auf das barbarischste gehaust und alles niedergemacht haben. *Aus anderen Meldungen geht hervor, daß die Boxer, denen sich ja auch reguläre Truppen angeschlossen haben, noch lange nicht ans Nach geben denken. So berichtet das,R. B.' aus Schanghai, Prinz Tuan habe Dunglu, den Oberbefehlshaber der Truppen im Norden, seines Kommandos enthoben und selbst den Oberbefehl über die Truppen übernommen, nachdem er angekündigt, daß er gegen Tientsin marschieren und die Handvoll Fremder dort ver jagen werde. Der Korrespondent des ,Reuter- schen Büreaus' erfährt ferner aus amtlicher Quelle, die Kaiserin habe Befehle erlassen, alle Fremden in China auszu rotten. Deutschland. * DerKaiser trifft am 2. Juli nachmittags in Wilhelmshaven ein, um die beiden Seebataillone und die fich anschließenden Truppenteile vor ihrer Ausreise nach China zu besichtigen. Am Nachmittag des folgenden Tages tritt er, nachdem er die Taufe des neuen Linienschiffes „0" vollzogen hat, die Nordlandreise an. * Finanzminister v. Miquel, der am Sonntag auf eine zehnjährige Thätig - keit in seinem schwierigen und verantwortungs vollen Amt zurückblicken konnte, widmen be sonders die konservativen Blätter Worte der wärmsten Anerkennung. Auf der Sette der liberalen Presse, die dem Finanzminister wegen der Warenhaussteuer und der Hinneigung zu den Agrariern abhold ist, ist die Anerkennung nicht uneingeschränkt. Doch läßt auch sie der geistigen Bedeutung und dem praktischen Blick Herrn v. Miquels alle Gerechtigkeit widerfahren. * Zm Feststellung derAuSführungs« bestimmungen zum Fl eis ch b es ch all<' g e s e tz tritt am 29. d. im Reichs-Gesundheits amt eine Kommission von Sachverständigen zusammen, zu der die Negierungen der Eiuzel- staaten Delegierte entsenden. * Die Reform der Eisenbahn-Per son eutarife hat das preußische Staats ministerium bereits in einer früheren Sitzung Anfang April beschäftigt und ihm auch/.» einer der letzten Sitzungen zur Prüfung und Ent scheidung vorgelegen. Die Sache ist jedoch noch nicht zum Abschluß gekommen, denn die süd deutschen Regierungen haben Ein wände erhoben, welche noch nicht aus dem Wege geräumt worden find. Oesterreich-Ungar«. *Wie das ,Fremdenblatt' erfährt, soll die Trauung des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand am 1. Juli d. in Reichstadt mit Ausschluß des Hofzeremoniells stattfinden. Die Eidesablegung des Erzherzogs wird denVerzicht aufdieThronsolge seiner Kinder aus der morganatischen Ehe mit der Gräfin Chotek und die Stellung seiner Gemahlin betreffen. Seine Gemahlin wird nicht die Rechte und den Titel einer Kaiserin und seine eventuellen Söhne nicht den Titel „Erzherzog" führen. Die auf die Ab legung des Eides bezüglichen Dokumente werden am 29. d. amtlich veröffentlicht werden. * Eine große tschechische Volksver sammlung fand am Sonntag bei München« grätz am Muzskyberge statt. Es nahmen daran ungefähr 50000 Personen teil. Als Redner traten Mitglieder der altschechischen und der jung- tschechischen Partei, der Agrarradikalen und der nationalen Arbeiterpartei auf. Die Versammlung, die ohne Zwischenfall verlief, nahm einen Be schlußantrag gegendieSprachengesetz- entwürfe an, in welchem der schärfste Wider stand der Tschechen in Ausficht gestellt wird. Frankreich. * Mehrere radikale Blätter verlangen, daß der Chef des Generalstabs Delanne gemaßregelt werde, weil er die amtliche Note, in welcher er dem Generalstab die Ab lehnung seiner Demission müteilte, in nationa listischen Organen habe veröffentlichen lassen, sowie auch, well er fich geweigert habe, die vom Kriegsminifter gegen seinen Willen ernannten Generalstabsoffiziece zu empfangen. * Am Sonntag fand in Bar-le-Duc die Einweihung eines Denkmals für die im Kriege 1870/71 gefallenen Angehörigen des Departements de la Meuse