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Allgemeiner Anzeiger : 21.10.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189910212
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18991021
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-10
- Tag 1899-10-21
-
Monat
1899-10
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 21.10.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. * Zur Samoa-Frage schreibt die ,Nordd. Allg. Ztg.': „In einzelnen Blättern wird eine Verständigung zwischen Deutschland und Eng land in der Samoaftage auf der Basts in sichere Aussicht gestellt, daß England die Haupt insel Upolu erhalten und Deutschland ander weitig entschädigt werden soll. Wir halten diese Behauptung für irreführend, find vielmehr mit gutem Grund überzeugt, daß die maßgeben den deutschen Stellen ihren Standpunkt in der Samoa-Frage nicht geändert haben." — Neuer dings haben die,Times' den Vorschlag gemacht, Deutschland solle die Inseln erhalten, es solle aber England im Stillen Ozean entschädigen. *Der ,Osservatore Romano' veröffentlicht einen Brief eines alten Kenners derRepublik Liberia, worin ein eventuelles Pro tektorat Deutschlands als ein Glück für die Entwickelung der kommerziellen und religiösen Interessen der Republik betrachtet wird. (Liberia liegt an der nordwest-afrikanischen Küste.) *Der zum deutschen landwirt schaftlichen Attache in Petersburg er nannte Herr Schoulz wird sich mit Sibirien zu beschäftigen haben. Dem schon länger in Petersburg befindlichen landwirtschaftlichen Sach verständigen Herrn Borchardt wird das Studium der einschlägigen Verhältnisse in den übrigen Teilen des Reiches wie bisher obliegen. *Dem Bundesrat ist der Entwurf eines Arzneibuches für das Deutsche Reich zu gegangen. Von Zeit zu Zeit wird eine Neu bearbeitung dieses für Aerzte und Apotheker sehr wichtigen Werkes durch das Reichs- Gesundheitsamt deshalb erforderlich, weil allmählich einzelne Heilmittel als ver altet oder unbrauchbar ausgeschieden und andere neu entdeckte oder erfun dene Heilmittel in den Arzneischatz aus genommen werden müssen. Als eine bedeutsame und erfreuliche Neuerung wird es in den medi zinischen Kreisen begrüßt werden, daß jetzt zum ersten Male, bevor das revidierte Arzneibuch in Geltung treten wird, die zur Aufnahme be stimmten neuen Arzneimutel der medizini schen Fachpresse mitgeteilt werden sollen, damit so die zuständigen Kreise die Gelegenheit erhalten, sich darüber gutachtlich zu äußern, bezw. ihre abweichenden Vorschläge rechtzeitig anzubringen. *Ter Staatssekretär v. Podbielski hat die Handelskammern zur Beschickung einer Konferenz eingeladen, welche die Beratung über ein Poft-Checkgesetz zum Gegenstände hat. * Zu Vorarbeiten für die o st a fri k a n is ch e Zentralbahn, mit der fich der Kolonial rat, der am Montag zusammentrat, beschäftigen wird, werden im nächstjährigen Kolonialetat 100 600 Mk. gefordert werden. * Die Sterbeziffer hat inPreußen 1898 mit 21,6 vom Tausend einen so tiefen Stand erreicht, wie ihn die amtliche Statistik für ganz Preußen bisher noch niemals be obachtet hat. * Von einem neuen Versuch der Regierung, das Deutschtum in den Ostmarken zu fördern, weiß die ,Köln. Ztg.' zu berichten: „Der Schauspieler Groß in Weimar erhielt einen Engagement, antrag für Vorstellungen, welche die preuß. Regierung in vier Städten der Provinz Posen zum Zweck der Verbreitung des Deutsch tums veranstalten wird. * lieber die angebliche Niedermetze- lung einer deutschen Expedition