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Allgemeiner Anzeiger : 05.05.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-05
- Sprache
- Deutsch
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- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190005052
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- Saxonica
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1900
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Monat
1900-05
- Tag 1900-05-05
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Monat
1900-05
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 05.05.1900
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Politische Rundschau. Vom Kriegsschauplatz. * Es ist also den Boeren gelungen, ihre ganzen Streitkräfte, die südöstlich von Bloemfontein operierten, über Thabanchu auf das Hauptkorps bei Kroonstadt zurück zuziehen; sie sind der vielfachen englischen Uebermacht entgangen und von nun an wird sich der ganze Feldzug in einen Guerilla krieg umwandeln. Ohne sich in offener Feld schlacht zu stellen, werden die Boeren leichte fliegende Kolonnen bilden, die in Kosakenart die Engländer bei ihrem etwaigen Vormarsche fort gesetzt beunruhigen. * Wie gründlich die Boeren die Engländer getäuscht, zeigt die Vormarschroute des Generals French. Es galt, um jeden Preis vor den Verbündeten in Thabanchu ein zutreffen und ihnen die Straße nach Lady- brand zu verlegen, nach welcher ihr eigent liches Hauptkorps, von Wepener kommend, heraufzog. Aber trotzdem Dorriens Hoch länderbrigade an drei aufeinander folgen den Tagen sich in Gewaltmärschen er schöpfte, Hamilton seine berittene Infanterie aufs äußerste anspornte und French Nacht und Tag durchritt, um seine beiden Kavallerie- Brigaden rechtzeitig wieder von Dewets- dorp nach Thabanchu heraufzubringen, ver mochte doch bloß der zuerst das kleine Oertchen erreichende General Hamilton einige Schüsse auf weite Entfernung mit der Nachhut der Verbündeten zu wechseln. Deren Haupt korps hatte längst jene Hohen erreicht, welche die Straße nach Ladybrand beherrschen, und von einem Abschneider! oder auch nur Fest nageln des Feindes konnte keine Rede mehr sein. * Die Stärke derBoerentruppen betrug nach in Bloemfontein eingetroffenen, von festen der Boerenregierung veröffentlichten Ver lustlisten im Dezember v. 54 860 Mann, ab gesehen von 5000 Aufständischen. Am 13. März 1900 zählten die Boerentruppen nur noch 26 500 Mann. Die Verluste der Boeren Lis zum 13. März stellten sich auf 6500 Gefangene, 8000 Tote und Verwundete. Es ist unauf geklärt, was aus den andern fehlenden 14 000 Mann geworden ist. In dem amtlichen Bericht der Boeren wird behauptet, diese seien nach ihrer Heimat zurückgekehrt. Deutschland. * Kaiser Wilhelm stattete am Dienstag seiner Mutter, der Kaiserin Friedrich, auf Schloß Friedrichskron bei Cronenberg einen Besuch ab und kehrte sodann nach Potsdam zurück. * Wie in Hofkreisen verlautet, wird der Kaiser auch in diesem Jahre einen Ausflug nach Essen unternehmen, um dem Geh. Rat Krupp auf Villa Hügel einen etwa zweitägigen Besuch abzustatten. Der Zeitpunkt dieser Reise ist noch nicht festgesetzt, doch soll sie kurz vor Antritt der Nordlandreise des Monarchen erfolgen. *Der König von Dänemark wird sich bei der Großjährigkeits-Erklä rung des deutschen Kronprinzen durch den ältesten Sohn des dänischen Kron prinzen, den Prinzen Christian von Dänemark, vertreten lassen. Prinz Christian überbringt dem Kronprinzen den Elefanten-Orden. * Der Reichskanzler Fürst Hohenlohe ist am Montag abend aus Paris in Berlin wieder