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Allgemeiner Anzeiger : 06.12.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-12-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189912069
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18991206
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-12
- Tag 1899-12-06
-
Monat
1899-12
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 06.12.1899
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Politische Rundschau. Vom Kriegsschauplatz. * Von dem Siege Lord Methuens am Modderfluß gibt ein der Magdeb. Ztg.' aus London zugegangener Bericht eine eigenartige Darstellung. Danach hätten sich am 28. v. die Boern unter Cronje in sehr starker und gedeckter Stellung den Engländern gegenübergestanden. Die Artillerie eröffnete gegen 6 Uhr morgens das Gefecht, während die Kavallerie die Boeruposten vergeblich abzu schneiden suchte. Gegen 7 Uhr griffen die Garden in aufgelösten Zügen die Feindesftcllung vor Sevensfontein an, die Infanterie dessen rechten Flügel, die Artillerie und Marinetruppen sein Zentrum. Die Boernartillerie nahm die An greifer furchtbar mit. Bis Mittag stürmten die Garden vergeblich unter schwersten Verlusten, besonders an Osfizieren. Im Zentrum setzte das Boernfeuer zwei englische Geschütze außer Gefecht. Nachmittags brachte Methuen sämt liche Reserven ins Feuer und brach gegen 6 Uhr abends den unentschiedenen Kampf, ohne die Boem zu verfolgen, ab. Diese zogen ihre Vor posten zurück. Die in Hauptpofitionen stehenden Boern kämpften den ganzen Tag vollständig gedeckt, während die Engländer in brennender Sonne deckungslos angriffen. Wahrscheinlich haben die Engländer über 20 Prozent Tote und Verwundete. Alle Offiziere der Marinebrigade find getötet außer zwei. Einzelne Garde regimenter verloren über die Hälfte der Offiziere. Cronje erwartet den Feind auf den Höhen von Spytfontein, also halben Wegs von Modder riverstation nach Kimberley. — Ob Lord Methuen im stände war, dem Gegner zu folgen, ist vorerst nicht zu ersehen. * Amtlich wird bekannt gegeben, daß General Lord Methuen leicht verwundet ist. Eine Kugel drang ihm in das Sitzfleisch ein. "Der „Sieg" am Modderflusse soll den Engländern einen Verlust von weit über 1000 Mann an Toten, Verwundeten und Ge fangenen gebracht haben. * Die Nachrichten über die L a g e in L a d y- smith find ganz widersprechend. Den .Times' wird gemeldet, daß alles gut stehe und die Boem sich wenig bemerkbar machen und in Paris will man wissen, die Stadt sei bereits gefallen. Aus London wird gemeldet: Obwohl man hier das Pariser Gerücht vom Falle Lady smiths zu verlachen vorgibt, hat es ein unheim liches Gefühl der Besorgnis Hervorgemfen. Es liegen direkte Nachrichten per Kurier aus Lady smith vom 21. vor. Danach war das Bom bardement ein ununterbrochenes und wurde sogar nachts bei Scheinwerfer-Beleuchtung fort gesetzt. "Grausamkeiten der englischen Truppen werden im.Daily Chronicle' aus der Schlacht bei Elandslaagte berichtet: „Die Boem waren geflüchtet. Ihre versprengten Mannschaften taumelten in dem Zwielicht über eine felsige Ebene zu unserer Linken. Dort wurden sie von den Garde-Dragonern abge fangen, die dreimal durch sie hindurchritten. Ein Korporal der Garde-Dragoner, der mit dabei gewesen ist, erzählte mir, daß die Boern von ihren Pferden stürzten und, zwischen die Felsen rollend, den Kopf mit den Armen schützten und um Pardon baten. Sie baten, man möge sie lieber erschießen; fie baten darum, nur um dem Stich der schrecklichen Lanze durch Rücken und Eingeweide zu entgehen. Aber nur wenige entgingen ihrem Schicksal. Wir gaben ihnen, wie fie so dalagen, eben einen guten Stich ab." Das waren die Worte