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Allgemeiner Anzeiger : 23.05.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190005232
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19000523
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19000523
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1900
-
Monat
1900-05
- Tag 1900-05-23
-
Monat
1900-05
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 23.05.1900
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L>rr»tztl<v,r Kandtaa. Das Abgeordnetenhaus erledigte am Donnerstag zunächst die hohenzollernschen Gesetze in zweiter Lesung. Der Gesetzentwurf betr. Gewährung von Zwischenkredit bei Rentengutsgründungen wurde in der Fassung des Abgeordnetenhauses wiederhergestellt, muß also an das Herrenhaus zurückgehen. Die Vor lage betr. Bewilligung weiterer 5 Millionen zum Bau von Arbeiter- und Beamtenwohnungen wurde in zwei Lesungen erledigt. Das Abgeordnetenhaus begann am Freitag die zweite Beratung der Warenhaussteuervorlage, welche bis § 5 einschließlich erledigt wurde. Lebhaft be- kämpft wurde das ganze Gesetz durch die freisinnigen Abgeordneten. Es blieb dabei, daß die Steuer bei einem Umsatz schon von 3M 000 Mk. beginnen soll. Dagegen wurde auf Zureden des Ministers von Miquel der von der Kommission gestrichene 8 5 der Regierungsvorlage wiederhergestellt, wonach die Steuer 20 Prozent vom Reinertrag nicht übersteigen darf, allerdings mit einer wesentlichen, vom Abg. Schaube (freikons.) beaniragten Abschwächung. Non Nah und Fern. Metz. Bei einer Felddienstübung unter persönlicher Führung des Kaisers ist am Morgen des 12. d. bei Metz ein Artillerist Dietz beim Vorrücken seiner Batterie über eine Berghöhe von einem umfallenden Geschütz getötet worden. Politische Rundschau. Vom Kriegsschauplatz. * Also mit dem Falle Mafekings ist es nichts. Jetzt liegt im Gegenteil folgendes amtliche Telegramm Ms Pretoria vor: Die Belagerung Mafekings ist festens der verbündeten Boeren aufgegeben worden, nachdem ine Lager der Boeren und die Forts um Mafeking heftig beschossen waren. Die von Süden gekommenen britischen Truppen besetzten dieselben. * Auf den anderen Kriegsschauplätzen rücken inzwischen die Streitkräfte des Generals Buller und des Feldmarschalls Roberts vor. Truppen des Generals Hunter find bereits in Transvaal eingerückt. * Die Behandlung der englischen Ge fangenen inPretoria seitens der Boeren ist eine durchaus humane. Wie den Boeren dafür gedankt wird, zeigt ein Bericht über das Verhalten englischer Offiziere, die in einem Staatsinstitut untergebracht waren: „Die Art und Weise, wie diese Ehrenmänner in der schönen Staatsmodellschule, ihrem bisherigen Verbleib, gehaust haben, rst einfach empörend. Die Wände find verkratzt und mit unflätigen Darstellungen bedeckt. Sämtliche Thüren find gesprengt und zum Teil zerbrochen; mehrere Schränke find mit Gewalt geöffnet und die darin befindlichen kost baren wissenschaftlichen Instrumente auf kindische Weise unbrauchbar gemacht. Sämtliche Wärter find denn auch disziplinarisch gestraft worden, denn bei guter Bewachung hätte so etwas nicht Vorkommen können." * Die .Times" melden Ms Johannesburg: Das Gerücht von der Bildung eines sogenannten Amazonenkorps in Johannesburg und Pretoria wird als letztes Mittel, die lässigen BurgherS anzufeuern, bettachtet. Aus un parteiischer Quelle verlautet hier, in einer ge heimen Sitzung des Volksraads in Pretoria habe eme erregte Debatte über die Frage der Zerstörung der Minen und Haupt gebäude Johannesburgs beim Herannahen der Engländer stattgefunden. Das Ergebnis der Debatte sei unbekannt, jedoch seien die fremden Vertreter der