Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 23.12.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189912239
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18991223
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18991223
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-12
- Tag 1899-12-23
-
Monat
1899-12
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 23.12.1899
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Politische Rundschau. Vom Kriegsschauplatz. * An Stelle des Generals Buller ist Feld marschall Lord Roberts zum Oberst- kommandierenden in Südafrika ernannt worden; an die Spitze des General stabes tritt Lord Kitchener, der Sieger im Sudan. Weiter hat die englische Regierung die Einberufung sämtlicher Reservemannschaften be schlossen. *Der Sohn des neuen Oberbefehlshabers, Leutnant Roberts, ist vorColenso durch eine feindliche Kugel in den Unterleib g e - tötet worden. * General Gatacre fitzt in Stert- stroom fest und muß unthätig zusehen, wie im Kapland der Aufstand der Afrikander immer weiter um sich greift. Wie ein amtliches Tele gramm vom Montag meldet, hat General Gatacre Truppen und Proviant aus Putters kraal nach Sterkstroom schaffen lassen. General French hat sein Hauptquartier nach Arundel verlegt. * Eine datumlose Boerndepesche vonMafe - king sagt: Ein heftiges Geschützfeuer findet statt. Der Verteidiger Oberst Baden-Powell sandte eine Mitteilung an die Boern, worin er ihnen anrüt, die Waffen nieder zu legen und zu ihren Wohnfitzen zurück zu kehren, indem er hinzufügt, es werde ihnen Schutz gewährt werden, sobald England Transvaal überommen habe. *Eine Proklamation Krügers, worin die Kapholländer aufgefordert werden, die Unabhängigkeit des Kap land es auszurufen, steht unmittelbar bevor. Das gesamte Gebiet zwischen Queenstown und dem Oranjefreistaat ist im vollsten Aufruhr be griffen. * Nach Zusammenstellungen in den Blättern betragen die englischen Verluste seit Beginn des Feldzuges 7630 Mann an Osfizieren, Unteroffizieren und Mannschaften, Tote, Ver wundete und Gefangene zusammengenommen. * * * Deutschland. * Der Kaiser richtete an den Erb gro ß- herzog von Oldenburg folgendes Tele gramm : „Indem Ich Dir für die Meldung von der finanziellen Bafierung des deutschen Schul- schifsvereins danke, freue Ich Mich mit Dir, daß die Konstituierung des patriotischen Unternehmens nunmehr in sicherer Aussicht und begleite seine Weiterentwickelung mit den anteil vollsten Wünschen. /Prinz Heinrich ist auf der Rück reise nach Deutschland am Sonntag in Bangkok eingetroffen. Er wird am 30. Dezember mit der „Deutschland" die Fahrt nach Singapore fortsetzen. *Die Pariser Weltausstellung soll, wie der stellvertretende Reichs-Kommissar Geheimer Regierungsrat Lewald-Berlin in einer Versammlung mitteilte, nicht am 1. Mai, sondern schon am 15. April eröffnet werden. *Der ehemalige Staatssekretär des Reichs schatzamts, Freiherr Helmuth v. Maltzahn- Gültz, ist, wie verlautet, zum Oberprä sidenten von Pommern ernannt worden. Freiherr v. Maltzahn ist am 6. Januar 1840 geboren, wird mithin demnächst 60 Jahre alt. *Eine amtliche Zusammenstellung der gegenwärtigen deutschenSee-Jnter- essen befindet sich in Ausarbeitung und soll, wie den ,M. N. N? gemeldet wird, dem Reichs tag bei Beginn der Beratungen über die Flotten vorlage zugehen. *Aus München wird