des Korporals. Am nächsten Tag waren die meisten Lanzen blutig. * Bisher find ungefähr 100000 Flücht linge in Kapstadt eingetroffen. In letzter Zeit trafen ganze Karawanen Flüchtiger aus Natal ein. Die Not vergrößert fich, Lebens mittel und Domizile find schwer zu erlangen. * Deutschland. "Das Kaiserpaar ist am Donnerstag früh wieder in Potsdam eingetroffen. *Jm Reichstage fällt am kommen den Freüag wegen des katholischen Feiertages die Plenarsitzung aus. Am Montag, 11. De zember, soll die erste Beratung des Etats be ginnen. Alsdann tritt das Haus in die Weih- n a ch t s f e r i e n, welche sich bis zum 9. Januar 1900 erstrecken sollen. * Zur Prüfung des Entwurfs einer neuen Felddienst-Ordnung tagt unter dem Vorsitz des Generals der Kavallerie, Graf Häseler, seit dem 15. November in Berlin eine Militärkommisfion. In der Hauptsache handelt es sich bei den Aenderungen gegenüber der Felddienst-Ordnung von 1894 um die Berück sichtigung der Neuorganisation der Feldartillerie und der Einführung von Feldhaubitzen. "Gegenüber dem emeuten Dementi der ,Berl. Korrespondenz' in Sachen der Berliner Selbstverwaltung schreibt die .Köln. Volksztg.' aus Berlin, gegenwärtig trete mehr der Gedanke in den Vordergrund, eine ver mehrte Staatsaufsicht über Berlin in die Wege zu leiten, da die jetzige Kommunal verwaltung in mehrfacher Beziehung fich nicht bewähre. Dazu hätten noch Kirchenbau streitigkeiten sowie die Differenz wegen desFriedhofesderMärzgefallenen sehr verstimmt, so daß vielfach die Meinung herrsche, so gehe es nicht weiter. Ohne Zweifel trage man sich an maßgebender Stelle mit dem Wunsch, hierin Wandlung zu schaffen. Nur darüber, was geschehen solle, sei man noch nicht schlüssig geworden. "Eine Verstärkung der Schutz truppe in Kamerun ist dem Vernehmen nach in Aussicht genommen. Das letzte Jahr hat eine erhebliche Erweiterung des unmittel baren Einflusses der deutschen Regierung in das Hinterland gebracht. Der Häuptling der Wüte und der Sultan von Tibati find niedergeworfen worden; zugleich ist in diesem Gebiet der Sklavenhandel unterdrückt worden. In diesen Bezirken sollen an den wichtigsten Plätzen feste militärische Stützpunkte errichtet werden. Um an der Küste die bisherigen Mäste zu behalten, soll die Schutztruppe um wenigstens 100 Mann ver stärkt und auf zwei Kompanien zu je 250 Far bigen gebracht werden. Frankreich. * Der Gang der Verhandlungen des Staatsgerichtshofes ist in letzter Zett im höchsten Grade schleppend, und wenn es so fortgeht, sieht man kein Ende des Prozesses. Matin' schreibt: „Es find noch etwa 550 Zeugen zu vernehmen. Durchschnittlich werden täglich fünf verhört, was 110 Tage ergibt, wenn man fie alle vernehmen will. Setzt man noch 20 Tage für die Plaidoyers der Advokaten, für Abstimmungen, geheime Sitzungen u. a. aus, ohne die möglichen Zwischenfälle zu rechnen, so wird der Prozeß noch 130 Tage oder über 4 Monate dauern". England. "Königin Viktoria wird fich am Dienstag, den 12. Dezember, nach Osborne begeben, wo fie bis Mitte Februar verweilen dürfte. Von hier aus begibt fie fich dann zu einem kurzen dreiwöchentlichen Urlaub nach Windsor zurück, um hierauf ihre Reise nach dem Festlande anzutreten. In Bordighera beabsichtigt die Königin Viktoria ungefähr sechs Wochen zu weilen. Auf der Rückreise gedenkt die Königin von England einen Besuch in Potsdam abzustatten. Schweden-Norwegen. * In Schweden verlangt die Regierung einen Kredit von 22 Millionen Kronen zur Beschaffung neuen Feld-Artilleriematerials nach deutschem Muster sowie für neue Hand waffen, für Munition und die Erweiterung der Pulverfabriken. Rußland. "Der bisherige Chef der Zensur für Finnland, Cajander, erhielt den nachge- suchten