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Allgemeiner Anzeiger : 22.11.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189911227
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18991122
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18991122
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-11
- Tag 1899-11-22
-
Monat
1899-11
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 22.11.1899
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Politische Rundschau. Vom Kriegsschauplatz. *Auf des Messers Schneide steht die erste große Entscheidung im Transvaalkriege. Wird Ladysmith vor Eintreffen der Ersatz- truppen sich den Boern ergeben müssen oder wird es sich halten. Die englische Nachricht, daß bereits am Montag General Buller mit 15 000 Mann Ersatz Pietermaritz burg erreicht haben wird, ist Aufschneiderei. Am Donnerstag kurfierte an der Londoner Börse das bisher anderweitig nicht bestätigte Gerücht, der Oberführer der Boern, General Joubert, sei bei einem mißglückten Sturm angriff gegen Ladysmith gefallen. * Wie ,Daily Telegraph' aus Estcourt vom 10. d. meldet, „sollen" die Boern Mangel anLebensmitteln haben und „befürchten", daß die B as uto s sich erheben und Buller sie abschneiden könnte. Die Freistaat-Boern begeben sich in ihre Heimat zurück (?) — Wäre das alles richtig, so müßten wir schon längst enthusiastische Meldungen über den Entsatz von Ladysmith in Händen haben! Davon ist aber noch ganz und gar nicht die Rede. Im Gegenteil scheint es dort schlecht um White zu stehen, denn von dem vielerwähnten Kampf um Ladysmith vom 9. d. wird mehr und mehr zu gestanden, daß er eine Schlappe der Engländer bedeutet habe. *Die .Daily News' berichten aus Kapstadt: Jameson reiste auf dem Schiffe.Kinfauns Castle' nach London ab. (Das stimmt mit der früheren Meldung nicht, daß Jameson in Ladysmith eingeschlossen sei.) * * Deutschland. *Das Kaiserpaar mit den Prinzen August Wilhelm und Oskar hat am 18. d. auf der „Hohenzollern" die Reise nach Eng land angetreten. * Neber die Eins chränkung der Dauer des Kaiserbesuchs in England und die Aufenthaltsdisposttionen ist auch die Lon doner Presse jetzt sehr genau informiert. Mehrere Londoner Blätter, darunter der,Standard', er klären sich jetzt zu der „Mitteilung ermächtigt," daß Kaiser Wilhelm und seine Gemahlin Sandringham bereits am 27. d. wieder ver lassen werden. Der geplante Besuch beim Her- zog von Devonshire sei, wie der bei Lord Lonsdale, abgesagt worden, und zwar mit der Motivierung, der Kaiser müsse wegen dringender Geschäfte in der Heimat seinen Aufenthalt in England abkürzen. — Das Kaiserpaar wird auch auf der Rückreise London nicht berühren, sondern sich von Sandringham direkt nach Ports mouth und von dort an Bord der „Hohenzollern" zurück nach Kiel begeben. * Die Verlegung des kaiserlichenHof- lagers vom Neuen Palais nach Berlin wird voraussichtlich diesmal früher stattfinden als in den letzten Jahren. Wie verlautet, soll das Kaiserpaar die Absicht haben, das Weih nachtsfest in Berlin zu verleben. * In parlamentarischen Kreisen ist in den letzten Tagen die Nachricht verbreitet gewesen, daß Graf Bülow die Abficht habe, dem Reichstage schon jetzt eine Mitteilung über das mit England abgeschlossene Samoa- Abkommen zu machen. Es ist dies indessen nicht der Fall, weil eine offizielle An kündigung des Abkommens aus Rücksicht gegen die Vereinigten Staaten von Amerika nicht erfolgen wird, so lange die formelle Zu stimmung dieser aussteht. Nach dem Stande der Verhandlungen mit der amerikanischen Re gierung ist aller Grund zur Annahme, daß das deutsch-englische Samoa - Abkommen auch in Washington als eine alle Teile befriedigende Lösung dieser