berichtet, daß die Reichsregierung mit Bayern Füh lung gesucht habe, ob, wenn die Anleihe forderung im Reichstag nicht durchgeht, die Deckung der Kosten der Flottenvorlage durch einen Zuschlag zur Einkommensteuer zu ermöglichen sei. Sehr wahrscheinlich klingt diese Nachricht nicht. Gleich manchen andern Bundesstaaten hat auch Bayern bis jetzt keine Einkommensteuer. * Wann der Weingesetzentwurf dem Reichstag zugeht, ist nach der Münch/Allg. Ztg/ noch nicht bestimmt. Der ursprüngliche Entwurf werde auf Grund der von den Einzcl- regierungen abgegebenen Gutachten augenblick lich einer Nachprüfung unterzogen. Die An gabe, Bayern habe seinen Widerspruch gegen die Kellerkontrolte aufgegeben, treffe schon deshalb nicht zu, weil in Bayern im Zusammenhang mit der Gewerbesteuer bereits eine Kellerkontrolle besteht. * Gegen den obligatorischen Neun uhr-Ladenschluß herrschten nach der Münch. Allg. Ztg.' nicht nur bei der bayri schen Regierung, sondern „namentlich auch bei den Regierungen derHansastädte und über haupt in den Hafenstädten nicht geringe Be denken." — Bayern und die Hansastädte ver fügen im Bundesrat über 9 unter 58 Stimmen. *Der mecklenburgische Landtag bewilligte 850000 Mark Nachtragsforderung für die Dampffähr-Anlage Warnemünde- Gjedser; die Anlage seitens Mecklenburgs ist damit gesichert. Oesterreich-Ungarn. *Jn parlamentarischen Kreisen Oesterreichs beurteilt man die Lage des Kabinetts Clary sehr pessimistisch und man ist in allen Lagern der Ansicht, daß die nächstenTage den offenen Ausbruch einer Ministerkrise bringen werden. Die Parteiführer der Deutschen haben ihre Gesinnungsgenossen bereits ve trau lich benachrichtigt, daß Gras Clary seine Ent lassung einreichen werde. Man glaubt, das zu künftige Kabinett werde ein Beamten ministerium sein, welches den Charakter eines Uebergangs Ministeriums noch viel deutlicher an sich tragen werde, als das Kabinett Clary. Schweden-Norwegen. * Aus den nördlichsten Gegenden Schwedens find höchst ungünstige Nachrichten über die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung eingctroffen. Die Ernte ist infolge der außer ordentlichen Kälte, die während des Sommers herrschte, fast vollständig mißglückt, und die Preise der Lebensmittel haben eine bisher un gekannte Höhe erreicht. Von Stockholm aus werden umfassende Maßregeln getroffen, um die drohende Gefahr einer Hungersnot abzu wenden. « Spanien. *Jn der spanischen Deputiertenkammer er klärte in Beantwortung einer Anfrage Minister präsident Silvela das Gerücht von einem auf der Abtretung von Ceuta basierten spanisch-russischen Bündnisses für durchaus falsch. (In einem Augenblick, da Spanien von englischen Kriegsschiffen geradezu blockiert ist, wird sich Silvela hüten, mit der Wahrheit heraus zu rücken.) Balkanftaaten. *Wie verlautet, find der entflohene Schwagerdes Sultans, Mahmud, und die beiden Prinzen auf den französischen Frachtdampfer „Georgien" geflüchtet. Dieser befindet sich bereits außerhalb der türkischen Gewässer und trifft am Dienstag in Marseille ein. Der Sultan ließ durch den türkischen Bot schafter in Paris von der französischen Regierung die Auslieferung der Flüchtlinge ver langen. Er stützt sich dabei nicht auf juristische Gründe, sondern will die Erfüllung seines Ver langens als ein Zeichen besonderer pecsönlicher Gunst für ihn angesehen wissen. Lyatsächlich wurde das Schiff