statt. Hierbei hielt der neue Kriegsminister General Andrä eine Rede, in welcher er u. a. sagte, der Patrio tismus sei trotz gewisser leerer Redereien nicht das Erbteil einzelner, sondern eine Grundtugend aller Franzosen, und zur Stunde der Gefahr würde der Patriotismus wieder, wie einst, alle Franzosen einen. Die Rede wurde mit lebhastem Beifall und den Rufen: „Es lebe die Republik", „Es lebe die Armee," begrüßt. England. *Die Meldung von der russischen Mobilmachung in Sibirien erregt in England große Bestürzung. Man nimmt an, daß Rußland mü großer militärischer Kraft anstrengung die Boxerbewegung niederschlagen und dann die Rolle einer Schutzmacht der chinefischen Dynastie übernehmen wird. Allge mein wird geglaubt, GrafMurawiew sei vergiftet worden, well er der Altrussen partei nicht rasch und energisch genug vorging. Sein Tod sollte eine Warnung für den Zaren sein. Die Presse rät der Regierung zu umfassenden Rüstungen. * Wie aus London gemeldet wird, ist der Vizekönig von Aegypten vollständig wiederhergestellt. Ruhland. * Man spricht davon, daß der deutsche Kronprinz den großen Manövern bei Krasnoje-Selo beiwohnen wird, welche ans Anlaß des 200jährigen Bestehens des russischen Garde - Regiments, dem er angehört, stattstuden werden. Indessen ist Positives noch nicht zu erfahren. Balkanstaatea. *Der amerikanische Geschäftsträger überreichte am Montag der Pforte eine dritte Note betreffend die bekannten Ent schädigungsansprüche, in welcher eine „umgehende" Beantwortung der früheren Noten verlangt wird l * Nachdem die deutsche Regierung der Berufung eines höheren deutschen Offiziers als Reorganisator der griechischen Armee Schwierigkeiten entgegen gestellt hat, beabsichtigt die Regierung, fich an Frankreich zu wenden. * In Bulgarien ist eine Skandal - Affäre im Gange. Das -Amtsblatt' von Sofia veröffentlicht einen fürstlichen Erlaß, der die früheren Minister Stoilow, Burew und Oberst Iwanow auffordert, die Beträge aus dem Dispositionsfonds zurückzuerstatten, die sie fich bei ihrer Amtsenthebung angeeignet haben sollen. Afrika. *Jm englischen Aschantigebiet gestaltet fich die Lage immer bedrohlicher. Am Sonntag ging Ms Prahsu an der Goldküste das westafrikanische Regiment ab, um den letzten Vorstoß zur Eröffnung der Verbindung mit Kumassi zu machen. Australien. * In den englischen Kolonien Australiens hat mm bekanntlich den Verzicht Eng lands auf Samoa sehr mißfällig ausge nommen. Die .Times' melden, daß der Premier- Minister von Neu-Seeland, Seddon, einen Plan ausgearbeitet habe, wonach verschiedene benach barte Inselgruppen in die Grenzen der Kolonie einbezogen werden sollen, um sie „vor dem Schicksal Samoas, nämlich der Erwerbung durch eine auswärtige Macht", zu bewahren. Die Gttie«verg-S8k«1arfeier. Am Sonntag waren 500 Jahre seit der Geburt Gutenbergs vergangen und nicht nur die Jünger seiner Kunst haben vielerorts diesen Tag festlich begangen. Man braucht nur daran zu denken, daß es gewissermaßen der Vater unserer Kultur, daß es der Ahnherr aller anderen Erfindungen, daß es der Befreier der Mensch heit ist, den wir in dem Erfinder der Buch- druckerkunst feiern. Auch vor Gutenberg gab eS Gelehrte, einzelne emsige Forscher, die, in ihren Zellen, abgeschlossen von aller West, Ms persönlicher Freude an ihrem Stoff dem Studium lebten. Eine „Wissenschaft", der ganzen Welt zu eigen, eine, ar. der alle ihre Jünger gemein sam arbeiten, einer in voller Kenntnis der Be strebungen und Erfolge des andern, alle zum Besten der gesamten Menschheit, eine solche Wissenschaft konnte es nur geben, seitdem die Buchdruckerkunst es ermöglichte, daß die Ge danken eines einzelnen zum Gemeingut aller werden. Ein tragischer Held, das war in der That der Erfinder der Buchdruckerkunst. Urheber und Quell eines Meeres von Licht, das