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Allgemeiner Anzeiger : 06.06.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190006069
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- Saxonica
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1900
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Monat
1900-06
- Tag 1900-06-06
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Monat
1900-06
-
Jahr
1900
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- Allgemeiner Anzeiger : 06.06.1900
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politische Rundschau. Vom Kriegsschauplatz. ^"Roberts hat seinen Einzug in Johannesburg, der bedeutenden Fremden- stadt Transvaals, gehalten. Johannesburg und die Minen find also nicht zerstört; der englische Raubzug schließt mit einem vollkommenen Erfolge ab. Die Boer enmacht ist ge brochen. Gerüchte melden bereits den Fall Pretorias und die Gefangennahme KrügerS. * Nach der freilich allezeit etwas starke Farbe austragenden ,Daily Mail', deren Eigen berichte aus Pretoria indessen nickt ganz so unzuverlässig find, wie die anderen, ist Panik und Konfusion das Merkmal des Tages in Transvaal. „Jedermann", heißt es in dem Berichte, „ist des Krieges müde und fleht mit Furcht und Schrecken dem Herannahen des eng lischen Heeres entgegen. Die einzi-en sicht baren Anstrengungen, die gemacht wurden, um Pretoria in Verteidigungszustand zu setzen, find, daß telephonische Verbindung zwischen zwölf der AußensmtS mit dem Hauptquartier der Staats artillerie und des Stabes hergestellt wurde. Wurde also für die Verteidigung wenig geHan, so ist indessen, allerdings nach der ,Daily Mail', alles geschehen, um Präsident Krüge- eine schnelle Flucht, deren Ziel Holland sein soll, zu ermöglichen. Das Blatt erzählt, daß ein Sonderzug in geringer Entfernung von Pretoria Tag und Nacht unter Dampf steht, bereit, sofort den Präsidenten und die anderen Mitglieder der Regierung davonzufsthren. Am letzten Sonntag schickte die Transvaal-Regierung 36 Kisten Gold im Gesamtwerte von 4'/. Mil lionen Mart nach Holland — erfreulicherweise fehlt diesmal die Bemerkung, ohne die es zu Anfang des Krieges gewiß nicht abgegangen wäre, daß dieses Gold Krkgersches Privat eigentum sei. "Auf der Delagoabai ist, wie aus Lamenzo Marques das ,Reutersche Büreau' meldet, der Waren-Durchgangs- verkehr am Mittwoch eingestellt worden augenscheinlich wegen der militärischen Vor gänge in Transvaal. Die portugiesischen Truppen haben Befehl erhallen, sich an die Grenze zu begeben, die portugiesische Flotte ist angewiesen, sich an allen Küftenstationen zu konzentrieren. Deutschland. * Aus Wien läßt sich die ,Boff. Ztg.' melden, Kaiser Wilhelm werde am 18. August auf einen Tag nach Wien kommen, um Kaiser Franz Joseph zu dessen siebzigstem Ge burtstage persönlich seine Glückwünsche darzubringen. Kaiser Franz Joseph werde des halb seinen Aufenthalt in Ischl unterbrechen. — Diese Nachricht scheint durchaus unzutreffend, geradeso wie die vor kurzem verbreitete von einem für den September beabsichtigten Besuche des Kaisers in Wien. Wie schon früher be richtet, Halle Kaiser Wilhelm die Absicht, seinem kaiserlichen Freunde persönlich zur Erreichung des bedeutungsvollen Lebensabschnittes zu gra tulieren, aber Kaiser Franz Joseph gab den Entschluß kund, auch den diesjährige« Geburts tag im engsten Familienkreise zu verleben. * Wie der .Lokalanz.' aus authentischer medi zinischer Quelle m München berichtet, leidet König Otto an Blasenkrebs. Der König habe in der letzten Zell auffallend