Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 28.10.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189910287
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18991028
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18991028
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-10
- Tag 1899-10-28
-
Monat
1899-10
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 28.10.1899
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Politische Rundschau. Deutschland. * Der Kaiser wollte sich am Donnerstag nach Blankenburg a. H. begeben, um tags darauf auf Einladung des Prinzen Albrecht, Regenten von Braunschweig, an einer Hofjagd im Heimburger Revier teilzunehmen. * Mit berechtigten Zweifeln haben einzelne deutsche Blätter von der Behauptung der Lon doner ,Truth' Notiz genommen, es bestehe unter der Protektion mehrerer namhaft gemachter hoher Fürstlichkeiten der Plan eines Zusammen treffens des deutschen Kaisers mit dem Herzog von Cumberland in Windsor, und zwar „im Hinblick auf die Regelung der braunschweigischen Thronfolge". Die ganze Mitteilung entbehrt der ,N. A. Z.' zufolge jeder thatsächlichen Begründung. *Herr v. Richthofen, der Leiter der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes zu Berlin hat sich einige Zeit in Eng land aufgehalten. Die Thatsache, daß er bei dieser Gelegenheit wiederholt mit den Kolonial behörden in London verkehrte, spricht dafür, daß diese Anwesenheit nicht ausschließlich dem Zweck der Erholung gegolten hat, dem sie offiziell zu- geschrieben ist. *Dem Bundesrat ist ein im Reichamt des Innern ausgearbeiteter neuer Gesetzentwurf betr. die Patentanwälte zugeganaen. Den Wünschen der beteiligten Kreise entsprechend, ist in ihm auch die Einführung eines Be fähigungsnachweises für die Personen, welche die Eintragung in die Liste der Patent anwälte nachsuchen, in Vorschlag gebracht worden. *Das Plenum des wirtschaftlichen Ausschusses zur Vorbereitung der Han delsverträge wird im Reichsamt des Innern Ende November oder Anfang Dezember zu einer neuen Sitzung zusammentreten. * Im Reichspostamt haben am Montag vormittag unter dem Vorsitz des Staatssekretärs v. Podbielski die Beratungen über geplante Postreformen, wie die Postcheckordnung begonnen. Aus allen Teilen des Deutschen Reiches waren Ober- und Postdirektoren er schienen. * Zum Erzbischof von Köln ist der Bischof Dr. Hubertus Simar, bisher in Paderborn, von dem Kölner Domkapitel ge wählt worden. Dr. Simar steht im 64. Lebens jahr und war lange Zeit Professor der Dog matik an der Universität Bonn. * Folgenden Wohnungsantrag hat die Zentrumsfraktion des bayrischen Landtages bei letzterem eingebrocht: Die Kammer wolle beschließen, es sei die königl. Staatsregierung zu ersuchen, sie möge für größere Städte und Fabrikorte im Interesse des Mittel- und Arbeiterstandes: 1) Erweiterte wohnungspolizeiliche Vorschriften erlassen zur Wahrung der Gesundheit und Sittlichkeit, ins besondere auch zur Regelung des Schlafgänger- wesens; 2) eine Revision der baupolizeilichen Vorschriften eintreten lassen; 3) Wohnungs inspektoren aufstellen; 4) Genossenschaften, welche den Bau von Wohnungen für minderbemittelte Stände bezwecken, fördern, und zu diesem Zweck auch Mittel vom Landtag verlangen; 5) den Entwurf eines Gesetzes vorlegen, durch welches die Zwangsenteignung von Grundstücken auch für jene Unternehmungen zugelassen wird, die den Bau von Wohnungen für die Minder bemittelten znm Ziel haben. * Nach den neuesten Nachrichten vom Tanganjika (Deutsch-Ostafrika) ist der Dampfer „Hedwig von Wißmann" im Rumpf fertig zusammengesetzt, und Oberleutnant Schloifer hofft, das Schiff zum nächsten Frühjahr vom Stapel lassen zu können. Durch einen Lager brand Ende Mai ist der Bau leider etwas ver zögert worden. Oesterreich-Ungarn. * Mehrere Blätter melden übereinstimmend aus angeblich sicherer Quelle, daß die Kron- prinzessin-Witwe Stephanie sich schon demnächst, nach vorausgegangener Verzicht leistung auf alle Thronfolgerechte und Rechte als österreichische Erzherzogin und der damit verbundenen Titel und Würden, in London mit dem Legationsrat a. D., Mitglied des unga rischen Magnatenhauses, Grafen Elemer Lonyay vermählen werde. Lonyay werde vor her von der kalvinistischen zur römisch-katho lischen Kirche übertreten. *Beim Tetschener Kreisgericht W eine Ver fügung des BrünnerObergesrichts ein getroffen, nach welcher die Verwendung polnischer und tschechischer Drucksorten für gerichtliche Aus fertigungen einzustellen und künftig nur deutscheFormulare zu benutzen find. Diese Verfügung bedeutet die Aufhebung der am Anfang dieses Jahres erlassenen Sprachen verordnung für Schlesien. Frankreich. *Die Minister reisen mit großem Eifer im Lande umher und predigen Versöhnung. Neuerdings haben sie in ihr Redeprogramm auch die allerdings noch nicht genauer formulierte Ankündigung einer sozialen Politik aus genommen. Am Sonntag fand die Einweihung des Hafens von Ivry an der Seine nahe bei Paris statt, sowie die Eröffnung der den Hafen mit der Linie Paris—Orleans verbindenden Eisenbahn. Die Minister Millerand und Baudin wohnten der Feier bei und hielten An sprachen, in denen fie die Bedeutung des Werkes sür die Entwickelung des Handels in Paris und Frankreich betonten. Bei dem Festmahl, welches sich an die Einweihungsfeier anschloß, hielt der Minister Baudin eine Rede, in welcher er alle Republikaner zur Vereinigung aufrief, um der Republik Achtung zu verschaffen nnd die Beob achtung der Gesetze zu sichern. Die Regierung werde die s o z i a l e P o l i tik befolgen, welche eingeleitet sei durch ihre Vermittelung gelegentlich der sozialen Kon flikte. England. *Die Königin Viktoria richtete ein Telegramm an den Kriegsminister, in welchem sie sagt, ihr Herz blute über die schweren Verluste. Auch heute wieder sei ein großer Erfolg errungen worden, aber sie fürchte, derselbe sei teuer erkauft. Dann bittet die Königin den Minister, ihre herzliche Teilnahme den Angehörigen der Gefallenen übermitteln und ihnen ihre Bewunderung über deren Haltung aussprechen zu wollen. Svanien. *Der Justizminister Duran, ein Katalonier, nahm seine Entlassung wegen eines Konflikts betr. der Unruhen in Barcelona. Der Ministerrat beschloß die Verhängung des Belagerungszustandes über Barcelona und die Suspension der Handels kammer. Die Handelskammern sollen aufgelöst werden, wenn fie in der bisherigen Haltung verharren. — Die Ersparnisse im Bud get sollen 60 000 000 erreichen. Russland. * Für die Jagden bei SpaIa in Polen werden sehr große Vorbereitungen getroffen. Fast alle Räume des Schlosses find restauriert. Daher erscheinen die Meldungen begründet, daß zu den Jagdgästen des Zaren Anfang November KaiserWilhelm, Kaiser Franz Joseph und der ö st erreichischeThron- folger gehören werden. * Da die finnische Presse nicht mehr in der Lage ist, über russische Uebergriffe Mit teilungen zu machen, so wendet man jetzt ein anderes Mittel an, um das Volk wach zu halten. Sobald von russischer Seite irgend eine Maßregel getroffen worden und die