in Kamerun liegt bisher an amtlicher Stelle keine Nachricht vor. Der ,Hamb. Korr.' er fährt aus bester Quelle, daß die Meldung über den Tod des Herrn Lohmeyer, Beamten der Deutsch - Weftafrikanischen Gesellschaft, durch Telegramme der Gesellschaft bestimmt wider rufen wird. Frankreich. * Die Munizipalität von Lille gab dem sozialistisch en Minister Millerand eMen Ehrcnpunsch, bei welchem Millerand eine Rede hielt, in der er fich beglückwünschte, daß er habe dazu beitragen können, der sozia listischen Partei einen Anteil an der öffentlichen Gewalt zu erringen. Er habe seine schwierige Aufgabe übernommen, um den arbeitenden Massen zu zeigen, was die Republik für sie thun wolle und was fie sü sie thun könne. Hierauf zählte Diillerand auf, was seit seinem Amtsantrill zur Verwirklichung dieses Gedankens geschehen sei, und schloß mit der Zurückweisung des Vorwurfs, die Sozialisten seien Utopisten und Männer der Gewältthätig- keit und mü einer Aufforderung zur Zu sammenarbeit. * Wegen der Offiziersdemonstrationen gegen Loubet in Montelimar ist das dort in Garnison liegende 22. Infanterie-Regiment nach Gap in Garnison verlegt worden. Sngland. * In England scheint man die Gefahren, die fich in Südafrika mit dem Ausbruch des Krieges für die gesamte Machtstellung Großbritanniens ergeben könnten, unterschätzt zu haben. Wenn nicht bald Waffenerfolge ihr Gewicht fühlbar machen, dann läßt sich garnicht absehen, ob nicht eine ernste Aufstandsbewegung in Südafrika um fich greift, an der ebenso das weiße holländische Element, wie die Eingeborenen teilnehmen. Die .Times' veröffentlichenbereits ein Telegramm aus Kapstadt, wonach die Afrikander in der Kapkolonie beschlossen haben, mitdenBoerngemein- same Sache zu machen. Diese Meldung wird in Londoner Kreisen, die mit den Ver hältnissen in Transvaal aufs beste vertraut find, für sehr wahrscheinlich gehalten. Italien. *Die italienische Regierung verbot die geplante Bildung eines Freikorps für Transvaal. Holland. *Jn den Niederlanden dauert die Be wegung zum Eintritt Hollands in einen Zoll verband mit Deutschland noch immer an; neuerdings schreibt die ,Demsche Wochenztg. in den Niederlanden': „Die Erörterungen über dieses Projekt, dessen Durchführung einen riefigen Umschwung im kommerziellen Getriebe der Nieder lande zur Folge haben würde, halten die öffentliche Meinung noch stets in Atem. Hier und da versucht man, das plötzliche Auftauchen der Frage als ein geschicktes Manöver deutscher seits hinzustellen. Dies ist ein totaler Irrtum. Es ist nicht Sache Deutschlands und der deutschen Presse, die Initiative zum Zustandekommen eines Zollverbandes zu ergreifen. Glaubt Holland, daß ein Zollverband in seinem Inter esse liegt, so wird es die geeigneten Schritte selbst zu thun haben. Jede Handlung oder selbst nur eine Aeußerung Deutschlands würde als der Versuch einer Vergewaltigung aufgefaßt werden." Dänemark. *Die dänische Kreuzerkorvette „Balkyrien" ging am Sonntag unter dem Kommando des Prinzen Waldemar nach Ostasien ab. (Will Dänemark auch „pachten?") *Wie aus Kopenhagen berichtet wird, gibt fich die Majorität des Volksthing mit der kürz lich erfolgten teilweisen Umgestaltung des Kabinetts Hörring nicht zufrieden und besteht auf dessen vollständigen Rücktritt. Der Konflikt dürfte indessen voraussichtlich erst gegen Schluß der Session zur Entscheidung gelangen. Spanien. * Die Verhältnisse in Barcelona haben fich beruhigender gestaltet. Einem Telegramm zufolge sind die meisten Läden