in den Dardanellen ungehalten und Mahmud Pascha auf Befehl des fran zösischen Botschafters Constans den türki schen Behörden überliefert, nebst zwei Söhnen, die er mitgenommen hatte. Die Handlungsweise Constans' wird lebhaft be sprochen. *Die bulgarische Regierung ist ent schlossen, den Vorschlag der Finanzgruppe anzu nehmen und hat sich für die Ausgabe von 25 Mill. Frank 5prozcntiger Schatzbons entschieden. In den nächsten Tagen soll sich ein Vertreter der Bankgruppe zum definitiven Abschluß der Abmachungen mit der bulgarischen Regierung nach Bulgarien begeben. *Der Nikolaustag (18. Dezember) ist in Serbien vorübergegangen, ohne die er wartete Begnadigung im Hochverrats- Prozeß zu bringen. Asien. * Ganz nebenher wird gemeldet, Persien habe an Rußland eine Kohlenstation am Persischen Meerbusen abgetreten. Australien. * Dreizehn der einflußreichsten Häuptlinge von Samoa haben dem deutschen Vertreter den Dank ihrer Anhänger für die Lösung der Samoafrage durch die drei Vertragsmächte er klärt und sich feierlich für die friedIiche Haltung ihrer Distrikte verbürgt. Statistisches. Aus der Statistik der deutschen Reichsvost- und Telegraphenverwaltung entnehmen wir nach der.Deutschen Verkehrs-Zeitung' noch folgende interessante Daten: Im Reichspoftqebiet betrug die Anzahl der Postanstalten (inkl. Hilfsstellen) im Jahre 1898 31639 (gegen 1888 mehr 1313t), Briefkästen gab es 94838 (je einen auf etwa 500 Ein wohner). Die Zähl oller beförderten Post sendungen mit Einschluß Württembergs und Bayerns betrug 4603 Millionen. Damit steht Deutschland an der Spitze aller Länder, es folgt Großbritannien mit 340 l, Frankreich mit 2573, Oesterreich mit 1096. Bezüglich der beförderten Telegramme kommt es jedoch mit 42 Millionen erst an dritte Stelle und wird übertroffen von Großbritannien mit der enormen Summe von 86, aber auch von Frankreich mit 44,5 Mill, beförderten Depeschen. Die Intensität des Briefverkehrs in den verschiedenen Gegenden Preußens zeigen folgende Zahlen aus den Distrikten mit höchstem und schwächstem Verkehr. Auf je einen Einwohner entfielen eingegangenene und abgcschickte Brief sendungen im Verwaltungsbezirk: Berlin 108 bezw. 142, Hamburg 87 bezw. 97, Leipzig 78 bezw. 95, Köln 76 bezw. 75, Frankfurt 68 bezw. 79; dagegen Bromberg 29 bezw. 24, Posen 27 bezw. 22, Gumbinnen 25 bezw. 18, Köslin 25 bezw. 18, Oppeln 25 bezw. 20. Dem Durchschnitt 49 bezw. 50 kommen Erfurt, Dortmund, Magdeburg und Karls ruhe nahe. Zum Schluffe geben wir noch eine Tabelle, aus der sich Vergleiche über den Postverkehr unserer größten Städte ziehen lassen. Sie ent- hält die absoluten Zahlen für die Gesamt einnahme an Porto und Telegrammgebkhren in Millionen Mark, dann wieviel von diesen Ein nahmen auf den Kopf der Bevölkerung kommt. Tausend Millionen Pro Kopf Einwohner Einnahme Mk. Berlin . . . 1677 Hamburg . . 626 Frankfurt . . 229 Köln ... 322 Breslau . . 378 Frankfurt überragt die Reichshauptstadt. 