häufig lichte Augenblicke. * Dem Reichstag ist der Bericht der Reichs- schuldenkommission über die Verwal tung des Schuldenwesens des Reichs, sowie über die Verwaltung des Reichs-Jnvalidenfonds und des Reichstagsgebäudefonds, über den Reichs kriegsschatz rc. zugegangell. * Bei der großen Menge gesetzgeberischer Arbeit, die der Reichstag in dieser Session zu erledigen Halle, muß man mit der Wahrschein, lichkeit rechnen, daß nicht alle ihm zur Beratung vorgelegten Entwürfe parlamentarische Erledigung werden finden können. Der kurze Sessions- abschnitt, der uns von dem Reichstagsschluß «och trennt, wird i« wesentlichen von der zweiten und dritten Lesung des Flotteugesetzes in Anspruch genommen werden, und bei der Parlamentsmüdigk 't, die im Svmmer sich erfahrungsmäßig einz„stellen pflegt, liegt die Gefahr nahe, daß die noch aus stehenden Vorlagen einfach unter den Tisch fallen. Bei dem Reichsseuchengesetz wäre das besonders zu bedauern; denn nicht nur liegt sein Entwurf dem Reichstag bereits zum dritten Riale vor, er ist vielmehr diesmal in der Kom mission mit dankenswertem Eifer zu Ende durch beraten und schließlich einstimmig angenommen worden. Im Plenum würde die Erledigung der Vorlage also nicht lange Zeit in Anspruch nehmen, und der Reichstag lüde eine große Ver antwortung auf fich, wenn er das Gesetz nicht völlig durchberiete, zumal das in jüngster Zell mehrfach beobachtete Auftreten der Pest es doppelt wünschenswert erscheinen läßt, daß die Sanitätsbehörden für alle Fälle gerüstet sind und über einheitliche gesetzliche Schutzvorschriften für das ganze Reichsgebiet verfügen. * lieber die Einberufung des Kala ni a l r a t s ist dem Vernehmen nach ein be stimmter Beschluß an leitender Stelle noch nicht gefaßt. Die Entscheidung darüber, ob er noch im Früjahr einbemfen werden wird oder nicht, dürste in kürzester Frist erfolgen, da sonst die Vorbereitung des Materials nicht möglich ist. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß die Ein berufung für den Juni erfolgt. Was die Be° ratungsgeqen stände anlangt, so scheint es, daß auch gewisse Forderungen, welche in den nächsten Etat eingestellt werden sollen, zur Erörterung ge bracht werden. "Die Torpedobootsdivision hat am Donnerstag mittag Köln verlassen. Während der Psi-rasttage sollten die Boote in Düssel dorf bleiben. "Eine Korrektion des oberen Rheins wird schon seit vielen Jahren ver geblich angestrebt. Bei der jüngsten Anwesen heit des Kaisers in Straßburg hatte der Bürger meister Back Gelegenheit, die Aufmerksamkeit des Kaisers auf diese Angelegenheit zu lenken, und zwar geschah das in folgender Weise: Bei dem Empfang sagte der Kaiser zum Bürger meister Back: „Nun find die Torpedos doch nicht zu Ihnen gekommen!" Der Bürgermeister erwiderte darauf: „Majestät ersehen d««s, wie notwendig eine Rheinkorrektur ist." Oefterreich«U»,<mi. "Der neue Wiener Gemeinderat setzt fich aus 12S Antisemiten, 20 Liberalen, und 3 Sozialisten zusammen. Frankreich. "Der neue KriegsmiuisterSndrö wird sofort die Säuberung des Kriegsministe riums von nationalistisch gesinnten Offizieren beginnen, das berüchtigte „zweite Büreau" wird gänzlich aufgehoben. Die ihm angehörigen Offiziere »erden in einzelne Regimenter verteilt. Es schein zweifellos, daß Gallisets Rücktritt auch durch den Widerstand veranlaßt wurde, den der Generalstab ihm entgegensetzte. "Die Deputiertenkammer beschloß auf Ver langen Waldeck-Rousseaus mit 313 gegen 171 Stimmen die Interpellation über den Rücktritt Gallisets auf einen Monat zu vertagen. * Die,Patrie', der ,Temps' und andere fran zösische Blätter melden, dieoeutsche Regie rung habe die Auslieferung des ehe maligenpreußisch en Leutnants Wessel wegen von ihm verübter Unterschlagungen verlangt, und der deutsche Konsul in Nizza, Frhr. v. Redwitz, habe sich alle nm erdenkliche Mühe gegeben, die Auslieferung durchzusetzen. Die französische Regierung habe den Wessel auch festgenommen und im Gefängnis Sami- Roche untergebracht, wo er übrigens sehr gut behandelt worden sei. Wessel habe aber den Nachweis geliefert, daß er von der deutschen Regierung lediglich deshalb verfolgt werde, weil er als deutscher Offizier den Franzosen als Spion gedient und ihnen wichtige Aktenstücke ausgeliefert habe. Die französische Regierung habe dies auch anerkannt und die Auslieferung verweigert. Belgten. * lÄber die Verteilung der Stimmen- zahl auf die einzelnen Parteien wird folgendes gemeldet: Die Katholiken erhielten 992 300, Liberale und Fortschrittler 476 644, Sozialisten 464 813, christliche Demokraten 48 045, Unabhängige 9818, klerikale Dissidenten 10 376 und sozialistische Dissidenten 3572 Stimmen. Die Sozialisten haben seit 1894 140000 Stimmen gewonnen. Rutzl««». "Der Schah von Persien, welcher jüngst seine Auslandsreise angetreten hat, wird von den Russen mit großen Ehren empfangen. Nach einer Meldung aus Tiflis fand dort anläßlich der Ankunst des Schahs von Persien im Palais des Landes-Chefs ein Par ade - diner statt. Demselben wohnten die Ver waltungsbehörden und das Gefolge des Schahs bei, während der Schah selbst in den inneren Gemächern speiste. Abends fand im Regierungs- Theater eine Gala-Vorstelluug statt. «Ken. "Nach der letzten Meldung aus Pekisg ist jetzt die Lage daselbst etwas besser, da die chinesischen Truppen alle Punkte, wo Un ruhen vorgekommen find, besetzt haben. Es ist nur die Frage, wieviel Verlaß auf diese Truppen ist, die sehr geneigt zu sein scheinen, mit den Boxern gemeinsame Sache zu machen. Wenn die Aufständischen neuerdings in ihrem Vorgehen innehalten, so beruht das vermutlich weniger auf Furcht vor den Maßnahmen der Regierung, als auf geheimem Einverständnis mit ihr. Rian wird jedenfalls abwarten müssen, ob die „Besse rung" der Lage anhalt. Die Wirkung der Kyddttgeschofle bat der bei der Armee des Lord Roberts be findliche schwedische Hauptmann Wester zum Gegenstand besonderer Studien gemacht, indem er jedesmal eine feindliche Stellung, wenn sie mit Lyddit beschossen war, besichtigte und die Wirkung der einzelnen Geschosse aufzeichnete und photographierte. Aus den interessanten Mit teilungen, die er einem Offizier in Stockholm sandte und die vom.Aftonblad' veröffentlicht werden, ist ersichtlich, daß Lyddit gegen Gebäude, beim Niederschlagen auf dem Erdboden und gegen lebende Ziele ganz verschieden wirkt. Seine größte, geradezu vernichtende Wirkung übt das Lyddit gegen Gebäude aus. Die Ursache hierfür scheint darin zu beruhen, daß das Geschoß, das springt, nachdem es die Außenwand durchschlagen, in einem geschlossenen Raum krepiert, wodurch die Wirkung sehr erhöht wird. So wurden bei Paardeberg zwei kleinere, fest gebaute Steinhäuser von je einem Geschoß fast rasiert, und dieselbe Beobachtung machte man auch anderwärts. Daraus kann gefolgert werden, daß bebaute Oerter, auch wenn die Bauart eine sehr solide ist, nicht mehr den guten Schutz wie früher bieten, sofern der Gegner mit Lyddit versehen ist. Beim Aufschlagen auf den Erdboden geht Lyddit in festerem Boden nur etwa 0,25 Meter tief, ehe es krepiert, und öffnet eine Grube von 9,25 Meter Tiefe und 0,5 bis 2,5 Meter