eingetroffen. * Im Reichstage zielen die Ge- schäftsdispositionen darauf ab, daß der Schluß der Tagung möglichst schon um Himmelfahrt eintreten kann. Die ver bündeten Regierungen Laben bereits ihre Wünsche bezüglich der Erledigung der einzelnen Vorlagen zu erkennen gegeben. Außer der Flottenvorlag und dem Fleisch beschaugesetze sollen namentlich die Novellen zu den Unfallversicherungs gesetzen, das Reichsseuchengesetz, das noch der kommissarischen Beratung unter liegt, der Gesetzentwurf betr. die Post dampferverbindung mit Ostafrika, mü dem die Letr. Kommission am 1. Mai sich < zu beschäftigen haben wird, dir Erppän- zungs - Etats u. s. w. durchberaten werden. Von der Fortsetzung der dritten Be ratung der 1 sx Heinze soll dagegen a b - gesehen werden. * Ueber den Inhalt des in der Fleisch ° beschaufrage vorbereiteten Kompro misses verlautet so viel, daß das Verbot der Einfuhr von Wurst von den ver bündeten Regierungen zugestanden worden sein soll, dagegen die Konserven frei hertingelassen werden sollen. Beim Pökelfleisch wird höchstwahrscheinlich eine verschiedenartige Behandlung je nach der Menge u. s. w. Platz greifen. *Dem Reichstage find mehrere Petitionen zugegangen, in denen eine reichsgesetzliche Re gelung der Arbeitsverhältnisse der Kellnerinnen und im einzelnen folgendes gefordert wird: 1) Bestimmungen über Zahlung eines auskömmlichen Lohnes. 2) Einrichtung von staatlichen oder städtischen Stellen-Vermitte lungen. 3) Festsetzung bestimmter Arbeitspausen, insbesondere einer ununterbrochenen zehnstündigen Ruhezeit nach jedem Arbeitstage. 4) Ausdeh nung der Gewerbe-Inspektion auf das Gaftwirts- gewerbe, einschließlich der Beaufsichtigung der Wohn- und Schlafräume der Angestellten. Oesterreich-Ungarn. *Die Jungtschechen wollen in der kommenden Reichsratstagung die Obstruk tion wieder aufnehmen. Ihre Blätter ver kündigen insgesamt die schärfste Opposition und Obstruktion. Von einer Erledigung des Budgets könne keine Rede sein. Die Tschechen ließen sich ihre Taktik nicht von den Polen, Südslawen und Klerikalen verschreiben; sie würden selbst ständig vorgehen selbst auf die Gefahr hin, ver einzelt zu bleiben. Der tschechische Adel mar schiere an ihrer Seite. Belgien. * ,Petit Bleu' veröffentlicht einen Brief, welcher von früheren Ansiedlern des Congo st aates hsrrührt, und in welchem diese erklären, daß die Anschuldigungen gegen Lothaire und andere höhere Agenten, welche im Congo sich befinden, längst bekannt waren. Sie halten die Anschuldigungen gegen Lothaire für richtig und fordern jeden, dem etwas über die Greuel- thaten bekannt ist, auf, dies zu veröffentlichen. Schweden-Norwegen. *Ein Verfassungskonflikt droht in Schweden. Der Verfassungs ausschuß des Reichstags beantragte, daß die Regierung wegen Vergehens gegen den Z 107 der Ver fassung unter Anklage gestellt werde, weil der Norweger von Litten auf den höchsten Bramtenposten im Ministerium des Auswärtigen gestellt worden und die Ernennung im soge nannten kleinen Ministerrate erfolgt sei. NrMattd. * Den portugiesischen Neutrali tät s b r u ch verurteilt die offiziöse Petersburger ,Nowoje Mremja' in scharfen Ausdrücken. Das Blatt weist auf die in dem Vertrag von 1891 enthaltene Abstimmung hin, nach der englischen Truppen der Durchmarsch durch portugiesisches Gebiet nur zur Verteidigung von Rhodefia gestattet ist. Die Truppen Carringtons dürften sich mithin nur defensiv verhalten, andern falls läge ein Vertragsbruch vor, ebenso wie bei einem etwaigen Einmarsch in Trans vaal. Aus demselben Grunde sei es ausge schlossen, daß die Truppen den Entsatz