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Allgemeiner Anzeiger : 27.12.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-12-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189912279
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18991227
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-12
- Tag 1899-12-27
-
Monat
1899-12
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 27.12.1899
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Politische Rundschau. Vom Kriegsschauplatz. * Die Stille auf den südafrikanischen Kriegsschauplätzen hält an, aber nicht etwa das Weihnachtsfest hat den sich Betragenden die Stille auferlegt, sondern die Notlage der Engländer und die Taktik der Boern, die einen Angriff nicht zu kennen scheinen. General Buller hat alle Ursache, auf seiner Hut zu sein, damit er nicht von seiner Rückzugslinie abgeschnitten wird, wie dies seinen Kameraden Methuen und Gatacre bereits passiert ist. Die neuen Führer Roberts und Kitchener befinden sich bereits auf der Fahrt, die fie von Madeira aus gemeinschaftlich machen werden. * Die große Verlegenheit zwingt England vielleicht dazu, sich der (portugiesischen) DeIa go a b a i zu bemächtigen, damit den Boern von der Seeseite her jede Zufuhr endgültig ab geschnitten werde. In diesem Falle würde das geheime Afrika-Abkommen zwischen England und Deutschland sogleich bekannt ge geben werden. Deutschland hat für den Delagoafall höchst wahrscheinlich erhebliche Zu geständnisse zu erwarten, die aber für das Volk - empfinden mit der Preisgabe der Boern immer hin zu teuer erkauft scheinen. Auch wäre mit einem solchen Gewaltakt der Engländer gegen eine befreundete Macht (Portugal) der Weg zu einer allgemeinen „Komplikation" er öffnet, denn Rußland und Frankreich werden eine Vergewaltigung des kleinen Portugal nicht stillschweigend dulden. * Kriegsgerichtlich erschossen wurde dem ,Globe' zufolge der englische Stationschef von Oranje River, weil er den Boern Mitteilungen über die Stel lungen der Engländer gemacht hatte. Sein Telegraphenbeamter wurde nach Kapstadt ins Gefängnis gebracht. * Von demportugiesischenKreuzer „Adamastor" desertierten in Laurenzo Marquez mehrere Matrosen unter Anführung eines Offiziers, der im Jahre 1891 Führer der republikanischen Bewegung in Oporto gewesen war. Die Deserteure begaben sich nach Pretoria, um in der Boern - Artillerie Dienste zu nehmen. * « Deutschland. * Die ganze kaiserliche Familie feierte das Weih nachts fest im Neuen Palais im engsten Kreise. Die Ferien der ältesten Prinzen, die aus Plön eingetroffen waren, dauern bis zum 4. Januar. *Die neue Marinevorlage wird, wie zuverlässig verlautet, vor Februar dem Reichstag nicht zugehen können, da die finan ziellen Feststellungen sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. — Die erweiterte Kanal- Vorlage wird, wie offiziös versichert wild, spätestens Ende Februar an das preußische Ab geordnetenhaus gelangen. * Eine Auflösung des Reichstags, so schreibt ein Berliner Offiziöser der Münchener ,Allg. Ztg/, würde unter den gegenwärtigen Ver hältnissen wahrscheinlich zu einer wesentlich radikaleren Zusammensetzung des selben und vielleicht zu schweren Konflikten führen. — Das mag schon richtig sein. Zu be denken ist auch noch, daß eine radikalere Zu sammensetzung des Reichstages die Möglichkeit einer Verstärkung der Flotte wahrscheinlich gleich Null machen wird. — Vor einer Auflösung des Reichstags warnt auch die ,Post', obwohl fie behauptet, daß