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Allgemeiner Anzeiger : 07.04.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-04-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190004075
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19000407
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- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
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- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1900
-
Monat
1900-04
- Tag 1900-04-07
-
Monat
1900-04
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 07.04.1900
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Politische Rundschau. Born Kriegsschauplatz. *EinkühnerHandstreich derFrei° staatboeren in unmittelbarer Nähe von Bloemfontein zeigt, daß die Boeren der Oranje-Republik durchaus noch auf dem Posten und nicht willens find, die Waffen niederzu legen. Oberst Broadwood wurde am 31. v., nachdem er sich auf die Kunde von herannahenden starken Boerenkolonnen mit seinen Truppen nach Bloemfontein zurückzog, in einen Hinterhalt gelockt und verlor dabei sieben Geschütze sowie sein ganzes Gepäck. 200 seiner Leute wurden gefangen, 150 ge- > tötet oder verwundet. Roberts schätzt die Stärke der Boerenabteilung auf 10 000 Mann, was stark übertrieben ist. Aber auch auf seinem linken Flügel, etwa in der Gegend, wo Cronje sich ergeben mußte, also zwischen Kimberley und Bloemfontein, steht wiederum eine starke Boeren- kolonne, so daß es nicht nur mit dem Entsatz Mafekings schlecht ausfieht, sondem Roberts' Heer selbst von zwei Seiten bedroht ist. * Der belagerten Garnison von Mafe- king ist von Lord Roberts die wenig tröstliche Nachricht zugegangen, sie müsse sich noch bis Ende Mai zu halten suchen. "Den Typhus und die Masern, an welchen die gefangenenBoeren auf den Transportschiffen leiden, haben sich dieselben in den Verschanzungen von Paardeberg zuge zogen. Die Gefangenen erhoben keine Klage bet', das Wasser und die Nahrung. Sie er halten dasselbe Wasser wie das englische Ge schwader. Der Admiral und der oberste Militär arzt haben die Transportschiffe besichtigt und Befehl erteilt, daß alle transportfähigen Kranken in ein besonderes Hospital am Lande gebracht werden. Es ist Vorsorge getroffen, daß keine Urberfüllung stattfindet. * V He Deutschland. * Der Kaiser hat die Etatsgesetze für das Reich und die für Preußen unterschriftlich vollzogen. Mit dem Reichsetat hat zugleich die Ermächtigung für den Reichskanzler Gesetzes kraft erlangt, den Postcheckverkehr unter Beachtung der vom Reichstage beschlossenen Grundbedingungen durch Verordnung einzu führen. * Die Vermählung der Prinzessin Marie Luise von Cumberland mit dem Herzog Max von Baden findet im Herbst d. in Gmunden statt. * Das Befinden desZentrumführers Dr. Lieber ist durchaus befriedigend, sodaß nach Ansicht der Aerzte in einigen Tagen die Ueberfiedelung nach Camberg erfolgen kann. *Die offiziöse ,Berl. Korr.' erklärt, die preußische Regierung werde die Kommissions- beschlüsse in der Warenhausbesteue rung, die eine „Erdrosselung" der Waren häuser bedeuten, nicht annehmen. * Die Ausarbeitung eines sog. Wein- No t a e s e tz e s ist, wie die Münch. ,Allg. Ztg.' mitteilt, vollendet. Der Entwurf liegt augen blicklich den Einzelregicrungen zur Begutachtring vor und enthält das Kunstweinverbot, die Keller kontrolle in abgeschwächter Form und eine Ver schärfung der Strafbestimmungen. Ob es mög lich ist, das Gesetz noch in der laufenden Session zur Verabschiedung zu bringen, ist einigermaßen fraglich. * Einen