Minengesellschasten höchst beun ruhigt und hätten einen dringlichen Appell an ihre Konsuln gerichtet. * -» * Deutschland. "Auch zwischen dem Prinz-Regenten Luitpold und dem Kaiser hat anläßlich der Rheinfahrt der Torpedobootflottille ein Depeschenwechsel stattgefunden. * Aus dem Trinkspruch des Kaisers Franz Joseph bei der Galatasel am 6. Mai hat die offiziöse Pariser .Agence Havas' bei der Widergabe des ihr von Deutschland aus in vollem Wortlaut mitgeteilten Textes die warmen Worte ein fach unterschlagen, mit denen der Kaiser auch der „treuen Mithilfe unseres verehrten Freundes und Verbündeten, des Königs von Italien" gedachte. In offiziösen Stimmen aus dem Auswärtigen Amt in Berlin wird dieser Vorgmg als überaus charakteristisch hervorgehoben, wie man die Leute in Frankreich mit allen Mitteln in dem Irrtum zu erhalten suche, als ob die Beziehungen Italiens zu seinen Dreibund genossen sich ver ändert hätten. * DaS Befinden des Königs Otto von Bayern ist nach dem am Mittwoch aus gege benen Bulletin im wesentlichen unverändert. Die Körperkräfte haben sich gehoben, doch vermeidet der König noch selbständig zu gehen und zu stehen. * Der Bunde 8 rat, so will der ,Berl.- Lokalanz.' „von wohlunterrichteter Sette" er fahren haben, wird die isx Heinze nicht an nehmen. Die preuß. Stimmen im Bundesrat würden für das veränderte Gesetz nicht abgegeben werden. (Die angeblich „wohl unterrichtete" Seite des .LokalMz.' hat sich schon wiederholt als unzuverlässig erwiesen, z. B. bei derNachricht von derErwerbung der portugiesischen Kolonien in Asien.) * In der Donnerstags - Sitzung des Bundesrats wurde ein Anttag SachseM betreffend die Verteilung der durch denTrans . portAusgewiesener entstehenden Kosten/' sowie die Vorlage betreffend eine Zusatzbe^ flimmung zum Vertrage vom 12. September und 30. Oktober 1898 über die Unterhaltung deutscher j Postdampfschiffverbindungen mitt Ostasien undAustralien den zuständigen ! Ausschüssen überwiesen. Die Resolutionen des Reichstages zu dem Entwurf eines Gesetzes be- treffend Po st dampfschiff - Verbin dungen mit Afrika wurden dem Reichskanzler überwiesen. Dem Ausschußbericht über den Entwurf eines Gesetzes betreffend die Feststellung eines Nachtrags zum Reichshaushaltsetat für das Rechnungsjahr 1900 wurde die Zustimmung erteilt. "Eine Konferenz der Vertreter der Statistik des Reichs und der Bundes staaten ist am 18. d. in Jena zusammengetreten. Gegenstand der Beratungen ist in erster Linie die Ausführung der in diesem Jahre vorzuneh menden Volkszählung, der land- und forstwirtschaftlichen Erhebungen und der Viehzählung. * Ueber deutsche überseeische Auswande rung wird folgendes gemeldet: Es wurden befördert deutsche Auswanderer im Monat Avril 1900 über Bremen 1063 (1899 1046), Hamburg 1593 (1507), deutsche Häfen zusammen 2656 (2553), fremde Häsen (soweit ermittelt) 360 (374), überhaupt 3021 (2927). Aus deutschen Häfen wurden im April 1900 neben den 2650 deutschen Aus wanderern noch 15 999 Angehörige fremder Staaten befördert, davon über Bremen 609, Hamburg 9390. Frankreich. "Der Ministerrat hat beschlossen, sofort in der erstenKammersitzungam nächsten Dienstag eine große Verhandlung über die all gemeine Politik der Regierung hervor zurufen, wobei die Regierung eine entschie dene Bekämpfung der nationali stischen Bewegung ankündigen wird. Die Regierung will dieVertrauen sfrage stellen. England. * Balfour erklärte im Unterhause, er halte die Zeit noch nicht für gekommen, um nutz bringenderweise mit der Boeren-Negie rung über den Austausch von Gefan genen in Unterhandlung zu treten. Belgien. * In Belgien schießen immer neue Spiel höllen wie Pilze aus der Erde. Alle