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Allgemeiner Anzeiger : 20.12.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-12-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189912200
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18991220
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-12
- Tag 1899-12-20
-
Monat
1899-12
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 20.12.1899
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Politische Rundschau. Vom Kriegsschauplatz. *Nach Meldungen über Brüssel muß die Niederlage des Generals Methuen als eine entscheidende betrachtet werden. Das Offizier lorps ist nahezu ver nichtet. Der Gesawtverlust der Engländer übersteigt jedenfalls tausend Mann, da die Zahl der Verwundeten über 900 beträgt. Lord Me thuen befindet sich bereits auf demRückzuge gegen de Aar. Die kombinierte Kooperation Lord Methuens mit dem Generalissimus Buller ist nunmehr absolut vereitelt. Kimberley stet schutzlos da, sein Fall wird stündlich erwartet, da das Hilfskorps des Generals Warren nicht vor Mitte Januar auf dem Kriegs schauplatz erscheinen kann. * Amtlich wird der Gesamtverlust der englischen Truppen an Toten, Verwun deten und Vermißten in der Schlacht am Modder River vom Montag auf 817 an gegeben. Darunter befinden sich 15 getötete, 48 verwundete und 6 vermißte Offiziere. Wie viel von den Mannschaften getötet find, wird nicht mitgeteilt. * Während in den letzten Wochen schon ver schiedene Male auf bas bestimmteste versichert wurde, Ladysmith sei gefallen, wurde am Donnerstag von London aus das Gerücht verbreitet, Ladysmiths Entsetzung sei gelungen. Auch dieses Gerücht hat sich als erfunden herausgestellt. *Mafeking, so wurde vor einigen Wochen berichtet, sollte von den Boern aufge geben sein. Dies trifft aber nicht zu. Das englische Kriegsamt erhielt ein Telegramm aus Kapstadt, das aus Mafeking vom 4. Dezember berichtet: Die Boern haben seit dem 27. No vember die Stadt fortgesetzt beschossen. Die Einschließung ist sehr scharf. Die Lebensmittel beginnen knapp zu werden. Die Belagerten erhallen täglich nur noch ein halbes Pfund Fleisch und ein viertel Pfund Brot. Wasser ist hinreichend vorhanden, nachdem neulich ein Gewitter niedergegangen ist. * Einer am Donnerstag abend veröffent lichten Mitteilung des Kriegsamts zufolge ist die 6. Division mobilisiert worden. Vier Bataillone dieser Division werden noch vor Sonntag eingeschifft. Die Regierung hat auch die sofortige Mobilisierung einer 7. Division genehmigt. (Hierbei bleibt nur die Frage offen, woher man die Mannschaften für diese 6. Division nehmen wird.) * Um die schwierige Lage Englands in der Kapkolonie noch zu verschärfen, find nun gar noch ernste Differenzen zwischen dem Gouverneur Milner und dem Kap-Ministerium ausgebrochen, und es gilt eine Ministerkrifis als bevorstehend. * . * Deutschland. *Die Abschaffung des deutschen Militärattach Kostens in Paris ist, wie der,Figaro' versichert, vom Kaiser Wilhelm befohlen worden. (Wenn sich diese Nachricht bestätigt, würde darin eine Nachwirkung der Dreyfus-Angelegenheit zu erblicken sein.) *Als Beginn des neuen Jahr hunderts soll nach einem Beschluß des Bundesrats im Deutschen Reich amtlich der 1. Januar 1900 angesehen werden. * Die Verhandlungen über den Umfang der Kanalvorlage, wie sie in der nächsten Landtagsscsfion dem preußischen Abgeordneten hause wieder unterbreitet werden soll, find durch aus noch nicht abgeschlossen. Im Gegensatz zu einer kürzlich durch die Presse gegangenen Nachricht, die bereits die als „Kompensationen" vorgesehenen provinziellen Wasserstraßen mitteilt, wird bestimmt versichert, daß die Kanalvorlaqe gegen früher nur insoweit eine Erweiterung er fahren wird, als provinzielle Interessen durch den Mittellandkanal in Mitleidenschaft gezogen werden. In einer Denkschrift soll dann eine eingehende Darstellung gegeben werden, wie unabhängig von der Kanal vorlage der Ausbau des Wasserstratzennetzes planmäßig erfolgen soll. Der Spxk im alten Herrrnhanse. 