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Allgemeiner Anzeiger : 07.03.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-07
- Sprache
- Deutsch
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- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190003077
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1900
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Monat
1900-03
- Tag 1900-03-07
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Monat
1900-03
-
Jahr
1900
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 07.03.1900
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Politische Rundschau. Bom Kriegsschauplatz. »Wie schon so oft in dem gegenwärtigen Kriege, so scheint auch jetzt nach dem Entsatz von Kimberley und Ladysmith eine größere Pause einzutreten. Auffälliger weise verzögert sich auch der Vormarsch Roberts' auf Bloemfontein. Selbstredend ist diese Verzögerung für die Boern ein Gewinn. General Joubert wird mit einem Teil seines Heeres die Natalpässe an der Trans vaalgrenze decken, der andere ist vor Bloemfontein eingetroffen und hat sich dort mit dem entkommenen Teil der Cronje- Armee ver einigt. Für die Engländer mit ihrem starken Train ist die jetzt begonnene Regenzeit sehr lästig. * Für die Boern ist der Entsatz Lady smiths ein neuer, schwerer Schicksalsschlag. Nicht nur, daß die Kriegsarbeit von vier langen Monaten vergeblich war, daß sie das Feld räumen und dem Feind den immerhin wichtigen Punkt überlassen mußten, wird sie mit Nieder geschlagenheit erfüllen, sondern es kommt noch der Gedanke hinzu, daß durch die recht zeitige freiwillige Aufgabe der Stadt, die nun doch unvermeidlich geworden ist, die Kapi tulation Cronjes hätte vermieden werden können. »Der Jubel in England über den Entsatz von Ladysmith ist naturgemäß noch bedeutend größer als der über die Kapitu lation Cronjes. Niemand kann auch etwas da gegen einwenden, daß die Engländer über die Befreiung einer Streitmacht hohe Freude em pfinden, die vier Monate lang mit größter Standhaftigkeit allen Leiden einer Belagerung getrotzt hat. * Aus dem nördlichenKapland ziehen sich die Boeru ebenfalls zurück. Es liegen folgende Meldungen vor: General Clements ist in Colesberg eingerückt; es wurde ihm ein begeisterter Empfang bereitet. Der Feind ist in vollem Rückzüge. Eine Anzahl hervor ragender Einwohner wurde verhaftet. — Eine weitere Depesche des Feldmarsch. Roberts, datierr Paardeberg, 28. Februar, besagt: Auf die Nachricht, daß die Boern ColeSberg geräumt hätten, entsandte General Clements Truppen zur Besetzung von Colesberg-Junction und ritt dann selbst in ColeSberg ein, wo er mit Jubel begrüßt wurde. Er erbeutete in ColeSberg Munition, ließ mehrere Rebellen verhaften und kehrte dann nach Rensburg zurück. * Die Transvaalgesandtschaft in Brüssel teilt mit, daß durch die Kapitu - lation Cronjes sich die politische Situation keineswegs geändert habe. Beide Republiken haben noch über 50 000 Diann Kerntruppen im Felde stehen, ohne andere Zugänge zu rechnen. Gegenwärtig vollziehe sich eine Konzentration auf Winburg im Zentrum des Oranjefteistaates, um die Linie Harrismith, sowie anderseits die nach Heidelberg zu decken. Cronje dürfte bannt einverstanden gewesen sein, daß man ihm nicht mit der ganzen Macht zu Hilfe kam. Er opferte sich sowie einen Teil seiner Streit kräfte, um den besten Teil seines Materials sowie eine Anzahl von Truppen zu retten. H- * * Deutschland. * Der Kaiser empfing am Donnerstag im König!. Schlöffe zu Berlin die unter Führung des Herzogs von Veragua stehende spanische Deputation. * Nach einer Berliner Meldung des .Daily Telegraph' soll Kaiser Wilhelm Tele gramme an die Königin Viktoria und und den Prinzen von Wales gerichtet haben, in den in