schon so lange auf das Verhältnis der drei Mächte zu einander ungünstig ein wirkenden Frage angesehen wird. Es ist daher zu erwarten, daß eme bereitwillige und freund schaftliche Zustimmung der amerikanischen Re gierung in Bälde erfolgen wird. Bis dahin wird indessen Graf Bülow mit seiner offiziellen Mitteilung noch zurückhalten. *Aus dem kleiner und kleiner werdenden Kreise der Männer, die an den kriegerischen Er eignissen der Jahre von 1864 bis 1871 einen hervorragenden Anteil gehabt haben, ist aber mals einer dahingeschicden. Der General der Infanterie Gustav v. Stiehle ist am Mittwoch nachmittag in Berlin im 77. LrLms- jahre gestorben. Er machte schonten dänischen Krieg im Generalstabe mit, befand sich 1866 im großen Hauptquartier und wurde beim Ausbruch des französischen Krieges General stabschef der Armee des Prinzen Friedrich Karl. Als solcher schloß er am 27. Oktober mit dem französischen General Jarras die Kapitulation von Dietz ab. In seiner weiteren Laufbahn nach dem Kriege gelangte er 1881 zu der Stellung des kommandierenden Generals des 5. Armee korps, 1888 trat er in den Ruhestand. *Der diplomatische Krieg Ruß lands gegen den Staat Bremen ist glücklich beendet. Wie amtlich mitgeteilt wird, ist dem kaiserlich russischen Konsul in Bremen, Kollegiemat Paul Kozakewitsch, namens des Reiches das Exequatur erteilt worden. Der Vorgänger des neuen Konsuls wurde bekanntlich abberufen, weil Bremen sich geweigert hatte, der russischen Forderung Folge zu geben, gewisse Polizeibeamte wegen eines bedauerlichen, aber verzeihlichen Mißgriffs, deren Opfer ein russischer Geistlicher war, zu maßregeln. Frankreich. *Die französische Deputiertenkammer nahm am Donnerstag eine Tagesordnung an, wonach „die Kammer die Handlungen der Regierung zur Verteidigung der Republik billigt." Dieses Ver trauensvotum wurde mit 340 gegen 215 Stimmen gegeben. Das Ministerium, in dem der „Henker der Commune" Gallifet ein trächtig neben dem Sozialisten Millerand fitzt, ist also trotz der Dreyfusaffäre noch uner schüttert. England. *Jn England bleibt die Stimmung sehr gedrückt. In den Staatsfabriken und Arsenalen wird Tag und Nacht ohne Unter brechung gearbeitet. Ganze Eisenbahnzüge mit Munition und Proviant werden täglich für Südafrika eingeschifft. Die ,Times' melden ferner: Vier erstklassige Kapliniendampfer find gechartert worden, um die fünfte Division nach Südafrika zu schaffen. Italien. *Der Ministerrat nahm einen Vorschlag des Marineministers betreffs einer Anleihe von sechzig Millionen an, um binnen vier Jahren die Schlachtschiffe ersterKlasse zu verdoppeln. Die Zinsen des Kapitals sollen durch Ersparnisse im Marinehaushalt be stritten werden. Dagegen stoßen die Forde rungen des Kriegsministers betreffs Umwandlung der Feldartillerie auf de« Widerstand des Finanz ministers. Die Kammer hat inzwischen die ministeriellen Bewerber ins Präsidium gewählt. Balkanstaaten. *Aus den Kreisen der hohen Pforte ver nimmt man, daß armenische Banden die türkischeGrenzeamKaukasusüber- s ch r i t t e n und nach b I u t i g e n K ä m p f e n von den türkischen Truppen zersprengt worden seien. Einheimische Armrnier hätten die aus Rußland eingedrungenen unterstützt, seien aber gewaltsam unterworfen, und ihre Dörfer seien zerstört worden. Bestätigung fehlt. Der Ge währsmann der,Köln. Ztg.' argwöhnt, daß die Geschichte von dem Einfall vielleicht erfunden sei, um Zusammenstößen der türkischen Armenier mit den türkischen Truppen zu verdecken. Aegypten. * Die Berichte aus dem Sudan wirken in London mit Recht sehr beunruhigend. Es würde eine schlimme Verwickelung werden, wenn sich England genötigt sähe, Südafrika im Sudan zu verteidigen. Lord Kitchener hat ent