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Politische Rundschau. Vom Kriegsschauplatz. * Die Dinge auf dem Kriegsschauplatz ent wickeln sich sehr langsam. Das Boeren- heer, das gegen General Roberts die Zufahrtsstraße nach Bloemfontein ver teidigt, hat sich beim Ort Abrahamskraal gesammelt und verschanzt. Die,Times' melden: Die Stellungen des Feindes find nicht genau bekannt; aber bewegliche Komman dos tauchen rings um die britischen Truppen auf. Es ist eben der beginnende Guerilla krieg. Die verbündeten Boeren hatten be schlossen, das Gebiet in der Umgebung von Rensburg zu räumen. Der Rückzug ist unter Bedeckung berittener Burghers glücklich ausgeführt worden. Amtlich wurde bekannt ge geben, daß die „zwischen 2000 und 3000 Mann betragende Streitmacht Cronjes" am 27. Fe bruar wegen Mangels an Lebensmitteln und Munition kapituliert hat. * Nach einer Meldung aus Molteno wurde General Gatacre beim Angriff auf den Rootkop zurückgeworfen und erlitt schwere Verluste. * Den „langen To m", von dem die Eng länder meldeten, daß er in ihre Hände gefallen sei, haben die Boeren bei ihrem Rückzug aus Natal mit ihren anderen Geschützen inSicher - heit gebracht. *Ganz unerwartet für England ist in Griqualand, westlich vom Oranjefreistaat ein Auf st and gegen die Engländer ausgebrochen. Sie bedrohen dort Kenhardt, woselbst sich große Vorräte der Engländer be finden. * Zwischen der britischen und der portugiesischen Regierung sollen neue Unterhandlungen stattgefunden haben behufs Erwerbung eines Hafens im portu giesischen Ostafrika durch England, und hinsichtlich der wichtigen Wendung, die der Krieg in Südafrika genommen, von Erfolg be gleitet sein. Das Abkommen würde einen leichten Zugang von der Küste nach Rhodesien gewähren. *Chamberlain hatte nach Sydney das Ansuchen gerichtet, Australien möge weitere 2000 Mann für den Dienst in Südafrika stellen, wobei er bemerkte, daß die Reichsregierung die Kosten tragen werde. Die Premierminister der australischen Kolonien haben jetzt beschlossen, das Ansuchen dahin zu beantworten, daß sie bereit seien, weiter krästig mitzu arbeiten. * Cecil Rhodes ist in Kapstadt ange kommen und wird wahrscheinlich Mittwoch nach England abfahren. * Die Brüsseler Transvaal-Gesandtschaft er klärt, die Boeren wären zur sofortigen Auf nahme der Friedensverhandlungen bereit, falls England geneigt wäre, dieSelb st- ständigkeit der beiden Republiken anzu erkennen. * * * Deutschland. "Der Kaiser hat seine Reise nach Wilhelmshaven auf einige Zeit ver schoben. "Aus Anlaß des SO. Geburtstages , des Papstes hat KaiserWilhelm an , diesen ein herzliches Glückwunschtelegramm ge- richtet, das der Papst sogleich mit verbindlicher Dankesdepc^- erwiderte. "Die Na'richt, daß Deutschland in der Zeit der Pariser Weltausstellung ein Ge schwader nach einem französischen Hafen schicken werde, wurde sogleich ange zweifelt. Die,Hallesche Ztg.' erfährt jetzt, daß die Meldung durchaus unzutreffend ist. Es war einmal die Rede davon, ein Schiff nach dem Hafen von Cherbourg zu schicken, der Plan stieß aber von Seiten Frankreichs auf Schwierigkeiten. Eine Geschwadersen dung war nie beabsichtigt. * Mit der Legung des Kabels Emden- New N o r k soll Mitte April begonnen werden. Die Eröffnung des Betriebes dürfte noch vor Oktober erfolgen. * Das kleine Kriegsschiff „Seeadler" hat m" „vollem Erfolg" eine Strafexpedition nach den Admiralitätsinseln unternommen, um die dortigen Mörder des deutschen Händlers Metzke zu bestrafen