2j Erzählung von Adalbert Reinold. l? orls«r«nG) Noch hielten sich Mutter und Sohn sprachlos umschlungen, als ein kleiner, magerer Mann in den Saal trat. Die Aehnlichkeit zwischen Frau von Waldow und ihrem Sohn war unverkennbar, daß aber dieser eben eintretende, hagere Mann mit dem gelben, vertrockneten Gesicht, das von tausend Runzeln durchfurcht war, den schmalen Lippen und den buschigen grauen Augenbrauen der Gemahl dieser imposanten, schönen Frau und der Vater des schönen, jungen BaronS sein sollte, das mußte man erst jemand versichern, bevor man es glauben konnte. Wenn ein Zuschauer dieser Familienszene dennoch daran gezweifelt hätte, würde ihm dieser Zweifel genommen worden sein, als Emil sich jetzt sanft aus den Armen der Mutter wand und beide Arme nach dem gelben hageren Mann ausftteckend in seiner herzigen Weise, in welcher Wir ihn schon wiederholt reden hörten, den Ruf Vater!" ertönen ließ und dann zu gleicher Zeit ihn auch fest in die Arme schloß. „Junge — Junge! Du erdrückst mich ja," hüstelte der eine förmliche Schmerzensmiene annehmende alte Baron von Waldow, „immer noch derselbe Tolpatsch; ist denn das die Art eines Mannes von Stande, seine Eltern zu be grüßen ?" Gleichsam begütigend aber setzte er rasch hinzu: „Wir haben dich wahrlich erst in vier oder * Mit bezug auf die bekannten Reichsgericht Urteile, wonach der Diebstahl von elek trischer Kraft nicht bestraft werden kann, -ist dem Bundesrat der Entwurf eines Gesetzes wegen Bestrafung der widerrechtlichen EntzHijurM fremder elektrischer Arbeit zugegangen. *Das Lberverwaltungsgrricht hat die Be rufung des Berliner Magistrats in Sachen des Friedhofsportals für die Märzgefallenen kostenpflichtig abge- wiesen. "Die Rawitscher Fahnenange legenheit ist erledigt. Der Probst Du lin ski in Rawitsch, der bei der letzten Rekrutenvereidigung die Entfernung der Fahne aus der dortigen katholischen Kirche verlangte, hat auf Anweisung des Erzbischofs auf seine Probftstelle verzichtet. *Ein deutscher Postdienst soll in Marokko am 20. d. eröffnet werden. Von Tanger ausgehend soll ein regelmäßiger Verkehr längs der Küste und im Innern des Landes vermittelt werden. Der deutsche Postdienst in Marokko wird eingerichtet nach dem Muster des deutschen Postdienstes in der Türkei und in China. In der Türkei befinden sich deutsche Postämter in Konstantinopel und Jaffa, während im chinesischen Reiche Schanghai, Tientsin und Tsingtau sich gleicher Einrichtungen erfreuen. * Bayern geht jetzt mit dem Ausbau von Sekundärbahnen kräftig vor. Dem bayrischen Landtage ging soeben ein Gesetz entwurf zu betr. den Bau von 34 rechts rheinischen Lokalbahnen und 3 rheinpfälzischen Schmalspurbahnen. England. * Die Blätter klagen über die mangeln den Transportmittel. Die finan ziellen Mittel der Regierung, die das Parlament bewilligte, find erschöpft. Nach dem eigenen Geständnis des Sekretärs für Marine find nur 25 Schiffe der Handelsmarine vorhanden, die über 15 V- Knoten segeln, und diese können keine Pferde und Ar tillerie transportieren, ohne daß das Innere der Schiffe umgebaut werden muß. Die Ad- mnalität muß sich daher mit weniger schnell segelnden Schiffen begnügen. Von diesen be findet sich aber ein großer Teil nicht in engli schen Gewässern. Auch die Seebataillone können nicht hinausgeschickt werden, da im Falle einer Mobilmachung diese Truppen der Flotte fehlen würden. Schweiz. * Zum Bundespräsidenten fürdaS Jahr 