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Allgemeiner Anzeiger : 09.06.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190006091
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- Saxonica
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1900
-
Monat
1900-06
- Tag 1900-06-09
-
Monat
1900-06
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 09.06.1900
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Volitische Rundschau» Vom Kriegsschauplatz. * Nm Dienstag mittag hat Roberts seinen Einzug in Pretoria gehalten; Widerstand war nicht mehr geleistet worden. Krüger mit etwa 10 MO Mann hat sich in die östlichen Gebirge zurückgezogen. Der Sitz der Transvaal-Regierung befindet sich jetzt in Lydenburg. Wie lange noch? * In englischen militärischen Kreisen ist man vollständig überzeugt, daß der Krieg jetzt vorüber ist. Dem widerspricht bemerkens werterweise der Manchester Guardian' und warnt vor einer allzu optimistischen Auffassung der Lage. Lord Roberts habe die langsame aber sichere Methode vollständiger Eroberung ausgegeben, um den Feind durch schnelle Vor stöße zu demoralisieren und sei damit auch recht weit gekommen, aber es seien doch Rückschläge denkbar. Thatsächlich hat Roberts ja auch den Feind in seiner Flanke und in seinem Rücken belassen und selbst die .Westminster Gazette' sprach davon, daß es besser gewesen wäre, die Bewegungen langsamer aber aus breiterer Basis zu machen. Es ist sehr bezeichnend, daß während der langen und schnellen Ver folgung von Bloemfontein nach Johannesburg kaum ein Geschütz oder ein Boer gefangen wurde, und, sagt Manchester Guardian', die Ge fangennahme einer nennenswerten Anzahl von Boerenkommandos ist von viel größerem Wert als selbst die Okkupation von Johannesburg oder Pretoria. Thatsächlich werden die Boeren, je leichter Pretoria aufgegeben ist, um so eher den Krieg an anderen Stellen fortführen, denn je größer der Widerstand bei den großen Städten ist, um so geringer muß die Neigung werden, einen Guerillakrieg anzufangen. * Der erste Sekretär der Transvaal-Gesandt schaft in Brüssel erklärte, daß die Gesandtschaft durchaus nicht der Meinung ist, der Krieg würde mit der Einnahme Pretorias beendet sein. Daß die Regierung Pretoria aufgibt, sei vielmehr gerade ein Beweis für ihre Absicht, den Krieg fortzusetzen. Präsident Krüger habe noch gut 10 OM Mann bei der Hand, denen auf dem Lande oder in den Bergen des Nordens von den Engländern nicht beizukommen sein werde. Mit der Einnahme der Hauptstadt, selbst wenn sie erfolgt sein wird, habe also das TransvaalalsRepublik durchaus noch nicht zu bestehen aufgehört, selbst dann noch nicht, wenn der Präsident das Unglück haben sollte, für seine Person in die Hände der Feindt zu fallen. * M * Deutschland. * Der Kaiser nahm am Dienstag vor mittag den Vortrag des Chefs des Admiralttäts- stabes der Marine, Vize-Admirals v. Diederichs, entgegen, und empfing um 12 Uhr den Gou verneur von Kamerun, v. Putkamer, zur Rück gabe der Orden seines verstorbenen Vaters. Anschließend daran empfing der Monarch den Vertreter des deutschen Brennerei-Gewerbes, Gans Edlen Herrn zu Puttlitz. *Der Kaiser wohnte am Pfingstmontag dem „Schrippenfest" des Lehr-Bataillons in Potsdam bei. *Die Nachricht von Vorstellungen gegen das Fleischschauges etz seitens der VereinigtenSta at enundEn gland s wird von offiziöser Seite bestätigt. *Die im März vorigen Jahres von der geforderten Friedenspräsenz von 502 506 Mann durch den Reichstag ge strichenen 