die Freikonservatioen in der glücklichen Lage find, abweichend von den Nationalliberalrn eine Auflösung des Reichstags nicht fürchten zu müssen. Eine Auflösung würde zweifellos das Verhältnis der Regierung zu den Parteien für längere Zeit festlegen, wie die Freikonseroativen es in betreff des Vater landes für geboten erachten. Trotzdem bekämpft die ,Post' die Auflösung wegen der Flotte mit Rücksicht auf die bevorstehende Neuregelung der Handelsverträge, da bei einem Wahlkampf um die Flotte die auf dem gemeinsamen wirtschaft lichen Boden stehenden Elemente sich vielfach bekämpfen müssen. *Der Ausschuß der deutschen Turner schaf t hat an den Reichstag eine Petition gerichtet, in der gebeten wird, zu ^»11 des Wehrgesetzes folgendes zu beschließen: „Die Berechtigung zum einjährigen H^e r e s - dienst wird in Zukunft nur denjenigen Be werbern zuerkannt, welcher außer den zu erlan genden Kenntnissen ein ausreichendes Maß turnerischer Ausbildung nachweisen können. Dieser Nachweis gilt bei Zöglingen höherer Lehranstalten für erbracht, wenn das Zeugnis über die bestandene Abschlußprüfung die turnerischen Leistungen mindestens als ge nügend ohne Einschränkung bezeichnet. In allen andern Fällen entscheidet — die sonstige Be fähigung vorausgesetzt — der Ausfall einer be sonderen Turnprüfung vor Antritt der Dienstzeit." *Das Reichsamt des Innern, welches sich mit der Ausarbeitung eines Zolltarifs auf eingeführies frisches Obst beschäftigt, hat die Vereinigung deutscher Fruchtpresser eisucht, die Umfrage baldigst zum Abschluß zu bringen und das Material noch vor Neujahr dem Reichs amt des Innern zuzusenden. Wie mitgeteilt wird, find von den eingeliefe ten Antworten nur sehr wenige, die sich für einen solchen Zoll aus- sprechen. *Ueber die Frage der Besteuerung ausländischer Geschäftsreisender in Rußland erfahrt die „Zentralstelle für Vo bereitung von Handelsverträgen" aus zuver lässiger russischer Quelle, daß zwar amtlich noch nichts über eine Umgestaltung der gegenwärtigen Einrichtung bekannt sei; die Regierung sei jedoch grundsätzlich einer Abänderung geneigt, und es stehe eine Verminderung des Steuersatzes um die Hälfte (von 500 auf 250 Rubel zu erwarten. *Jm preußischen Abgeordneten hause find die Fraktionen in folgender Stärke vertreten: Konservative 141, Zentrum 100, Nationalliberale 73, Freikonservaiive 60, Frei sinnige Volkspartei 25, Polen 13, Freisinnige Vereinigung 10 (1 Hospitant); bei keiner Partei 7, drei Mandate find erledigt. *Die thüringische Versicherungs anstalt hat beschlossen, das Rittergut Eselhof in Etzelbach bei Rudolstadt für 75 000 Mk. zu erwerben, um die Wohngebäude zu e'nem Jn- validenheim umzugestalten. In diesem sollen Jnval den- und Mersrentenempfänger an Stelle des Rentenbezuges freies Unte> kommen finden. Auch geht die Anstalt mit der Absicht um, dort ein Genesungsheim für Frauen und Mädchen zu «'richten. Hierfür sind weitere 60 000 Mk. bewilligt. Nach dem Rechnungsabschluß für 1898 hat die Anstalt am 1. Januar 1899 ein Vermögen von 17 064 692 Nik. Oesterreich-Ungarn. * DaS neue Ministerium Witek ist ein reines „Beamienministerium" ohne ausge sprochenen politischen Anstrich. Es wi-d also auch nur ein Uebergangsministenum sein und durch seine Einsetzung ist die Krisis nicht beendet, sondern nur hinausgeschoben. *Jn Oesterreich werden Stimmen laut, welche gegen die deutscheVieheinfuhr- sperre energische Vergeltungsmaß. regeln fordern. Unter den dem österreichischen Abgeordnetenhause zugegangenen