herzlichen Ausdrücken Lord Roberts' Erfolg berührt worden sei. — Von den deutschen Zeitungen wird die Richtig keit dieser Meldung stark augezweifelt. Die Familienkorrespondenz des Kaisers entzieht sich freilich ebenso der öffentlichen Kennt nis, wie der Beurteilung. Filial - Postamt zu eröffnen, ist fallet gelaffen worden. *Die Reichsregierung erklärt in halbamt licher Form, daß sie den „Diktaturpara graphen" in den Reichs landen noch nicht entbehren und deshalb den Be schluß des Reichstags nicht sich anrignen könne. * Zum Postcheckwesen hat die Unter kommission der Budgetkommisfion des Reichs tages vorgeschlagen, im Etatsgesetz zu be stimmen, daß die Guthaben nicht zu ver zinsen find, dagegen der Checkoerkehr ge bührenfrei durch die Post zu vermitteln ist unter der Voraussetzung, daß bei einer Einlage von 100 Mark nicht mehr als 500 Buchungen erfolgen. Sonst ist die Einlage zu erhöhen. Die Verzinsung der Guthaben der Post durch die Reichsbank soll mindestens 1V- Prozent be tragen und je nach dem Diskontosatz bis zu 3 Prozent sich erhöhen. * Das Reichsgesundheitsamt legt einen be sonderen Wert darauf, daß der Entwurf eines Reichsseuchengesetzes dem Reichstag noch vor Ostern zugehe, damit er noch in dieser Tagung verabschiedet werden könne. Bisher begegnete allerdings die Erledigung dieser Vor lage in den Bundesratsausschüssen einigen Schwierigkeiten, doch hofft man, daß es ge lingen werde, sie bald zu überwinden. Im Reichs amt deS Innern wird gegenwärtig an einem Not-Wein-Gesetzentwurf gearbeitet, worin an Stelle der bisherigen Deklarations pflicht ein vollständiges Verbot der Herstellung von Kunstwein treten soll. Auch diese Vorlage soll mit möglichster Beschleunigung an den Bundesrat und den Reichstag gelangen. »Der Antrag, einjährige Etats perioden statt der dreijährigen einzuführen, den die Liberalen im Landtag zu Sachsen- Weimar gestellt hatten, ist am Mittwoch der Regierung zur Erwägung überwiesen worden. * Die Chinesen im Innern der Provinz Schantung, welche zu Anfang dieses Jahres durch Belästigungen der deutschen Ingenieure und Arbeüer die Bahnarbeiten bei Kaumi zu stören versuchten, scheinen sich be ruhigt zu haben. Bekanntlich wurde von dem Gouverneur, Kapitän zur See, Jaeschke, sofort eine Kouipanie des Seebataillons von Tsingtau nach Kaumi in Marsch gesetzt. Darauf haben die Belästigungen an der Bahnstrecke aufgehört, sodaß die Kompanie bereits in Kiautschou — der halbe Weg nach Kaumi — Halt machen und vorläufig auch dort verbleiben konnte. Frankreich. »In der französischen Deputierten-Kammer sprach sich am Donnerstag bei der Beratung des Marinebudgets Admiral Rieunier für den Bau starker Geschwader- Panzer aus und wies auf das Beispiel Deutschlands, England« und der Ver. Staaten hin. Lockroy erklärte es für notwendig, bedeutende Geldopfer für die Marine zu bringen; die auswärtige Politik Frankreichs hänge von seiner Macht zur See ab. Er bedauerte, daß man vom Budgei die Forderung für den Bau von acht Unterseebooten vom Typ „Narval" gestrichen habe und ver langte, daß in Bizerta sofort alle notwendigen Arbeiten ausgeführt werden. England. * lieber weitere englische Rüstun gen führte der Kriegsminister Lansdowne am Donnerstag im Oberhaust aus, daß in der mit dem 4. März endenden Woche 8 Schiffe mit 4700 Mann abgehen sollen, am 11. März 5 Schiffe mit 11800 Mann, am 18. 11 Schiffe mü 9900, am 25. 