Nationen geben sich in dem gesegneten Belgien ein Stelldichein, um daselbst Spielhöllen zu errichten, und die Gründer und Spielpächter machen vortreffliche Geschäfte. Die Gemeinde behörden Belgiens treten dieser Bewegung nicht entgegen, sondern fördern sie, um durch die Besteuerung der Spielhöllen Mittel für größere Unternehmungen zu gewinnen. In dem roman tisch belegenen Chimay, in dem das herrliche Schloß und der berühmte Park des Fürsten von Chimay liegen, ist jetzt auch eine Spielhölle er richtet worden; an ihrer Spitze stehen deutsche Unternehmer. Bisher waren Belgier und Franzosen die Hauptgründer. Alle diese Spiel höllen locken Spieler und Jndustrieritter Ms aller Herren Länder nach Belgien, was Vonden Gasthofsbefitzern und Geschäftsleuten mit Be friedigung begrüßt wird. Balkanstaate«. * Es hieß vor längerer Zett, der Kron prinz von Griechenland, Schwager des deut schen Kaisers, werde nach Deutschland kommen mit der Abficht, deutsche Offiziere zu gewinnen, die eine Umgestaltung der griechischen Armee vornehmen sollten. Jetzt erfährt die ,Nat.-Ztg/, die Sache sei ab« gethan. Ueber die Entsendung deutscher Militär- Instrukteure nach Griechenland sei bereits im vorigen Jahre und zwar im verneinenden Sinne entschieden worden. Aus dem Reichstage. Im Reichstag stand am Donnerstag die Fort setzung der vor Ostern abgebrochenen dritten Be ¬ ratung der sog. „Isx Heinze" (Novelle zum Straf gesetzbuch) auf der Tagesordnung. Zunächst wurde der Antrag Heine (soz.), nach welchem der grobe Unfug- Paragravh auf Erzeugnisse der bildenden und re produzierenden Künste, sowie der Presse keine An wendung finden soll, mit 210 gegen 80 Stimmen abgclehnt. Sodann wurde die Beratung bei dem Antrag Albrecht (soz.), (Kasernierung der Prosti tution), zu dem ein Eventualantrag und ein Antrag Heine gekommen waren, fortgesetzt. Alle drei Anträge, die auf Streichung des 8 361 Nr. 6 des Strafgesetz buches oder entsprechende Abänderung hinzielten, ge langten nach längerer Diskussion zur Ablehnung. Am Freitag wird zunächst in dritter Beratung die Uebersicht der Ausgabenu ndEinnahmen für 1898, in der die Ausgabe für die Reise des Staatssekretärs Grafen Bülow im Gefolge des Kaisers nach Jerusalem enthalten ist, endgültig ge nehmigt. Der Nachtragsetat für 1900 wird debatte- loS in dritter Beratung bewilligt. Die dritte Beratung des Nachtrags zum Kolonial etat für 1900 wird auf Antrag des Abg. Spahn (Zentr.) von der Tagesordnung abgesetzt. Nunmehr wird die dritte Beratung der lsx Heinze fortgesetzt. Präs. Gras Ballestrem teilt mit, daß ihm noch eine größere Anzahl von Anträgen des Abg. Stadthagen überreicht worden sei, die aber nach seiner Meinung nicht mit dem zur Beratung stehenden -Gegenstände in Verbindung stehen, da sie sich auf die Strafproßordnung bezögen und nicht auf das Strafgesetzbuch. (Der Präsident läßt die Anträge durch den Schriftführer verlesen.) ASg. Singer (soz.) hält diese Sache für wichtig genug, um die Entscheidung des Hauses darüber herbeizuführen. Lehne man die Anträge von vorn herein ab, so werde eS nicht möglich sein, die Ge schäfte des Reichstages abzuwickeln. Aber es werde immer klarer, daß es nur darauf ankomme, eine Vorlage zu verabschieden, an welcher dem Zentrum gelegen ist. Präs. Graf Ballestrem: Wie es schon unzu lässig ist, einem Mitgliede Motive unterzuschieben, die es nicht selbst angegeben habe, um so weniger darf man das dem Präsidenten gegenüber thun. Ich verbitte mir das. Ich thue hier nur, was mein Recht und meine Pfliwt ist. Abg. Singer: Ich habe das nicht gesagt und bitte den Präsidenten, von der Ansicht abzugehen, das alles, was hier über die Geschäftsabwickelung gesagt