besonderen Löhnungszuschuß von 3 Mark monatlich sowie ein Kapitu- lationshandgeld von 50 Mk. erhalten die Mannschaften der Fuß truppen, der fahrenden Artillerie und des Trains, die freiwillig ein drittes Iahr aktiv dienen. Diese Mannschaften dürfen bei den Kompanien und Batterien nicht aus dem Front dienst abkommandiert und zu Unteroffizieren erst dann befördert werden, wenn zur Beförderung geeignete Kapitulanten, die sich zu einer mindestens 4 jährigen Gesamtdienstzeit verpflichtet haben, bei den Kompanien rc. nicht mehr vorhanden sind. Das Kapitulanten-Handgeld wird nur einmal, bei der ersten Kapitulation, gewährt. Mannschaften aller Waffen, die sich schon bei der ersten Kapitulation zu einer mindester . vier jährigen (ehemalige Einjährig-Freiwillige zu einer dreijährigen, Vierjährig-Freiwillige der Kavallerie zu einer fünfjährigen) Gesamtdienst zeit verpflichten, erhalten ein Handgeld von 100 Mark. Oesterreich-Ungarn. *Jm ungarischen Abgeordnetenhause be schwerte sich der Abg. Ugron über die Bevor zugung des deutschen Kapitals in Ungarn. Ministerpräsident Szell erwiderte, die vorherrschende Stellung des deutschen Kapi tals beruhe auf der natürlichen Einwirkung eines benachbarten, überaus mächtigen Wirt schaftsgebietes. Von Botmäßigkeit und Unter würfigkeit könne keine Rede sein. Ungarn könne sich, selbst wenn das Bündnis-Verhältnis nicht bestände, von der Einwirkung der deutschen Wirtschaftsbewegung nicht freimachen. Frankreich. * Die Kammer bestätigte die Wahl deS Grafen Gontaut-Biron zum Abgeordneten von Tarbes. Gontaut-Biron ist der Sohn des früheren Botschafters in Berlin und hat sich als Republikaner wählen lassen, was ihm von der monarchistischen Partei, zu deren Stützen sein Vater gehörte, sehr verargt wird. * Der ehemalige Kolonialminister Chautems hat einen interessanten Plan für vie Bildung einer Kolonialarmee ausgearbeitet. Da nach sollen drei selbständige Armeen für Ind o- chi na, Madagaskar und Westafrika geschaffen werden. Die Truppenzahl soll auf 100 000 Mann erhöht werden und die Armee aus einem Drittel Weißen und zwei Drittel Eingeborenen bestehen. Die Rekrutierung soll durch Pensionen und Landkonzessionen gefördert werden. Italien. * Präsident Colombo, der sein Amt niedergelegt hatte, wurde von der Deputierten kammer mit 265 Stimmen (gegen Biancheri mit 158 Stimmen und 12 weiße Zettel) wieder gewählt. Da die äußerste Linke gegenColombo höchst aufgebracht und außerdem fest entschlossen ist, die Festsetzung einer neuen strammeren Ge schäftsordnung zu verhindern, so wird die in der Wiederwahl Colombos enthaltene Kund gebung der Mehrheit zu Gunsten der Regierung au der allgemeinen Lage nichts ändern. *Der Präsident des deutschen Reichstages Graf Balle st rem wurde am Sonntag vom Papst Leo empfangen. Dänemark. *Der Folkething hat die Vorlage betr. die Fähr-Verbindung Giedser- Warnemünde in dritter Lesung ange nommen und sie an das Landsthing gelangen lassen. Portugal. * Regierungskreise versichern aufs bestimmteste, daßzwischenPortugalundEngland keinGeheimvertrag betr. eventueller eng lischer Truppensendungen durch portugiesisches Gebiet besteht, und daß die Regierung demnächst in der Kammer eine diesbezügliche Erklärung abgeben wird. Rustland. *Die Verhandlungen zwischen Rußland und der Pforte wegen der Eisenbahnen in Kleinasien südlich vom Kaukasus find in einer Rußland vollkommen befriedigenden Weise abgeschlossen worden. *Die russische Heeresverwaltung hat die seit zwei Jahren angestellten Versuche mit S ch ne ll° feuerfeldgeschützen verschiedener