1900 wurde Hauser, zum Vizepräsidenten des Bundesrats Brenner gewählt. «alkanstaatem *Jn dem Vordringen des deutschen Einflusses in der Türkei ist ein neuer Fortschritt zu verzeichnen. Der Sultan hat sämtliche Vorschläge des deutschen Professors Dr. Rieder durch ein besonderes Jrade ge nehmigt. Die Vorschläge betreffen die Erbauung eines großen Krankenhauses mit sechs hundert Betten in Haidar-Pascha in unmittel barem Zusammenhang mit der fast fertigen Militär-Medizinschule, wo 1000 an gehende Militärärzte den klinischen Unterricht erhalten sollen. Ebenso ist Rieders neues Unterrichtsprogramm nach deutschem Univerfitätsmufter in vollem Umfange genehmigt worden, ebenso sein Lehrplan sür eine Vor bereitungsschule, in welcher in zwei modernen Sprachen und in den naturwissenschaftlichen Fächern unterrichtet werden soll. Besonderes Interesse bietet der Umstand, daß der Sultan den Unterricht in der deutschen Sprache obligatorisch machte. Sie soll in der Vorberei tungsschule durch fünf Jahre hindurch wöchent lich sechs Stunden gelehrt werden. Amerika. * Auf dringendes Ansuchen des deutschen Konsuls in Caracas ging der deutsche Kreuzer „Stosch" zum Schutze der deutschen Interessen, welche der Konsul für gefährdet hält, nach Puerto Cabello (Venezuela) ab. *Aus Washington wird geschrieben, daß nach dort eingelaufenen Berichten die Lage auf Cuba ein beunruhigendes Aussehen zeige. Die Unzufriedenheit mit dem amerikanischen Regime soll derart angewachsen sein, daß man sich an den maßgebenden Stellen auf den Aus bruch von Unruhen gefaßt macht und bereits militärische Instruktionen für die Niederwerfung einer aufständischen Bewegung erlassen hat. Eines der ernstesten Symptome des Zustandes auf der Insel bilde die von glaubwürdiger Seite gemeldete Thatsache, daß kürzlich mehr als tausend Cubaner, darunter viele angesehene Persönlich keiten, in die Wälder der Provinz Pinar del Rio gezogen find, um Vorbereitungen sür einen Unabhängigkeitskampf zu treffen. Afrika. *Ein Untersee-Tunnel zwischen Spanien und Afrika ist projektiert. Seitens Spanien und Marokko finde dieses Projekt, das sich auf 41 Kilometer berechnet, volles Entgegenkommen. Die Kosten, einschließ lich einer von Tanger nach Lallamaghnia führenden, die Tunnelbahn fortsetzenden Strecke find auf 242 Millionen veranschlagt. Das Felsgestein von Gibraltar eignet sich für die Bohrungen nach der Berlierschen Methode ganz besonders. Sieben Arbeitsjahre würden ge nügen. Deutscher Reichstag. Am 14. d. wird die erste Etatsberatung fortgesetzt. Preuß. Minister Thielen wendet sich gegen den Abg. v. Kardorff, der gestern den preußischen Wasserbautcchnikern vorgeworfen habe, ihr Kanal- Projekt bekunde ihre Unfähigkeit. Diese unglaubliche Beleidigung der Preuß. Wasserbautcchniker weise er entschieden zurück. Abg. Richter (frs. Vp.): Herr v. Miquel meinte gestern, es sei nicht üblich, Monarchenreden zu kriti sieren. Wenn aber der Monarch öffentlich nns kriti siert, so erwidern wir: Wie du mir, so ich dir; wie es in den Wald schallt, so schallt es heraus. Wenn dem Reichstag vorgeworsen wird, daß er acht Jahre hindurch die Flottenvermehrnng vereitelt habe, so muß er aus Pflicht der Selbsterhaltung sich wehren. Was ist nun in den Jahren 1889—96 abgelehnt worden? Zwei Küstenpanzerkreuzer, eine Schiffart, die nicht mehr gebaut wird, und einige Avisos. Es ist also unrichtig, daß man den Handel hätte besser schützen können, wenn die Schiffe nicht abgelehnt worden wären. Das geschah in den Jahren 1893, 1894, 1895, als wir uns gegen neue Steuern heftig wehren mußten; da mußte bei der Einschränkung der Ausgaben auch die Marine etwas hergeben. Ich nehme an, daß der Reichskanzler von der Rede in Hamburg nichts gewußt