7006 Mann, die der Reichstag bei nachgewiesenem Bedarf später zu bewilligen versprach, werden, mit dem Jahre 1903 be ginnend, gefordert werden, da die im Gesetz vom 25. März 1899 bewilligten Mann schaften durch die in den Jahren 1901 und 1902 aufzustellenden Formationen aufgebraucht sein werden. *Das anmutige Spiel mit „zuverlässigen* Mitteilungen über das Schicksal der Kanal vorlage wird in verschiedenen Blättern mit Ausdauer fortgesetzt, wobei die eine Angabe immer die andere aufhebt. So wird der,TLgl. ! Rundsch.' grs5 >b:n: „Es sei nicht daran zu ! denken und ernsthaft seit Wochen und Monaten nicht mehr daran gedacht worden, daß noch in dieser Session die Kanalvorlage an den Landtag zu bringen wäre. Die Vorlage sei auch noch gar nicht fertig; geschweige, daß sie schon im Kabinett des Kaisers läge. Wohl aber er warte man, daß im Staatsministsrium noch vor den großen Sommerferien die entscheidenden Be- schlüsse über die Kanalvorlage gefaßt werden, so i daß dieselbe frühzeitig im Herbst an den Landtag kommen könne. Ob sie dann kommen werde, hänge auch von persönlichen Entscheidungen der nächsten Monate ab. Dagegen versichert die ,Rhein.-Westf. Ztg.', die Kanalvorlage sei bis auf Einzelheiten, die als nebensächlich bezeichnet werden, fertiggestellt, man warte aber nur den günstigen Augenblick ab, sie beim Land tage einzubringen. *Für die Zolltarifnovelle gelangte ein anderer Text der Kommisfionsbeschlüffe im Reichstag zu Verteilung. Der neue Text ent hält die ausdrückliche Bestimmung, daß die er höhten Tarifsätze am 1. Juli in Kraft treten sollen. Oesterreich-Ungarn. * Zur inneren Lage in Oesterreich wird gemeldet: Ministerpräsident Dr. von Koerber, welcher in Budapest eine längere Unterredung mü dem Abg. Dr. Pacak hatte, ist wieder in Wien eingetroffen. Zwischen der Regierung und den Tschechen wird eifrig über dasAufgeben der Obstruktion verhandelt, wobei die ganz bestimmten Forderungen des Jungtschechen klubs zur Grundlage dienen. Die Tschechen werden hierbei von der katholischen Volkspartei unterstützt. Gegen die Reichstagsauflösung nehmen vor allem auch die Polen Stellung, indem sie dieselbe als eine planlose Vorschub leistung zu einer neuen, noch heftigeren Lahm legung der parlamentarischen Arbeit bezeichnen. Das alles deutet darauf hin, daß wieder die Deutschen die Zeche zahlen sollen. Frankreich. * Die Leitung der Pariser Weltaus stellung beabsichtigt, wenn möglich, die Preisverteilung am 14. Juni, dem Tagt des Nationalfestes, vorzunehmen. Italien. *Die Wahlen zur Deputierten kammer am Pfingstsonntag find in ganz Italien ruhig verlaufen. In Rom find die Ministeriellen Bacelli, Torlonia und Santini, sowie die Republikaner Barzilai und Mazza wiedergewählt. In Palermo erfolgte die Wieder wahl Crispis. Die amtliche Statistik gibt fol gendes Wahlresultat: Gewählt find 360 Kon stitutionelle, davon 271 Ministerielle und neun undachtzig Oppositionelle, ferner 68 Mitglieder der äußersten Linken und 8 Unabhängige. In 39 Wahlkreisen find Stichwahlen erforderlich. 