und befindet sich gegen wärtig auf der Rundreise durch den von Spanien erworbenen deutschen Jnselbesitz im Großen Ozean. * Das Präsidium des deutschen Land- wirtschaftsrats fordert in Eingaben an den Reichskanzler und den Bundes - rat Berücksichtigung für die vom Landwirt schaftsrat 1887 beanspruchten Zollsätze von sechs Mark für Weizen und Roggen und sonstige Erhöhungen des Tarifes mit der Er klärung, daß diese Sätze skr den Schutz der Landwirtschaft jetzt zum Teil nicht mehr aus reichen. * Der Gesetzentwurf über Maßnahmen zur Verhütung von Hochwassergefahren inSchlesien ist dem Preuß. Abgeordneten hause nebst umfangreicher Begründung zuge gangen. Der Vo läge ist eine Denkschrift betr. den Ausbau der hochwassergefährlichen Neben flüsse au? dem linken Ufer der Oder und ihrer Zuflüsse beigegeben worden. Frankreich. * Der französische Kammerpräsident Des chanel bat vor seinen Wählern eine vielbe- merkte Rede gehalten, worin er mit bezug aus den Krieg in Südafrika die vernünftige Bemerkung machte: „Wenn man schon nicht den Schwachen zu Hilfe eilt, so ist es kindisch und gleichzeitig unvernünftig, die Starken zu reizen und besonders sie zu verletzen". Kaum aber hatte er diese Mahnung zur Mäßigung gegenüber England ausgesprochen, so kokettierte er selbst mit dem Gedanken eines Revanche- krieges gegen Deutschland, indem er zum Schluffe seiner Rede sagte: „Lassen wir uns nicht von den großen Pflichten ablenken, welche die festländischen Kriege der zweiten Jahrhunderthälfte uns auferlegt haben, und fahren wir fort, geradeswegs unserm unver rückbaren Ziele zuzuschreiten." England. "Die Königin Viktoria bleibt in diesem Frühjahr in derHeimat. Die,Times' und andere Blätter bestätigen die Nachricht, daß die Königin ihre Absicht, Bordighera zu be suchen, aufgegeben und sich entschlossen hat, zu Haus zu bleiben. (Der Krieg in Südafrika geht weiter und die Aussicht, daß die Königin das Ende des Blutvergießens an der Riviera abwarten könne, erscheint verschlossen.) Holland. * Der holländischeFriedensbund versendet an alle auf der Haager Friedens- Konferenz vertretenen Regierungen eine Denkschrift bezüglich der Friedens- Vermittelung. Dieselbe weist darauf hin, daß der Waffenehre beider streitenden Teile Genüge gethan sei, und daß die Beschlüsse der Haager Konferenz den Mächten die Pflicht der Vermittelung auferlegen. Die Denk schrift enthält die Unterschrift von 3000 hervor ragenden Persönlichkeiten der Niederlande. Balkanstaaten. "Die Ex-Königin Natalie von Ser bien hat, wie dem ,Pester Lloyd' gemeldet wird, in Biarritz, ihrem jetzigen Aufenthaltsort, Testament gemacht und ihr gesamtes, nicht un bedeutendes Vermögen zu zwei gleichen Teilen den Armen in Serbien und Frankreich vermacht. König Alexander erhält gar nichts, er ist somit enterbt. In den Belgrader Hofkreisen hofft man, daß Königin Natalie das Testament doch noch zu Gunsten des Königs Alexander ändern werde. * In Albanien gärt es schon wieder. Nach Mitteilungen aus Uesküb weigern sich die dortigen Chefs derAlbanesen vor der Untersuchungskommisfion zu erscheinen. Vier tausend Albanesen sind in der Moschee zusammen geschart, die Geschäfte der Muselmanen find ge- schlossen. Gruppen von Albanesen, welche aus den umliegenden Ortschaften heranziehen, werden durch Militär am Eintritt nach Uesküb ver hindert. Amerika. * Dem .Herald' zufolge erklärte der Staats-' sekretär Hay, er habe von der deutschen Regierung die Zusicherung erhalten, daß die Fleischbeschauvorlage