wird, ein Mißtrauen gegen seine Person nus drücken solle. Ich habe nur vom Zentrum gesprochen. Wir wissen und erkennen alle an, daß wir alle hier der Disziplinargewalt des Herrn Präsidenten unter stehen. Aber ich muß dem Präsidenten doch auch sagen: Wir wissen auch, daß hier keine Schule ist. Präs. Graf Bal le strein: Das war ein ganz unparlamentarischer Ausdruck. — Abg. Singer hat vorhin gesagt, daß die Anträge nicht verhandelt werden sollen, um dem Zentrum eine Gefälligkeit zu erweisen. Ich habe die Anträge verlesen lassen, und das Haus soll entscheiden. Ich habe damit nur gethan, was mein Recht und meine Pflicht war. Abg. Singer: Ich habe nur vom Zentrum gesprochen und ausgedrückt, daß dieses eine Vorlage durchdrücken will, an der ihm besonders gelegen ist. Ich beantrage nunmehr im Gegensatz zum Präsi denten, die Anträge Stadthagen zur Verhandlung zuzulassen, und ich beantrage namentliche Abstimmung über diesen meinen Antrag. Es entspinnt sich sodann noch eine längere Ge- schäftsordnungsdebatte, an der die Abgg. Spahn (Zent.), Richter (frs. Vp.) und Haußmann (südd. Vp.) teilnehmen. Ein Antrag des Abg. Richter, die 'Frage der Geschäftsordnungskommission zur Prüfung vorzulegen, findet nicht die Zustimmung der Mehr- heit. Es wird daher über die Zulässigkeit der Stadt- hagenschen Anträge namentlich ab gestimmt. Von 304 Abgeordneten stimmen 77 für, 226 gegen die Zu lässigkeit der Anträge. Abg. Spahn (zur Geschäftsordnung) beantragt nunmehr, die Beratung der Vorlage bei dem 8 362 derselben fortzusetzen und damit die Beratung einer Reihe von vorliegenden Anträgen zu verbinden. Die Abgg. Singer, Stadthagen (soz.), Richter und Beckh - Koburg (frs. Vp.) protestieren dagegen. In namentlicher Abstimmun wird darauf der Antrag Spahn mit 186 gegen 116 Stimmen an genommen. Zur Beratung wird nunmehr der § 362 gestellt, welcher handelt von der Ueberweisung nach ver büßter Strafe an die Landespolizeibehörde, sowie von Unterbringung bis zu 2 Jahren in ein Arbeits haus, Besserung- oder Erziehungsanstalt. Es liegen hierzu zwei ältere Anträge vor, ein Antrag Albrecht (nebst Eventualanttag) und ein redaktioneller Antrag Beckh. Außerdem find wieder zwei neue Anträge Heine zu diettm Paragraphen eingegangen, deren einer die Anwendung des 8 362 auch auf gewerbs mäßige Glücksspieler zulässig machen will. Abg. Frohme (soz.) befürwortet den Antrag Albrecht auf Streichung der von der Ueberweisung an die Landespolizei und Unterbringung im Arbeits haus (nach verbüßter Strafe) handelnden Absätze 2 und 3. Von den Abgg. Spahn und v. Levetzow (kons.) wird jetzt der Schluß der Diskussion beantragt. Von den Abgg. Haußmann-Böblingen, Singer, Müller-Meiningen, Stadthagen und Heine wird zur Geschäftsordnung konstatiert, daß noch eine Reihe von Anträgen vorliege, die nicht zur Kenntnis des Hauses gebracht worden seien. Präs. Graf Ballestrem erwidert, diese An träge befinden sich im Druck; er könne sie erst mit teilen, wenn sie ihm wieder zugegangen seien. Abg. Stadthagen fordert, daß Gelegenheit zur Begründung dieser Anträge geboten werde. Abg. Heine hält es für selbstverständlich, daß der Schluß, wenn er angenommen werden sollte, sich nicht auf die noch nicht zur Beratung gestellten An träge beziehen könne. Die Linke halte es für ihre Pflicht, durch alle Mittel, auch durch das der Obstruktion zu verhüten, daß dem deutschen Volk der Pfaffenkuß auf den Nacken gesetzt werde. (Leb hafter Beifall links. — Sturm im Zentr.). Werde die Minderheit dennoch besiegt, so werde sie daS Bewußtsein haben, ihre Schuldigkeit bis zum letzten Augenblick gethan zu haben. Abg. Bassermann (nat. - lib.) ist ebenfalls der Meinung, daß diese Anträge