Systeme abgeschlossen und sich zunächst für die Ein führung des russischen Modells des bekannten Artillerie-Generals und Vorsitzenden des Artillerie- Hauptkomitees, Engelhardt, entschieden. Zwei Petersburger Werken find 1200 Geschütze in Auftrag gegeben. Trotzdem werden auch fernerhin die Versuche mit ausländischen Systemen fortgesetzt werden, um vielleicht später, falls das Engelhardtsche Modell doch nickt allen An sprüchen genügen sollte, die Möglichkeit zu haben, zu einem noch besseren System übergehen zu können. Balkanstaaten. *Der Frühling ist nun einmal für die Staaten der Balkanhalbinsel die Zeit nervöser Erregtheit. Es scheint, daß auch der Sultan sich solchen Stimmungen nicht entziehen kann. Der serbische Gesandte Nowakowitsch ist ohne Abschiedsaudienz beim Sultan abgereist, da letzterer an einer leichten Erkältung leidet. Trotz seines Unwohlseins wohnte der Sultan aber dem Selamlik bei. — Den dem armenischen Patriarchen wiederholt zugekommenen armenischen Briefen mit Todes drohungen wird keine große Bedeutung bei gelegt. Das Vorhandensein eines Revolutions- Komitees wird bezweifelt. Vielfach wird die Vermutung ausgesprochen, daß die Drohbriefe auf Mystifikation zurückzuführen feien. Amerika. * Der Unterstaatssekcetär im Ministerium des Innern, Webster Dawis, der nach Washington aus Südafrika zurückgekehrt ist, hat sein Amt niedergelegt. Er hat ein Theater ge mietet, wo er Vorträge zu halten gedenkt, in welchen er sich gegen die Engländer wenden, das Lob der Boeren verkünden und die Intervention der Ver. Staaten befürworten will. Kewegliche Getrei-eMe. Im neuesten Heft der .Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik' (Jena, Gustav Fischer) erörtert der Königsberger National ökonom Prof. Dr. Karl Diehl die Frage der Einführung beweglicher Getreidezölle, wie sie im Hinblick auf den Ablauf der bestehenden Handels verträge neuerdings u. a. von Kühn, von der Goltz und Ehrenberg vorgeschlagen worden find. Auf Grund einer umfassenden Untersuchung über die Wirksamkeit der beweglichen Zölle in Eng land kommt Diel zu dem Ergebnis, daß der Vorschlag, in irgend einer Form diesen Grund satz in unsere Gesetzgebung einzuführen, un zweckmäßig ist. Diehl hält im Gegensatz zu Ehrenberg die in England gemachten Erfahrungen für sehr entmutigend; Modifikationen im kleinen aber würden nichts ändern, sobald das fehler hafte Prinzip, die Zölle nach der Preislage ver änderlich zu gestalten, angenommen sei. Die Hoffnung Kühns, daß infolge solcher abgestuften Zölle allzu hohen Preisen vorgebeugt würde und „ein relativ gleichmäßiger Stand der Getreidepreise, und zwar guf mittlerer Höhe" erzielt werden könnte, hält Diehl sür illusorisch Er schreibt: „Aller Wahrscheinlichkeit nach würden die Preisschwankungen noch viel heftiger werden, und die ganze gesetzliche Maßregel würde weder dem Landwirt noch dem Konsumenten Nutzen bringen, auch nicht dem soliden Getreidehandcl, sondern einzig und allein dem Getreidc- spekulantentum .... Die anomale Preis gestaltung zu bestimmten Zeiten könnte zur Folge Haben, daß die Zollpolitik für lange Zeit dadurch beeinflußt würde, wieder sehr häufig zum Nachteil der Landwirtschaft, z. B. wenn einer vorübergehenden Preiserhöhung halber die Zölle ganz aufgehoben würden und daraufhin reichliche Getreidezusuhren erfolgten, die ihre preiserniedrigende Wirkung noch zu Zeiten aus üben, wenn die Preise ganz verändert find. Was aber immer wieder zu betonen ist: die Spekulation würde sicherlich dieses Gesetz sich zu nutze machen; so wenig die Spekulation im stände