erheblich ab- geändert wird, so daß die amerikanischen Einwände hinfällig werden "In Mittel-Amerika schickt sich einem Tele gramm der Morning Poft' zufolge Costarica an, Nicaragua den Krieg zu erklären. Afrika. * In Mittel-Afrika macht ein moham medanischer Fürst, namens Eburbadji von sich reden, der über 60000 Mann und einige Batterien verfügen soll und bereit scheint, die Rolle des Kalifa fortzusühren. Deutscher Reichstag. Am Dienstag nahm der Reichstag zunächst das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit in zweiter Lesung debattelos an. Sodann gelangten Kommisfionsberichte über Petitionen zur Beratung. Ueber eine Petition betr. Erlaß eines Reichs- Vereins-Gesetzes beantragte die Kommission Nebergang zur Tagesordnung. Abgg. Müller-Sagan n. Gen. (fr. Vp.) einer seits und Rickert u. Gen. (fr. Vgg.) anderseits beantragen Ueberweisung an den Reichskanzler zur Berücksichtigung. Abg. Pachnicke (fr. Vgg.) begründete diesen Antrag. Allerdings sei das Koalitionsverbot für politische Vereine jetzt beseitigt, aber in den meisten Bundesstaaten seien noch immer die Frauen von allen politischen Vereinen ausgeschlossen. In einem Verein brauche aber nur z. B. die Frage der An stellung weiblicher Gewerbe-Aufsichtsbeamten dis kutiert werden, und die Polizei könne ihn sofort für einen politischen Verein erklären. Damit wären daun alle Frauen von der Teilnahme ausgeschlossen. Eine solche Stellung entspreche der heutigen sozialen Stellung der Frauen nicht mehr. Deshalb bitte er, um möglichst bald zu einem Reichsvereinsgesctz zu gelangen, die Petition dem Reichskanzler zur Berück sichtigung zu überweisen. Abg. Beck-Heidelberg (nat.-lib.) erklärte, seine Partei würde für den Antrag auf Ueberweisung zur Berücksichtigung stimmen. Abg. Stolle (soz.) tra t ebenfalls für Ueber weisung zur Berücksichtigung ein. In Sachten werde das Vereinsrecht in einer Weise gehandhabt, daß Hunvertc von Arbeitern rechtlos blieben. Abg. Herzfeld (soz.) begründete die Notwendig keit der reichsgesetzlichen Regelung mit der Hand habung des mecklenburgischen VereinLgesetzes durch das Junkertum einerseits und die städtischen Be hörden, speziell von Wismar, andererseits. In Wismar werde es den gewerblichen Arbeitern ganz unmöglich gemacht, sich zu organisieren und Ver sammlungen abzuhalten. Deshalb müsse möglichst bald ein Reichsvereinsgesctz geschaffen werden. Abg. Beckh - Koburg (frs. Vp.) schließt sich den Ausführungen der Vorredner im wesentlichen an. Abg. Bändert (Soz.) verweist auf die zahl reichen Auflösungen von Versammlungen in Sachsen- Weimar auf Grund des neuen Vereinsgesetzes. In Weimar sei fogar eine Festfeier zum Gedächtnis Goethes mit der Motivierung verboten worden, daß dabei aufreizende Reden gehalten werden könnten. Abg. Büsing (nat.-lib.): Er sei auch kein Freund des mecklenburgischen Vereinsgesetzes, aber so lange dasselbe bestehe, müsse es von den Beamten auch ausgesührt werden. Wegen der Mißstände, die es mit sich bringe, fordere er eben mit seinen Freunden eine reichsgesetzliche Regelung des Vereinsrechts und darum träten sie auch hier für die Ueberweisung zur Berücksichtigung ein. Die Petition wird darauf entsprechend den An trägen Müller und Rickert, dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überwiesen. — Der Kommissions antrag ist damit erledigt. Eine Petition nm Einführung des Befähi gungsnachweises im Baugewerbe be antragt die Kommission dem Reichskanzler zur Berücksichtigung, einen derselben