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ringen Anteil nahm. Hatte Eugenia es im Ansang versucht, ihn mit hineinzuziehen, so gab sie es jedoch bald auf' und widmete sich desto liebenswürdiger Kasimir Roth. So langten sie an der Stelle an, wo der Kommerzienrat einige Stunden srüher zur Stadt gestiegen war, Kasimir zeigte den beiden Fremden den Weg zur Heilanstalt und wollte sich verabschieden. „Meinen herzlichsten Dank, Herr Roth," sagte Eugenia, indein sie ihm die hübsche Hand entgegenstreckte. „Ich habe Ihnen zu danken —" entgegnete Kasimir. „Sie? Und weshalb?" „Nun, weil Sie mir gestatteten, eine so schöne junge Dame zu begleiten — denn Sie müssen wissen " Kasimir ver schluckte die letzten, ihm vielleicht selbst übermütig erscheinenden Worte und sprang mit einigen knrzen Sätzen den steilen, schmalen Pfad hinunter. Unten angelangt, blieb er noch einmal stehen, seinen Jägerhut zu dem Fräulein schwenkend. Jetzt irrte er sich nicht, in den tiesftahlblauen Augen Eugenias glühte wieder das Flämmchen, welches er vorher darin zu bemerken geglaubt hatte, nur erschien es ihm intensiver und es hielt länger an. Langsam der wohlbekannten Bierstube, dem Gasthaus zum Trichter zuschlenderud, begegnete er dem aus demselben Wege be griffenen Junggesellen Koch, der sich eifrigst danach erkundigte, ob die Auseinandersetzungen Kasimirs mit seinem Vater zu einem erfreulichen Resultate geführt hätten. „Welche Auseinandersetzungen?" fragte Kasimir zerstreut. „Welche? — Nun, Du weisst doch böre Junge — ich glaube, das fremde weibliche Lebewesen da " „Welches?" „Welches? Rosenrot, chh sage Dir, der alte Koch lägt sich kein L sür ein U machen, ich habe Dich beobachtet und wenn der Alte bemerkt — daß Du kennst doch seine Absichten die Hoffnungen — die — —" „Ja, ja, ja," rief Kasimir und schritt so mächtig aus, daß Eduard Koch vollständig außer Atem kam und nicht imstande war, seinem Schütz- und Pflegling, der ihm so ganz und gar über den Kopf gewachsen war, eine seiner wohlgesetzten Sland- reden, die er stets sür ihn vorrätig hatte, zu halten. So langten sie endlich in der ebenso urgemütlichen als urphiliströsen und vor trefflichen Bierstube zum Trichter an. Dicker Tabaksqualm schlug den Eintretenden entgegen, die vier Petroleumlampen, welche über den vier Tischen hingen, erschienen wie in blaue Schleier verhüllt. „'n Abend Karmesin Rosenrot!" — „Nun, Junggeselle Koch, Sie können ja kaum Lust kriegen!" „Setze Dich zu uns, Karmesin," so klang es den beiden Eimreteuden von da entgegen, wo junge Kaufleute aus der Stadt, fast alle in Spielwarengeschäften aü- gestcllt, bereits Platz genommen hätten. „Nun, was gejchossen, Kasimir?" „Nix, nix." „Auch nichts gespürt?" Kasimir lächelte still vor sich hin und Eduard Kocb betrachtete ihn aufmerksamer, ein wenig besorgten Blickes. „Guten Abend allerseits," erklang es eben von der Thür her, so daß Kasimir die Antwort, ob er etwas gespürt hatte, schuldig blieb. „Guten Abend, Herr Kommerzienrat!" Es gab hier unr einen Mann dieses Titels, und das war Christian Roth, vor dem sich die Anwesenden, ein wenig vom Sitze erhebend, verneigten. „Guten Abend, Kasimir," wandte er sich freundlich an feinen Sohn, indem er den weiten Lodenmantel dem geschäftigen Wirt überließ, seine lange Pfeife und den brennenden Fidibus aus dessen Hand empfing und. dann, indem er den Tabak entzündete, nach seinem, durch Jahrzehnte geheiligten Stammplatz schritt, dabei zusällig das Gewehr seines Sohnes mit den Blicken streifend, was seine Laune nicht gerade zu erhöhen schien. „Wie sich Papachen über keinen Waidmann freut," neckte ver jünge Kaufmann Bernhard Schmidt, in Firma Adolf Schmidt und Sohn — der Sohn war er und hatte Anteil an dem Ge schäft, obgleich er nicht älter »war wie Kasimir Roth. Dieses Haus fertigte nur Geduldspiele an und Bernhard sollte darin geradezu Großartiges in neuen Erfindungen leisten. Kasimir maß ihn zornigen Blickes, unterdrückte jedoch die scharfe Entgegnung, die ihm aus den Lippen schwebte, um die Gemütlichkeit nicht zu stören. „Guten Abend allerseits!" Die Thür wurde wieder geöffnet und die große, wohlbeleibte Gestalt des Fabrikanten Wilhelm Hellmann erschien anspruchsvoll in dem engen Raume. Es machte den Eindruck, als wäre er viel zu korpulent, zu vornehm sür denselben und als wenn seine mächtigen, selbstgefälligen Be wegungen gar nicht hierher Paßten. „Wirtschaft! Heda, wo steckt er Venn?" rief er mit lauter Stimme und streckte dem herbeicilendeu Wirt die Arme wie zwei Windmühlenflügel entgegen, damit er ihm den modernen langen Paletot auszieheu konnte. „Guten Abend, Herr Hellmann," klang cs von Kasimirs Tisch her, aber lange nicht so laut wie vorher, als