ist, die Preistendenzen zu beherrschen, so sehr vermag sie, diese nach oben und unten zu verstärken. Mit Sicherheit ist vorauszusehen, daß in allen den Fällen, wo die Getreidepreise sich dem Maximalprrise (215 Mk. pro Tonne) nähern, also Weizen etwa auf 213, 214 steht, alle Anstrengungen gemacht würden, auch das Maximum zu erreichen, bei welchem die freie Einfuhr erlaubt ist." Herr von der Goltz glaubt die Gefahr der Spekulationswut durch den Vorschlag vermeiden zu können, daß die Aenderungen in den Zoll sätzen nur klein bleiben sollen, nämlich, daß die Herabsetzung bei 50 Pf. Preissteigerung pro Doppelzentner bloß 25 Pf. Zoll zu betragen habe. Nach Diehls Ansicht aber macht es für den, der in großem Maßstabs spekuliert, keinen großen Unterschied, ob die Zollsätze um kleine oder um große Beträge variieren. Auch hat der Goltzsche Plan noch den besonderen Mangel, daß die Zolländerungen für ein ganzes Jahr bestehen bleiben sollen; nun war z. B. im Notjahr 1891 der Roggenpreis so hoch, daß nach dem Goltz- schen Vorschlag der Roggenzoll für das ganz« Jahr 1892 hätte aufgehoben werden müssen, obwohl im Jahre 1892 der Roggen zeitweilig nur auf 139 Mk. pro Tonne stand. Im Teuerungsjahr 1891 selbst jedoch, wo gerade die Einfuhr sehr erwünscht hätte sein müssen, wäre auf Grund der Preise von 1890 ein Zoll von 2,15 Mk. erhoben worden. Wenn von der Goltz des weitern die Gefahr der englische» Skala als durch die gegenwärtigen Verkehrs verhältnisse überwindbar anfieht, so scheint Diehl umgekehrt durch die infolge der verbesserten Ver kehrsmittel enorm gesteigerte Möglichkeit leichterer Herbetschaffung von Getreidemassen die Gefahr eines veränderlichen Zolles noch verstärkt z» sein, weil die Spekulation viel leichter als früher die Preisbewegungen ausnutzen kann. Endlich erörtert Diehl den Hauptvorzug der Handelsvertragspolitik: die gewisse Stabilität, die bei festen Zollsätzen in den Handelsbeziehungen der beteiligten Länder geschaffen wird. Durch die Einführung beweglicher Zölle würde dieser Vorzug verschwinden. > ! ! SS—SiS» Ko« N'ch «nd Fern. Bremen. In der Halbmonatsschrift .Nieder sachsen' wird die Anregung zu einem zu gründenden Museum niedersächsischer Altertümer gemacht. Bereits in mehreren Städten Nord west-Deutschlands hat man die vorgeschichtlichen und späteren Schätze gesammelt, aber immer be dauert, daß es an einem einheitlichen Mittel punkt für alle Sammlungen fehlt. Das wird auch jetzt nicht gleich zu erreichen sein, und so erstrebt man zunächst die Gründung einer Stätte, wo man den Jetztlebenden einen lebendigen Anschauungs-Unterricht über Gewohnheiten, Trachten u. s. w. der Vorfahren geben kann. Man schlägt dazu den Erwerb eines schönen alten Baue nhaujes vor, in dem alle Trachten und Gewebe, Möbel und Holzarbeiten, Töpfer arbeiten, Metallarbeiten, Trinkgeschirr u. s. w. Platz finden sollen. Um das zu erreichen, erstrebt man die Bildung eines Nieder sachsenbundes , der als seine Aufgabe betrachten soll, die Errichtung eines Museums in der vorgeschlagencn Art zu erreichen und auch sonst die Sammlung von Alter tümern im Auge zu haben. Als Gebiet, in dem ein solches niedersächsisches Museum zu er richten wäre, ist die Gegend von Ottersberg oder Rotenburg, Bremervörde oder Harsefeld und Stade ausersehen, weil sich hier die Reste alter Gewohnheiten am meisten erhalten haben. Konitz. Ein Teil der auf 6700 Mk. er höhten Belohnung soll demjenigen gezahlt wer den, der durch Ausfinden der noch fehlenden Leichenteile die Untersuchung fördert. Seit dem 30. v. weilt ein dritter