Abschied. Sein vorläufiger Nachfolger ist Graf Cronhjelm, dirigierender Kanzlei-Gou verneur. Cajander war mit der Maßrege lung der finnischen Presse nicht mehr einver standen. Balkanstaate««. * Mehrere diplomatische Vertretungen in Konstantinopel erbaten fich von der Pforte Aufklärung über die Massenverhaf tung er^in der letzten Zeit, da dieselben ge eignet seien, eine bedrohliche innerpolitische Be wegung hervorzurufen. "Die.Limes' beschäftigen fich ausführlich mit der Bauerlaubnis für die Bagdadba h n an Deutsche. Sie sehen darin einen der be deutendsten Triumphe jener Vereinigung von politischem Einfluß mit kaufmännischem Unter nehmungsgeist, die die Deutschen mit aller ihrer gewohnten Gründlichkeit und Vorausficht an wenden. „Man möge es den Engländern nicht übel nehmen, daß sie es etwas bedauern, daß die von England schon vor 50 Jahren geplante Eisenbahnlinie nun schließlich in die Hände einer anderen Macht gefallen ist. Aber zwei Erwägungen können fie trösten: fie haben die Hände bereits voll von verantwortlichen Auf gaben, die das britische Reich mit fich bringt, und ferner ist für fie der Weg offen, ein Interesse an der neuen Bahnlinie zu erwerben, ohne die Hauptlast der Verantwortlichkeit zu übernehmen. Es gibt keine andere Macht, in deren Hände die Engländer das Unternehmen lieber hätten fallen sehen; denn es gibt keine Macht, die so wesentliche Fortschritte in der Richtung unserer eigenen liberalen Handelspolitik gemacht hätte." Aste». "Die von dem General Otts stammende Meldung, Aguinaldo sei nach Kanton (China) geflohen, wird jetzt bereits durch die Meldung, die Verfolgung gegen ihn werde fortgesetzt und er befinde fich mit seinen Anhängern jetzt in der Nähe von Bangund, das einige hundert Kilometer nördlich von Tarlac liegt, als eine Irreführung erwiesen. General Wheaton berichtet, Aguinaldos Frau und sein kleiner Sohn hätten fich an ihn mit der Bitte um Schutz vor den Filipinos gewendet, die die beiden ans Zom über der: Mißerfolg Aguinaldos töten wollten, und er habe fie darauf mit einer Leibgarde von Tarlac nach San Fabian geschickt. Aus dem Reichstage. Der Reichstag hat am Donnerstag bei Fort setzung der zweiten Beratung der Gewerbe-Novelle die Einfügung eines neuen tz 139 es in die Gewerbe- Ordnung, nach welchem die öffentlichen Verkaufs stellen von 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens für den geschäftlichen Verkehr geschlossen sein müssen, be schlossen. Auch kann nach einer von der Kommission vargeschlagenen, vom Hause angenommenen Be stimmung die geschättslose Zeit für eine Gemeinde von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens dann erstreckt werden, wenn sich zwei Drittel der Geschäfts- Inhaber dafür erklären. Am 1. d. wird die zweite Beratung der Ge- werbe-Ordnungsnovellc fortgesetzt bei Art. 9, welcher die in den früheren Artikeln be schlossenen Bestimmungen unter die Strafvorschriften der Gewerbeordnung einreiht. Abg. OPfergelt (Zcntr.) beantragt, hier einen von der Kommission beschlossenen Zusatz wieder zu streichen, nach welchem nicht nur die Uebcrschreitung festgelegter Taxen strafbar sein soll, sondern auch die Unterlassung des AnschlagenS derselben in den .Geschäftsräumen. Der Antrag wird angenommen; ebenso der dadurch abgeänderte Art. 9. Als Art. 9a beantragen die Abgg. Albrecht und Gen. (soz.) die Einfügung einer Reihe von Paragraphen, durch welche das Koalitionsrecht für Arbeiter erweitert werden soll. Vereinigungen und Versammlungen, die eine Einwirkung auf Arbeits-, GehaliS- oder Lohnverhältnisse bezwecken, sollen den landesgesetzlichen Bestimmungen über das Vereins-, Versammlungs- und Versicherungswesen nicht unterworfen sein, auch nicht nach