39,9 24 16,0 25 7,4 32 6,0 19 5,1 13 auch in anderer Hinsicht So entfielen auf den Kopf der Bevölkerung: Eingegangene Briefe in Frankfurt 128, in Berlin 121, gewöhnliche Pakete in Frankfurt 9, in Berlin 5,5. Mark für eingezahlle Postanweisungen in Frankfurt 323, in Berlin 227. Auch die Zahl der De peschen ist relativ höher. Uon Uah nnd Fern. Geestemünde. Nirgends in ganz Deutsch land spielt die Frage, ob der Winter Eis bringt oder nicht, eine solche Rolle, als hier. Die Fischdampfer, die Fischversandtgeschäfte und die Passagierdampfcr des Norddeutschen Lloyd er fordern alljährlich als Eisquantum von über 200 000 Tons .0 1000 Kilogramm). In den beiden letzten Jahren mußte das gesamte Eis aus Skandinavien bezogen werden, und es find dafür mehrere Millionen ins Ausland gewandert. Die seit acht Tagen eingetretene Frostperiode bringt deshalb unserem Orte reichen Gewinn und Tausenden von Arbeitern lohnende Be schäftigung. Ganze Eisenbahnzüge und Hunderte von Wagen führen jetzt alltäglich den hiesigen Eishäusern Ladungen zu. Jeder weitere Frost, tag hat einen Wert von vielen Zehntausenden Mark. Elberfeld. Die Militärbefreiungsangelegen, heit greift auch nach Solingen über. Dort wurden zwei Brüder verhaftet und am folgen« den Tage noch ein junger Mann. Wie ver lautet, stehen weitere Verhaftungen bevor. Der bevorstehende Prozeß am Landgericht in Elber feld scheint sich zu einem Massenprozeß zu ent- wickeln. Leipzig. Ein hiesiger Handlungskommiz hat einen Betrag von 15 000 Mk., den er im Auftrag seines Geschäfts, einer größeren Holz handlung, zur Post bringen sollte, unterschlagen und der Polizei das Geld als verloren ange- meldet. Er wurde verhaftet, und mir ihm ein anderer, dem er das Geld zur Aufbewahrung übergeben hatte. Von dem Gelde hat man noch keine Spur. Zwickau. In der Nacht zum Montag ist in Lauter ein Haus abgebrannt; fünf Personen kamen dabei ums Leben. Wernigerode. Einen seltsamen Tod infolge Radfahrens fand der Rechtsanwalt und Notar Dächsel. Er fuhr in Ausübung seines Amtes von Wernigerode nach dem benachbarten Mins- lebeu und benutzte dazu sein Fahrrad. Beim Passieren einer Gosse verspürte er einen heftigen Ruck im Genick, beachtete denselben zunächst aber nicht und kehrte am Abend nach Wernigerode heim. Bald darauf stellten sich heftige Genick- und Kopfschmerzen ein, die sich so verschlimmerten, daß er in die Klinik nach Halberstadt fuhr. Hier verstarb er bereits nach zwei Tagen, und zwar, wie die Aerzte feststellten, an einer Verrenkung des Nackenwirbels. Tyherrnfurth. Hier ist eine Diakonissin im Bett tot aufgcfunden worden. Sie war er stickt infolge Einatmung von Kohlengasen, welche dem Koksofen entströmten. Osnabrück. Der Schlosser Stethin, der Urheber zahlreicher, großer Einbrüche in West deutschland, ist aus der hiesigen Irrenanstalt entsprungen. Kaldenkirchen. Einem Gendarmen ist es unter Schwierigkeiten gelungen, das dritte Mit- glied der Räuberbande, die in der Gegend von Rheinberg lange Zeit ihr Unwesen trieb, den Einbrecher Koppers, dingfest zu machen. Vor mehreren Tagen schon hatte man das berüchtigte Haupt der Bande, Panhuysen, bei Straelen fest» genommen, wählend der letzte der Gesellschaft schon vor längerer Zeit von der holländischen Polizei ausgeliefert worden war. Culmsee. Eine Typhus-Epidemie ist m Culmsee ausgebrochen. Bisher find über fünfzig Erkrankungsfälle vorgekommen, von denen zwei tödlich verlaufen find. Trotz der weitgehendsten Vorsichtsmaßregeln kommen täglich neue Er- krankungssälle vor. Der biber gesperrte Culm- seer See, aus dem sämtliches Haus- und Wirt schaftswasser genommen wurde und in dessen Genuß man die Entstehungsursache zu erblicken glaubte, ist au einigen Stellen zur Wasserent nahme wieder freigegeben worden. München. Der vom niederbayrischen Schwurgericht