Vorlagen be- findet sich unter anderem eine Interpellation des Abgeordneten Wielowieyski, in welcher die Regierung aufgefordert wird, die deutsche Regie rung zur schleunigsten Wiederherstellung eines der internationalen Veterinär-Konvention ent sprechenden Zustandes zu bewegen, im Falle des Mißlingens dieser Aktion alle auf diesen Gegenstand bezüglichen Akten zu veröffentlichen und bei Fortdauer des dem heutigen Staats- vertrage widersprechenden Zustandes zollpolitische Maßregeln zn ergreiien, welche die Gleichwertig keit des österreichischen Staates als vertrag schließende Macht festzustellen hätten. — Da sich das Abgeordnetenhaus vertagt hat, wird die Angelegenheit erst im neuen Jahre zur Verhand lung kommen. Frankreich. *Die Deputiertenkammer nahm ein Gesetz an, das für Frauen und Kinder nur elfstündige Fabrikarbeit zuläßt und in vier Jahren den zehnstündige« Ar- beitstag eingeführt haben will. Balkanstaate«. * Der auS Konstantinopel geflüchtete Schwager deS SultanS, Mahmud Pascha, dessen Angelegenheit noch mancherlei Staub aufwirbeln dürfte, ist thatsächlich der gegen ihn gerichteten Verfolgung entgangen. Die frühere Angabe, er sei bei der Durchsuchung des Schiffes, das er benutzte, entdeckt und verhaftet worden, wird durch eine Meldung aus Marseille widerlegt, wonach Mahmud Pascha und seine beiden Söhne dort am Donnerstag abend an Bord des Dampfers „Georgie" eingetroffen find. *Die Pforte sicherte mittels einer Note die Zahlung des von der Kriegsent schädigung an Rußland noch zu zahlenden Restes von 170 000 Pfund bis zum 13. Januar 1900 zu. Asten. *Vom 1. Januar 1900 ab find im Verkehr mit den deutschen Postanstalten in Schanghai, Tientsin und Tsingtau N ichnahmen bis zu 800 Mk. auf Postpakete und Postfrachtstücke bis 10 Kilogramm, jedoch nur bei der Beförderung über Bremen oder Hamburg, zulässig. Die Nachnahmegebühr be trägt für jede Man oder einen Teilbetrag da von 1 Pfg., mindestens aber 20Pfg.; erforder lichenfalls wird fie auf eine durch fünf teilbare Summe aufwärts abgerundet. Bürgerliches Gesetzbuch. Ausnahmen im ehelichen Güterrecht. Wenn im Ehevertrage nichts anderes be stimmt ist, gilt vom 1. Januar an „Güter- trennung mit Verwaltungs gemein- schaft", in bestimmten Fällen auch ohne Ve> Wallung? gemeinschaft. Durch Ehevertrag können aber auch andere Formen rechtens wer den und zwar allgemeine Gütergemeinschaft, Errungenschaftsgemeinschaft, Führmsgemeinschaft, die man zweckmäßigerweise in das „Güter- register" des zuständigen Amtsgerichts emtragen läßt, um fie auch Dritten gegenüber wirksam zu machen. Die allgemeine Gütergemeinschaft kann nur durch Vertrag vor Gericht oder Notar geschlossen werden, auch während der Ehe eingegangen oder verändert werden. Durch fie wild alles Ein gebrachte Gesamtgut, mit Ausnahme dessen, waS im Vertrage ausdrücklich als „Vorbehaltsgut" bezeichnet wird. Daneben können aber der Mann sowohl wie die Frau, jeder für sich, Vor behaltsgut erwerben durch Erbschaften, Vermächt nisse oder Schenkungen unter Lebenden. Das Gesamtgut verwaltet der Mann, der jedoch in einzelnen Fällen der Zustimmung der Frau be darf und zwar: wenn er ein Grundstück be- oder entlastet, erwirbt oder veräußert, oder wenn aus dem Gesamtgut Schenkungen gemacht werden sollen. Krankheit oder Abwesenheit des Mannes machen in schleunigen Fällen die Frau zur Verwalterin des Gesamtgutes. Der Mann muß bei Bös willigkeit oder bei Geschäften, die er ohne Zu stimmung der Frau vorgenommen hat, der Frau Ersatz