schieden den Kalifen und die mah distis ch e Gefahr unterschätzt. Es gilt jeßt, einer fanatischen Flutwelle zu begegnen und zu er weisen, daß noch englische Truppen über den Bedarf in Südafrika verfügbar find, oder ver fügbar gemacht werden können. Dabei erhalten fich hartnäckig die Gerüchte, der Negus Menelik stehe im Begriff, die Lage auszunutzen und mit einem Heer auf Eroberungen im streitigen Gebiet auszuziehen. Ein Rückschlag der Engländer könnle zudem sehr unzeitig die ganze ägyp tische Frage aufrollen. Amerika. *Ueber einen neuen Plan für den Panamakanal berichtet die ,Kabel-Korresp.': Die Ver. Staaten haben eine Expedition aus gerüstet zur Erforschung des Innern zwischen Kaledonia Bai und San Miguel. Die Gegend ist so gut wie unbekannt und wissenschaftlich noch nicht erforscht und ebensowenig vermessen worden. Man weiß nur, daß sich zwischen den beiden genannten Buchten ein verhältnismäßig flacher Landstrich befindet, durch ven man mit verhältnismäßig geringen Schwierigkeiten einen Kanal legen zu können hofft. Die Entfernung von Kaledonia Bai und San Miguel ist nur gering, etwa 65 Kilometer, und der Kanal würde am Großen wie am Atlantischen Ozean in vor zügliche natürliche Häfen ausmünden. Die Ex pedition trifft nächste Woche an Ort und Stelle ein und wird die Vermessungsarbeiten sofort be ginnen. (Danach scheint man in Washington den Nikaragua-Kanal verworfen zu haben.) Asten. * Die Nachrichten von rus s is ch - j ap ani- schen Konflikten wegen Korea werden von dem früheren russischen Geschäftsträger in Korea, Pawloff, als völlig unbegründet bezeichnet. Rußland und Japan hätten in aller Form zwei Verträge abgeschlossen, durch welche Vie Unab hängigkeit Koreas aufrecht erhalten werde. Diese Verträge seien in Tokio und in Petersburg abgeschlossen worden. Es sei somit klar, daß die Gerüchte von Steifigkeiten wegen der Souveränität über das koreanische Gebiet nur bewiesen, daß man von der Existenz der beiden Verträge keine Kenntnis habe. Ans dem Reichstage. Der Reichstag setzte am Donnerstag die zweite Beratung der Postvorlage fort, in der das Schicksal der Privat - Postanstalten besiegelt wurde. Die Art. 2 und 3 der Vorlage, welche das Aufhören dieser Anstalten vom 1. April 1900 an herbeiführen, wurden nach den Kommissions-Beschlüssen und mit einem sozialdemokratischen Anträge, wonach die nicht gewerbsmäßige Beförderung von ungeschlagenen politischen Zeitungen innerhalb der Gemeindcgrenzen eines Ortes jedermann gestattet ist, angenommen. Am 17. d. Wird die zweite Beratung der No velle zum Postgcsetz fortgesetzt bei Art. 2, welcher die Entschädigungen für die Privatpost- anstalten und für die Angestellten derselben fcstsetzt. Die Entschädigung an die Gesellschaften soll das Achtfache des jährlichen Reingewinns nicht über steigen, den die betreffende Anstalt im Durchschnitt der vor dem 1. April 1898 liegenden drei letzten Geschäftsjahre erzielt hat. Das erste Geschäftsjahr nach Errichtung der Anstalt wird dabei nicht in Be tracht gezogen. Die Bediensteten der Anstalten er halten Entschädigung nach Maßgabe des Gehalts und der Dauer der Beschäftigung, sofern sie nicht in den Reichs-Postdienst übernommen werden; Ge hälter über 5000 Mk. werden nur mit 5000 Alk. angerechnet. In Verbindung damit wird sogleich Art. 5 zur Diskussion gestellt, der das Verfahren für die Festsetzung der Entschädigung regelt. Abg. Schmidt-Warburg (Zentr.) beantragt zu Art. 4 eine Aenderung dahin, daß den Ent schädigungsberechtigten der Rechtsweg für die Fest setzung der Entschädigung offen zu lassen sei. Abg. Marcour (Zentr.) beantragt, die obere Grenze für die Entschädigung der Gesellschaften auf das Zehnfache zu erhöhen, und als Minimum das