wieder geöffnet. Von 12 000 Steuerpflichtigen haben 9000, unter ihnen große Kaufleute, die Steuern bezahlt. Amerika. *Jn St. Domingo wurde eine Ver schwörung entdeckt, die die Ermordung des neuen Präsidenten Jimenez bezweckte. Vier Generale wurden verhaftet. Afrika. * Ernst zu nehmende Kriegsresultate find bisher weder auf englischer Seite noch auf transvaalischer zu verzeichnen. Auf dem west lichen Kriegsschauplatz find die Boern Herr fast der gesamten Eisenbahn bis zum Modder- Fluß, den die Bahn etwa sünf Dieilen südlich von Kimberley passiert. An einen Verkehr für britische Züge ist hier gar nicht zu denken, die kleinen Stationen dürften fich ausnahms los in den Händen der Republiktruppen be finden und lediglich Mafeking im Norden und Kimberley im Süden (vielleicht auch Briyburg), die größeren Stationen, leisten noch Widerstand. Aber Mafeking und Kimberley find von den Boern umzingelt und dürften ihnen kaum standhalten. In Kimberley be findet fich Cecil Nhod es, auf den es die Boern besonders abgesehen haben! Australien. *Nach einer Meldung der Chicagoer.Tri büne' find neue Wirren in Samoa aus gebrochen. Tamasese sei angeblich zum König ausgerufen worden. Tamasese hatte fich, wie erinnerlich sein wird, für den jungen Malietoa Tann erklärt, weil er von englischer Seite die Zusicherung erhalten hatte, er würde, im Falle der Wahl Tanus zum König, zum Vizekönig gemacht werden. Als später die Samoa-Kom- misfion von Tamasese seine Zustimmung zur Abschaffung des Königtums verlangte, konnte er nur durch die Androhung der Verbannung bewogen werden, in die Aufhebung des Königtums zu willigen. Eine Bestätigung der Chicagoer Meldung liegt noch nicht vor. Da» Berliner Kriminalmnseuw, das im Jahre 1874 angelegt ist, zerfällt in drei Hauptabteilungen, die fich wieder in Gruppen gliedern. Die Abteilung I bezieht fich auf die Kapitalverbrechen, Verbrechen wider die Person und das Leben und auf Brandstiftung, die Ab teilung II auf alle Arten des Diebstahls und die Abteilung III auf Falschmünzerei, Urkunden fälschung und Betrug. Das Museum enthält Instrumente, Nach- und Abbildungen, Dar stellungen, Proben, Spuren, Thatbestandsauf- nahmen, Photographien, Vergrößerungen, eine Geschoß-, Pulver- und Giftsammlung, diese mit einer Tabelle, die die Bezeichnung, die Wirkungs erscheinungen und das Gegengift angibt. Wir finden im Museum ferner Fälschungen im Original und von aller Art, vom gefälschten Geld- und Zinsschein bis zum Bestellzettel, dem Billet und der gefälschten Briefmarke, endlich eine Sammlung hervorragender Kriminalfälle und Drucksachen. Eine Abteilung für fich bildet die Handschriftensammlung, die in einem Teile die selbstgeschriebenen Lebensläufe der zu lebens länglichem Zuchthaus vemrteilten oder begnadigten Kapitalverbrecher und weiterhin die Schriften der Hochstapler, Fälscher, Bettelbriefschreiber, Querulanten, Denunzianten und anonyme Zu schriften in Kapitalsachen (Droh- und Schmäh briefe) enthält. Zu einer Gruppe vereinigt sind die polizeilichen Hilfsmittel zur Bewältigung und zum Transport der Verbrecher, sowie Sicher heitsschlösser und Schutzvorrichtungen. Bietet das Museum auch schon dem jüngeren Kriminal beamten und in vielen Fällen wohl auch dem Untersuchungsrichter Stoff zum Lernen und Ge legenheit, in bestimmten Fällen Vergleichungen anzustellen, so ist es doch noch wesentlich von dem ihm gesteckten Ziele entfernt. Die Sammlung ist trotz aller Mühe im ganzen noch klein und zu wenig mannigfaltig. Zur Vervollständigung