Kriminalbeamter in Konitz. Die Vernehmungen dauern fort, lieferten aber bisher kein nennenswertes Resultat. Durch die neuliche Obduktion der Leichenteile ist fest gestellt worden, daß Winter unter Umständen schon bald nach dem Mittagessen sein Lebe» geendet haben kann. In der Speiseröhre wurden unverdaute Speisereste eines vorher eingenomme nen Mittagsmahles (Schweinefleisch, Kartoffeln und saure Gurken) vorgefunden. Diese Speise reste find übereinstimmend mit den Angaben des Pensionsvaters des Ermordeten, Bäckermeisters Lange. Hannover. Ein seltener Taufakt ist in einem hiesigen Schwimmbade vollzogen worden. Es hatten sich einige 30 Personen, Frauen und Männer einer Glaubensgemeinschaft der Wieder täufer, mit ihrem Prediger eingefunden. Die Taufe wurde an 13 Personen in allen Alters stufen vollzogen. Unter diesen befand sich auch eine alte, etwa 65jährige Frau. Der Prediger hielt eine Ansprache, worauf er sich mit dell Täuflingen, die sich ihrer entbehrlichsten Kleider entledigt hatten (Herren behielten Hemd und Hose, Frauen Hemd und Unterrock an), in dell Baderaum für Nichtschwimmer begab. Bei dell Worten: „Ich taufe euch nach eurem Glaubens bekenntnisse", nahm er jede Person einzeln und tauchte sie nach rückwärts unter. Die Tochter des Grubenbesitzers. Ivj Roman von Zoö von Reuß. lFortsetzun«.) Mehr als Schimpf und Hohn griff der Anblick ihres verratenen Liebhabers an Gesinas Herz. Während er ste daheim erkämpfte und sie seine „Freite" angenommen, hatte sie den Verführungskünsten des jungen Herrn Gehör gegeben. Glücklicherweise war es nicht über einige gelegentliche Zärtlichkeiten hinaus- gegangen, vor Schlimmem hatte sie ihr guter Engel bewahrt! Dennoch schlich sie gebrochen, zerschmettert nach Hause. Auch die beiden Freunde trennten sich still. Während Friedrich Melzer auf kürzestem Wege das Seitengebäude der „Irene" gewann, in dem seine Wohnung belegen war, stand der junge Bauer — gesammelt, aber noch immer unbeweglich — auf der Stelle, die all sein Glück begraben hatte. Er dachte nicht an das Leid, das er dem Starrsinn und dem Geiz des Vaters gegenüber erduldet hatte, auch nicht ein mal an ihre Untreue; er fühlte im Augenblick nur ihren Verlust! Selbst wenn der Freund noch bei ihm geblieben — er hätte jetzt schwer lich reden können. Dafür biß es ih n in den Augen, tropfte schwer die Wangen herunter — schamhaft wischte er sich mit der schwieligen Hand -ine bittersalzige Thräne ab. Und dazu sang laut und schluchzend die Nachtqall das alte Lied des tiefsten Menschenleids und höchsten Menschenglücks, wie es in heißer Jugendbmst lebt von Anbeginn der Welt, auf Thronen und in Hütten. 11. „. . . . Das Geld ist al o wirklich zu Ende? Die Streik-Kasfe ist richtig chon leer, Hiller?" fragte Häuer Weinert am Montag abend seinen Kameraden, den Häuer Hiller im „Gnom", wo man wieder einmal überlegend zusammensaß. „Eine Hand voll Markstücke wird noch drin bleiben morgen nach der Auszahlung, entgegnete Häuer Hiller, der gleichfalls zu dem Arbeiter stamm gehörte, mit dessen Hilfe Kommerzienrat Ullenhagen sein Werk begonnen und weiter geführt hatte. „Dann — ist der Spaß zu Ende! „'s ist ganz verdammt schnell gegangen," meinte kopfschüttelnd Häuer Severin mit eigen tümlicher Betonung. Die ganze Sache ist eben übereilt!" ent schied Häuer Weinert wieder. „Man hätte dem Alten vorher das Wort gönnen können; er hat noch immer mit fich reden lassen! Wir Alten kennen ihn! Macht's kurz — 's ist das beste, gleich vor die richtige Schmiede zu gehen! . . . Ich weiß, daß er thun wird, was er kann." „Wollt