Radius. Durch die Sprengwirkung werden Gegenständ« vernichtet oder beschädigt, die fich in 4 bis 5 Meter Umkreis befinden, auch wenn fie nicht direkt von Sprengstücken getroffen werden. Die Granate geht in kleine Stücke, aber die meisten Stücke und Splitter werden nach oben geworfen. Dies sowie der Umstand, daß ein Test der Sprengstücke rückwärts fliegt, unterscheidet das Lyddit von einem nicht mit Sprengladung versehenen Geschoß. Infolgedessen giebt es bei Anwendung von Lyddit keine wirk liche sogenannte Schutzfläche, was natürlich hin sichtlich der Aufstellung der Reserve« sehr er schwerend wirkt. Gegen lebende Ziele übt Lyddit eine zweifache Wirkung aus, nämlich teils durch Sprengstücke und teils durch Spreng gase. Wie weit die Sprengstücke geschleudert werde», ist schwer zu sagen; fi« breiten sich indessen vom Sprengstoff kreisförmig aus, und zwar, soweit sich ermitteln ließ, bis zu einem A>Wand von 250 Meter. Die Stücke bestehen aus zerrissenem Metall und verursachen deshalb sehr schwere Wunden. Die Sprenggase töten oder schaden durch ihre giftige Beschaffenheit, doch, wie es scheint, nur auf einem Abstand von 4 bis 5 Meter vom Sprengpunkt. Ihre Wirkung ist sonnt in den englischen Bättern sehr übertrieben worden. Wiederholt wurde wahr genommen, daß Lydditgeschosse nicht in eine Rasse kleiner Stücke, sondern nur in wenige große Stücke sprangen. N»n Nah und Fern. Emden. Auf dem neuen Kabel Emden- Horta (Azoren) wurden Mittwoch abend die ersten Versuche behufs Uebermittelung von Tele grammen gemacht. DaS Resultat war ein über Erwarten gutes; es wurde eine Geschwindigkeit von durchschnittlich 140 Buchstaben pro Minute gegen bisher 110 Buchstaben erzielt. Kiel. International gestattet fich der Kriegs schiffsverkehr in unserem Hasen. Außer zwei russischen Kreuzern find jetzt ein türkisches Panzerschiff „Assar-i-Tewfik" Md ein türkischer Kreuzer „Jsmid" mit dem Vize-Admiral Kalau vom Hofe an Bord im Kriegshafen ein getroffen, und nach langer Zeit weht wieder der Halbmond in deutschen Gewässern. Demnächst trifft der niederländische Panzerdeckkreuzer „Nord-Brabant" ein, der acht Tage im Kriegshafen weilen wird. Mainz. Für das hier in der Gründung begriffene Gutenberg-Museum find bis jetzt an Geldspenden bereits über hunderttausend Mark eingegangen und noch fortwährend werden Be träge in Ausficht gestellt. Reiche Zuschüfst kommen hauptsächlich von außerhalb. Die An meldungen zur Gutenbergfeier find bereüs fr zahlreich, daß fich die betreffenden Wohnungs ausschüsse garnicht zu helfen wissen, und man schon die Frage in Erwägung gezogen hat, für die an der Feier teilnehmenden Korporationen Massen-Quartiere Herstellen zu lassen, von welchem Gedanken man aber aus mehreren Gründen abgekommen ist. Außer den siebe« Militärkapellen werden an dem Gutenberg festzug noch sechs auswärtige Militärkapellen mit eineroGesamtmufikschar von 450 Mann teil- nehmen. Mntsprechend dem historischen Charakter des FesHuges werden bei dem letzteren auch nur streng historische Weisen ertönen. Wiesbaden. Eine Polizeiverordnung vom 22. Mai 1896 bestimmt, daß an landwirsschaft- lichen Maschinen alle gefährlichen Teile derart zu bedecken find, daß die Kleider rc. der Ar beitenden damit nicht in Berührung kommen können. Da die Maschinenfabriken fich bisher außer stände erklärten, dieser Verfügung voll zu entsprechen, gibt sie in der Pt^is zu Miß- Helligkeiten Anlaß. Die Kammer will daher er neut wegen Abänderung der Verordnung vor stellig werden. Lüneburg. Seit einigen Jahren hat man begonnen, die großen