33 Wahlresultate find noch ungewiß. Belgien. * Das Blatt ,Soir' kündigt an, daß eS in den nächsten Tagen eine Reihe Artikel über den Spionagedienst, welchen Deutsch land und Frankreich in Brüssel noch immer unterhalten, veröffentlichen werde. Das Blatt hofft, daß durch diese Veröffentlichungen die belgische Regierung Schritte unternehmen werde, um die beiden Regierungen zu ver anlassen, ihre SpionagebüreauS in Brüssel auf zuheben. Rvstland. *Die Maßregeln zur Russifizieruug Finnlands nehmen ihren planmäßigen Fort gang. Wie aus Helfingfors gemeldet wird, hat der russische Minister des Innern bestimmt, daß finnische Postmarken vom 14. August ab auf Briefen nach dem Auslande durch russische ersetzt werden müssen. Für den Jnlandverkehr dürfen finnische Marken noch bis zum 14. Januar 1901 verwendet wer den. Dann werden die finnischen Marken durch solche ersetzt werden, die den russischen ähnlich find, und auf denen nur der Wert in finnischen Münzsotten angegeben wird. Asien. * Amtsberichte des belgischen Gesandten in Peking stellen die Lage in China als äußerst gefährlich dar, die Rebellen berufen fitWoffen auf die Sympathien der Kaiserin - Regentin und der beiden Prinzen Kangyi und Chingtuan. Die Boxer überfielen den Schnellzug bei der Station Paotingfu, plünderten die Reisenden und ver wundeten mehrere derselben. Sechs belgische Bahnbeamte wurden schwer verletzt. Die Ge sandtschaft meldete in Peking einen Schaden ersatz von mehreren Millionen an. Zwischen einer russischen Abteilung und den Boxern hat ein scharfes Gefecht stattgefundev. *Jn Londoner Blättern finden sich Angaben über die Anzahl der fremden Kriegs schiffe vor Taku; danach befinden sich dort 9 russische, 3 französische, 3 englische, 3 deutsche, 2 amerikanische und 2 japanische Schiffe. Nach weiteren Angaben der Blätter hätten die russischen Schiffe außer ihren Be satzungen noch 11 OM Mann Truppen aus Port Arthur an Bord; weitere 14 MO Mann ständen in Port Arthur zur Einschiffung bereit. * Auf den Philippinen lassen die Zu- stände für die Unionsregierung noch immer viel zu wünschen übrig. General Mac Arthur hat neue Truppensendungen für die Philippinen verlangt, und infolgedessen sollen drei Regimenter von Amerika dahin abgehen. Arbeitskammern und Urichs- arbettsamt. Der Bericht der Reichstagskommifston, der die Anträge betreffend gemeinsame Organisation von Arbeitgebern und Arbeitern, sowie der An trag auf Errichtung eines Reichsarbeitsamles zur Beratung überwiesen waren, teilt mit, daß die Kommission in einer einzigen Sitzung ihre Aufgaben erledigen konnte. Die Beschlüsse find unsern Lesem bekannt, aber es ist von Intet esse, auch ihre Begründung zu kennen. In der Kom mission wurde ausgeführt: Die Thatsache, daß die Berufsvereinigungen der Arbeitgeber in neuerer Zett fo außerordent lich erstarkt und die Arbeitgeber, namentlich in den größeren Industrien, vielfach mit großem Erfolg bemüht seien, die in der Ausübung des Koalitionsrechts liegende Macht auch ihrerseits zu benutzen, stelle der Macht der organisierten Arbeiter in zunehmendem Maße die in der Regel größere Macht der organisierten Arbeit geber gegenüber. Je mehr jene Entwickelung an Umfang gewinne, um so mehr habe sie die Folge, daß sich die getrennte Organisation der Arbeiter einerseits und der Arbeitgeber ander- setts ausbreite. Hierin liege die Gefahr, daß künftighin bei großen Ausständen an verschie denen Orten größere Arbeitermassen gleichzeitig auf dem Kampfplatz erscheinen, die Gegensätze sich verschärfen und über die zunächst Betei ligten hinaus wette Kreise in Mitleidenschaft gezogen würden. Die Interessen der weit größeren Mehrzahl der an dem Ausstande Nicht- beteiligten würden durch die zunehmende Aus dehnung der Kampfgebiete in bedenklicher und unerträglicher Weise verletzt werden. Staat und Gesellschaft könnten und wüßten verlangen, daß kein Mittel unversucht bleibe, um solche Ge fahren nach Möglichkeit abzuschwächen, denn die Arbeitsstreifigketten