9 Schiffe mit 8900 und am 1. April 6 Schiffe mit 3200 Mann, zusammen rund 38 800 Mann. Westere 17 800 werden bald darauf folgen, für welche di- Schiffe noch nämlich in Belgien eine Gesellschaft zum Zweck der Ausnützung des chinesischen Marktes mit einem Kapstal von sünf Mil lionen Frank konstituiert, deren Bestrebungen auf die Initiative König Leopolds selbst zurück zuführen feien. Beernaert ist Präsident der Gesellschaft und soll mit seiner Berliner Reise bezweckt haben, daS Interesse der dortigen maß gebenden Kreise für eine geographische und kauf männische Erforschung Chinas unter Führung jener Sozietät zu gewinnen. Spanien. »Der Premierminister Silvela erhielt ein Kabeltelegramm aus Manila, vom spanischen Konsul, welches besagt, daß der Dampfer ,Mava" mit einer Anzahl befreiter Spanier, und zwar 71 Offiziere, 388 Ge meine und 17 Geistliche, dort eingelaufen sei und bald nach Spanien abfahren werde. Aus dem Reichstage. Der Reichstag erledigte am Donnerstag in Fort setzung der zweiten Etatsberatung den Etat des Auswärtigen Amts. Abg. Gradnauer (soz.) kritisierte die Haltung Deutschlands zu der Friedenskonferenz und tadelte daS Verhalten der deutschen Delegierten. Staatssekretär Graf v. Bülow erwiderte, die deutsche Politik sei stets auf Erhaltung des Friedens aus gegangen ; die im Haag zu stände gekommenen Kon ventionen und Deklarationen würden dem Reichstag zugehcn, sobald die Ratifikation stattgefunden hätte. Wegen der Beschlagnahme deutscher Dampfer er widerte der Unterstaatssekretär v. Richthofen, daß die Höhe der Entschädigungsansprüche an England noch nicht scstgestellt worden sei. Nach Erledigung des Ausgabctitels „Staatssekretär" kam es zu keiner größeren Erörterung mehr. Am 2. d. wird die zweite Etatsberatung fortge setzt bei dem Etat für die V erw altu n g der Kaiserlichen Marine in Verbindung mit dem Etat fürK i aut s ch o u. — Bei dem Titel „Staats sekretär" beantragt Abg. Eickhoff (frs. Vp.), den Etat für Kiau- ijchou an die Budgetkommission zurückzuverwcisen. Seine Freunde seien keineswegs Gegner jeder Kolonialpolitik, sie hätten nur gegen die Erwerbung der afrikanischen Besitzungen gestimmt, weil diese keinen Ertrag versprechen. Was Kiautschou betreffe, so hätten seine Freunde die Erwerbung desselben freilich gebilligt: denn eS sei anzuerkennen, daß das Reich in China einen Stützpunkt haben müsse. Seit dem seien aber bereits 23 Millionen für diesen neuen Besitz aufgewendet worden, und es sei nun wohl an der Zeit, daß man etwas Näheres über die Aus sichten erfahre, welche die Erschließung des Kohlen lagers in der Provinz Schantung eröffnen, und wann aus die Herstellung der Eisenbahnen zu hoffen sei. Leider scheine aber die Marineverwaltung hinsichtlich der Gesundheitsverhältnisse manches zu verschleiern. In der Denkschrift seien nur die Todesfälle ange geben, nicht aber die Zahl der Erkrankungen. Staatssekretär Titpitz: Die Vorbereitungen der Eisenbahnbauten sind so gefördert, daß die erste Strecke in zwei Jahren wird eröffnet werden können. Auch die Hafenbauien werden bis dahin fertiggestellt sein. Die GcsundheitSverhältnisse sind allerdings zeit weise ungünstig, aber das hat seinen Grund in an deren Ursachen, als der Vorredner anzunehmen scheint. Wenn früher von günstigen Verhältnissen die Rede gewesen ist, so darf sich der Vorredner nicht das Klima einer europäischen Sommerfrische - vorstellcn. ES war nur gemeint: günstige klimatische Verhältnisse im Gegensatz zu andern Orten der chinesischen Küste. Daß die klimatischen Verhältnisse nicht ungünstig sind, beweist schon die Thatsache, daß nur ein einziger Malariafall vorgekommen ist. Vor allem vorherrschend gewesen sind Fleckentyphus und Darmtyphus, aber die genaue Zahl der Erkrankun gen konnte in der Denkschrift noch nicht angegeben werden. Ich werde die Zahlen in der Kommission uütteilen. Die Wasserversorgung hat sich inzwischen, ! da wir eine Quelle für gutes Trinkwafser entdeckt ! haben, wesentlich gebessert. ! Bei dem Kapitel „Instandhaltung der Flotte und Werften" bring: Abg. Singer (soz.) die auf den Wersten neuer dings eingeführte« sogenannten