fich über alle Länder der Erde ausbreitet, mußte er selbst die Quellen seines Lebens dünn und kärglich fließen, oft versickern sehen. Den Erben seiner Erfindung, auch materiell genommen, ungemesfene Reichtümer vermachend, lebte er selbst zumeist in Not und Bedrängnis. Durch seine Erfin dung, das Entstehen, die Verbreitung und Ver wertung der meisten mderen Erfindungen erst ermöglichend, mußte er selbst fast jegliche ernst liche Anerkennung entbehren. Die von ihm ge schaffene Kunst, mit beweglichen Typen zu drucken, hat bei seinen Lebzetten und in seiner Umgebung im ganzen kein Verständnis gefunden, wo die Erfindung aber Verständnis und Einsicht in ihrer Bedeutung fand, da weckte sie meist leidenschaftliche Gegnerschaft. Sohn eines reichen Pattiziergeschlechts mußte Johann Gutenberg frühzeitig und arm die Vaterstadt Mainz verlassen, nachdem die Pattizier im Kampfe mit den Gewerken unterlagen und genöttgt waren, das Wette zu suchen. In Straßburg finden wir ihn wieder, wo er auf der Spur nach allerlei mechanischen und technischen Erfindungen die ersten Versuche macht, bewegliche Lettern herzustellen und zu ver wenden. In das heimatliche Mainz zurück- gekehrt, steht er fich auf der Höhe seiner Er folge. Er hat die ersten Bibeln zu stände ge bracht und in ihrer gleichmäßigen Pracht, in ihrer künstlerischeu Vollendung erfüllen fie ihn völlig mit berauschender Freude. Müssen wir doch noch heute die ersten Gutenbergschen Bibeln. deren wir noch etwa dreißig kennen und von denen jede einen Marktwert von etwa 80- bis 100 000 Mk. bedeutet, als Meisterwerke typo- graphischer Kunst anerkennen. Dem Rausche folgte aber nur zu bald die ernüchternde Wirk lichkeit. Gutenberg sieht sich von den eigenen Mitarbeitern verraten. In einem Prozeß, den er nach langen Aergernissen und vielen Kosten schließlich verliert, wieder dazu verurteilt, das von ihm geschaffene Material dem Mitarbeiter herauszugeben, den er angeworben und er muß von neuem wieder anfangen, indes andere mit dem Vorsprung, den fie ihm selbst zu verdanken haben, den Rang ihm streitig machen. Die Kriege, die immer wieder um Mainz hemm toben, stören die Entwickelung seiner Arbeit wie die Verwertung der Arbeitsfrüchte. Mit kaum sechzig Jahren müd' und mürbe, geht Guten berg in ein Kloster, Ms dem der Krieg ihn abermals vertreibt. Die letzten Lebenstage durfte er freilich in sorgloser Ruhe verbringen; aber als er, noch nicht 68 Jahre alt, vom Leben Abschied nahm, da konnte er wohl prophetisch in die Zukunft blickend, ahnen, daß er eine Welt des Lichts und der Erkenntnis geschaffen, daß er Wissenschaft und Dichtung zum Gemein gut gemacht, daß er die geistigen Güter allen Völkern der Erde und allen kommenden Gene rationen zum dauernden Geschenk gemacht; aber er mußte fich doch auch sagen, daß er selbst auf ein Leben voller Kämpfe und Entbehrungen, voller Enttäuschungen und Sorgen zurück fleht. Für die Menschheit fich opfernd, hat er das Licht der Wissenschaften gegründet, das uns allen leuchtet, hat die Dichtung zum Gemein gut gemacht, hat er erst eigentliche Kulturvölker geschaffen. Don Nah «nd Fern. Berlin. Der Photographenlehrling Hille, von dessen Ueberfall auf seinen Lehrherm Pflaum neulich berichtet wurde, hat nunmehr die Einzel heiten seiner That, sowie fie von der Unter- suchungsbehörde auf Grund der Vernebmungen des Hofphotographen Pflaum protokollarisch fest- gestellt find, anstandslos eingeräumt, vor allen Dingen auch zugegeben, daß er nach seinen Vor bereitungen zur That es auf eine Beraubung unter eventueller Ermordung des Herm Pflaum abgesehen hatte.. Lübeck. Der Kaiser wird in den nächst« Tagen, und zwar am 30. d., noch einmal hier eintteffen, um in den Räumen des Ratskellers hierselbst an einem Frühstück teilzunehmen, welches im Anschluß an die