dem groben Unfugsparagraphen oder den Sonntagsruhe-Bestim mungen. Arbeitgeber, welche Arbeiter an der Teil nahme an solchen Koalitionen zu hindern suchen, sollen dagegen mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft werden. Abg. Heine (soz.) begründet diesen Antrag; derselbe fordere nur die Sicherung desselben Maßes von Koalitionsfreiheit für die Arbeiter, wie es die Arbeitsgeber bereits besitzen. Insbesondere sollten auch die ländlichen Arbeiter das Koalitionsrecht erhalten. Darüber entrüste man sich besonders; man stelle es so dar, als handle es sich um die Uebertragung der Diktatur des Proletariats auf das Land. Dem Reichskanzler werde es sicher ganz lieb sein, wenn der Reichstag die Anträge an nehme, denn damit werde ihm die Einlösung seines Versprechens erleichtert, daß das Koalitionsverbot für politische Vereine aufgehoben werden solle. Zum Schutz des Koaiitionsi echtes sei auch notwendig die Anwendung des Erpressungsparagraphen auf Streikende, welche die Wiederaufnahme der Arbeit von Bedingungen abhängig machen. Sodann aber müsse der tz 153 der Gewerbeordnung aufgehoben werden, der den Zwang rc. zur Teilnahme an Koa litionen unter Strafe stelle. Namentlich die Begriffe Ehrverletzung und Verrnfserklärnng würden von den Gerichten in neuerer Veit in geradezu gemein gefährlicher Weise gegen die Arbeiter angcwendct, während der Terrorismus der Arbeitgeber unbestraft bleibe. DasHaus möge denAntrag ohneVorurteil prüfen. Abg. Hitze (Zentr.) erklärt, seine Freunde seien nicht geneigt, an dieser Stelle das Koalitionsrecht auszngcstaltcn. Die Anträge hätten keine Aussicht auf Annahme, und seine Freunde würoen gegen die Anträge stimmen. Abg. Bassermann (nat.-lib.) erklärt, seine Freunde lehnten die Anträge ab, einmal um nicht das Zustandekommen der Gewerbenovelle in Frage zu itellen, dann aber, weil die Anträge materiell viel zu weit gingen und sich somit als agitatorisch kennzeichneten. Abg. Graf Klinckow ström (kons.) bemerk, seine Freunde ständen den Anträgen durchaus kühl gegenüber, denn sie hätten sie von vornherein für ein totes Kind gehalten, dessen Existenz nur der eigenen Mutter, der Sozialdemokratie, schaden könne. Recht klar gehe der agitatorische Charakter der Anträge daraus hervor, daß das Koalitionsrecht auch auf die ländlichen Arbeiter ausgedehnt werden solle. Die ländlichen Arbeiter seien nämlich auf Jahreskontrakt angestellt; wie sollten da denn je dieselben in einen Streik eintreren? Atan müßte dann in die Kon trakte die Bestimmung einfügen, daß sie nur für die Arbeitgeber verbindlich seien, nicht aber für die Arbeiter. Die Sozialdemokraten dächten ja noch gar nicht daran, den ländlichen Arbeitern wirkliche Vor teile zu sichern, fie wollten nur Unzufriedenheit schaffen und die Arbeiter aufwiegeln gegen die bösen Junker und Schlotbarone. Abg. Pachnicke (fr. Vgg.): So unglücklich der Zeitpunkt für die Einbringung der Zuchthaus vorlage gewählt war, noch viel unglücklicher ist er für diese Anträge, nachdem jene Vorlage eben ein gescharrt worden. Wir werden daher gegen die An träge stimmen, und ich versage es mir, auf Einzel heiten einzugchen. Abg. v. Tiedemann (frcikons.): Meine Freunde sehen in den Anträgen nur eine übermütige Demonstration, eine Quittung gegen die Parteien, die der Sozialdemokratie bei der Verhinderung einer eingehenderen Beratung der Arbeitswilligen-Vorlage Heeresfolge geleistet haben. Diesen Parteien werden nun hoffentlich die Augen geöffnet über die Kon sequenzen eines solchen Vorgehens. Meine Freunde lehnen die Anträge ab. Abg. Fischbeck (fr. Vp.): Für seine Freunde unterliege es keinen, Zweifel, daß durch die Annahme der sozialdemokratischen Anträge die Gewerbcnovelle