in Straubing zum Tode ver urteilte Zimmermann und Brunnenmacher Müller von Trum wurde zu lebenslänglicher Zuchthaus strafe begnadigt. Müller wurde seiner Zeit ab geurteilt wegen Verbrechen des Doppelmordes, begangen an dem Ausnahmsbauern Joseph Schedlbauer und dessen Tochter Marianna in Weitzell. Wien. Bei dem Friedhof der österreichi schen Gemeinde Schönwald wurde ein als Schmuggler bekannter Häusler namens Eduard Rott mit klaffenden Wunden sterbend aufge funden. Vor seinem Tode erlangte er für einige Augenblicke das Bewußtsein und machte zwei andere Schmuggler aus der Ortschaft, Later und Sohn, als seine Mörder namhaft. Beide wurden dem Gericht eingeliefert. Nach den Angaben des Sterbenden verübten sie den Mord aus Rache und weil er als Schmuggler bessere Kundschaft hatte als sie. — Infolge starken Schneefalles stürzte daS Dach einer Glasfabrik zu Köhlach (Steiermark) «ein; 5 Personen wurden getötet, 20 verletzt. Der Spnk im alten Herrenhause. 3) Erzäülung von Adalbert Reinold. s (Fcrls-tzung) „Zwei Jahre hatte die unglückliche Frau in ihrer unglücklichen Ehe ausgeharrt. Am zweiten Jahrestage ihrer Hochzeit verließ sie den Baron und floh vor ihrem jähzornigen Mann zu ihrem Vater, ihr einziges Kind, die kaum einjährige Agnes, mit sich nehmend. „Der Baron that keinen Schritt, seine schöne Frau zu bewegen, ins elterliche Haus zurück zukehren, — er mochte einsehen, es sei so besser. Einen merkwürdigen Haß warf er auf seinen Schwregeroater, er wies dessen Einmischung schroff ab, willigte aber darein, seioer Frau ein großes Kapital auszusetzen. Drei Jahre nach der freiwilligen Trennung starb die schöne Jüdin; sie bezahlte den armseligen Titel „Baronin" mit ihrem Lebensglück, mit ihrem Leben. „Der Tod seiner Frau übte einen zer schmetternden Einfluß auf den Baron aus^ Die verstorbene Gattin stand in ihrer vollen Schön heit stets vor seinem geistigen Auge. „Der alte Bankier wandte sich schriftlich an seinen Schwiegersohn, er erbot sich, das einzige Kind seiner unglücklichen Tochter erziehen zu lassen, in seiner Obhut zu behalten. „Jasper von Waldow muß schon damals in einer entsetzlichen Geiftesftimmung sich be funden haben, — er willigte mechanisch in den Wunsch seines so bitter von ihm gehaßten Schwiegervaters, zog aber selber nach Hamburg, wo er sich eine Villa kaufte und wie ein Ein siedler lebte. „Der Baron wurde eine Zeitlang — eine Art Löwe des Tages; alle Damen der Aristokratie, welche jeden Mittag im Frühling, Sommer und an schönen Herbst- und Wintertagen gleich nach der Börsenzeit ihre Rundfahrt um die Alster bis zur Uhlenhorst und weiter zu machen pflegen, kannten den finster drein blickenden Mann mit dem edel geschnittenen Profil, dem schönen Alabastergeficht, das von einem tief schwarzen Bart umrahmt war. — Einsam, allein, wie er lebte und wohnte, ging er auch spazieren, — er würde schwerlich einen Gruß erwidert haben, wenn jemand es gewagt hätte, dem recht seltsamen Mann einen solchen zu spenden. „Der Baron in Trauer," so nannte ihn seine Nachbarschaft, unter diesem Namen kannten die Spaziergänger den leicht auffälligen Mann. „Der Baron in Trauer sollte nicht gar lange die Zielscheibe der Damen und Neu gierigen sein. Eines Tages erschien der ernste Mann nicht mehr zur gewohnten Zeit auf der Promenade und tags darauf hielt der Wagen eines der bekanntesten Aerzte der alten