offizielle Zeitung darüber Mitteilung gemacht hat, wird diese in Hunderttausenden von Exemplaren ver vielfältigt und daneben wird eine amtliche Aeußerungaus früherer Zeit, die mit der neuesten Verordnung in schroffstem Widerspruche steht, abgedruckt. Diese Druck sachen werden überall verteilt, in den Städten und aus dem Lande, in den Schulen und vor den Kirchen, in den Fabriken und in allen Läden. Der Generalgouverneur ist wütend, kann aber die Verbreitung solcher offiziellen Aktenstücke nicht verbieten, wenn fie, wie es hier der Fall ist, nicht mit Kommentaren ver sehen find. Amerika. *Der amerikanische Konsul in Panama meldet den Ausbruch eines Aufstandes und die Verhängung des Belagerungszustandes daselbst. Afrika. Die Boern haben Unglück. In der offenen Feldschlacht find fie denEnglLnd ern, die über besseres Waffenmaterial, namentlich aber über bessere Artillerie ver fügen, offenbar nicht gewachsen. Sie müssen ihre Hoffnungen auf den KIeinkrieg setzen. Der Angriff auf Glencoe scheint vor eilig gewesen zu sein; die Boern hätten die nachrückenden Abteilungen, besonders die Oranje- Boern, erwarten sollen, dann wären die Eng länder der stärkeren Streitmacht schwerlich Herr geworden. Uebrigens ist der Sieg bei Glencoe von den Engländern enschieden übertrieben worden, denn schon am 21. d. hat General Joubert die englischen Verschanzungen wieder angegriffen. Mit der Flucht der Boern kann es demnach nicht so schlimm gewesen sein. Be deutsam erscheint die Meldung, daß der Führer der deutschen Legion, Oberst Schiel, in englische Gefangenschaft geraten ist. *Die Nachrichten vom südafrikani schen Kriegsschauplatz lauten wider sprechend. General Walker ist in Kapstadt an gekommen und hat den Oberbefehl über nommen. Trotz ihrer mehrmaligen „Siege" haben die Engländer Glencoe geräumt und sich zurückgezogen. Bürgerliches Gesetzbuch. Schikaneverbot, Abreden wider die guten Sitten. „Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig". Das ist ein sehr schöner Grundsatz, aber das Gesetz schweigt sich darüber aus, was denn eigentlich „gute Sitten" sind. Der Richter hat darüber zu befinden und ihm ist naturgemäß ein weiter Spielraum ge lassen. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich jedoch, daß als „Verstoß gegen die guten Sitten" das verstanden werden soll, was nach allgemeiner, durch die Sitte bethätigter An schauung gegen die Regeln verstößt, auf denen das Verhältnis der Menschen zu einander beruht. Diese sittlichen Anschauungen find einem steten Wechsel, erfreulicherweise meist nach der Richtung des Bessern unterworfen. Verträge, die die persönliche Freiheit einschränken, sind beispiels weise nichtig; ob auch solche, die die Gewerbe- und Koalitionsfreiheit einschränken, das kann i zweifelhaft sein. Zu den Verträgen wider die guten Sitten gehören zweifellos die wucherischen Ver träge. Schon heute sind Verträge auch dann ungültig, wenn zwar kein strafbarer Wucher vorliegt, aber ein auffälliges Mißverhältnis zwischen einer Leistung und ihrem Entgelt be steht. Auch ein nicht strafbarer Wucher stellt einen groben Verstoß gegen die guten Sitten dar. Ein Ärbeitsvertrag, der besonders geringe Löhne festsetzt, kann bezüglich der Lohnverein barung für ungültig erklärt und statt der be sonderen Hungerlöhne der übliche dem Arbeiter zuerkannt werden, falls das Gericht eine solche Art Ausbeutung als gegen die guten Sitten verstoßend erachtet. Aehnlich liegt es bei allen anderen Verträgen, z. B. bei der Lieferung von Schundware, Schundliteratur, Schundmöbel