Mafekings versuchten. * In den Gouvernements, in denen jetzt die Einführung des Branntweinmonopols erfolgt, stellen die Lehrer (!) das größte Kontingent zu den Bewerbern um die Stellen als Verkäufer in den staatlichen Branntwein- Niederlagen. Das mag seltsam erscheinen. Der Branntweinverkäufrr hat allerdings 300 Rubel Gehalt neben freier Wohnung, der Lehrer nur 100—150 Rubel jährlich. Die Folge ist, daß viele Schulen ohne Lehrer bleiben und geschlossen werden mußten. Balkanstsaten. * Der Sultan bewilligte die Forderungen Frankreichs der syrischen Bahn. Der > Botschafter Constans erhielt ein Jrade über- > mittelt, wonach der Sultan auf den kouzesfions- mäßigen Weiterbau der Linie Beirut-Damaskus« Rajak nach Biredjik verzichtet und die Konzession zum Weiterbau nur als von Rajak nach Homs- Hamam, ungefähr 200 Kilometer, bestehend, umgeändert ist. Die jetzt definitiv angenommenen französischen Forderungen wurden von deutscher Seite aus das wärmste beim Sultan unter stützt. Amerika. * New Yorker Blätter fürchten, eine Flotten - Demonstration gegen die Türkei sei unvermeidlich, falls keine Zahlung erfolge, da dis amerikanische Regierung sich schon zu weit engagiert habe, um einen Nück- zng antreten zu können. Nun, da eine Flotten- Demonstration mehr als 100 000 Dollar kosten würde, bedenkt man sich wohl noch! * Der Aufstand der Kubaner gegen ihre „Befreier" scheint eine Thatsache zu sein. Der spanische Konsul in Havana wenigstens be stätigt die Nachricht von einer neuerdings auf- getreteneri anti am e rik a n i s ch e n Bewe gung an mehreren Punkten Cubas. Deutscher Reichstag. Am Dienstag stehen aus der Tagesordnung nur Berichte der W ahlprüfungs-Kom mt f s i o n. Die Wahl des Abg. Graf Dönhoff-Friedrichstein (kons. — 4. Königsberg) wird beanstandet, die Wahlen der Abgg. Boerner (nat. - lib. — Schwarz burg-Sondershausen), Ernst (frs. Vgg. — 1. Brom berg) und Kraemer (nat.-Iib, — Koblenz) werden für gültig erklärt. Die Wahl des Abg. v. Loebell (kons., 8. Pots dam) beantragt die Kommission für ungültig zu er klären. Abg. v. Brockhausen (kons.) beantragt die Entscheidung noch weiterhin auszusetzcn und noch weitere Beweise über die Behauptungen des Protestes zu erheben. Abg. Auer (soz.) stellt demgegenüber fest, daß der von dem Laudrat von Loebell selber aus gegangene Erlaß die Amtsvorsteher zu der falschen Annahme verleitet habe, daß sie verpflichtet seien, von den Erscheinenden den Nachweis ihrer Wahl berechtigung zu fordern. Das sei klipp und klar durch Gerichtserkenntnis festgestellt. Abg. Arendt (freikons.) glaubt gleichwohl, daß vor einer so wichtigen Entscheidung, wie es die Un gültigkeits-Erklärung sei, dem Wunsche der Konser vativen nach nochmaliger Prüfung entsprochen werden sollte. Abg. v. Brockhausen (kons.) bestreitet, daß die Oeffenilichkeit des Wahlakts eine unbedingte sei. Das Verlangen nach einer Legitimation sei also ein berechtigtes gewesen. Abg. Auer stellt fest, daß die Wahlprüfungs- Kommission immer ausgesprochen habe: Die Oeffent- lichkeit der Wahl gestatte jedermann den Aufenthalt im Wahllokal für die Dauer des Wahlaktes. Abg. Spahn (Zentr.) pflichtet dem bei unter Bezugnahme auf ein klares Erkenntnis des Reichs gerichts über den Begriff der Oeffentlichkeit. Der Antrag v. Levetzow, für den die Rechte und die Nationalliberalen stimmten, wird abgelehnt und die Wahl v. Loebells für ungültig erklärt. Sodann werden die Wahlen der Abgg. Graß mann, Götz von Olenhusen beanstandet, die der Abgg. von Kardorff, Gras Bismarck-Bohlen, von Bonin für gültig erklärt. Bezüglich der Wahl des