beigegebenen, aus gearbeiteten Gesetzentwurf als Material zu aber- wcisen. Abg. Frohmc (soz.) bezweifelt, daß man mit der Einführung des Befähigungsnachweises an den Zuständen etwas bessern werden. Nicht an der nötigen Fähigkeit fehle es meistens den Bauleitern, sondern an der erforderlichen Gewissenhaftigkeit. Seine Freunde würden gegen den Kommissionsantrag stimmen. Abg. Werner (Antis.) bittet um Annahme dieses Antrages. Im Baugewerbe würde un zweifelhaft die Folge eine solidere Ausführung der Bauten sein. Abg. Hahn (wildkons.) schließt sich diesen Aus führungen im wesentlichen an. Mit einer bloßen Organisation in Handwerkskammern sei dem Hand werk wenig gedient, der Befähigungsnachweis müsse hinzukommen. Abg. Pachnicke (freis. Vgg.) erklärt sich gegen den Kommissionsantrag. Die Frage des Befähigungs nachweises sei doch mindestens sehr umstritten. Die Entwickelung des Baugewerbes habe jedenfalls ohne den Befähigungsnachweis nicht gelitten. Abg. Gröber (Zentr.) tritt für den Antrag der Kommission ein, feine Freunde erstrebten ja schon seit Jahren die Einführung des Befähigungs nachweises für das gesamte Handwerk, insbesondere aber für das Baugewerbe. Nach weiterer Debatte wird der Kommissions antrag gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Freisinnigen angenommen. Preußischer Land!,,«. Das Abgeordnetenhaus erledigte am Montag die Beratung des Eisenbahnetats. Die Debatte betraf in der Hauptsache nur lokale Fragen und verlief in derselben Weise, wie die Beratung einer Sekundär bahnvorlage. Vom Ministertisch wurde nur selten auf die in großer Fülle vorgebrachten Wünsche und Beschwerden geantwortet. Im Abgeordnetenhause wurde am Dienstag die zweite Etatsberatung beim Kultnsetat fortgesetzt. Zwei Fragen beherrschten die ausgedehnte Dis kussion, die eine ärztlicher, die andere kirchenrecht licher Natur. Zunächst kam der Fall des Breslauer Prof. Neißer zur Sprache, der ohne Wissen der Be teiligten und ihrer Angehörigen Serumversuche an Knaben angestellt hatte : alle Parteien erklärten sich gegen ein derartiges Verfahren. Die größte Auf merksamkeit fesselten naturgemäß die Auslassungen Virchows, der den Versuch als solchen unangetastet wissen will, mit dem Hause aber darin übereinstimmte, daß er Zustimmung des Patienten voraussetzt. Vom Regierungstisch wurde erklärt, daß das Disziplinar verfahren noch nicht abgeschlossen sei. — Bei dem Titel „Gehalt des Ministers" beklagte sich der Abg. v. Heeremann (Zentr.) über ungerechte Behandlung der Katholiken im Schul- und Ordenswesen. Dem gegenüber führte Kultusminister Studt aus, daß die katholische Kirche an Kraft außerordentlich gewonnen habe, wie dies beispielsweise das Anwachsen der Ordensniederlassungcn von 890 im Jahre 1887 auf 1535 im Jahre 1899 darthue. Nach kürzeren Be merkungen der Abgg. Graf Moltke (kons.), Fried berg (nat.-lib.) und Saenger (frs. Vp.) wurde die Weiterberatung vertagt. Don Nah «ad Fern. Wertheim. Prinz Ludwig v. Löwenstein- Weitheim kämpfte, wie noch erinnerlich, im ver gangenen Jahr auf den Philippinen auf Seite der Aufständischen und fiel, von einer feindlichen Kugel getroffen. Seine Leiche ist jetzt ausge graben worden und wird nunmehr nach Deutsch land übergeführt, um demnächst in der hiesigen Hauptkirche beigesetzt zu werden. Gießen. Vom 1. April an werden laut einer Mmisterialverfügung Frauen an hiesiger Universität als Hospitantinnen zugelaffen. Der Rektor entscheidet über die Aufnahme, wenn die Dozenten ihre Einwilligung