rc. gegen enorm hohe Preise. Es erschien aber gegenüber der in der Praxis so sehr seltenen Anwendung dieses Grundsatzes notwendig, aus drücklich wucherliche Verträge als gegen die guten Sitten verstoßend im Gesetz zu kennzeichnen. Darum heißt es auch im 8 138 des Bürger!. Gesetzb.: „Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Not lage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines andern sich oder einen Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder ge währen läßt, welche den Wert der Leistung der gestalt übersteigen, daß den Umständen nach die Vermögensvorteile in auffälligem Mißverhältnis zu der Leistung stehen." Z 226 enthält das Schikaneverbot: „Die Ausübung eines Rechtes ist unzulässig, wenn fie nur den Zweck haben kann, einem andern Schaden zuzufügen." Die Zwecke der mensch lichen Gesellschaft sollen durch Gesetz und (Rechts ordnung geschützt werden. Die Gesetz-: haben aber nicht den Zweck, jemand zu schützen, der sein Recht nur zu dem Zweck wahrnimÄtt, um einen anderen zu drangsalieren. Früher galt vielfach der Grundsatz: „Wer sein Recht ge braucht, verletzt niemand". Damit ist auf geräumt worden und das ist besser so. Manchem Juristen, der das Formelle des Rechts als Handhabe gebrauchte, um für sich oder seinen Klienten durch rücksichtslose Anwendung eines „Rechts" nebenher etwas herauszuschlagen, ist hiermit das Handwerk gelegt, mindestens aber erschwert. Ko« Mäh ««d Fern. Berlin. Vier der neuen Marmorstandbilder in der Siegesallee find von Bubenhänden in der Nacht zum Montag mehr oder weniger arg beschädigt worden. Der Magistrat hat 500 Mk. Belohnung auf die Ermittelung der oder des Thäters ausgesetzt. — Der im Prozeß der „Harmlosen" viel genannte Spieler Wolff hat fich der Behörde freiwillig gestellt. Kiel. Ein merkwürdiger Zwischenfall er eignete sich am Freitag vor der Außenföhrde. Ein schwedisches und ein finnisches Segelschiff passierten dort auf der Heimfahrt das Torpedo versuchsschiff „Friedrich Karl" und fuhren weiter, ohne die Flagge zu hissen. Der Kapitän zur See Zeyl ließ einen blinden Schuß abfeuern, um den schwedischen und den finnischen Kapitän an ihre Pflicht gegenüber dem deutschen Kriegs schiff zu erinnern. Da diese Warnung unbe achtet blieb, gab der „Friedrich Karl" zweimal einen scharfen Schuß ab. Dies wirkte. Der Schwede und der Finne drehten bei: der Kommandant des „Friedrich Karl" stellte die Personalien der Schiffe fest und ließ fie dann seewärts segeln. Nach der ,K. Z.' war der Schwede ein Schoner und der Finne der in Raumo beheimatete Segler „Alexander". Köthen. Seit einigen Wochen ist in unserer Stadt, und zwar im Lehrerseminar, eine Wetter warte eingerichtet, bei welcher durch geeignete Instrumente jede Aenderung des Wetters selbst- thätig aufnotiert wird. Auf dem Dache find zwei Apparate aufgestellt, von denen der eine, ein sogen. Sonnen-Autograph, getreulich jeden Sonnenblick aufschreibt, der unsere Stadt trifft, der andere Windrichtung und Windstärke nicht bloß anzeigt, sondern ebenfalls aufschreibt, und zwar durch elektrische Uebertragung im unteren Teil des Gebäudes. Andere Instrumente zeigen und notieren die Temperatur, den Luftdruck und den Feuchtigkeitsgehalt der Luft, wie auch im Garten ein Regenmesser mit automatischer Regi strierung nicht fehlt. Dresden. In dem Prozeß des Schatz meisters des „König Albert-Vereins", Kom merzienrat Hopffe, wegen Unterschlagung und leichtsinnigen Bankrotts wurde der Angeklagte zu 4 Jahr 9 Monat Gefängnis und 5 Jahr