noch zur Diskussion gestellt werden müssen. Seine Freunde hätten sich bis jetzt an der Obstruktion nicht beteiligt. Er bitte aber jetzt, daß die noch vorliegenden Anträge gemäß 8 20 der Geschäftsordnung zur Diskussion gestellt werden. Geschehe das nicht, so würden seine Freunde die Konsequenzen daraus ziehen. Abg. Spahn erklärt, auch seine Freunde hielten es für selbstverständlich, daß die rechtzeitig einge brachten Anträge noch zur Diskusston gestellt werden müßten, soweit sie nicht schon durch den Abg. Frohme begründet worden seien. Vom Abg. Singer ist inzwischen namentliche Abstimmung über den Schlußantrag der Abgg. Spahn und v. Levetzow beantragt worden. Der Anttag findet ausreichende Unterstützung. Präs. Graf Ballestrem teilt mit, daß noch einige Anträge rechtzeitig gestellt worden sind, die auch nach seiner Meinung in Gemäßheit des 8 20 der Geschäftsordnung noch zur Verhandlung zu bringen wären. Die Abgg. Bassermann, Sattler und Büsing (nat.-lib.) beantragen um 7«/< Uhr die Vertagung. — Für diesen Antrag stimmen die Nationalliberalen, Freisinnigen, Sozialdemokraten und Polen, dagegen Freikonservative/ Konservative und Zentrum. — Da das Bureau zweifelhaft über die Mehrheit bleibt, mutz zur Auszählung geschritten werden. Diese Auszählung ergibt für die Vertagung zehn, gegen dieselbe 183 Stimmen. Präs. Graf Balle strem enthält sich der Abstimmung. (Die große Mehrheit der Parteien aus der Linken bleibt während ver Abstimmung außerhalb des Saales und kehrt erst bei der Verkündigung des Resultats in den selben zurück.) Da nur 194 Mitglieder anwesend find, ist daS Haus nicht beschlußfähig. Die Sitzung muß daher abgebrochen werden. Die WersLoßene. 2) Novelle von Wilibert Sahlmann. orrernngu Das Mädchen stand jetzt fast auf der Schwelle, — ihre Linke hielt einen sogenannten Thrankräusel eine kleine blecherne Lampe, deren Docht mit Thran getränkt, nur ein schwaches, qualmendes Licht gab, ihre Rechte schützte die kleine Flamme vor dem Zugwind. Ihr Ohr hatte sich nicht getäuscht, durch Sturm und Regen hörte fie jetzt deutlich lang same schwere Männertritte. Noch eine Minute, und vor der Hütte standen, hoch aufatmend, wie nach mühseliger Arbeit, zwei Männer. Dieselben trugen einen Dritten; fie trugen vielmehr den leblos scheinenden Körper dieses Dritten. John Gilbert und William brachten eine Leiche. — Dieselbe triefte von Wasser, die uasfen Kleider klebten an dem Körper. „Henny", rief der alte Fischer dem Mädchen zu, „nimm von meinem Bett Kissen und Decke, wir wollen den Mmn hier drauflegen, irre ich nicht, so fitzt noch ein Funken Leben in dem Menschen." Das Mädchen trat in die Hütte zurück, fie öffnete eine Art Holzwand, hinter welcher ein Bett, die einfache Lagerstelle des Alten, ficht- bar wurde. — Dann nahm fie eine Wollendecke und ein Harles Kopfkissen herunter, — eS blieb nichts, als eine dicke, vom Liegen fast hart gewordene Strohunterlage, über welche ein Segeltuch ausgebrettet war, übrig. Die beiden Fischer legten den völlig Er starrten auf dieses armselige Lager. „Ein feiner Kerl da-, schau nur, Henny, ein wahres Mädchengeficht" — meinte in seiner natürlichen Roheit William, indem er den Kopf des Gebetteten emporhob. „Laß deine dummen Bemerkungen," schalt der alle Fischer, — „öffne ihm die Kleidung auf der Brust, und du, Henny, gib mir aus dem Wandschrank die Rumflasche — es wird noch was drin sein." Während das Mädchen gehorchte, öffnete William des Ertrunkenen Rock und Weste. John Gilbert goß ein wenig von dem starken Getränk zwischen die Lippen des Daliegenden, dann befahl er aufs neue: „So — du, William, reibst seinen rechten, du, Henny, seinen linken Puls, ich will's