erteilt haben. Die Aufnahmegebühr beträgt 10 Mk.; für Frauen, die schon an einer Universität hospitiett oder studiert haben 5 Mk. Geestemünde. Die Fischdampfer „Amalie" und „Grete" find von der Fangreise nach der Nordsee nach Geestemünde nicht heimgekehrt; sie find wahrscheinlich während der letzten Stürme untergegangen. Die Schiffe hatten eine Be satzung von je 10 Mann. Gräfenhainichen. Infolge Auftretens der sehr gefürchteten Raupen des Kieferspanners, die in den Waldungen bekanntlich großen Schaden anrichten, sind im benachbarten Forstrevier Sarmen 60 Schweine eingebracht worden, die den Sommer über den Wald von dem vielen Ungeziefer säubern sollen. Köln. Ein Monteur, der sich von seiner im benachbarten Mülheim wohnenden Braut ver lassen sah, bestimmte diese zu einem letzten ge meinsamen Spaziergang und feuerte dann mehrere Revolverkugeln auf das Mädchen, sowie auf sich selbst ab. Beide Personen wurden als bald in das Hospital geschafft, wo sie kurze Zeit darauf verstürben. Sangerhausen. Der Stations - Assistent Lange geriet am Montag beim Ueberschreiten eines Geleises unter eine Rangiermaschine und wurde so das Opfer seines Berufs. Der Tod trat augenblicklich ein. Dir Tochter des Gr«be«drfttzers. L) Roman von ZoS von Reuß. „Ich fühle mich frei von der Schwäche, Heiraten stiften zu wollen," sagte die Hausfrau, „aber ich gestehe, daß ich Fräulein Ullenhagen für eine passende Frau für dich halten würde, lieber Dietrich, — hauptsächlich ihrer persönlichen Eigenschaften wegen. Als ich im Eichenkamp so neben euch helschritt, hatte ich ein wunderbar schönes Empfinden. Es war mir fast schon, «ls ob ich zwischen meinen Kindern ginge. . / „Ich versteht dich nicht, liebe Emerentia," bemerkte der Freiherr aus seinem Lederpolster stuhle heraus, in welchem er sogar schon ein Abendschläfchen gehalten hatte, aber durch die Ansicht der Gattin aufgerüttelt war. „Dietrich würde auf das Majorat verzichten müssen, bei einer Mesalliance — vergißt du das?" setzte er tadelnd hinzu. „Pahl — der Verzicht auf die Passiva würde ausgewogen werden durch die Aktiva dieser Kohlenprinzesfin I" lachte der Leutnant. „Meinst du nicht auch, Dietrich? Was mich be trifft, so habe ich wenig Meinung für die Passiva des Majorats. Ich habe an meinen eigenen genug." „Fräulein Ullenhagen ist eine junge Dame, nach deren Besitz ich unter allen Umständen streben würde, wenn sie mir als Standesgenossin begegnete," sagte Dietrich mit Einfachheit — „trotz ihres Bruders! Sie ist eines braven Mannes wert — ihre Liebe ist vielleicht noch ein größerer Schatz als die Million, die sie be sitzen soll. Ja, trotz des Herrn Max —' ' „Ich hoffe nicht, daß mein Sohn anders denkt als sein Vater!" unterbrach ihn plötzlich der Freiherr, der sich mit Anstrengung wieder emporgerichtet hatte, um die Ansicht seines ältesten Sohnes genau zu vernehmen. „Nein, Papa! Aber ich kann nicht umhin, es zu tragen! Ich nehme und behalte das Majorat mit den Schulden, und lasse die liebenswürdige Kohlenprinzessin fahren — selbst wenn sie sich für mich entscheiden würde. Aber ich kann kaum umhin, es zu bedauern! Der Freiherr nickte dem Sohn freunlich zu, dann hörte man wieder die regelmäßigen Atemzüge des bemhigt Eingeschlafenen. „Was meinst du, Dietrich, wenn du sie mir abträtest?" Mir scheint nämlich selbst, daß du reüssieren könntest," meinte der Leutnant ernst haft und scherzend zugleich. „Mit dem liebens würdigen Schwager würde ich schon fertig werden l" „Ich glaube, ich könnte dich beneiden um ein Glück, daS ich dennoch verschmähen würde, wenn es mir angeboten würde!" sagte Dietrich, indem er den Strohhut ergriff, um hinaus zu gehen. „Komm, Emmeken, laß uns noch einen Gang durch den Kuhstall machen!" rief er der Schwester vom Fenster aus zu, welche soeben draußen auf dem Hof die gebleichte Wäsche zurück empfing. 