hat, sonst hätte er verhin dern müssen, daß solche mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmende Behauptungen ausgestellt werden. Herr v. Miquel meinte gestern, der Monarch brauche keine Ratgeber; die Rede in Hamburg beweist das Gegenteil. An verantwortliche Ratgeber, wie Graf Posadowsky meinte, können wir uns nicht halten, denn sie sind nicht da. Redner rekapituliert sodann ausführlich die aus den Zeitungen bekannte Vorgeschichte der Entstehung der neuen Flottenpläne und bemerkt dabei, daß der eine Herr von der Regierung dem anderen habe Nachreifen müssen. Das Placet des Reichskanzlers sei erst nachträglich eingeholt worden. Warum die Eile bei der Veröffentlichung des Marincplanes? Sollte etwa damit allen m Frage kommenden Faktoren präjudiziert werden? Erst nachher sei Herr Tirpitz bei den deutschen Fürsten umhergereist. Die Ge schäftsordnung des Bundesrats sei verletzt worden. Bitter not thue uns, daß Vorlagen auf Grund einer vorhergehenden Verständigung, nicht aber auf Grund von Trinksprüchen gemacht werden. Eine Kabinettspolitik könnten wir nicht gebrauchen; das zeige die preußische Geschichte. Wie Redner es vor hergesagt, sei es gekommen. Es werde trotz der Bindung mehr verlangt. Die vertraulichen Andeu tungen des Herrn Tirpitz auf den Werften geben den Schlüssel zu dem Geschäftspatriotismus, zu der Agitation, die im Juni einsetzte. Redner erörtert sodann eingehend die Finanzlage, um darzuthun, daß man sich im Reich der größten Sparsamkeit be fleißigen müsse. Besonders eingehende Bedenken äußert er dabei gegen die neu geplanten Bahnbauten in Afrika. An solche Unternehmungen denke man bei der gegenwärtigen Eisennot I Es würde sehr anzuerkennen sein, wenn die hohen Protek toren des Flottenvereins ihr Einkommen und ihr Vermögen einer Besteuerung unterwerfen lasten wollten. Statt dessen sei eine Neigung zur Erhöhung der Getreidezölle vorhanden. Redner greift dann direkt den Staatssekretär Tirpitz an, weil er den Reichstag überredet habe, sich auf die Bindung beim Flottengesetz einzulassen. Ferner wirft Richter die Frage auf, ob nicht die Linienschiffe mit fünf Wochen erwartet und wir find eigentlich noch gar nicht auf deinen Empfang eingerichtet. Nun, Agnes, liebes Kind," wandte er sich an seine Nichte, „willst du der Dienerschaft Bescheid sagen, daß mein Sohn, der junge Baron, zurück gekehrt sei und daß man sofort sein Zimmer in Ordnung setzen solle." Dann wandte sich der alte Herr mit einer Art Unbehagen über den unverhofften und wenig zeremoniellen Empfang in der Vorhalle Frau und Sohn zu, indem er sagte: „Nun laß uns in den Salon gehen, die Dienerschaft wird uns hier am Ende noch auf dem offenen Vorsaal überraschen." Die Baronin und der junge Baron folg ten ihm. Das Herrenhaus Falkensee war ein altes, feines, im Renaissancestil aufgeführtes schloß- artiges Gebäude. Ein eigentliches Schloß konnte es nicht genannt werden, dazu wäre es zu klein gewesen. Der Saal, in welchen die kleine Baronsfamilie jetzt trat, war mit schwerem Eichenholz getäfelt, von den Wänden blickten ringsum die ernsten Porträts von wenigstens zwanzig Ahnherren und -Frauen den Eintreten den entgegen. Wir werden das alte Herrenhaus im Verlauf unserer Erzählung noch näher kennen lernen, wollen uns jetzt aber bei Beschreibung desselben und seiner Räumlichkeit nicht aufhalten. Der alte Baron war ein Mann, der aufs strengste der Etikette huldigte; die ganze Art und Weise, wie er fich bewegte und wie er sprach, legte seiner Umgebung gewissermaßen Zwang aus und verdrängte den herzlichen Ton, der so ganz und gar zur zweiten Natur seines Sohnes geworden war. Mit größter Förmlichkeit erkundigte er fich denn auch nach Emils Rückreise, und seine Art, zn fragen und