leisten. Was gemeinschmtlich verbraucht wird, fällt dem Gesamtgut zur Last. Die Gläu biger des Mannes können sich auch für dessen voreheliche Schulden an das Gesamtgut halten. Die Gläubiger der Frau aber können sich an das Gesamtgut. nur halten (8 1460), wenn der Mann zu einem das Schuldverhältnis herstellenden Geschäft seine Zustimmung erteilt hat; natürlich find davon wieder die Rechtsgeschäfte innerhalb der sogenannten „Schlüsselgewalt" nicht mitge meint. Schulden, die die Frau für den Haus halt macht, bedürfen also, um als rechtliche Schuld zu gelten, nicht der vorherigen Zustim mung des Ehemannes. Auch für Prozeßkosten und Geldstrafen muß das Gesamtgut herhalten. Die Frau kann auf Aufhebung der Güter gemeinschaft klagen: bei Gefährdung des Gesamt vermögens durch den Mann infolge gewagter, von der Frau nicht gebilligter Rechtsgeschäfte, — wenn der Mann das Gut in boshafter Ab sicht vermindert, — wenn der Mann nicht aus kömmlich für den Familienunterhalt sorgt, — wenn der Mann wegen Verschwendung ent- mündigt ist oder durch Verschwendung daS Gesamtgut gefährdet — und endlich, wen« Gesamtgut infolge von Verbindlichkesten, die km Manne erwachsen, in solchem Maße überschuldet ist, daß rin späterer Erwerb der Frau erheblich erschwert wird. Auch der Mann kann im entsprechenden Fall auf Gütertrennung gegen die Frau klagen. Nach der Rechtskraft tritt Gütertrennung ein. Stirbt ein Ehegatte, so setzt der Ueberlebeude die etwa vorhandene Gütergemeinschaft mit de» Kindern fort; doch kann er auch Aufhebung be antragen und zwar sowohl gleich beim Begin, der Witwerschaft wie auch jederzeit später. Di, Gütergemeinschaft endet von selbst mit der Wiederverheiratung. Ein Kind kann (durch de« Vormund rc.) aus gleichen Gründen wie eine Frau auf Aufhebung der Gütergemeinschaft klagen. Wir kommen nunmehr zu einer ander« Form vertragsmäßigen Ehegüterrechts, der Errungens chaftsgemeinschaft. Wat der Diann oder die Frau während der Er rungenschaftsgemeinschaft erwirbt, wird „Ge- samtgut" (gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten). Neben dem Eingebrachten bestehen bei der Errungenschaftsgemeinschaft das „Ein- gebrachte", dessen Nutzen aber in das Gesamt- gut fließen, und das Vorbehaltsgut der Frau, während hier das Vorbehaltsgut des MauveS eingeschlosscn ist. Auch bei der Fährnisgemeinschast unterscheidet man das Gesamtgut, um fassend das bewegliche Vermögen beider Gatten bei der Verheiratung und das hinzu Erworbene; ferner das Ein gebrachte, als welches auch die während der Ehe durch Erbfolge, Schenkung u. dergl. erworbenen Grundstück gelten und schließlich das Vorbehaltsgvt der Frau. Kon Mail «nd Fern. Düsseldorf. Die Leitung der Düsseldorfer Ausstellung 1902 hat als Schlußzeit für die Anmeldung im Freien stehender eigener Pavillons der Industriellen und Gewerbetreibenden und der Brauereien, Wirtschafts- und ähnlicher Betriebe den 1. Februar 1900 festgesetzt. Die Anmel dungen für die Errichtung eigener Bauten find so zahlreich eingeganpen, daß es schon jetzt nicht möglich ist, allen Anforderungen gerecht zu werden, ein deutlicher Beweis für das große Interesse, dem das bedeutsame Unternehmen überall begegnet. — Aus einem eigenartigen Umstande mußte kürzlich in dem hiesigen Stadttheater die Vorstellung von „Hänsel und Gretel" aus- fallen. Orchester, Sängerinnen und Sänger waren vollzählig erschienen, das Publikum hatte sich ebenfalls pünklich eingefunden, nur — der eiserne Vorhang machte den Spielverderber und weigerte