zum Scheitern gebracht werden würde. Die Vor teile der Novelle müßten aber den Arbeitern und den Angestellten im Handelsgcwerbe gesichert werden. Wer diesen ehrlichen Willen habe, der könne auf diese Anträge gar keine Antwort geben, als ein ein faches Nein. Abg. Stadthagen (soz.) sucht den Einwand, daß die Anträge nicht zur richtigen Zeit gestellt worden seim, zu widerlegen und bestreitet, daß die selben zu weit gehen. Abg. Lieber (Zentr.): Seinen Freunden komme es hier vor allem darauf an, die Gewerbe novelle zu verabschieden. Gerade weil aber seine Partei eben einen sozialdemokratischen Vorstoß ab gewiesen habe, weise er den Vorwurf des Abg. von Tiedemann, daß die Mehrheit des Hauses der Sozial demokratie Heeresfolge geleistet habe, als eine Krän kung und Beleidigung seiner Partei mit aller Ent schiedenheit zurück. Abg. Bebel (soz.) sucht sowohl die Zeit wie die Form der Anträge zu rechtfertigen. Agitatorisch handelten alle Parteien, auch die Konservativen. Diese seien ebenso Unruhestifter wie seine Freunde; ja, man könne mit Recht sagen, der Schüler habe den Meister übertrumpft. Wer sei es denn gewesen, der gesagt habe, man müsse nur schreien — schreien, um etwas herauszuschlagen? Seine Freunde würden im nächsten Jahre mit der Vorlage wicderkommen. Nach längerer Debatte werden die Anträge Albrecht u. Gen. gegen die Stimmen der Sozial demokraten abgelehnt. Der Rest der Vorlage wird sodann debattelos angenommen. — Die von der Kommission be antragten Resolutionen, betr.: 1) Ausdehnung des Arbciterschutzes auf die Hausindustrie, 2) Erhebungen über die Verhältnisse der Angestellten in kaufmännischen Betrieben, die nicht mit offenen Verkaufsstellen ver bunden sind, sowie im Verkchrsgewerbe, und 3) gesetz liche Regelung der Arbeitszeit, der Kündigungssrislen, der Sonntagsruhe u. s. w. für Gehilfen der Rechts anwälte, Notare und Gerichtsvollzieher, werden eben falls angenommen.— Nächste Sitzung: Montag. Der Kch wedenhof. 16 s Erzählung von Fritz Brentano. (Schlitz.) Die Knechte aber begaben fich hinaus auf die Suche nach ihrem Herrn und die Fußspuren, welche er in dem aufgeweichten Boden hinter lassen, als er durch das regendurchnäßte Stoppel feld geflohen war, führten in den Wald und nach langem Umherirren auch zu der verrufenen Stätte, wo fich ihnen ein schrecklicher Anblick bot. Der Sturm hatte die Mordeiche mitten auseinander gerissen; das stürzende Vorder teil hatte den Ulrich halb unter fich begraben, während der Hauptast ihn tödlich am Kopf getroffen hatte. Aus der klaffenden Oeffnung des hohlen Baumes aber grinste ihnen ein Skelett entgegen, das noch stellenweise von den verfaulten Lumpen einer Försteruniform umkleidet war, während zwei vollständig verrostete Jagd gewehre ihm zur Seite staken. Der Ulrich lebte noch, als sie hinzutraten. Seine weit geöffneten Augen stierten auf die grauenvollen Ueberreste seines einstigen Tod feindes, langsam hob er seinen linken Arm — ' ie Rechte, mit welcher er einst den tödlichen Schuß abgedrückt, lag zerschmettert unter dem Stamm — und deutete auf die Eiche, während fich seinen blaffen Lippen mühsam die Worte entrangen: „Ich hab's gethan! Der Wald hat ihn gerächt!" Noch einmal streifte sein brechender Blick seinen halbbegrabenen Körper — die Linke griff krampfhaft uach dem zerschmetterten Haupte, dann schloffen fich die Augen für immer, er war tot! Schaudernd wandten sich die Umstehenden von dem Toten ab und am Nachmittag bereits durchlief das Dorf die Kunde von dem furcht baren Gericht, welches da draußen an der Mord eiche die göttliche Gerechtigkeit gehalten hatte. * * * Gertrud siechte langsam dahin und es dauerte noch Jahre, bis der Himmel sie aus der Geistes nacht erlöste, die sich seit jener Stunde um ihre Sinne gelegt hatte. Den Mörder des Försters aber hatten fie neben den Resten der Mordeiche eingescharrt. Und die Jahre zogen dahin, die Welt ging ihren gleichmäßigen, gleichgültigen Gang, der Wind rauschte wie immer über die Bäume und fie sangen das geheimnisvolle Lied von Blut und Thränen — das Schmerzenslied von der Rache des Waldes! Ende. Kelgas Mch. Nordische Strandgeschichte v. Anna Brentano-Bauck.