Segelfahrt Kiel-Travemünde von den Mitgliedern des Kaiserlichen Jachtklubs, des Norddeutschen Regattavereins und deS Lübecker Jachtklubs veranstaltet wird. Die Reise des Kaisers nach Lübeck erfolgt mittels Schiffes. Kassel. Die Vorbereitungen zur Aufnahme des kaiserlichen Hoflagers auf Wilhelmshöhe werden schon jetzt getroffen. Die Kaiserin, die jüngeren Prinzen und die Prinzessin Luise wer den zum 20. Juli erwartet. Kiel. Die hiesige Polizeidirektion erklärt die Gerüchte von einem auf den Kaiser ge planten Anschlag für eine thörichte und leicht- fertige Erfindung, deren Ursprung wohl darin zu suchen sei, daß auch diesmal, wie in früher« Jahren während der Kieler Woche, eine Anzahl Berliner Kriminalbeamten nach Kiel entsendet worden ist. Oldenburg. Von der schlichten Bescheiden heit, die den verstorbenen Großherzog Peter von Oldenburg auszeichnete, legt auch ein Tele gramm Zeugnis ab, welches er Ms der Zett der Belagerung von Metz, wo er fich bei sein« zum 10. Armeekorps gehörigen Truppe» Ms- hielt, an seine Gemahlin richtete. Der Groß herzog hatte M dem Ausfallgefecht des 7. Oktober teilgenommen und erhielt mü seinem Sohn (dem jetzigen Großherzog) am 9. Oktober das Eiserne Kreuz. Diese Verleihung zeigte er der Groß herzogin in nachstehendem Telegramm aus RugY, 9. Oktober, an: „Der König von Preußen hat mir und August das Eiserne Kreuz verliehen. Ich kann in dieser Auszeichnung nm eme An erkennung für die Oldenburger Truppenteile finden, da wir beiden keine Gelegenheit hatten, uns irgendwie auszuzeichnev. VieleGrüße. Peter. mit eS Der einzige Erbe und Träger des alten Namens, leichtsinnig erzogen unter oder vielmehr nicht unter den Augen eines vielleicht noch leichtsinni geren Vaters. Die Erziehung, welche er ge- uofsen, wm die denkbar schlechteste, — der junge Mann besaß alle Anlagen zum Guten, aber auch alle zum Schlechten, Lehrer und Erzieher hatten in ihm nm den Sohn des Herrn von Avonshire gesehen und seinen Launen voll die Zügel schießen lassen. Kein Wunder, — diese gemieteten und bezahlten Dressurmeister wurden ja niemals von dem Vater deS jungen Mannes zur Rechenschaft gezogen, ob und wie fie ihre Pflicht erfüllten. Die verschiedenen zur Avonshireschen Herr- schäft gehörenden Güter befanden sich in Händen von Pächtern oder Verwaltern, em Verwalter, der scheinbar treu an den gußstapfen seines plötzlich verstorbenen Herrn Khangen, befahl hier im Schlosse, als der junge Erbe die Herr schaft antrat. Dem neuen Squire konnte selbstverständlich die Einsamkeit in dem alten Schlosse wenig zusagen, das ungebundene, lockere Leben gewöhnt, stürmte er vorerst ins Leben, in die Well hinaus. Er begab fich auf Reisen — er kannte die wahren Verhältnisse nicht, in welchen sein Vater ihn zurückgelaffen, er glaubte fich in einem un ermeßlichen Reichtum schwelgend — und stand doch nahe vor dem Ruin. Der mit allen möglichen Vollmachten schon zu Lebzeiten des alten Herrn betraute Verwalter behielt seine Stellung, ja, der junge, unerfahrene Mans vertraute ihm so blind, daß er ihn schalten und walten ließ, wie er wollte; der Name Avonshire genügte dem jungen Squire, dieser Name gehörte seit Jahrhunderten zu den stolzesten Altenglands, und wenn er nur immer seine Kaffe gefüllt sah, so ließ ihn das Thun und Treiben seines Stellvertreters daheim ganz gleichgültig. Und für Füllung der Kaffe des jungen Squires sorgte der schurkische Verwaller trefflich, denn noch liehen vorsichtige Geldleute auf Avonshire Gelder hin, wenn ihnen dafür bündige Schuld verschreibungen auf die Herrschaft selber wurden. Ich muß dir, mein Kind, diese Umstände mitteilen, damit der junge, leichtsinnige Mann, der fich dir bald ganz enthüllen wird, in einem wenigstens etwas gemilderten Licht erscheint. Ein Jahr lang nach des Vaters Tode be reiste der