sich beharrlich, in die Höhe zu gehen. Oberregisseur Fiedler teilte, nachdem das Publikum bis 7'/- Uhr gewartet hatte, mit, daß die Vorstellung ausfallen müsse, da der Wasser druck nicht ausreiche, um den Eisenvorhang zu heben. Breslau. Der weithin bekannte Stations vorsteher Hoffmann, der Dichter des Kutschke- Liedes im Feldzuge 1870/71 und Inhaber deS Eisernen Kreuzes 1. und 2. Klasse, ist auf dem hiesigen Oberschlefischen Bahnhof verunglückt. Er wollte einige Passagiere auf das Heran nahen des Zuges aufmerksam machen und fiel auf das Gleis, wobei er das rechte Bein brach. Er schleppte sich nun auf Händen und Füßen vom Gleis herab und wurde von mehreren Herren noch auf den Perron geschleift. Schon nach wenigen Sekunden brauste der Zug Hera». Baden-Baden. Der seit geraumer Zeit hier ansässige Rentner Jünke hat seine überaus wertvolle Gemäldegalerie und Kunstsammlung, deren Wert von Kennern auf 800000 Mk. ge schätzt wird, der Stadt Baden-Baden zum Ge schenk gemacht. Aus Anlaß dieser Schenkung wurde Herr Jünke vom Großherzog von Bade» empfangen, der ihm außerdem seinen Besuch erwiderte. Herr Jünke ist Besitzer einer präch, tig gelegenen Villa im Nerothal in Wiesbaden. Der Spuk im alten Herrrnhause. 4) Erzählung von Adalbert Reinold. Der junge Mann hielt in seinem pathetischen Wortschwall plötzlich inne, denn leise, fast un unhörbar, öffnete sich in diesem Augenblick die hohe Eichenthür, welche auf den Korridor führte. Es war nicht daS Gespenst der „wandelnden schwarzen Dame" des asten Herrenhauses, welche auf der Schwelle erschien, aber wer dem Ein tretenden in stiller Nacht auf einem der langen Korridore begegnete, wäre fast versucht gewesen, ihn dann auch für einen Geist des Hauses zu hallen. Der Eintretende war der Herr Baron von Waldow selber. Seine magere, verschrumpfte Figur steckte jetzt in einem dunkelfarbigen Samt schlafrock, der beim Lampenlichte schwarz erschien. Grell von demselben stach die schneeweiße, hohe Halskravatte ab, aus der das wachsgelbe Ge- ficht mit den großen, grauen Augen pagodenhaft hervorragte. „Still, EmU," flüsterte die Mutter dem Sohne beim Erscheinen ihres Mannes zu, um ihn zu erinnern, daß der Vater von all den eben gesprochenen Dingen nichts hören dürfe. „Ich habe erwartet," begann der alte Baron in frostigem Tone, „du würdest wenigstens noch eine Stunde lang in den Salon zurückkehren, aber Mama scheint dich ausschließlich in Be schlag nehmen zu wollen." „Aber, liebster Papa," erwiderte Emil in seiner leichten Weise, „du begabst dich ja in dein Lesezimmer und befürchtete ich, dich viel leicht gar in einer wissenschaftlichen oder merkan- tilischen Lektüre zu stören, welchen beiden, wie .ich weiß, du sehr zugethan bist." „Es wäre gar nicht so vom Uebel, wenn du meinem Beispiele folgtest und ernstlich an eine zukünftige Lebensstellung dächtest. Es ist zwar nicht recht passend, daß ich sogleich am ersten Abend nach deiner Rückkehr davon rede, das weiß ich, aber du selbst bringst mich gerade auf das Thema. Deinem Wunsche ist Genüge ge schehen, du hast eine förmliche Weltumsegelung gemacht, — jetzt wirst du dir doch irgend ein Ziel gesteckt haben." Die grauen Augen des Barons nahmen einen stechenden Ausdruck an und waren wie spähend auf den Sohn gerichtet. „Du Haft recht, Papa," lächelte der junge Mann, und sein Lächeln war so herzgewinnend, daß man ihm unmöglich ernstlich bös werden konnte. „Du hast recht," fuhr er fort, „meine Studien, meine Reisen haben ein Heidengeld gekostet; dagegen