könnten unter solchen Um ständen kaum mehr als private Streifigkeiten zwischen Arbeitgeber nnd Arbeiter angesehen werden, in die die Staatsgewalt sich unter keinen Umständen einzumischen habe. Mit Recht könne man hieraus eine Befugnis und eine Verpflich tung für die Einmischung des Staates durch gesetzliche Erweiterung der Aufgaben und Pflichten der Einigungsämter ableiten. Aber auch die Erfahrungen, welche man inzwischen in Holland und Belgien mit den Arbeitskammern gemacht habe, könnten die Freunde solcher Ein richtungen nur ermutigen . . . Auch in England habe sich das Verständnis für Vermittelung und Schiedsspruch nach vorausgegangener gemein schaftlicher Verhandlung durch Einführung des vonoiliLtion ^.at von 1896 in wetten Kreisen Bahn gebrochen. Wenn es der Gesetzgebung gelänge, gemeinschaftliche Organisationen und Stellen im Sinne der kaiserlichen Erlasse zu schaffen, wo solche vermittelnde Hilfe rasch gefunden und in vertrauensvoller Weise in Anspruch genommen werden könnte, so würde dadurch eine wesentliche Erleichterung in der Behandlung der aus dem Arbeitsvertrag ent stehenden Differenzen herbeigeführt werden. Von den unter den Bestimmungen des englischen Oonoiliatou in den Jahren 1897/99 be handelten Streitfällen seien nicht weniger als 45 Prozent vor Ausbruch von Streiks durch vorausgegangene gemeinschaftliche Verhandlung beigelegt worden. Ein nicht minder großer Nutzen der vorgeschlagenen gemeinsamen Organi sation sei darin zu finden, daß dieselbe in der Richtung einer Abschwächung und Minderung bestehender Gegensätze und in der Herbeiführung der wünschenswerten Fühlung zwischen Arbeit geber und Arbeitern günstig zu wirken geeignet sein würde. Im Bericht wird auch betont, die Erfahrung der jüngsten Zeit lehre, daß sowohl Arbeitgeber wie Arbeiter immer mehr zu der Ueberzeugung gelangten, daß Gegensätze den besten Ausweg beim Gewerbegericht oder Einigungsamt finden, in welchem Arbeitgeber und Arbeiter Sitz und Sümme haben. Die Errichtung eines Reichs- Arbeitsamtes wurde folgendermaßen begründet: Mit der Entwickelung der deutschen Gewerbe- thäfigkeit, mit der bedeutenden Zunahme der Zahl der Arbeiter... hätte sich mehr und mehr das Bedürfnis geltend gemacht, zuverlässige Unterlagen zu gewinnen für die Beurteilung der Lage der Arbeiter und für die zur Regelung deS Arbettsverhältnisses zu treffenden Maß nahmen. Bis vor kurzem hätte eS in Deutsch land an jeder besonderen Einrichtung für die Pflege der Arbettsstatiftik . . . gefehlt. Im Jahre 1892 sei auf Anttag des Abgeord neten Siegle der erste Schritt gethan worden, um diesem fühlbar gewordenen Mangel abzu helfen, indem eine Kommission für Arbeiterstatistik errichtet wurde. Es könne zwar keinem Zweifel unterliegen, daß diese Kommission seit ihrem Be stehen Vortreffliches geleistet habe, aber sie er mangelte jeder Selbständigkeit und Stetigkeit, weil sie nur zusammentrete, so ost sie vom Reichskanzler berufen würde, und nur die von diesem ihr überwiesenen Gegenstände in den Kreis ihrer Ermittelung zu ziehen berechtigt sei. Die Kommission könne daher dem Bedürfnis nur in sehr beschränktem Maße genügen. Es bedürfe dringend einer Einrichtung, wie sie in anderen Ländern längst bestehe. . . . Deutschland dürfe auch auf diesem Gebiete dem Auslande nicht nachstehen. Der Anttag bezwecke in erster Reihe, nach dieser Richtung eine Besserung herbeizuführen, indem an Stelle oser neben der Kommission für ArbeiterstatiM ein ständiges Amt gebildet werden solle, dem die