bedarf das Museum der Mitwirkung der Gerichte; die Gegenstände können ihm auch mit Vorbehalt der Rückgabe überwiesen und dann jederzeit zurückgefordert werden. Viele interessante Sachen, die auf Böden und in den Akten verkommen, würden im Museum eine Quelle nutzbarer Studien bilden. Bei entsprechender Unterstützung werden schon demnächst vom Museum Auskünfte, Abgaben von Gutachten über Werkzeuge, Fälschungen, Spuren, Handschriften, Dechiffrie rungen, Karten- und Würfelspiele eingefordert werden können. Das Gesammelte kommt somit der Strafrechtspflege wieder zu gute. Wenn die Sammlung erst genügend angewachsen ist, so sollen auch Proben von Abdrücken und Spuren, sowie mikroskopische Präparate für vor liegende Strafsachen abgegeben werden. Mit dem Museum soll noch eine Bibliothek fachwissen schaftlicher, auch verbotener und unzüchtiger Bücher und Bilder mit entsprechenden Verzeich nissen zur Auskunstserteilung angelegt werden. Einsendungen solcher Bücher und Bilder, womög lich mit Erläuterungen und Hinweisen auf er gangene Urteile, werden mit Dank angenommen. Von Zeit zu Zeit sollen über Objekte und auf dem Gebiete der Kriminalistik gesammelte Er fahrungen Vorträge gehalten, und diese durch das Zentral-Polizeiblatt' oder durch die Zeit schrift für Kriminal-Anthropologie und Krimi nalistik' des Professors Dr. Hans Groß ver öffentlicht werden. Wirr Nah ««d Fern. Köln. Sechs Waggons Honig in lebenden Bienenstöcken kamen Anfang voriger Woche an» Holland auf der Zollstation Straelen an. Ab senderin der Sendungen war die holländische Gesellschaft „Vereinigung zur Beförderung der Bienenzucht in den Niederlanden". Nachdem die zollamtliche Revision geschehen war, wurde« die Stöcke durch Schwefelqualm vernichtet und der gewonnene Honig wurde alsdann in Fässer« . verpackt nach Bremen weitergesandt. Diese Ma»' pulation ist eine Umgehung des Eingangszolle! für Honig. Auf 100 Kilogramm Honig ist ei« Eigangszoll von 33 Mk. zu entrichten; dagegen ist die Einfuhr von lebenden Bienenstöcken zoll frei. Der Gewinn, den die holländische Gesell schaft aus der einen Sendung erzielt, betM schon über 10 000 Mk. Münster. Das Droste - Vischeringsche Stammschloß in Darfeld ist am Sonntag fast vollständig niedergebrannt. Die Kapelle ist un versehrt geblieben; ein Teil der Bibliothek und des Mobiliars wurde gerettet. Bei den Lösch- arbetten verunglückten zwei Feuerwehrleute, da von einer tödlich. Rathenow. Wie ein Lauffeuer verbreitete fich dieser Tage das Gerücht, daß der Natur mensch Gustav Nagel verhaftet worden sei. Hunderte von Menschen umlagerten das Rat haus, um Gewißheit zu erlangen. Das Gerücht bestätigte fich, Nagel war aus Gründen del Sittlichkeit festgenommen und zunächst nach dem Polizeibüreau, sodann in das Amtsgerichts gefängnis gebracht worden. Er soll Photographien verkauft haben, die gegen die Sittlichkeit ver stoßen, da diese sein Bildnis in dem von ihm getragenen Kostüm, mit dem er früher als „Geist" ' um Mitternacht durch die Arendseer Tannen- waldungen streifte, zeigten. Das ganze Kostüm bildet ein weißes Laken. Außerdem wurde der „Heilige" beschuldigt, kleine Kinder zum Baden mitgenommen zu haben; er hat fich nicht an diesen vergriffen, wohl aber mit ihnen gebadet. Aber wie man schon vor kurzer Zeit von der Unterbringung Nagels in eine Heilanstalt auf ärztliches Gutachten Abstand nehmen mußte, fo ist er auch diesmal wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Frankfurt a. M. Es dürfte wohl zu den seltensten