habe ich freilich, wie die Professoren sagten, etwas Rechtschaffenes gelernt, und jetzt auch reiche Erfahrungen unter fremden Menschen und in fernen Ländern gemacht. Trotzdem stehe ich wie der Esel zwischen zwei Bündeln Heu Zum Juristen tauge ich nicht, weil ich durchaus hierzu nicht die geringste Neigung in mir ver spüre, sodann würde ich schließlich die Schulden, die ich von armen Menschenkindern eintreiben sollte, aus meinem Beutel bezahlen, und-wenn ich einen Verbrecher zu verteidigen hätte, würde ich es m folgender Weise thun: den Unglück lichen da hat man gemacht, denn der Mensch ist durchschnittlich das Produkt der Verhältnisse l Die diplomatische Karriere zu ergreifen, — liebster Papa, du kennst mich, dazu bin ich ebenfalls nicht im geringsten geeignet — und so bleibt mir nur übrig, ein tüchtiger Landwirt zu werden, den Kampf mit der guten Mutter Terra aufzunehmen; und in diesem Kampfe hat der fleißige Mensch noch stets gesiegt, — die Erde ist eine reich spendende Mutter; wolle Gott, es legte sich die Hälfte der Menschheit auf den Ackerbau." „Mein Herr Sohn ist ja gar ein Stück von Philosoph geworden und was dein Vorhaben anbelangt, mein Gutsnachfolger werden zu wollen, so habe ich dagegen nichts einzuwenden," sagte mit einer gewissen Laune der alte Baron. „Also topp! Abgemacht!" rief lustig Emil, indem er dem Vater die Hand bot, in die dieser mit einer eigentümlichen Grandezza seine gelbe, magere legte, „ich werde also Oekonom, lasse mich häuslich nieder — und verheirate mich." „Sehr vernünftig," meinte Herr von Waldow, „du zählst sechsundzwanzig und hast die Aus wahl unter den Töchtern unserer zahlreichen adeligen Gutsnachbam." _ Die Baronin hatte sichtlich erfreut dem Ge spräch zwischen Vater und Sohn, das eme so unerwartet gute Wendung nahm, gelauscht, jetzt sagte sie: „Nun fleh einmal ein Mensch unsern Wild fang an, er hat gewiß trotz seiner kühnen, langen Meerfabrt, Steppen- und Wüstentouren doch noch nicht seine schöne Reiterin Helene von Roten burg vergessen, die allerdings ihrerseits, wie du dich erinnern wirst, oft genug sich nach unserm Emil erkundigt hat." Der alte Baron nickte befriedigt mit dem Kopfe. „Helene von Rotenburg?" fragte Emil. „Ach ja, ein schönes, blitzwildes Mädchen - wir ritten oft um die Wette von Falkensee nach Rotenburg und retour — aber wahrhaftig, Mama, da bist du doch auf falsch^ Führte. Diese Helene könnte allerdings als „schöne Helena" gellen, sie ist gewiß em braves Mäd chen, aber ich würde fie nicht neben können. Warum auch in die Ferne schweifen? Roten burg ist vier ganze Meilen entfernt, das Schöne liegt viel näher: „Mein Blümlein blüht am Wiesenquell, Mit Aeuglein lieb und himmelshell." - „Wie," rief rasch und mit feierlichem Stolz das Haupt erhebend der alte Baron, „du spielst auf die Tochter des Grafen von Wiesen an?" Auch fehlgeschossen," lachte Emil, „heraus damit, ich heirate meine allerliebste, schöne Koufine Agnes" Die Baronin warf einen Blick auf ihre» Sohn, in welchem sich Schreck und Freude zu- gleich Parte, der alte Baron vergaß aber jede aristokratische Würde, er machte einen förmlichen Bockssprung, der ihn mit einem Satz seinem Sohn nahe brachte. „Bist du denn ganz tolll" rief er schneidend, „du hast ja das Mädchen kaum gesehen, und weißt du, — daß fie blind ist?" „Liebster Papa, ich habe fie gesehen und verlor im selben Augenblick mein Herz, meine Seele, mein ganzes Ich an fie — fie ist blind
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