Ehrverlust verurteilt. Drei Monat werden auf die Untersuchungshaft angerechnet. Leipzig. Die Verhaftung des Chefs und Leiters der Buntpapierfabrik Neuner u. Komp, steht noch immer im Vordergrund der Diskussion, da der zunächst als Verbindlichkeit angenommene Betrag von 400000 Mk. aus Wechseln sich noch als zu niedrig geschätzt heraussiellt. Außer den bisher bekannt gewordenen Wechselverbind lichkeiten in Höhe von über 500 000 Mk., für welche Berliner, Leipziger und ein Plauener Bankhaus engagiert sind, sollen fich noch Waren-, Maschinen- rc. Schulden sür über eine halbe Million herausgestellt haben, so daß mehr als eine Million Mk. in Frage kommen. Neuner hat die ganze Buntpapierbranche durch Schleuder konkurrenz arg geschädigt, durch Abgabe der Waren unter dem Fabrikationspreis, aber selbst verständlich große Umsätze erzielt, so daß das Fabriksetabliffement in den fünf Jahren mehr fach vergrößert werden mußte. Eine vollständig geheime, falsche Buchführung war eingerichtet, um die Kommanditisten irre zu führen. Der in Charlottenburg unter dem Verdacht der Beihilfe ! zum Betrug verhaftete Agent Apel ist inzwischen > wieder freigelassen worden. Der Schwedenhof. Sj Erzählung von Fritz Brentano. Fortsetzung.) Aber es waren zwei harte, starke Naturen, wie alle vom Schwedenhof. Kein erlösendes Wort wurde gesprochen — Mutter und Sohn gingen, belastet mit dem furchtbaren Geheimnis, schweigend neben einander her — aber desto tiefer grub sich das Weh in die Brust der ersteren und sichtlich schwand die hohe, stattliche Frau dahin. — Seltsame Gesellen waren auf dem sonst so einsamen Hofe eingekehrt. Ulrich hatte fie zuerst am Morgen nach dem Morde getroffen, wie sie lauernd das Wohngebäude umschlichen und ihm geheimnisvoll nach einer alten Scheune winkten. Wie eine entsetzliche Ahnung war es über ihn gekommen, als er die zerlumpten Gestalten sah, als sie ihn so vertraulich angrinsten, und blitz schnell kam ihm jener Ruf „Mörder" zu Sinn, den er im Augenblick gehört hatte, als er den Schuß abfeuerte. Im Augenblick der Erregung freilich hatte er an eine Sinnestäuschung ge glaubt — jetzt aber erinnerte er sich ganz deut lich, daß es eine fremde Menschenftimme war, welche ihm den furchtbaren Mahnruf in das Ohr geschrieen hatte. Und er hatte sich nicht getäuscht; denn als er mit den beiden Unbekannten in der Scheune verschwunden war und nach einer Stunde etwa in die Wohnstube zurückkehrte, da schien er um zehn Jahre gealtert, und von seiner blassen Stirne perlten kalte Tropfen. Das sorgsam vergrabene Geheimnis war nicht mehr sein eigen; nicht einen, zwei Zeugen hatte der Mord ge habt, und Ehre und Leben hingen von den beiden Strolchen ab, die ihm eben die furcht bare Entdeckung gemacht hatten, daß fie alles mit angesehen. Freilich hatten fie auch Still schweigen gelobt, wenn Ulrich ihnen die Mittel gäbe, daß fie in fernem Lande ein anderes, besseres Leben beginnen könnten — aber wer durfte dem Wort solcher Burschen trauen, wer auf ihre Verschwiegenheit hoffen, wenn der Branntwein ihre Zungen löste? Aber er mußte ihren Wünschen willfahren, mußte ihr Still schweigen erkaufen und so wanderten die beiden denn am Abend, gestärkt, gekleidet und reich mit Geldmitteln versehen, über die Grenze^ nachdem fie nochmals mit heiligem Eidschwur Verschwiegen heit gelobt hatten. Ueber Ulrich aber kam es wie ein Gefühl des Ekels vor sich selbst, als der Deserteur und sein Genosse im Dunkel der Nacht verschwanden. Der alte Stolz derer vom Schwedenhos bäumte fich in ihm