Vorkommnissen gehören, daß ein Kind durch den Sturmwind zum Fenster hinausge schleudert wird. Dies geschah hier in der im dritten Stock gelegenen Wohnung des Eisen bahnbeamten Loos. Als die Mutter, die fich auf etliche Momente im Zimmer aufhielt, in die Küche eintrat, schlug infolge des Gegenwindes ein Fensterflügel zu und mit demselben flog das dreiviertel Jahre alte Töchterchen der Familie hinab. Die Mutter griff nach einem Zipfel des Kleidchens, konnte aber das Kind nicht mehr vom Sturze in die Tiefe retten. Man denke fich, mit welchen Gefühlen und Vorahnungen die Mutter die drei Stiegen hinabeilte. Aber die Vorsehung hielt ihre schützende Hand über die Kleine. Das Kind war auf ein flaches Dach eines neu aus Drahtgeflecht hcrgestellte» Taubenhauses und von da in eine in der Wasch küche stehende mit Wasser halb gefüllte Bütte I gefallen. Durch diese günstigen Umstände erlitt das Kind gar keine Verletzungen und hatte nur einige gefärbte Stellen durch das Ausschlage« am Körper. Die Kleine befindet fich bei beste» Wohlsein. Insterburg. Das Jnsterburger Gestüt soll aufgehoben und mit dem Gegüt Georgenburg vereinigt werden. Die dadurch st ei werdende« Stallungen sollen sür die von Goldap nach Insterburg zu verlegende 5. Schwadron des litauischen Manen-Regiments verwandt werden. Der Schwederchof. 3) Erzählung von Fritz Brentano. U -rUeeuüg.r Alles — alles lebte noch einmal in dem Förster auf. Die glückliche Jugend im Forsthause — das frische fröhliche Leben im Walde draußen — dann der Tag, wo er fie zum ersten Mal drüben im Dorfe gesehen, wo fie ihm freundlich be gegnet war und fich mit dem schmucken Jäger im Tanz gedreht hatte. Zum ersten Mal war die Liebe in sein Herz eingezogen und er hatte das süße Gefühl genährt in ihrem Anblick — mehr und mehr — täglich — stündlich, lind auch die Qualen jener Stunde empfand er heute nach Jahren wieder, wo er zuerst entdeckte, daß die Gertrud ihm den Ulrich vom Schwedenhof vorzog, daß fie ihn liebe mit aller Glut des Herzens. Wieder empfand er den grimmigen Haß, der ihn damals beseelte, die verzehrende Leidenschaft, welche ihn von dem Pfad der Pflicht nnd zu der entscheidenden That trieb, als er den Vater der Gertrud als Wilderer «tappte. Tick - tack — tick — tack. Die Uhr redete Wester, ruhig, gleichmäßig imd flüsterte ihm immer und immer wieder die Geschichte seines elenden, verfehlten Lebens zu. Die leere Wiege drüben an der Wand gähnte ihn an wie ein offenes Grab, ihm war, als schaue dort durch das Fenster das bleiche Gesicht des erschossenen Alten vom Schwedenhof und winke ihm mit den geschlossenen toten Augen zu. Es litt ihn nicht mehr in der Stube; ge waltsam raffte er fich auf, warf die Büchse über die Schulter und noch einen Blick auf die Thür, hinter welcher das trotzige Weib verschwunden war, dann schritt er hinaus in den rauschenden, nächtlich webenden Wald. Im Forsthause aber brannte das einsame Licht weiter — es gemahnte an das Totenlicht am Sarge eines Verstorbenen — und am Fenster lehnte es gleich einem dunklen Schatten. Es war die junge Försterin, welche ihre fieberheiße Stirn an den kalten Scheiben kühlte und in den Dämmer der Nacht hinausstierte. 