dreinzusprechen, ließ alle weitem Empfindungen, welche bei Frau von Waldow wie bei dem jungen Baron immer wieder zum Durchbruch kommen wollten, schon im Aufkeimen zurückdrängen. Baronesse Agnes erschien erst bei der Tafel wieder. Auch die Gegenwart der jungen Ver wandten belebte die Abendtafel nicht, derselbe gemessene Ton herrschte wie zuvor. Der junge Mann hatte volle Muße, seine ihm gegenüber fitzende Kousine zu betrachten, und sie erschien ihm jetzt erst recht wie eine schöne, Segen spendende Fee, deren Walten in Falkensee nur Glück und Frieden bringen könne. Aber warum schlug sie nicht einmal die Augen gegen ihn auf, — warum berührte sie kaum das Essen? Emil konnte es nicht unterlassen, von seiner ersten Begegnung mit Agnes zu erzählen, wäh rend das schöne Mädchen errötend das Köpfchen senkte. Die Baronin suchte unter einem Scherz eine Art Verlegenheit zu verbergen, — der alte Baron aber wandte fich in seinem ernstesten Ton an seine Nichte: „Habe ich dir nicht verboten, liebe Agnes, abends allein in den Park zu gehen, — es schickt fich wahrlich wenig für eine Baroneß, Mond scheinpromenaden zu machen." Emils schöne Kousine hatte kein Wort der Erwiderung, aber der Urheber des ihr gewor der Zeit wesentlich teurer werden würden. Da» müsse man doch auch berücksichtigen. Auch in tech nischer Beziehung sei kein Verlaß auf die Erklärungen des Staatssekretärs. Bei der Begründung der neuen Pläne schlage man die alte Leier wieder an, die schon für die Vorlage von 1898 ihre Dienste ge leistet. Bei der Besprechung der Verwendung der Schiffe im Auslande kommt Redner auch auf den Transvaalkrieg und spricht von dem „unglücklichen" Telegramm vor zwei Jahren. ES sei ganz talsch, zu sagen, daß England uns in unserer Kolonial politik fortgesetzt Schwierigkeiten gemacht habe. Wir hätten viele gemeinsame Interessen mit England. Richter polemisiert sodann eingehend gegen die Aus führungen des Staatssekretärs Grafen Bülow über die auswärtige Politik und schließt mit scharfen Be merkungen gegen die Flottenagitation und gegen die phantasievolle Welt- und auswärtige Politik des neuesten Kurses. Bevollmächtigter für Bayern, Graf Lerchenseld, stellt fest, daß gegen die Fürsten und Regierungen der Einzelstaaten bei Vorbereitung des Flottcnplans durchaus korrekt verfahren sei. Staatssekretär des Reichsmarineamts Tirpitz wendet sich in energischer Weise gegen den vom Abg- Richter erhobenen Vorwurf der Inkonsequenz. Er habe bereits im Jrhre 1897 darauf hingewiesen, daß die durch das gegenwärtige Flottengesetz normierte Schiffszahl eben nur das Minimum dessen bedeute, was uns zur See not thue, und er habe weiter be tont, daß wir mit dieser Flotte gegen jeden Staat einen Verteidigungskrieg zu führen nicht in der Lage sein würden. Abg. Rickert (fr. Vgg.): Die Agitation, wie sie der Flottenverein getrieben hat, gibt berechtigten Anlaß zu Tadel. Aber sie ist nicht im stände gewesen, die Bewegung für die Flottenverstärkung zu entfachen, wenn es sich nicht um eine Volkssache gehandelt hätte. Etwas Ungewöhnliches war das scharfe Miß trauensvotum der Herren auf der Rechten gegen den Reichskanzler. Es lies einfach auf das Zieglersche „Fort mit diesem Minister!" hinaus. Am meisten verstimmend scheint auf die Herren der Umstand ein gewirkt zu haben, daß der Reichskanzler nicht die Hand zu scharfen, wirtschaftspolitischen Maß nahmen gegen England und die Vereinigten Staaten bieten wollte, sondern darein gewilligt hat, daß eine gemischte Kommission zur Ausgleichung der schwebenden Differenzen eingesetzt werde. WaS den Etat betrifft, so bietet die gesamte Finanzlage keinen Anlaß zur Schwarzmalerei. In der Floiten- frage habe ich nicht die Absicht, mich und meint Freunde in irgend