Untersuchung und Feststellung der Arbetterverhältnisse obliege. Die Kompetenz der Einzelstaaten solle durch die geplante Einrichtung in keiner Weise berührt werden. Don Uah «nd Fer». Berlin. Der Magistrat hat den Antrag der VerkehrSdeputation, neue Straßenbahnlinien auf Rechnung der Stadt zu bauen und zu be treiben, genehmigt. Potsdam. Schon seit Wochen hat der Kron prinz seine Stimme auf den Korridoren deS Potsdamer Stadtschlosses im Kommandieren ge übt. Ein ausreichend lautes und zugleich ein schneidendes und klappendes Kommando ist für den Frontoffizier ja eine unerläßliche Vorbe dingung seiner dienstlichen Thäfigkeit. Weiter wird erzählt, daß der Kronprinz seinem Begleiter gegenüber gerügt hat, daß die Bilder in den Sälen des Potsdamer Stadtschlosses unsym metrisch und schief hingen. „Dasselbe ist mir schon in Plön mangenehm ausgefallen," soll er dabei geäußert haben, „wenn es im Kabinetts hause ebenso ist, seien Sie versichert, daß ich selbst den Hammer nehmen werde, um die Bil der richtig an der Wand zu befestigen*. — Die Offiziersprüfung des Kronprinzen fand, wie bereits erwähnt, am 18. Mai im Stadtschloß z« Potsdam statt. Der Präses der Obermilitär- Prüfungskommission, General der Infanterie v. Scheel, war hierzu am Morgen von Berlin aus eingetroffen. Kronprinz Wilhelm bewies m der nachfolgenden vierstündigen Prüfung so her vorragende Kenntnisse, daß ihm das Prädikat „vorzüglich* erteilt werden konnte. Are Werstoßene. 7s Novelle von Wilibert Sahlmann. Mort Der Squire von Avonshire ging mit auf den Rücken gelegten Händen langsam auf und ab. — Links am Kamin saß oder lehnte vielmehr seine Tochter, die bleiche Miß Edith; ihre schlanke Gestalt war in ein veilchenblaues Nachtkleid ge hüllt, dessen weiter, zurückfallender Aermel den weißen, runden, schönen Arm sehen ließ, der ihren Kopf stützte, von dem das lange, seiner Fesseln entledigte goldene Haar in Wellen auf den Rücken hinabfiel. Als das Fischermädchen eintrat, hielt der Squire mit seinem Gehen ein. „Henny Gilbert," sagte James, das junge Mädchen näher führend. Der Squire kannte ja bereits die Fische sto hier. Sein Auge blickte sie einen Augenblick wie neugierig an, seine schmalen Lippen kniffen sich fester zusammen, er wollte nicht das erste Wort sprechen, er erwartete, was denn das Mädchen ihm zu sagen habe, weshalb es durch Na't und Nebel von dem fernen Fischerdorfe nach Avonshire käme. Henny stand bleich, aber ruhig vor dem vor nehmen Herrn. „Herr," sagte sie dann, „mein Vater John Gilbert schickt mich; er läßt Sie ersuchen, so gleich zu ihm zu kommen, mein armer Vater rst schwer erkrankt." Das Gesicht des Squires färbte sich mit einer rasch wieder verfliegenden Röte — mechanisch wiederhoüe er nur das von Henny Gesprochene: „Schwer erkrankt — ? —" „Ja," erwiderte das Mädchen und zwei große Thränenperlen brachen Ms den dunklen Wimpern ihrer schönen Augen und rollten über die Wangen, — „ja, Herr, mein armer Vater ist zum Sterben krank." „Und Sie bringen mir diese Botschaft, Sie find allein nach Avonshire gekommen?" — fragte jetzt der Squire. „Ja, Sir," war die Antwort. Der stolze aristokratische Edelmann trat dem armen Kinde näher. „Sie find ein braves Mädchen!" Dies Wort tönte aus des Squires Mund an ihr Ohr, und in dem Ton, mit welchem es ge sprochen wurde, lag etwas wie Herzlichkeit, dann fühlte sie ihre Hand ergriffen und der vornehme Herr von Avonshire zog sie selber auf einen Stuhl nieder. „Bleiben Sie, mein Kind," sagte er, „bis ich wieder komme, ich