ihr unsere Sache ganz verderben?" fuhr Louis Bernhard aus der Saargegend da zwischen. „Weil die Alten faul und zähe find, müssen fich die Jungen den Mund wischen. Wir wollen aber nicht mehr auf diese Weise," setzte er trotzig hinzu, indem er den Schoppen hinuntergoß. „Ich sage euch, es wird was Ordentliches zusammenkommen mit der Sammlung, laßt uns beide nur machen!" meinte Charles Noir, ein geborener Belgier, der mit Louis Bernhard zu sammen im vorigen Herbst aus dem Westen nach der roten Erde gekommen war und auf der „Irene" Arbeit gefunden hatte. Er war von kleiner Statur, was neben den westfälischen EnakSsöhnen doppelt hervortrat, und verfügte auch nur über eine geringe Körperkraft. Dennoch war er, durch eine angeborene Beweg lichkeit und Zähigkett unterstützt, bis jetzt ein brauchbarer Arbeiter gewesen. Wenig über dreißig Jahre all, hatte er fich bereits viel ver sucht und hatte sogar in einem amerikanischen Bergwerk gearbeitet. Daß er der kommunistischen Arbeiterverbindung, der Internationale, angehörte, hatte er bis jetzt geheim gehalten, wenn er auch oft genug äußerst ruhmredig von seinen Ver bindungen sprach, „vor denen fich Kaiser, Grafen und Kommerzienräte nur in acht nehmen sollten." . . . „Ihr könnt euch gar nicht vor stellen. wieviel Geld eigentlich in der Welt ist, ihr mtt euern beschränkten Dickköpfen!" schloß er verächtlich. „Warum wollt ihr das Faß nicht anzapfen?" fragte Louis Bernhard wieder. „Ich bin's zu ft ieden, wenn der Spaß noch ein Weilchen weitergeht!" sagte Häuer Hiller, der vor Jahren der stattlichste Bursche und der tüchtigste Arbeiter der ganzen Zeche gewesen war. Aus dieser Zett schrieb fich auch das An sehen her, das er immer noch genoß. Weil er die beste Schulbildung besaß, war ihm auch die Streikkasse anvertraut worden, und hatte er Soll und Haben gewandt wie ein Buchhalter gebucht. Leider fing es aber neuerdings an, mit ihm bergab zu gehen. Von Haus aus ein schwacher Charakter, war der Tod seiner Frau, mtt der er ein Vierteljahrhundert in zufriedener Ehe gelebt trotz des kräftigen Pantoffels, den ste geführt, für ihn ein Unglück geworden, das durch nichts auszugleichen war. Er trieb fich in de» Wirtshäusern umher und verkehrte mtt Elementes denen er früher immer aus dem Wege gegangen war. Auf solche Weise war er auch den beide« Fremden in die Hände gefallen, die fich von Anfang an den Einsamen und Unzufriedene» herangedrängt hatten. „Der Alte drüben soll es erst ordentlich gewahr werden, wie notwendig unsereiner ist," schloß er wichtig. „Der Alte ist gut," lenkte Häuer Weinert ein. „Wenn man in einer schönen Villa wohnt und seine Fünfzigpfennig-Zigarre auf seinem Balkon rauchen kann und Champagner trinkt oder Dortmunder Löwenbräu, macht fich daS Gutsein ausgezeichnet," sagte der Belgier hämisch. „Der Herr Sohn ist auch dann noch ei» Windhund und Spitzbube," setzte Häuer Severin hinzu. „Soll ich's auffetzen, ich meine die Schrift an die Gesinnungsgenossen?" fragte Charles Noir wieder, indem er seiner Brieftasche einen schon bereit gelegten weißen Bogen entnahm und die Bleifeder spitzte. Die trei älteren Häuer sahen fich unterein ander an, dann sagte Hiller: „Immer zu! Meinetwege»>mag das Rad wetterlaufen!" Der Belgien hatte vermutlich schon bei ähn lichen Situationen den Ratgeber gespielt und besaß für sein Schriftstück irgend eine Schablone. So war es schnell entworfen und lautete in deutscher Sprache: „An alle Freunde der Arbeitersache! Der Druck der materielle» Verhältnisse und
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