Fünffache des Reingewinns einzufügen. Abg. Rickert (fr. Vgg.) will in Art. 4 den 8 252 des Bürger!. Gesetzb. einfach als Grundlage für die Festsetzung der Entschädigung festgesetzt wissen. Außerdem will auch er den Rechtsweg zu lassen. Abg. Oertel-Sachsen (kons.) beantragt, die obere Grenze der Entschädignng für die Anstalten ebenfalls auf das Zehnfache zu erhöhen und auch die Zeit bis zum 1. April 1899 mit in Anrechnung zu bringen. Abg. Singer (soz.) bedauert, daß für die An gestellten der Anstalten keine höheren Entschädigungen durchzusetzen gewesen sind. Einer Erhöhung der Entschädigung für die Gesellschaften würden seine Freunde nicht zustimmen. Das einzige, was seine Freunde zu gunsten der Gesellschaften zugestehen könnten, sei die Einbeziehung der Zeit bis zum 1. April 1899 in die für die Berechnung des Durch schnitts niaßgebende Frist. Abg. Dr. Oertel-Sachsen (kons.) ist der Meinung, daß die Entschädigung für die Angestellten allen gerechten Ansprüchen genügen dürfte. Die Ent schädigung der Gesellschaften selbst scheine dagegen nicht allen billigen Ansprüchen zu genügen. Staatssekretär v. Podbielski behält sich vor, auf die einzelnen Anträge später einzugchen, „erklärt aber schon jetzt, daß die Regierung cs für äußerst bedenklich halte, das letzte Jahr bei der Ermittelung des Reingewinns in Betracht zu ziehen. Abg. Rickert (fr. Vgg.) hält es für ganz zweifellos, daß die Privatpostanstalten einen Rechts anspruch auf Entschädigung haben. Deshalb müsse auch die Entschädigung nach allgemein rechtlichen Grundsätzen bemessen werden. Die Festsetzung einer Maximalgrenze könne doch eine recht ungerechte Behandlung einzelner Anstalten herbeiführen. Man überlasse lieber die ganze Festsetzung dem ordentliche» Richter. Staatssekretär v. Podbielski verweist darauf, daß den Vorschriften über die Entschädigung gerade die bezüglichen Paragraphen des Bürgerlichen Gesetz buches zu Grunde gelegt seien. Das schiedsrichterliche Verfahren werde vollkommen ausrcichen. Abg. Marcour (Zentr.) erkennt an, daß die Kommissionsbeschlüsse im allgemeinen das Richtige treffen, meint aber, es sei doch richtiger, der Post- verwaltung eine bestimmte Grenze zu ziehen durch Festsetzung nicht nur der Maximal-, sondern auch einer Minimalgrenze. Abg. Schmidt-Warburg (Zentr.) bittet noch mals um Annahme seines Antrages. Sollte der selbe abgelchnt werden, so würde er für den Antrag Rickert stimmen, der den Rechtsweg obligatorisch vorschreibe. Abg. Haußmann-Balingen (südd. Vp.) be antragt die Mitanrechnung der Zeit bis zuM 1. April 1899 bei der Ermittelung des durchschnitt lichen Reingewinns. Als Reingewinn solle ferner die Roheinnahme aus dem gesamten Betriebe nach Abzug der Geschäftskosten gelten und nicht die Roheinnahme aus den der Privatbeförderung durch dieses Gesetz entzogenen Gegenständen. Angestellte sollen von einer Entschädigung endlich nur dann ausgeschloffen sein, wenn die Dienststelle, die sie in der Postverwaltung erhalten, mit dem bisherigen Einkommen bedacht ist. Der beste von allen anderen gestellten Anträgen sei der des Abg. Rickert, denn er bringe ein klare- Prinzip für alle Fälle zur Anwendung. Abg. Roeren (Zentr.) hält den Antrag Schmidt- Warburg, Vorbehalten einer besseren Redaktion bis zur dritten Lesung, für den besten, um allen billigen Wünschen der Beteiligten gerecht werden zu können. Staatssekretär v. Podbielski bittet die Juristen im Hause, nicht zu wett zu gehen bei der Entschädigung; nur der Schaden könne ersetzt werden, nicht aber der entgangene Gewinn. Unlauteres Vor gehen bei der Aufstellung der Bilanzen im letzten Jahre den Gesellschaften vorzulegen, liege ihm durch aus fern, aber das sei doch Thatsache, daß eine