Oedländereien in der Lüneburger Heide aufzuforsten. So hat die Klosterkammer das Dorf Wehlen im Kresse Winsen a. d. Luhe erworben und bereits mit der Aufforstung begonnen. Die Zubereitung des Bodens geschieht durch einen Dampfpflug. Der Landwirtschaftsminister bereist seit mehreren Tagen diese Gebiete. Leipzig. Den eifrigen Bemühungen der Kriminalpolizei scheint es gelungen zu sein, die Einbrecher zu ermitteln, welche bei Frau Grüne wald etwa 100000 Mk. gestohlen hatten. Ver haftet wurde der 35jährige Heizer des „Zentral« bades", welcher von seiner Arbeitsstelle die Wohnung der Beraubten übersehen konnte uB so fich jedenfalls Kenntnis von dem Vorhanden sein des Geldes verschafft hatte, sowie ei« 20jühriger Schlosser aus Ulberndorf bei Dippoldiswalde. Die Verhafteten haben zwar ein Geständnis nicht abgelegt, indessen zweifelt die Behörde nicht, die Richtigen erwischt M habe«. Warburg. Im benachbarten Behringhause« wurde ein Wohnhaus mittels Dynamit in die Lust gesprengt. Das Dach, die Wände, alle- ist zertrümmert. Wunderbarerweise ist eine alte Frau, die fich allein in dem Hause aufhielt, mit geringen Verletzungen davongekommen. Arolsen. Ein schauerlicher Mädchenmord ist im Walde zwischen dem Dorfe Wetterburg und der Domäne Büllinghausen verübt morde«. Spaziergänger fanden nicht weit vom Wege iB ' Waldesdickicht die Leiche eines jungen Ntädcheus Die Werstoßene. 6j Novelle von Wilibert Sahlman». l? onltkin»! „Der Vater," sagte William, „befindet fich sehr schlecht, — er muß schwer erkrankt sein. Wir fuhren ja heut nachmittag mit dem Nachbar Gall hinab zum Hafen. Wir beeilten uns, um noch vor Sonnenuntergang wieder herauf zukommen. Der Vater war wohlauf, als wir den Ewer bestiegen und führte, wie immer, das Steuer. Der Wind blies aus dem Osten und wm uns nicht günstig, weshalb wir rudern mußten. Der Nachbar Gall und ich hatten tüchtig zu arbeiten und mußten auf die Riemen gut acht geben. Plötzlich hörte ich den Vater einen tiefen Seufzer ausstoßen, und als ich aufblickte, sah ich, wie er eben das Steuer los- läßt, den Kopf senkt und vomüber von der Steuerbank stürzt. Mr konnten nichts thun, als ihn weich auf den Boden betten, da er ohne Verstand und Besinnung war. Dann rüdesten wir mit förmlicher Riesengewall, um rasch ans Ziel zu kommen. Als wir beim Dorfe rinliefen, lag der noch immer unbeweglich im Schiss, wir mußten ihn auf eine Tragbahre laden und in die Hütte tragen. Dort liegt er und hat fich noch nicht wieder gerührt, obgleich er nicht tot ist, denn er atmet leise und sein Mund bewegt fich mitunter wie zum Sprechen." Während der Erzählung Williams waren die beiden jungen Leute ins Dorf gekommen, Henny eilte so rasch, daß William kaum zu folgen vermochte und die letzten Worte seiner Traucrkunde fast atemlos hervorstieß. Das junge Mädchen liebte ihren alten Vater über alles; er war der einzige Mensch, zu welchem ihr Herz fie immer gezogen. Ihre Mutter hatte fie nie gekannt, — William, dem eine treuherzige Gutmütigkeit nicht abzu sprechen war, war ihr entfremdet durch seine Roheit und seinen Hang zum Jndieschenke- gehen. Ms das schöne Mädchen ihre Hand au, den Thürdrkcker legte, war es ihr, als solle fie den Deckel von einem Sarge heben, in welchem der einzige Mensch lag, den fie liebte und verehrte, an dessen Herz fie bis dahin Schutz gefunden hatte in ihrem öden, armseligen Leben. — Ihre Hand bebte, ihr Herz hämmerte, alS fie dann leise die Thür öffnete. Sie trat in die Hütte; — sonst war es dl dem kleinen Raum leer, selten nur kam ein Fremder, ein Nachbar herein, — jetzt