Abg. Will, Wahlkreis Stolp, beantragt die Kommission Beanstandung und Beweiserhebungen. Abg. Gamp (freikons.) rügt ganz allgemein das Wahlvrüfuugs-Verfahren, wonach die Wahlvorstände nur insormatisch, die Zeugen dagegen eidlich ver nommen würden. Abg. Pachnicke (fr. Vgg.) erwidert, daß sich an diesem Verfahren wohl nichts ändern lassen werde. Man könne doch die Beschuldigten nicht anders als informatorisch vernehmen und die Zeugen nicht uneidlich. Abg. Kopsch (fr. Vp.) schildert die konservative Wahlbezirks - Geomeirke in diesem Wahlkreis, die Komrollierung der ländlichen Wähler durch die Gutsbeamten, die Form der Wahlzettel rc. Abg Gamp übt nochmals Kritik an den einge- gangenen Wahlprotesten. Der Antrag der Kommission auf Beanstandung der Wahl wiro angenommen. Inzwischen hat Präsident Graf Balle st rem mitgeteilt, daß der Abg. Sachse-Waldenburg sein Mandat niedcrgelegt hat. Diese ebenfalls aus der Tagesordnung stehende Wahlprüsung erledigt sich! damit. Die Kommission hatte wegen formalerj Mängel bei ber Wahl deren Ungültigkeit bc- s antragt. i Die Wahl des Abg. Stöcker wird für gültig er klärt, die der Abgg. Varon v. Schmid, Fürst Jnn- und Knyphausen und Hänel beanstandet. Die Wahl des Abg. Harriehausen (Bund d.Landw.) beantragt die Kommission für ungültig zu erklären. Das Haus beschließt demgemäß. Die Wahlen der Abgg. Graf Magnis, Haffe, Dietrich werden für gültig erklärt, die der Abgg. Zwick und v. Stumm beanstandet. Im Abgeordnetenhause wurde am Montag die zweite Beratung des Gesetzes über die Bildung der Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen vor genommen. Minister Frhr. v. Rheinbaben bedauerte, daß nicht die Vorschläge der Regierung allgemeine Annahme in der Kommission gefunden hätten. Die Redner stellten sich im allgemeinen zu dem Kow- missionsvorschlage günstig. Das Gesetz wurde mit unwesentlichen Aenderungen und damit in zweiter Lesung erledigt. Das Abgeordnetenhaus überwies am Dienstag den Antrag Epnern betr. die Erhöhung der Dotation der Provinzialverbände um 50 Millionen Mark aus den Ueberschüssen des Etatsjahres 1899/1900 einer Kommission. Abg. Fritzen-Borken (Zentr.) hob hervor, daß es besser sei, mehr für die Tilgung der Staats schulden aufzuwenden, als die Provinzen zu neuen Ausgaben anzureizen. Minister v. Miguel schloß sich dem an und will den Provinzen und nach Maßgabe des Bedürfnisses Staatszuschüsse gewähren. Don Uah rmd Fern. Schierke. Auf einem von der Direktion der Brockenbahn zur Verfügung gestellten Sonderzug kam der Fürst zu Stplberg a« i Freitag bei heftigem Schneesturm auf dem Brocken an und unternahm von dort aus einen Pürschgang nach der Hcimichshöhe, der von Erfolg gekrönt war, indem der Fürst einen kapitalen Auerhahn schoß. Das Unwetter hatte sich gelegt und die herrlichste Winterlandschast bot sich den Augen dar. Mainz. Der Festzug des Gutenberg-Festes soll eine besonders glanzvolle Ausgestaltung er fahren. Er wird aus etwa 2500 Kostümierten bestehen. 40 Wagen werden sich im Zuge be finden und etwa 700 Pferde zur Verwendung kommen. Die Militärverwaltung zeigt fich sehr entgegenkommend, und find auch verschiedene Gruppen militärischen Charakters von Offizieren der Garnison übernommen worden. Kiel. Die Gründung eines Panzerplatten werks, welches als Konkurrenzunternehmen gegen die Firma Krupp geplant ist, ist der Verwirk lichung nahe gerückt. Eine Anzahl deutscher Ostsee- und Nordseewerften, welche sich am Bau von Kriegsschiffen beteiligten, hatten sich behuss Errichtung einer Panzerplattenfabrik vereinigt. Das Wer! soll am Audorfer See, welcher vom Kaiser