Summe von Ausgaben in diesem Jahre erspart worden sind. Die Steigerung des Durchschnitts würde, wenn das letzte Jahr mit berechnet würde, bei einzelnen Gesellschaften bis zu 26 Prozent be tragen. Berlin bleibe dabei ganz außer Betracht. Deshalb allein sei die Einziehung des letzten Jahres für die Negierung unannehmbar. Gegenüber dem Antrag Rickert habe die Vorlage den Vorzug, daß damit die einheitliche Judikatur mehr gesichert ist. Ueber den Antrag Marcour kann ich heute nichts Bestimmtes sagen, das Haus möge beschließen, ob es die Maximalgrenze erhöhen und außerdem eine Minimalgrenze einfügen wolle. Die Regierung würde sich dann schlüssig machen, er glaube aber schon heute erklären zu können, daß auf diesem Wege eine Verständigung in der Entschädigungsfrage möglich sein werde. Abg. Oertel-Sachsen zieht hierauf seinen Antrag zu Gunsten des Antrages Marcour zurück. An der Debatte beteiligen sich noch die Abgg. Rickert, Singer und Stadthagen (soz.) —' Darauf schließt die Diskussion. In der Abstimmung wird Art. 4 mit dem Antrag Marcour, in dem jedoch die Minimalgrenze abgelehnt wird, angenommen. — Die Anträge Rickert Haußmann und Schmidt-Warburg werden ab gelehnt. Art. 5 gelangt mit dem Anttag Rickert, nach welchem gegen den Bescheid der Postbehörde auf Ablehnung eines Entschädigungsanspruches binnen vier Wochen der Rechtsweg offen stehen soll, zur Annahme. Der Rest des Gesetzes wird sodann debattcloS angenommen. Kon Mals ««d Fern. Leipzig. Dr. Moritz Busch, der bekannte Bismarck-Publizist, ist am Donnerstag im Alter von 79 Jahren hierselbst nach längerer Krank heit verstorben. Allein diese zähe Ausdauer der alten Schwedenhofbauern besaß der jetzige Herr des Gutes nicht. Wohl hatte er anfangs versucht, gegen das Schicksal, welches ihn heimsuchte, anzukämpfen, bald aber war seine Kraft er lahmt und willenlos hatte er fich dem Strom des über ihn hereinbrechenden Unglücks über lassen. Den einzigen Sohn, welchen er besaß, hatten ihm tückische Werber in das rauhe Kriegs leben hinausgenssen — sein Weib war kränklich und so schlug er fich denn kümmerlich mit des Lebens Bitternissen herum, die ihn immer fieser in den Strudel des Verderbens hineiugezogen. Heute war für ihn wieder ein böser Tag gewesen. Einer der Gläubiger aus der Stadt hatte ihn gedrängt, und er konnte nicht zahlen - die notwendige Saat war nicht im Hause — die Hofgebäulichkeiten waren in schlechtem Stande und bedurften dringend der Reparatur, wenn Sturm und Wetter sie nicht total ruinieren sollten — kurz er stand näher denn je am Rande des Bankrotts, dem er früher oder später doch anheimfallen mußte. Der Abend dämmerte schon herein und der arme Waller, so hieß der Schwedenhofbauer, saß in dem Wohnzimmer des Gutes an dem alten Eichentisch und stützte tiefsinnig sein müdes Haupt auf die Arme, während sein Wßjb nicht minder trostlos in dem Sessel neben dem gewaltigen Kachelofen in halb liegender Stellung ruhte. „Es ist aus, Lene," sprach der Baller dumpf, „ich mag sinnen und rechnen wie ich will, es fehlt an allen Ecken und Enden, und es bleibt uns nichts übrig, als unser Bündel zu schnüren und wieder hinaus zu wandem in die weite Welt." „Da sei Gott vor!" antwortete erregt die Frau, indem sie sich mühsam in ihrem Sitz auf richtete, und zu ihrem Manne hinüberblickte, „so weit wird es doch noch nicht mit uns ge kommen sein, daß wir zu Bettlern geworden find und den Hof verlassen müssen, den wir als wohlhabende Leute vor fünfzehn Jahren bezogen!" „Aber was für fünfzehn Jahre," erwiderte schwer seufzend der Mann. „Haben fie nicht mein Haar gebleicht und mich zum Greis gemacht? Hat uns nicht die verwünschte Sol dateska dreimal ausgeplündert bis aufs letzte? Ist uns nicht