mit der Brust versuchen. Er goß beiden Rum in die rechte hohle Hand, sich selber ebenfalls, und der Versuch, den Ertrunkenen durch eine künstliche Respiration ins Leben zurückzurufen, begann. Das Fischermädchen warf einen Blick auf den niederhängenden Kopf des Liegenden, — Williams Ausspruch war wahr, diese feinen, schönen Gestchtszüge glichen den eines Mädchens, fie glaubte den Mann schon gesehen zu haben. Mechanisch ergriff fie die ' e, schlaffe, kalte Hand; — fein und weiß <.ar dieselbe, viel weicher, als ihre eigene. — Auf einem Finger dieser Hand blitzte und funkelte ein in Gold ge- faßter Stein, er strahlte Farbenlichter aus, wie fie der Regenbogen nach dem Gewitter zeigt. Lautlos setzten die drei Menschen ihre Ver suche fort, ein Leben zu retten. Nach einer Wette unterbrach William die Stille: „Kennst du ihn nicht, Vater?" fragte er, „es ist derselbe Herr, der gestern mit der schönen Miß von Avonshire am Ufer entlang ritt." „Ich bekümmere mich nicht um die Herr schaften von Avonshire," brummte John Gilbert und rieb, als sollte diese Tour seine letzte sein. Der Patient begann in demselben Augen blick zu röcheln, dann entquoll seinem Munde eine Wassermenge, und die bisher atemlose Brust hob fich, als schöpften die Lungen in langem Zug die entbehrte Luft. „Er lebt! — Er ist gerettet! rief Henny. Des Fremden Augen öffneten fich, schlossen fich aber im selben Moment wieder. John Gilbert war ein alter Praktikus, — er wußte, jetzt galt es, den Körper in volle Wärme zn bringen, — gelangte das Blut in gehörige Wallung, so war jede Gefahr vorüber. Er frottierte mü seinen eisernen Fingern darauf los, daß der unter dieser wohlthätigen Folter Liegende jetzt schwere Seufzer ausstieß. Nach einer Weile öffneten fich wieder seine Augen. — Diesmal schloß er fie nicht wieder; er blickte eine Weile, seine Gedanken sammelnd, um fich. Er bettachtete die braunen Holzwände, die niedrige, geschwärzte Decke der Fischerhütte, das im Erlöschen begriffene, schwach flackernde Herdfeuer, das ernste, wettergebräunte, runzelige Gesicht des alten, das derbe, breite des jungen Fischers. Dann begegnete sein Blick dem Auge des schönen Mädchens, in dessen warmen Hand noch die seinige kalt und erschlafft ruhte. Sein Auge leuchtete auf, als er daS lieb liche Gesicht Hennys, wie ein Engelsantlitz mitten auS Küstern Wolken blickend, dicht über fich schweben sah. — „Wo bin ich? — Wie kam ich hierher?" — fragte jetzt mft schwacher Stimme der Ge rettete. „Herr, Ihr seid bei guten Leuten und wohl geborgen," antwortete der alte Gilbert, und sein ehrliches Erficht verzog fich zu einem Lächeln, das vielleicht die freudige Genugthuung weckte, ein gutes Werk gethan zu haben. Der gerettete junge Mann versuchte fich empor zu richten, — es wollte nicht glücken; — William schob ihm rasch ein hohes Kissen unter Rücken und Kopf, so daß er in eine mehr fitzende Stellung gelangte. „Und das Jachtschiff?" fragte er jetzt weiter. „Ist am Hollenriff zerschellt und unter gegangen, Herr," entgegnete der Fischer. Der junge Mann sank erschöpft zurück; — er fragte wieder: „Ist niemand sonst gerettet?" „Leider keine Seele, drei Leichen find an den Strand geworfen, fie find ins Bootshaus geschafft." Das war die Antwort des Allen, der dann seinem Sohn befahl, neues Holz aufs Feuer zu werfen, und Henny, nunmehr Decken herzugeben, damit der vom Tode Gerettete warm eingehüllt würde. „Die Armen!" hatte der junge Mann ge seufzt, und hinzugefügt: „Welch ein Glück, daß ich den Squire abhielt, mitzufahren, der alte Herr würde jetzt mit zu den Leichen gehören. „William", meinte der alte Gilbert, da»
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