Wilhelm-Kanal durchschnitten wird, an gelegt werden. Ein Kapital von sieben Millionen Mark steht gutem Vernehmen nach zur Verfügung. Elberfeld. Der Konkurrenzkampf der Warenhäuser untereinander treibt hier eigen artige Blüten. Die Firma Leonhard Tietz er öffnete ihren neu erbauten Prachtbau an der Herzogsstraße und gab die Geschäfts-Eröffnung in großen Anzeigen bekannt. Das große Waren haus von Rudolf Schmöller u. Komp, veran staltete in derselben Stunde in seinen Verkaufs räumen ein großes Konzert und hatte dazu die Kapelle der 11. Husaren berufen. Torgau. Der im März in bedauerns wertem Zustande bei Dehnitz aufgesundene Musketier Hentze vom hiesigen Infanterie-Regi ment wurde hier wieder eiugeliefert. Ende Februar hatte Hentze sich von seiner Kompanie entfernt. Nach ungefähr acht Tagen wurde er in einem Strohfeimen bei Dehnitz gefunden, in dem er sich die ganze Zeit über, nur mit einem leichten Drillichanzuge bekleidet, verborgen hatte. Fast verhungert und mit erfrorenen Beinen ließ ihn die Ortspolizeibehörde in das Garnison lazarett nach Wurzen bringen. Dort find dem Bedauernswerten beide Beine unter dem Knie amputiert worden und er ist genesen. Wehlau. Der Maler Paul wurde hier fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt, als Leiche mrfgefunden. Das Gesicht war entsetzlich zer schlagen. Die Hände müssen geknebelt gewesen sein, denn an den Knochengeleuken befinden sich blutunterlaufene Stellen. Paul war sehr schwächlich. Die Tochter des Krudeudrschers. 18 j Roman von Zo 8 bonReuß. Mmtsctzung.) „Ich komme mst Ihnen", sagte Häuer Weinert erblassend; „ja mü Ihnen — ich, ich möchte dem Herrn Kommerzienrat seine Gerechtigkeit vergelten! — ja, mit Ihnen!" Die Uhr auf dem Hauptgebäude der Gruben- häuser hob jetzt zum Schlagen aus .... Es schlägt sechs. Noch vier Stunden dauert die Schicht, die nachmittags zwei Uhr begonnen ist. Dann steht der Betrieb bis Montag. Noch vier lange Stunden! denkt Friedrich Melzer, indem sich das blonde, lockige Haar entsetzt empor- Mdlbt. Allmächtiger Gott, noch vier Stunden! Der Riesenfahrstuhl, der jedesmal zehn über einander stehende Wagen zu zwölf Zentner Kohlen empor fördert, war gerade oben ange kommen, als Friedrich Melzer und Häuer Weinert am Schacht standen. In überstürzender Eile Wurden die Wagen herausgeschoben und leere/in- gebracht — in einem derselben nahmen^ die beiden Retter Platz. Da, ein Signal der Klingel, ein kurzer Ruck, »nd mü entsetzlicher Geschwindigkeit geht es in die Tiefe hinab — so schnell, daß man die Eisenteile des Schachtes, an welchen man entlang rutschte, für lange feine Linien Hirst. Schon rieselt und plätschert es stärirr von den Wänden und Köpfest auf die Einfcchrenbeu herab. Nie mals, niemals vorher hatten die Einfahrenden die dunkle Reise so überstürzend schnell zurück gelegt, und noch nie war sie ihnen so lang er schienen. Endlich find sie unten, 460 Meter unter Tage. Um den Förderschacht ist alles hoch und schön gewölbt; dazu weht ein kühler, starker Wind, fast wie auf der Erdoberfläche. Donner- ähnliches Gepolter rollt aus den nach allen Seiten abgehenden Gängen den Ankommenden entgegen. Es find die Wagenzüge, welche auf den unterirdischen Hauptstrecken kommen und gehen. Indem sie auf doppelten Schienen gleisen an einander vorübersahren, befördern fie die Kohlen vom Gewinnungsort zum Schacht, und werden je fünf Wagen von zwei Pferden gezogen. „Arme Tiere, ihr seid bestimmt dem Ver derben geweiht!" ruft Friedrich Melzer unwill kürlich, nach den warmen, großen Ställen hin- überblickend, wo dir Bergpferde fich vor nur halb