standen mehrere Menschen darin. Der alle John Gilbert lag lang ausgestreckt auf seinem Bett, seine Augen waren geschossen, seine Brust hob fich hastig, wie nach Atem ringend, zu Füßen des Bettes stand ein mageres Männchen, der „Dorfarzt" genannt. Dieser „Arzt" wohnte fest vielen Jahren im Fischer dorf ; er war der Schiffsarzt eines am Höllenriff gestrandeten Schoners gewesen, und wie das im Leben so kommen kann, im Fischerdorf sozu sagen „hängen" geblieben. Er wurde Arzt und Apotheker der Strandbewohner weitumher. Dieser Mann war sofort an das Bett des erkrankten alten Gilbert gerufen. Außer ihm standen zwei Nachbarn und eine Nachbarin an dem Totenbett. Totenbett sagen wir? — Ja, es war so zu nennen, — denn in dem runzligen, marmornen Gesicht schien fich bereits der Todeskampf ab- zuspiegeln. Man machte der eintrctcnden Tochter Platz. Lautlos sank Henny vor dem Bett deS teuren Vaters auf die Kniee, fie erfaßte leis und zitternd seine schlaffe Hand und legte fie an ihre Wange, während ihre großen, dunklen, in Thränen schwimmenden Augen voll unsäglicher Angst nach dem Antlitz des Kranken star ten. „Armer, lieber Vater," schluchzte das Mädchen. Ein leises Stöhnen des Kranken war die einzige Antwort, aber dies Stöhnen bewies, daß er die Stimme Hennys erkannt hatte, da er wußte, fie weile in seiner Nähe, fie hatte seine Hand gefaßt. William that eine leise Frage an den alten Schiffsarzt; — dieser schüttelte bedenklich den Kopf und zeigte auf eine Medizinflasche, als wenn er sagen wollte — alle Versuche find hier vergeblich. — Während das junge Mädchen die harte, kalte Hand des alten Vaters in der ihren hielt, während jetzt unaufhaltsam die Thränen aus ihren Augen flossen, — war es ihr, als zögen schnellen Sturmwolken gleich, Traumbilder an ihrer Seele vorüber. Vor nicht Langer Zeit hatte in demselben Raum der junge Edelmann leblos dagelegen; dunkel war es damals wie jetzt, auf dem Herde flackerten und knisterten gleiche rote Flammen, wie in diesem Augenblick, nur der Nordwest- Sturm heulte schauriger, als der schneidende Ostwind, der in diesem Augenblick in den Schorn steinen pfiff. — Ein neues Stöhnen des kranken Vaters weckte Henny aus ihrem traumähnlichen Zustande. Sie erhob sich, fie sah, wie die Lippen des alle» Mannes sich bewegten, — dann versuchte er z« sprechen, — und wirklich flüsterte er — flüsterte das Wort: „Avonshire". — Henny drückte ihren Mund auf die noch immer von ihr gehaltene braune, harte Hand des Vaters. „Avonshire," stammelte wieder der Krankt. Das junge Mädchen nahm ihre ganze Kraft zusammen, fie beherrschte ihre Thränen, fie bog sich lautlos zu dem Vater und fragte mit ihrer sanften Stimme: „Mein lieber, guter Vater, beruhige dich, wir find ja bei dir, deine Kinder und gute Nachbarn, erkennst du deme Henny d" „Henny — geliebtes Kind" — tönte es wie weich geflüsterter Laut auS dem Munde des allen Fischers. „<Ä kommt zu fich," sagte der alte Schiffs doktor, „warten wir noch ein wenig, dann können wir es mit einigen Tropfen meines Lebens geistes versuchen." — Henny beugte fich über den Vater, — ihre Hand streichelte seine Wangen, fie drückte ihr liebliches Antlitz leise an sein Gesicht. „Henny — ich fühle — ich erkenne dich -- lallte schwach der Kranke. Sein Gesicht wurde ruhiger darin flüsterte er Wetter: „Henny, — du mußt — sogleich — nach Avonshire, — hörst du? - sogleich! - sage dem Squire - John Gilbert - wolle sterben, — er solle — kommen. — Und er wird kommen. Mit Aufwendung seiner ganzen Kraft Ham
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