DienstaltcrSMagen zur Sprache, die den Arbeitern nicht etwa auS- gezahlt, sondern aus ein Sparkaffenbuch eingeschrieben werden sollen. Er könne darin nur eine versteckte Maßnahme sehen, um die Arbeiter au die Scholle : zu fesseln. Es komme noch der weitere mißliche Umstand hinzu, daß die Zulagen nur als Prämim j für Wohlverhalten gewährt werden sollen. Sodann führt Redner Beschwerde darüber, daß häufig ältere ! Ndreiter durch wiederholte Versetzung in andere j Werkstätten in ihren Loyneinkimften geschmälert würdcu. * Wie die ,Pol. Korr.' aus Konftantrnopel «eldet, werden demnächst in Smyrna, Bei rut und Jerusalem deutsche Post ämter errichtet werden. Die Absicht der deutschen Postverwattung, auch in Salonichi ein nicht bestimmt find. Italien. * Papst Leo XlN. feierte am Freitag seinen SO. G eburtstag und am nächsten Tage den 22. Jahrestag seiner Thronbesteigung. Belgien. »Die Mission Beernaert nach Berlin soll, - wie jetzt verlautet, bloß kommerzielle Ziele verfolgt haben. Vor kurzem hat sich Staatssekretär TirPitz erwidert, bet den AltcrS- zulagen handle es sich einfach um die Umwandlung einer bisherigen Zugabe in eine rechtlich den Arbeitern zustehende Zulage. Dieselbe sei keineswegs geringfügig, sie belaufe sich insgesamt für das Jahr auf 110 000 Mk. Für die Form der Zulagen sei allerdings die Absicht witbestimmend gewesen, den Spürsinn zu wecken. Abg. Singer wendet sich nochmals gegen solche Art des WohlthunS durch Sparzwang. Staatssekretär Tirpitz entgegnet, die Arbeiter selbst seien mit den Dienstalterszulagen zufrieden, die Arbeiter-Ausschüsse hättm den Werst-Verwaltungen ihren Dank ausgesprochen. Abg. Rickert (ft. Vgg.) empfiehlt dcni Staats sekretär mit Lohnkürzungen bei älteren, nicht mehr boll leistungsfähigen Arbeitern recht rücksichtsvoll zu verfahren. In Danzig werde möglichste Rücksicht schon seit langer Zeit geübt. Sodann fragt Redner an, ob die in Danzig vorgenommencn Kürzungen des Akkordverdienstes von Berlin aus angcordnet worden sei oder nicht. Staatssekretär Tirpitz entgegnet, cs sei weder eine solche Kürzung von hier auS angeordnel, noch auch in Danzig in Kraft getreten. Es seien dort nur einige Akkordsätze um ganz geringe Betrüge gekürzt worden. Damit schließt diese Debatte und das Ord!» narium wird gemäß den Kommisfionsanträgen ge nehmigt. Bei den einmaligen Ausgaben, Titel: „Beihilfen an Ellerbeck nnd Gaarden," 2S 000 Mk., beantragt die Kommission Bewilligung dieses Titels und dazu folgende Resolution: „Die verbündeten Regie- rimgen zu ersuchen, die Beihilfen für die Gemeinden Gaarden und Ellerbeck dem Bedürfnis entsprechend zu erhöhen." Abg. Stockmann (freikons.) beantragt daneben die folgende weiter» Resolution: „Die verbün deten Negierungen zu ersuchen, dem Reichstag mög lichst noch in dieser Session einen Gesetzentwurf vor zulegen, durch den die Beitragspflicht der Reichs betriebe zu den Kommunallasten grundsätzlich 'aner kannt und gleichzeitig der Maßstab sestgestellt wird, nach dem die Beitragspflicht zu bemessen ist." Geheimrat Plate erwidert, über diese Frage hätten wiederholt Verhandlungen geschwebt, dieselben hätten zu keinem Resultat geführt, da es au den nötigen Grundlagen für eine solche Kommunal besteuerung des Reiches fehle. Die Verhältnisse in Preußen und dem Reiche seien eben ganz ver schieden. Abg. Pachnicke (frs. Vgg.): Der Einwand deS Kommissars ist doch nur formaler Natur. Jedenfalls sind die Umstände bei den Reichsbetrieben genau dieselben, derenthalben in Preußen die Staatsbetrieb« zu den Kommunallasten herangezogen werden. Es werden schließlich sowohl die Resolution der Kommitfion wir dir Resolution Stockmann ange nommen. Weitere Debatten entstehen beim Marine - Etat nicht mehr. Es wird noch eine Resolutton der Kom mission, in