Handels stadt vor der kleinen, einsamen, tief in dichtem Baumdickicht gelegenen Billa des Barons. „Der Wagen hielt dann eine Zeitlang täg lich da. Der Arzt wurde von Bekannten be stürmt, doch Aufschluß über seinen interessanten Patienten zu geben, — er wußte selbst wenig über denselben. „Der Baron heißt Waldow, ist Witwer, er laboriert an einem gefährlichen Herzleiden/ — das war alles, was man erfuhr. „Dein Vater eilte auf seinen Wunsch zu dem erkrankten Bruder, er weilte über einen Monat bei ihm. Während der Zeit traf auch der Schwiegervater, der Bankier Schönberg, bei dem Kranken ein, — dieser selbst hatte ge wünscht, ihn zu sprechen, — die kleine Agnes zu sehen. „Das unschuldige Kindchen wurde der Engel der Versöhnung zwischen den beiden Männern, die sich zum ersten Mal ohne Groll die Hand reichten. „Der kranke Baron schloß noch einmal sein einziges Kind au sein Herz — acht Tage später war er tot. „Sein Bruder, wie auch sein Schwieger vater waren bis an sein Ende bei ihm ge blieben. Die Leiche wurde nach B. überführt, der Geburtsstadt seiner verstorbenen Frau — so hatte er es gewünscht. Er wollte nach dem Tode an der Seite der schönen Frau ruhen, mit der es ihm nicht vergönnt gewesen war, im Leben glücklich die kurze Zeitspanne zu durch wandern, — Agnes blieb bei ihrem Groß vater, dem alten Bankier, welcher uns nie mals besucht hat, mit dem aber der Vater eine, wenn auch nur gelegentliche Korrespondenz unterhielt. , . . „Falkensee blieb unser. Ich wußte, daß der Vater nicht der rechte Erbe der Herrschaft war, — aber ich wagte kaum, ihn danach zu fragen. Hatte er schon früher, bei Lebzeiten seines Bruders, sobald ich nur andeutend dieses Thema berührte, in abweichendem Tone stets geantwortet: ich solle mich doch nicht um solche geschäft liche Angelegenheiten kümmern, — so fuhr er das erste Mal, als ich ihn fragte, ob denn nun die Tochter Jaspers die Erbin Falkensees sei, in einer Weise auf, die ich nur in den seltensten Fällen an ihm kennen gelernt hatte, und wies mich mit den Worten ab: „Falken see ist und bleibt unser; das Mädchen, daS überhaupt stets kränkelt, — wie dies immer Kinder solcher unglückseligen Mischehen thun, ist, falls es am Leben bleibt, ein für allemal abgefunden. Du wirst aber gut thun, nicht wieder nach abgethanen Dingen zu fragen; überhaupt bitte ich, mich nicht an meinen Bruder zu erinnern, der seine dummen und tollen Streiche mit dem Leben gebüßt hat." Die Baronin machte eine Pause, — ei» schwerer Seufzer hob ihre Brust. „DaS ist alles, was ich überhaupt weiß, fuhr sie dann fort, „ich habe kaum gewagt, den Namen des armen Jasper zu nennen, und mag nicht des Kampfes gedenken, den ich hatte, als es galt, Agnes hierher zu nehmen. Der Himmel vergebe mir," fügte die Frau mit fast unhörbar leiser Stimme hinzu, „wenn ich ^ater un- recht thue, aber es schien mir, als oo er seme Einwilligung rascher, willfäbA^ gab, sobald er hörte, das unglückliche Kmd sei fast er- Mutter und Sohn "erharrten eine Zeitlang in Schweigen. -7 ^eide mochten ihren eigenen und doch vielleicht denselben Gedanken haben. „Nnd, liebe Mama, fragte endlich Emil, „hat Agnes me ein Wort über Falkensee ge äußert S Sie hat keine Ahnung, daß Herrschaft und Gut eigentlich, dem alten Rechte nach, ihr gehören müssen?" „Ich wagte nie," erwidert die Barons
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)