2. Nur gedämpft klangen die verschiedenartigen Getöse des Bergwerksöetriebes bis hinüber zu der Villa des Kommerzienrats. Das Wohn haus war umgeben von einem großen, schattigen Park, der in rein englischem Geschmack angelegt war, und durch das Gartenpersonal so sorgfältig gehalten wurde, daß er innerhalb dieser Wüste von schwarzem Rauch und Kohlendunst wie eine lachende, grünende Oase erschien. Eine mit exotischen Gewächsen besetzte, mit wildem Wein und Clematis überspannte Veranda nahm die volle Front des Hauses ein und führte in einen Mittelsalon, von dem sich die Zimmer des Haus herrn und der Hausfrau abzweigten. Kommerzienrat Ullenhagen befand sich in seinem Arbeitszimmer, nachdem er seine tägliche inspizierende Morgenwanderung in den ver schiedenen Büreaus seines großartigen Etablisse ments beendet hatte. Diese Inspektionen dauer ten gegenwärtig länger als sonst und waren gründlicher als ehedem. Menschenkenntnis und langjährige Geschäftspraxis gaben dem Chef neuerdings ein Mißtrauen, von dem er sich früher frei gefühlt hatte. Auch jetzt griff er erst nach der Bergwerkszeitung und nach dem Kreis blatt, um mancherlei Wissenswertes daraus zu ersehen, bevor er dem längst bereit gestellten Frühstück seine Aufmerksamkeit zuwandte. Als er endlich nach der Schinkenschnitte griff, trat der Diener ein, anscheinend mit einer Meldung. „Und schon wieder?" Was gibt's?" „Herr Friedrich Melzer, aus Süntel, läßt fragen, ob er die Ehre haben könne, den Herrn Kommerzienrat zu sprechen." Das ernste Gesicht des Haushenm erheiterte sich etwas. Er trank einen Schluck Wein und sagte: „Willkommen!" Der Eintretende war in der That eine sympathische Erscheinung. Hochgewachsen und breitschultrig zugleich, würde er vielleicht plump und kolossal erschienen sein, gleich manchem andern Sohn der roten Erde, wenn seine Hal tung nicht so elegant und seine Bewegungen nicht so elastisch gewesen wären. Dazu war er einfach, aber mit peinlicher Sauberkeit gekleidet. „Ich bin erst zwei Tage in der Heimat, Herr Kommerzienrat," sagte der junge Mann, „aber schon drängt es mich mächtig in Ihr HauS! Und ich bin glücklich, daß Sie mich empfangen!" „Hoffentlich haben Sie nicht daran gezweifelt," sagte der Hausherr, dem Gast die Hand schüttelnd. „Ich hörte schon flüchtig von Ihrer Ankunft. Wie steht's in England?" „Vortrefflich!" „Sind Sie noch zufrieden?" „Vollkommen, Herr Kommerzienrat!" „Freut mich, freut mich sehr, um Ihret willen! Ich wünschte nur, ich könnte gleich falls recht zufrieden sein. Aber die Zett wird immer schwerer!" „Leider — soviel ich bis jetzt davon wahr genommen Habel Aber ich bin der Ansicht, daß die sozialen Gefahren vielfach überschätzt werden. Der Kamps zwischen Kapital und Ärbett ist kein neuer, wiederholt sich vielmehr immer wieder — meist auf einer glücklich gewonnenen hohen Kulturstufe! . . Entschuldigen Sie dies offene Aussprechen meiner Meinung —" „Sie find Optimist, lieber Melzer!" lächelte der Kommerzienrat. „Möglich! Vorläufig habe ich wenigsten- keine Lust, mich einschüchtern zu lassen! Haben wir nicht auf der Schulbank von Menenius Agrippa gehört, wie er die widersetzlichen