junge Squire den europäischen Kon tinent und genoß das fich ihm Darbieterde, was die noble Well als Passion, die Armen so gern als Glück des bevorzugten Reichtums ansehen, mit vollen Zügen. — Vielleicht stumpft nichts mehr ab, als dies vermeintliche Glück, — es stumpft den Menschen um so mehr ab, und macht ihn zum Tier, als er einerseits gleich gültig gegen das Unglück, das Elend seiner Mitmenschen wird, und es ihn anderseits nach immer neuen, ihm noch unbekannten Genüssen lechzen und jagen läßt. Der Squire, übersättigt wie er war, wandte fich nach Aste«. — Wieder verging ein Jahr und er dachte mü keinem Gedanken an eine Rückkehr in die Heimat. Er schiffte sich nach Amerika ein und bereiste dort zunächst die Unionsstaaten, dann Südamerika und wurde ihm hier die Fahrt Lings der ganzen Küste als eine höchst interessante empfohlen. Ich erwähne dies so umständlich, weil ich damit auf mein eigentliches Ziel, den Haupt moment dessen, was ich dir erzähle, zusteuere, zugleich erstehst du daraus, daß nicht allein die Sucht zum Vergnügen den jungen Mann vom Vaterlande entfernt hielt; es lebte doch vielleicht ein Trieb zum Bessern in ihm, der ihn, aller dings von ihm unbegriffen, unstät und wirr die Welt durchstreifen ließ. In jener Zeit, wo dieser Erbe von Avonshire auf seinen Reisen begriffen war, kannte man keine Dampfboote, — die Küstensahrt Süd amerikas wurde damals vorzugsweise vou Deutschen und Holländem betrieben, welche mü ihren Briggs und Schonern von Hafen zu Hafen fuhren und je nach zwei oder drei Jahren dann wohl wieder eine Fracht nach Europa ein nahmen, um ihre Schiffe in die Flüsse der Heimat einlaufen zu lassen und die Ufer wieder zu schauen, an welchen fie als Kind fich tummelten. Diese Kapitäne waren gewöhnlich von ihren Frauen auf den Reisen begleitet, und mancher spätere, tüchtige Seemann erblickte das Licht der Welt in dem schwankenden Schiffshaus seines Vaters, das fich auf den Wogen des Meeres wiegte. Der junge Squire befand fich in Caracas, er suchte im Hafen von La Guayra wiederum Die Werstoßene. 13) Novelle von Wilibert Sahlman«. ein Schiff, um mit demselben bis nach Rio Grande oder lieber nach Buenos Ayres zu fahren, von wo aus er fich dann endlich nach England eiuzuschiffen gedachte. Im Hafen von La Guayra lag ein deutsches Schiff vor Anker, das in einigen Tagen nach Buenos Ayres abzusegelu im Begriff war. Der Squire lerrtte den Kapitän in einem Strand- Hotel kennen und beide wurden fich wegen des zu zahlenden Passagepreises leicht einig. — Der Kapitän, ein noch junger Mann, führte sei« eigenes Schiff, eine hübsche Brigg, „Henriette, er gehörte an den Ufern der Elbe, nahe Ham burg, in einem Fischerdorfe zu Hause. Vielleicht, to teilte er dem Squire mü, wenn fich's gerade so mache, und er eine gute Fracht nach Ham burg oder Altona fände, segle er selber von Buenos Ayres nach Europa und liefe in Eng. land an, wo der Squire ja dann wäre, wo er sein wollte, obgleich, wie er hinzusetzte, lyn eigentlich nichts nach seiner Heimat zöge, da er seine ganze Familie mü fich au Bord führe. Der junge Kapitän war ein schöner, großer MMN, einer jener geraden, offenen Naturen, denen, wie man zu sagen pflegt, das Her» am der Zunge, die Seele in den Augen lieg«. Diese Menschenart ist echt wie Gold und wie fie selber weder zu lügen noch zu heucheln v« steht, so hat ihre Seele auch keinen Raum pr den Glauben, daß andere Menschen zu luge« und trügen vermöchten. ' , . ^mr Der Squire von Avonshire begab sich da mit dem deutschen Kapitän an Bord, schm und sauber, wie am Bord der deutschen Schn im allgemeinen, sah es auch auf diesem 6 ? „Es gab einmal," begann der Squire leiser, bewegter Stimme, „eine Zett, wo um die Herrschaft Avonshire sehr schlecht stand.
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