der die Erwartung ausgesprochen wird, „daß künftig Umgestaltungen von Schiffen, wie des Küstenpanzerschiffes „Hagen", nicht ohne vorherige besondere etatsniäßige Bewilligung vorgenommen werden", dcbattclos angenommen und schließlich gegen die Stimmen der Konservativen der Antrag Richter auf Verweisung des Kiautschou-Etats an die Kommission angenommen. Pr-upisch-r Kandlag Am Donnerstag begann im Abgeordnetenhause die Beratung des Eisenbahnetats, zu welcher ein auf Ermäßigung der Personen- und Gütertarife abzielender Antrag des Abg. Wiemer (frs. Vp.) vorlag. Eisen bahnminister v. Thielen erklärte sich gegen den Antrag. Er wies auf die großartige industrielle Entwickelung Preußens und die günstige finanzielle Situation der Eisenbahnverwaltung hin und betonte nur das Be dürfnis einer Tarifvereinfachung. DaS Abgeordnetenhaus setzte Freitag die Bera tung des Eisenbahn-EtatS fort. Vom Regierungs tische wurde daraus hingewiesen, daß der elektrische Betrieb sich bisher wirtschaftlich und technisch dem Dampfbetrieb im Eisenbahnwesen nicht überlegen gezeigt habe. Von den Rednern aus dem Hause wurde mehrfach auch die Kanalvorlage in die Debatte gezogen; Minister v. Thielen machte in dieser Rich tung gegenüber dem Freikonservativen Rcwoldt da rauf aufmerksam, daß ein Umbau der Güterwagen zur Aufnahme größerer Lasten bis 30 Tonnen mehr kosten würde, allS der ganze Kanal. Us« Nah m»d Fer«. Hagen. Die Elberfelder Pillen - Affäre scheint mnner weitere Kreise ziehen zu wollen. Vor kurzem weilte ein höherer Untersuchungs beamter in Hagen, um auch in hiesiger Gegend Ermittelungen in der Angelegenheit auzustellen. Die Tochter -es Gru-en-eschers. 1j Roman von ZoS von Reu ß») 1. Von dem eleganten Jucker gezogen, rollte das zierliche Gefährt pfeilschnell auf der Chaussee dahin, die wohlbekleidete Hand, welche es lenkte, ließ den Gaul anscheinend mit Vergnügen aus- greisen. „Hier muffen wir einbiegen, Hierl» fiel die junge Dame dem Lenker leicht in die Zügel, in dem sie auf einen breiten, aber holprigen Feld weg deutete, der zwischen wohleingefriedigten Getreidebretten Westfalens hindurchführte. „Dort liegt Fließenhof! Siehst du das rote Dach? Die Chaussee berührt den Edelhof nicht." „Keine Chaussee? Entsetzlich!" meinte der Wagenlenker. „Warum verlängert der Baron die Chaussee nicht selbst bis zum Park ?» „Ich glaube, es gibt auch keinen Park in Fließenhof » „Nun, dann meinetwegen bis zum Dünger haufen — ein solcher fehlt doch sicher nicht auf seinem „Edelhofe.» Ist eS nicht eine haarsträu bende Zumutung, daß die Gäste auf der letzten Strecke gezwungen find, sich hin und her stoßen zu lassen?" „Wie mir scheint, gibt es auch wenig Gäste in Fließenhof!" „Tann begreife ich nicht, was wir dort zu suchen haben!» entgegnete der junge Mann mit Mßmut. „Wer weiß, wie wir von der vor nehmen Sippe ausgenommen werden." *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. „Ich ahne, daß uns die Aufnahme zufrieden stellen wird. Ohne diese Ueberzeugung würde ich dich nicht gebeten haben, mich zu begleiten. Fräulein Emmeken hat mich wiederholt eingela den, nicht eindringlich, aber sehr herzlich. So noch vorige Woche in Lüttringhausen. Damals versprach ich ihr meinen Besuch. Und weil mich in Fließenhof niemand passender einführen kann als du, bat ich meine brüderliche Liebe um ihre Begleitung. Du weißt doch, daß der Leutnant jetzt auch aus Münster auf Urlaub hier ist?" „Wenn er seinem älteren Herrn Bruder gleicht, möchte ich gleich umkehren," sagte Herr Max Ullenhagen verächtlich. „Er ist der richtige Junker, und dazu ein echter Bauer — eine sonderbare Verquickung!" „Ich verstehe dich nicht, aber ich weiß, daß Fräulein Emmeken mü Zärtlichkeit an dem Bruder hängt. O, es muß schön sein, jemand so zu