zweimal die Frucht auf dem Lande verbrannt worden und welche Opfer hat es gekostet, daß fie uns nicht noch das Haus über dem Kopfe anzündeten? O, hätte ich fie doch gewähren und mich begraben lassen unter den stürzenden Trümmern, mir wäre Wohler als jetzt!" „Diann, Mann! Versündige dich nicht mit so gottlosen Reden!" rief die Frau, „und füge zu all unserm Unglück nicht noch das Bewußt sein hinzu, daß wir es verdienen, indem wir gegen Gottes Willen murren —" „Gottes Willen!" unterbrach er fie heftig, „was heißt Gottes Willen? Kann es sein Wille sein, daß ein ehrlicher Diann, der sein Lebtag nichts verschuldet hat, in schwerem Kampf zu Grunde geht? Wo liegt da Sinn und Verstand? Nein, ich geb's auf; uns ist nicht zu Hellen!" „Der Stadtherr wird warten!" erwiderte die Frau. „Laß mich morgen nur zu ihm fahren, ich hoffe, er läßt sich nochmals vertrösten." „Er thut es nicht," erwiderte der Bauer bestimmt, „und wenn er es thäte, was dann? Wir gewinnen eine kurze Frist und ist fie vorüber, pocht das Elend mächtiger als zuvor an unsere Thür!" „Zeit gewonnen — viel gewonnen!" sprach die Frau. „Nichts gewonnen!" entgegnete er so heftig, daß das leidende Weib erschreckt zusammenfuhr und fich scheu abwandte. „Sieh, Lene," fuhr er nach einer Pause weicher fort, „was hilft's, uns noch länger über unsere Lage zu täuschen? Was hilft's, den Niß immer und immer wieder zu verkleistern, wenn die Flicken alle Augenblicke reißen und der Schaden fich als unheilbar er weist. Ich habe dich geschont, so lange ich konnte, denn du bist ein braves, treues Weib, und habe so manches allein getragen, was ge" tragen werden mußte, weil ich dir das Herr nicht noch schwerer machen wollte als es ohne hin schon ist. Aber es muß einmal gefall- werden, wir können uns so nicht länger haltens Diese Gewißheit hat sich mir aufgedrängt langen schlaflosen Nächten, wo mich der ewig Kampf nicht zur Ruhe kommen ließ — A Kampf, dem ich — es muß heraus — mehr gewachsen bin. Ja, hätten wir ume Buben, den Friedel, noch, den uns der W" . — er möge nicht selig werden — verlockte, o n seine Knochen jetzt vielleicht irgendwo m 'j land bleichen, dann wäre manches anders, ö tragen mehr als einer; aber so kann lch s, ich's nicht mehr treiben!" Der KchwedenHos. 1Sj Erzählung von Fritz Brentano. lr)0rt!etzung.) ' Fünf Jahre waren seit den eben geschilderten Ereignissen vergangen. Auf dem einst so stattlichen Schwedenhof sah es trübe aus und wer denselben zu jener Zeit gekannt hatte, wo noch die früheren Be sitzer daselbst wirtschafteten, konnte ein gewisses schmerzliches Gefühl über die jetzige Verwahr losung des Gehöftes, das jahrhundertelang eine Zierde der Gegend gewesen war, nicht unterdrücken. Freilich hatte die ganze Gegend fich un vorteilhaft verändert. Der lange, blutige Krieg, welcher unter dem großen Friedrich sieben Jahre wütete, hatte seine tiefen Spuren auch hier hinterlassen und nur langsam erholten sich die Landleute von den Folgen der ewigen Truppendurchzüge, Plünderungen und Brand stiftungen, welche das wechselnde Kriegsglück - über sie gebracht hatte. Der jetzige Schweden- - Hofbauer ganz besonders hatte schwer gelitten — hatte er doch seine baren Mittel damals zum Ankauf des Anwesens verwendet und suchte, als die Schrecken des Krieges ihn wiederholt heimsuchtrn, vergeblich nach rettenden Händen, die ihm das nach und nach schwerverschuldete Gut wieder flott gemacht hätten. Damals war fich jeder selbst der Nächste und wer unter das eherne Rad der Zeit ge raten war, wurde unerbittlich zermalmt, wenn er sich nicht aus eigener Kraft emporraffte, wie dies die früheren Besitzer des Hofes so oft gethan hatten.
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