der Kom merzienrat erschienen Ivar. „Na Wilhelm, hol' mich dieser und jener, Du bist auch wieder da?" — „Die Karlsbader Salze haben Dich aber nicht dünner bekommen." — „Und Fräulein Rosine?" ließen sich Christian Roth und einige ältere, mit ihm einen Tisch teilende Bürger vernehmen. Herr Hellmann setzte sich neben den Kommerzienrat — als zweitreichster Mann der Stadt kam ihm dieser Platz zu — zündete sich umständlich eine importierte Zigarre an, welche er eiuer eleganten Tasche entnahm, und strich seinen braunen, etwas ins Fuchsige spielenden, spitz geschnittenen Bollbart. „Karlsbad, hat sich was mit Karlsbad, zwei Becher habe ich von dem salzigen Zeugs getrunken, dann hatte ich's satt, nahm meine Tochter und reiste mit ihr nach Italien." „Nach Italien? Nur so zum Vergnügen?" fragte der Kom merzienrat, der allenfalls eine Reise aus Gesundheitsrücksichten gelten ließ, dem aber eine Vergnügungsfahrt für einen viel beschäftigten Kaufmann als etwas ganz Unerhörtes erschien. „Nun jreilich, Gevatter Roth. Ich habe Geschmack daran gefunden, nebenbei auch einige Geschäftsfreunde besucht und denke, das alle Jahre so zu machen," antwortete Herr Hellmann, den Mund ein wenig voll nehmend und sich an den halb un gläubigen, halb mißbilligenden Blicken des Kommerzienrats weidend. — „Meine Tochter ist noch bei einer Freundin in Nürnberg ge blieben und kommt morgen mit dem Zwei-Uhr-Zugx zurück," „Zwei-Uhr-Zuge, Karmesin, hast Du's gehört?" sragte Bern hard Schmidt, diesen lächelnd betrachtend. „Natürlich! Glaubst Du, daß ich schwerhörig bin? Laut genug hat Herr Hellmann ja gesprochen," gab Kasimir zurück. „Nun, ich wollte Dir's nur noch ein bischen bemerkbarer machen, Du wirst sie doch wohl mit einem Bouquet am Bahnhose erwarten?" „Natürlich! Glaubst Du, daß ich so ungalant bin, meine kleine Rosine nicht zu begrüßen?" ries Kasimir, die Stichelei launig wie immer ausnehmend, wenn es sich um sein Verhältnis zu irgend einem hübschen Mädchen handelte. „Na, und Ivas macht unser alter Freund, der enthaltsame Junggeselle Koch?" sragte Arthur Grün, ebenfalls ein junger Kaufmann. „Ich? Soll's jetzt mit mir ansangen?" fragte Koch gutmütig lächelnd. „Wissen Sie, Koch, endlich wird es doch Zeit, daß Sie nun aushören, der Junggeselle Koch zu sein," scherzte ein Dritter. „Damit Ihr junges, nichtsnutziges Volk mich dann den närrischen Ehemann Koch nennen könnt. Nicht wahr? Ich will's Euch versprechen, daß ich heirate, sobald meine Haare hier oben wieder gewachsen sind." Koch fuhr sich mit der flachen Hand über den spiegelglatten Schädel, wo sich auch nicht ein Härchen zeigte, und hatte die Lacher auf seiner Seite. Während drüben am Alten-Tisch Herr Wilhelm Hellmann die Kosten der Unterhaltung säst allein trug und in seiner etwas breitspurigen Weise von seinen italienischen Reiseerlebnissen erzählte, unterhielten sich die jungen Leute nach ihrer Art, neckten sich, besprachen das Geschäft, die Politik und die Tagesueuigkeitcn des Städtchens. Kasimir beteiligte sich wenig dabei, denn die Nachricht, daß Rosine Hellmann morgen wieder zurückkehrte, beschäftigte ihn doch mehr, als er die andern glauben lassen wollte. «Guten Abend allerseits!" Der Täuslingsmacher Anton Roth, ein Vetter im dritten Grade des Kommerzienrats, der Puppen- gliedcr schnitzte und sie dann an die Firma Roth ablieferte, ein schlichter, fleißiger Arbeiter, der draußen aus der Blauen Linie wohnte, steckte seinen Kopf zur Thür herein, winkte dem Trichter- Wirt und blieb auf der Schwelle stehen, hier schnell jein Glas Bier trinkend. Das erlaubte er sich wohl, wenn ihn der Weg gerade hier vorbeijührte; sich aber in der Stammkneipe der ersten Bürger der Stadt niederzulassen, wäre ihm nicht eingefallen. Jetzt wischte er mit der grünen Leinwandschürze, die sich über feinen wohlgerundeten Leib spannte, den Mund und wollte gehen. „Guten Abend, Vetter Roth," hatte Kasimir den Gruß des Täuslingsmachers freundlich erwidert, was den Kommerzienrat, der nur leise mit dem Kopse genickt hatte, ein wenig verdroß. Wozu die Verwandtschaft bis ins Unendliche aussPiUnen? Anton Roths und sein Urgroßvater waren Brüder gewesen. Das konnte man doch kaum eine Verwandtschaft nennen? Und nun stand Kasimir gar noch aus und sprach mit ihm. Wenn es auch nur ctivas Geschäftliches war, so hatte dies doch noch Zeit. „Hast Du ihn vielleicht gefragt, wie es seiner hübschen Tochter geht?" neckte Bernhard Schmidt, als Kasimir zum Tisch zurück- kebrte und der Täuslingsmacher sich cntsernt halte. Kasimir zuckle mit den kräftigen Schultern, konnte es aber zu seinem Aerger nicht hindern, daß ihm das Blut ein wenig in die Wangen stieg. „Blonde, Brünette —" summte Bernhard leise zwischen den