werde Sie nicht lange Watten lassen. — Liebe Edith", — wandte er sich an seine Tochter, — „sorge für eine Erfrischung un seres Gastes." — Henny wollte sprechen, sie vermochte es nicht, wieder kam das Gefühl von Schwäche über sie, das schon vorhin einen Augenblick ihre Sinne betäubte, wieder wirbelte es wie unzählige Flocken vor ihren Äugen, es klang an ihre Ohren wie leises, seltsam liebliches Läuten ferner Glocken, und sie sank, wirklich ohnmächtig, dies mal in den Sessel zurück. „Das Mädchen ist von einer Ohnmacht be fallen," — sagte der Squire, „betten wir sie hier auf den Fauteuil, James. Laßt sie ruhig schlummern, sie wird bald zu sich kommen, aber nach — nach ihrem Dorfe kann sie mitten in derNachtnicht wiederzurück, ichwerde allein fahren; wenn sie erwacht, tröstet sie, daß ich bei ihrem Vater wäre und bald zurück sein würde." Henny lag im Hause Avonshire weich ge bettet, — während der alte John Gilbert in seiner armseligen Hütte auf hartem Lager viel leicht mit dem Tode rang. — Die Fischerstochter vernahm nicht, daß der Squire noch einmal, in einen Manta! gehüllt, ins Zimmer trat, vernahm nicht, daß ein Wagen mit ihm davon rollte, daß also der Herr von Avonshire dem Rufe des elenden Hüttenmannes im armen Fischerdorfe, — zu ihm zu kommen, — gehorchte. Henny schlief, — sie träumte vielleicht, — träumte vielleicht einen schönen, seligen Traum. James und Edith hatten Bedienstete beordert, an dem Traumlager des jungen Mädchens zu bleiben und jede ihrer Bewegungen zu beob achten; sie selber blieben ebenfalls im Salon. Miß Edith flüsterte Clifford zu: „Aber James, was bedeutet das alles, was hat da" Fischermädchen, was hat der alte Bär beißer in jenem Dorf mit meinem Vater zu schaffen?" James wußte keine Antwort zu geben. So vergingen mehrere Stunden. — Noch immer schlief das Mädchen, — gähnend lehnte Edith vor dem Kamin, ihre aristokratische Herz losigkeit hatte über den ihr schon mehr komisch erscheinenden Zwischenfall ganz die Oberhand gewonnen. „Clifford! es ist entsetzlich, solcher Narr heiten wegen, welche mein Papa zuweilen zu treiben pflegt, die halbe Nacht durchwachen zu müssen, — ich bin entsetzlich müde," sagte sie. „Ohne xsns, gnädige Miß," erwiderte Clifford, „berauben Sie sich nicht des Schlatt?, unsere Patientin schläft ruhig, — ich werde bei Ihrem Papa schon Ihre Entschuldigung über nehmen." Schläfrig faltete Edith die weißen Hände und reckte die Arme. „Ach, Clifford, der Papa hat ost schreckliche Einfälle," gähnte die stolze Miß. „Wenn ich nicht irre, so höre ich Wagen rollen," meinte der junge Mann horchend, „ja, wahrlich, Ihr Herr Papa kehrt schon zurück." Das Wagengerassel wurde jetzt deutlich hör bar, der Wagen fuhr durch den steingepflasterten Thorweg laut rasselnd aus den Hof. Während Edith und James nach der Thür eilten, erwachte Henny Ms ihrem Schlummer. Das Mädchen seufzt: schwer auf, ihre Augen blickten scheu, wirr auf die Umgebung, in welcher sie sich befand, dann erhob sie sich rasch von dem Lager und, als kehrten ihr urplötzlich all ihre Sinne wieder, von dem Augenblick her, als sie in Ohnmacht sank, ries sie: „Der Squire wird doch eilen? Mein armer, kranker Vater wartet voll Sehnsucht auf sein Kommen." Man konnte dem Mädchen keine Antwott geben, denn die Thür wurde aufgemacht und der Squire trat ein. Er übergab den vom Regen triefenden Mantel und Hut einem Diener, bann trat er dem Fauteuil näher, auf welchem Henny halb lag, halb saß.
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