geleerten Krippen behaglich auf ihrem guten Strohlager streckten . . . „Wenn ich fie nur retten kann!" Fest ergreift er die elektrische Leitung der Alarmglocke. Das warnende, rufende Läutewerk erklingt und pflanzt fich in Tiefe und Dunkel heit fort nach allen SeÜen, hundert Meter und mehr. Wieder bange, angsterfüllte Minuten. Der junge Mann zieht die Uhr aus de? Tasche und blickt auf das Zifferblatt — aber wie geistesabwesend . . . Endlich, von weitem er blickt er bewegliche, feurige Punkte, leuchtend wie Irrlichter. Sie kommen näher! ... Ja, es find die durch das Zeichen der Alarmglocke aufgestörten, entsetzten Arbeiter, welche mü ihren Grubenlampen von allen Seiten herbeieilen. „Gott sei Dank!" Noch mehrere schreckliche, spannungsvolle Minuten. Endlich ist alles gesammelt und fitzt im Riesenfahrstuhl — ruhig ergeben, furcht erstarrt, betend und fluchend. Oben empfängtdie Geretteten das bunteste Bild. Der Kommerzienrat, den zu benachrichtigen Friedrich Melzer fich nicht die Zeit nahm, ist auf die von anderer Seite erhaltene Kunde hocherschrocken herbeigeeilt und beobachtet atem los den riesigen Pumpenschwengel des Berg werks, ob er fich noch haushoch in die Höhe hebt, um die durch die Wasserhaltungsmaschinen vereinigten zu Tage geförderten Gewässer der „Irene" durch dickleibige Rohre in den nahen Bach Zu leiten. Rings um ihn stehen die lebhaft gestikulierenden Genossen und die weinenden Frauen und Kinder der gefährderen Bergleute. Freude, Jubel, Entzücken allenthalben beim Anblick der Geretteten. Plötzlich in dem Augenblick, als Friedrich Melzer dem Kommerzienrat entgegentritt, bricht fich eine schlanke Frauengestalt durch die auf geregte Menge Bahn, und stürzt fich, außer fich in Bewegung in die Arme des Jugendfreundes. „Vater, er lebt, er ist mein!" ruft Irene Ullenhagen entzückt, „ich gehe mit ihm bis ans Ende der Well!" In diesem Augenblick stockt der Rirsen- pumpenschwengel zum ersten Mal. Es ertönt von unten heraus ein gewaltiges Stöhnen und Glucksen — wie das Todesröcheln eines sterben den Niesen. Dann steht er still. Häuer Hiller auf der Heide steht sich plötz lich wieder allein mit einem Fußtritt, den el sich nicht ganz zu deuten weiß. Der Blut verlust macht ihn frösteln, und um sich zu er wärmen, kriecht er in den Schäferkarren hinein. Aber Blitz und Donner draußen lassen ihn die ersehnte Ruhe nicht finden. Wenn er im Ein schlafen ist erweckt ihn der Donner wieder, der rollend über die zitternde Heide dahinfährt. Plötzlich fieht er, grell beleuchtet durch einen zuckenden Blitz ein bärtiges Gesicht in den Schäferkarren hineiulugen. Ein zweiter Blitz läßt den Häuer Louis Bernhard aus Saarge- münd erkennen, dem die Zeit im „Gnom" lang geworden ist, um so mehr, als auch sein Ge fährte, Charles Noir, nichts von fich hören läßt, trotz zweistündigen Wartens. Zornig und argwöhnisch hat er fich endlich aufgemacht, um dem Häuer, der das erhobene Geld bringen soll, über die Heide entgegen zu gehen. Da er den Hirten im Schäferkarren vermutet, ist er herangetreten, um nach den Vorüber- gegangenen zu fragen. Der Hirt muß doch wissen, wer aus der Heide gewesen ist. Zu seiner Ueberraschung erblickt Louis Bernhard den Gesuchten im Karren selbst. „Du hier? Wo bleibt Ihr? Wo ist das Geld?" Häuer Hiller redet stockend allerlei. So un verständlich die Auskunft ist, wird dem Spieß gesellen endlich doch klar, daß er — genarrt ist! Der Belgier hat ihn hintergangen und fich mü der Kasse aus dem Staube gemacht! „Und du hast nichts mehr, Spitzbube? Gar nichts?"
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