einer Weise zu binden. Aber wir werden in Berücksichtigung der veränderten Ver hältnisse in eine unbefangene Prüfung der Vorlage eintreten, sobald sie uns zugegangen sein wird. Abg. Rösicke - Kaiserslautern (Bd. d. Landw.): Die Bestrebungen des Bundes der Landwirte find durchaus gesetzliche. Der Bund will den Landwirten einen angemessenen Preis für seine Produkte sichern. Das ist dasselbe, was die Arbeiter hinsichtlich des Lohnes erstreben. Einer behördlichen Unterstützung hat der Bund nie bedurft. Er muß es ja jeA sogar erleben, daß die Beamten, die Mitglieder des Bundes sind, aufgefordcrt werden, aus demselben auszuscheiden. Das Mißtrauensvotum, das Graf Limburg dem Reichskanzler erteilt hat, ist durchaus gerechtfertigt. Seit Jahren schon geht das Ver trauen zur Regierung auf demLande den Bankrottgang. Bedauerlich ist es, daß der Reichskanzler die Reffe des Kaisers während der Dauer des Transvaal krieges nach England, die im Gegensatz zur Volks stimmung steht, geduldet habe. Bedauerlich ist es ferner, daß der Staatssekretär des Auswärtigen diese Reise hat mitmachen müssen. Wir muffen ferner tadeln, daß nichts geschieht, um der Ent völkerung des platten Landes vorzubeugen. Und damit der Landwirtschaft nur ja noch ein neuer Konkurrent großgezogen werde, soll jetzt mit deutschem Kapital die anatolische Bahn bis Bagdad, also bis in das Herz der Kornkammer des alten römischen Reiches, geführt werden. Staatssekretär Graf Posadowsky: Man kann Sympathien sür die Boern haben und braucht doch nicht zu wünschen, daß bei uns Zustände herrschen wie in dem Weideland Transvaal. Ich bringe der Landwirtschaft das wärmste Jntereffe entgegen, aber gerade darum wünsche ich, die Ver treter derselben vermieden es, andere Jnteressenten- gruppen vor den Kopf zu stoßen. Die Gegnerschaft des Abg. Richter gegen die Flottenvorlage ist mir verständlich. Im Volke weiß man aber, wie dringend notwendig der Schutz unserer HandelSintereflen ist. Damit schließt die Diskussion, nachdem »och Minister Thielen, Frhr. v. Hodcnbera (Welfe), Graf Klinckow ström (kons.), Hasse (nat.-lib.) v. Buchka, Liebermann von Sonnenburg (Antis.) und v. Kröcher (kons.) in die Debatte cingcgriffen hatten. — Die Haupttinte des Etats werden der Budget-Kommission über, wiesen. Nächste Sitzung: Dienstag, 9. Januar 1900. denen Vorwurfs, der junge Baron, warf sich zu ihrem Verteidiger auf, worauf der alte Baron, von der Tafel aufstehend, meinte: „Was Adel und Noblesse anbelangt, lieber Emil, darin stimmen wir beide niemals überein " Dann hieb er einem Bedienten in seinem Lesezimmer Licht anzünden und entfernte sich ohne jeden herzlichen Abschied von seinem kau« zurückgelehrten Sohne. Am selben Abend noch saßen Frau vo» Waldow und ihr zurückgelehrter Sohn in de« Zimmer, das, separiert von den Empfangs- und Familienräumen, der Frau des Hauses gehörte und in welchem sie manche Stunde stiller Zurück gezogenheit verlebte. „Und du hast Kousine Agnes ganz bei dir ausgenommen?" fragte Emil, nachdem er selbst eine Reihe von Fragen der besorgten Mutter über seine Reise und seinen Aufenthalt fern vom Vaterhause beantwortet hatte. „Ja, lieber Emil," entgegnete Frau von Waldow, „freilich gab es einen harten Kampf mit dem Vater; aber wohin sollte das arme, unglückliche, blinde Kind?" . Emil saß, wie er es als Kind wohl hundert mal gethan, auf einer niedrigen.Ottomane vor seiner Mutter, welche fich auf einen bequeme" Lehnsessel niedergelassen hatte, und deren feine, weiße Finger der rechten Hand mit den h braunen Locken des Sohnes spielten. Er sprang bei den Wo ten der Frau »o» Waldow empor und rief, wie von einem PA, lichen Schrecken übermannt, mit lauter Stimm
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