lieben! Sie spricht viel von ihm, vielleicht zu viel! .... Und umkehren kannst du nun nicht mehr, Max !" setzte das junge Mädchen lachend hinzu, als sich der Weg jetzt in den Eichenkamp verlor, der den Fließenhof wie ein schützender Wall umgab. Die Eichen schienen matt, standen aber trotzdem noch in voller Kraft, eine Thatsache, die diesem Teil der roten Erde das beste Zeugnis ausstellte. Obgleich die Stämme auk der Nordsette verwittert und mit weißgrünem Baummoos greisenartig bedeckt waren, fanden ihre tiefgehenden, weitverzweigten Wurzeln anscheinend doch noch Humusboden; das zeigte das unerstorbene, wenn auch mehr in die Breite gehende Wachstum der Bäume. Der Eichenkamp stieß an einen starkoerwachseuen Garten, der in seiner Anlage verschiedene: Gartenstile vereinigte, gegenwärtig aber eigent lich nichts weiter war als ein Obst- und Ge müsegarten, der das freiherrliche Haus mü dem Notwendigsten versorgte. Als großartige Anlage erwies sich aber immer noch ein breiter, mü Huflattich eingesäumter Wassergraben, der wie ein wirklicher Festungsgraben das Schloß um gab und von einer Zugbrücke überspannt war. Aus der Zugbrücke kam dem hübschen Fuhr werk ein kräftiges, hochblondes Landmächen mit einem großen Handkorb voll blütenweißer Wäsche entgegen. ES war Fräulein Emma von dem Fließe, die der Magd beim Bleichen hals. „Willkommen in Fließenhof!" rief sie hoch erfreut zu der jungen Dame hinauf. „Ich er wartete Sie schon alle Tage!" Herr Max Ullenhagen hielt das Gefährt an und ließ die Schwester auSsteigen. Die Be grüßung war echt freundschaftlich, selbst der Bruder droben profitierte von der Aufrichtigkeit und Herzlichkeit, und schien für den Augenblick zufriedengestellt. Nachdem Fräulein Emmeken ihren Wäschekorb einer Magd abgegeben, nahm sie Irene Ullenhagens Arm und ging strahlend mü ihr dem Hause zu. Fließenhof war ein langgestrecktes, schaf- stallähnliches Gebäude, welches jahrhundertelang der Stammsitz der Familie gewesen war. Die Vorfahren des Freihcrrn hatten dem alten, reichen, katholischen Adel Westfalens angehört. Leider war die Familie aber in den letzten Generationen verarmt und vermochte gegen wärtig nur mtt Anstrengung die Repräsentation des Hauses zu erhalten. Der durch Gicht ge lähmte Baron verbrachte den Tag meist im Fahrstuhl, da er sich nur mühsam sortbewegen konnte. Er hatte in seiner Irgend eine Liebes heirat geschlossen und besaß außer einer liebens würdigen Gattin zwei Söhne und eine Tochter, die zufällig mit Fräulein Irene, der Tochter des Kommerzienrats und Bergwerksbefitzers Ullen hagen auf Grubenzeche „Irene" bekannt ge worden war. Die mächtige, altersgraue Eichenholzthür drehte sich schwer in ihren stark verrosteten klü geln und ließ die beiden lustig schwatzenden jungen Mädchen in eine geräumige, halbver fallene Hausflur eintreten, die durch vier die Ecken zierende Rüstungen und einige an den Wänden aufgehängte Waffen in eine mittel alterliche Halle umgeschaffen war. Daß die blütenweißen Gardinen des Wohnzimmers sorg sam ausgebefferte Schäden zeigten, und in den Mahagonimöbeln abends der Holzwurm tickte, bemerkte ein oberflächlicher Beobachter nicht. Während Irene drinnen vom Baron und der Baronin aufs herzlichste begrüßt wurde, hatte Herr Max Ullenhagen das Gefährt auf den Hof gelenkt. Aber vergebens sah er sich nach einem Stallknecht um. „Niemand hier? Verwünscht! Warum ließ ich mich auch durch die Schwester verhindern, Philipp mitzunehmen. Es war eine unnötigt Rücksicht!" Das wettere ward ihm durch Dietrich von dem Fließe abgeschnitteu, welcher eben aus den Pferdeställeu kam. Der Sohn des Hauses be grüßte den unerwarteten Gast sehr höflich, wenn auch mit einer gewissen Reserve. Bei frühern
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