*) Gewaltige Felsmassen umgeben denjenigen Teil des Hardanger Fjord, welcher den Namen Oje Fjord führt. Und kühn recken fie sich, wie im Gefühl trotziger Kraft, himmelanstrebend am Ufer empor. Der Fjord schmiegt fich zeitweise still, wie ein schlafendes Kind, welches sorglos zwischen seinen Kiffen träumt, an die dunklen Stein *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. massen — ein anderes Mal aber schleudert er wieder seine sturmgepeitschten Wasser in wildem Grimm gegen die Fclsmaffen, daß das Meer am Fuße derselben einem schäumenden Kessel gleicht. Es war an einem warmen Sommertage. Goldig lachte die Sonne über den Fjord, und ein leichter Wind spielte mit den glitzernden Wellen, die nach dem letzten Sturm noch ziem lich hochgingen. Eben kam ein Boot in Sicht, aber nur lang sam arbeitete es fich vorwärts, trotzdem es leicht gebaut war und von drei Männern gerudert wurde. Sie schienen ermüdet, denn fie machten eine Pause und stärkten fich mit einem Imbiß, den sie einer alten Holzkiste entnahmen, welche unter der Ruderbank stand. Unterdessen schaukelte das Boot, gleich einer Nußschale auf und nieder, und stieß zuweilen leicht an die Landzunge, welche nach vorn stark abgerundet in das Meer hineinragte. Oben auf dem Felsrücken war es inzwischen lebendig geworden. Arbeiter, welche lachend und plaudernd ihre kurze Sichel schärften, wurden sichtbar, und hier und dort waren welche beschäftigt, das dürre Gras, welches am Fels rand zwischen den Ritzen der Steine wuchs, ab zuschneiden. Die mit Essen beschäftigten Insassen des Bootes mußten, wie aus ihren leicht hingewor fenen Bemerkungen zu entnehmen war, die Leute da oben kennen. Einer freilich war unter ihnen, den alle kannten, Knut Legre, der reichste Bauer der Gegend, dessen Besitzungen die schönst« weit und breit waren. Plötzlich tönte ein lauter Schrei und weckte das Echo, welches ihn von Fels zu Fels trug, was war geschehen? Ein Unglück? Nein! Denn jetzt erklang ein zweiter Ruf auS fröhlich lachendem Mädchenmund und erstarb über d« Wassern. Die Männer im Boot beschatteten die Augen mit hochgehobener Hand und erblickten einen bunten Gegenstand, welcher an der Felswand herunterflatterte und endlich an einem mächtigen Wachholderbusch hängen blieb, der wohl tausend Fuß über dem Wasserspiegel aus einer breiten Felsspalte herauswuchs. Auf ihre Anfrage ant wortete man ihnen von oben, und trotz der großen Entfernung vernahmen sie jedes Wort so deutlich, als ob es aus einem Sprachrohr töne. Das Tuch gehörte Helga Legre, deren Hän den es in dem Augenblick entglitt, als fie eS auf den vorspringenden Zweig eines Strauches hängen wollte, um es beim Nachhausegehen über ihre Arbeitskleider zu werfen. Und jetzt mutzte fie es mit ansehen, wie es an dem Wachholderbusch hing und vom Winde unsanft zerzaust wurde. Dagegen war nun nichts zu thun, denn das Tuch von oben zu holen, war eme Un möglichkeit, und es fiel auch niemand ein, nur den kleinsten Versuch zu machen. , Von der Stelle, wo das Boot lag, sneg die kahle Felswand zu schwindelnder Hoy empor. So weit das Auge reichte, war le n Fleck zu entdecken, der dem Fuß dessen, welcher den Aufstieg wagen wollte, auch nur den kleu i
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