auf, er wollte hinauseilen und vor dem ganzen Dorf das Geständnis ablegen, daß er den Förster erschossen habe, denn es dünkte ihm ehrenvoller, als Mann die Sühne des Ver brechens zu tragen, als sich landstreicherischen Schurken in die Hände zu geben, ihre Mitwissen- schast wie eine eiserne Fessel durch das Leben zu schleppen. Aber dann rang wieder der Ge danke an seine Mutter allmählich gegen dieses Gefühl. Er konnte es nicht über sich gewinnen, ihr das namenlose Elend, die entsetzliche Schande anzuthun, daß ihr Sohn als Mörder auf dem Blutgericht ende — ihr einziger Sohn, der so lange ihr Stolz, ihre Freude genesen war. Und in diesem wechselnden Kampf der Ge fühle schwanden Tage — Wochen — Monde. Ueber die Blutstätte im Walde hatte der Schnee sein Leichentuch gebreitet — die junge Försterin war aus dem Forsthaus in das nächste Städtchen gezogen, und schon wob das Ver gessen seinen Schleier über die dunkle Geschichte. Desto schlimmer aber sah es auf dem Schwedenhof aus. Seit Wochen lag die Bäuerin auf dem Siechenbett, und wer die hohe, un gebeugte Frau noch vor Monaten gekannt hätte, der erschrak bei ihrem Anblick. Ihre geröteten Augen, aus denen eine unendliche Seelenangst sprach, lagen tief in ihren Höhlen, der Schmerz hatte schwere Furchen in ihr zerfallenes Antlitz gegraben, und ihre blassen Lippen murmelten stundenlang halbleise Gebete. Beharrlich wies fie jede ärztliche Hilfe von sich, und sie wußte warum. Was au ihrem Herzen nagte, das konnte keine Kunst des Arztes hinwegtäuschen, für ihr Leiden gab es kein Mittel als — den Tod; er allein konnte ihr Freund und Er löser sein. Es war eine stürmische, kalte Dezembcrnacht. Tie verschneit lag draußen Feld und Wald, das Hofgesinde hatte fich längst zur Ruhe be geben, alles war still und tot, und nur in dem Schlafzimmer der kranken Bäuerin gab die alte Oellampe noch trüben Schein. Die Sterbende, denn das war die Mutter des Ulrich, warf sich unruhig auf ihrem Lager hin und her, während ihr Sohn, das Haupt tief zur Erde gebeugt, ihre fieberglühende Hand hielt und nur zu weilen einen scheuen Seitenblick auf seine Mutter warf. Die alte Uhr hob aus und schlug zehn. Wie eich Schauer flog es bei diesen Klängen über den Leib des Schwedenhofbauern, und wieder trat die Blutthat am Waldquell all mächtig vor seine Seele und entrang ihm einen langen, tiefen Seufzer. Die Bäuerin haftete einen jener unbeschreiblichen Blicke auf den armen Sohn, und leise klang es von ihren Lippen: „Ulrich!" „Mutter!" antwortete er fast tonlos und hob den Blick auf das blasse, abgezehrte Antlitz der Kranken. Diese richtete fich halb aus, zog mit fast übermenschlicher Anstrengung den fich abwenden den Sohn dicht zu sich heran und fragte ernst und schwer: „Hast du es gethan, Ulrich?" „Mutter!" „Nein, weiche mir nicht aus," rief fie heftig und hielt seine Hände krampfhaft fest, „das Ent setzliche muß endlich klar werden, die schwere Last des Geheimnisses, die mich seit Monaten langsam zu Tode quält, muß herunter von meiner Seele, die sich sonst nicht zu jenen Regionen aufschwingen kann, wo all der Jammer -7 all das Elend endet! Ulrich, wir sind allem, niemand hört uns, als der ewige Erbarmer dorr oben. Sprich, Ulrich, hast du es gethan?' . „Ich hab's gethan!" klang es fast stöhn«m von seinen Lippen, und mit einem Wehlaut ucv die Kranke die Hände des Sohnes los und M auf ihr Lager zurück. Ich hab's gethan! Sie hatte es gewuM' von der ersten Stunde an, da fie gehört, 0
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)