4. In dem Niederholze, das vom Dorfe her den Wald umsäumte, lungerten zwei verkommene Gesellen. Ein zerrissenes Soldatengewand deckte oen Leib des Jüngeren, während der Aeltere in einem braunen Rock stak, der eine verteufelte Aehnlichkeit mit dem Kleidungsstück hatte, das man damals den Insassen der Raspelhäuser mit auf den Weg gab, wenn fie nach über standener Strafe der Freiheit wiedergegeben wurden. Sie mußten beide des Lebens Not in aus giebigster Weise erfahren haben, aber noch anderes stand auf ihren verwitterten Gesichtern mit scharfen Zügen geschrieben. Leidenschaft und Verbrechen hatten ihre Runen da eingegraben, und der ältere ganz besonders, der, entgegen der damaligen Sitte, einen wirren grauen Voll bart trug, schien längst schon die Wege des letzteren gewandelt zu sein. Die hatten fich auf den abendtaugetränkten Boden niedergelassen, neben fich ihre mageren Bündel, die all' ihr Hab und Gut enthielten, und stillten mit zusammengebettelten Brocken den nagenden Hunger, den ihre lange Wanderschaft heute in ihnen erregt hatte. Verächtlich beiseite geworfen, lag, einige Schritte entfernt, ihre einzige Trösterin auf der trostlosen Vagabonden- fahrt, die Schnapsflasche, der aber kein Tropfen mehr zu entlocken war. „Hol's der Kuckuck, Heinz!" sprach der jüngere, indem er fich lang ausstreckte und das Bündel unter den Kopf schob, „ich habe das Hundeleben satt! Hätte ich eine Ahnung ge habt, daß es mir so ergehen sollte, ich hätte den Schießprügel hübsch auf dem Rücken be halten " „Und die Striemen von dem Stock des Herrn Korporals dazu!" fiel der andere ihm roh lachend, mit rauher, heiserer Stimme in die Rede, „gell, Dieter, die schmeckten prächtig?" „Immer besser als das erbärmliche Leben, das ich führe, seit ich deiner Lockung folgte und vom Regiment auskniff. Da hatte ich wenigstens des Lebens Notdurft, und wenn es auch nur Bohnen und Kommißbrot waren — fie waren doch den elenden Bcttelbrocken vorzu ziehen, die man uns zuschmeißt und um die man fich noch mit den Dorfhunden Herum balgen muß." „Pah," antwortete der andere, „aber die Freiheü — die goldene Freiheit, Dieter. Rechnest du die für nichts?" „'ne nette Freiheit!" sprach grimmig lachend der Deserteur. „Nennst du das Freiheit? Des Tags über auf der Landstraße herumstrolchen, mit der ewigen Angst im Leibe, von den Land reitern aufgegriffen und in das nächste Raspel haus gesteckt, oder gar zum Regiment zurück geliefert zu werden? Freiheit! Jahraus, jahrein auf freiem Felde, im Waldesdickicht, oder wenn's hoch kommt, in einer Scheune, auf einer Strohschütte übernachten und am Morgen nie wissen, woher das elende bißchen Speise und Trank nehmen, das unseren erbärmliche» Kadaver zusammenhält. Nein, ich hab's satt! Lieber wieder in den bunten Rock. Bei de» Preußen freilich darf ich mich nicht mehr sehe» lassen, wenn ich nicht die Spießruten kosten und mir den Buckel zerfleischen lassen will, aber jen seits der Grenze blüht auch der Korporalsstock, und noch heute mach' ich mich auf den Weg z» den Oesterreichern." „Bist halt ein geborener Soldat," höhn" der andere, „und wirst es gewiß noch zu» Feldmarschall bringen. Na, meinetwegen ma» was du willst, feige Seele, die nicht mal e» paar Tage lang das bißchen Hunger ertrag^ kann. Und hättest's gar nicht nötig, wenn d» nur meinem Rat folgtest. Hast dich nicht u»' geschaut drüben in dem einsamen Hof, wo w» heute ansprachen? Dort steckt Geld und 6»» Junge, und niemand im Hause als 'ne Alte»' ihrem Sohn. Das Gesinde schläft all' im Nebe» gebäude. Höre, Dieter, wie wär's, wenn heute nacht einen Koup machten, der uns einem Male aus der Patsche risse?" , „Wie meinst du das?" ftagte scheu andere. „Mensch, bist du so dumm oder stellst A dich so?" erwiderte Heinz, und seine Sü»» sank zu einem heiseren Flüstern herab, „ein Einbruch wollen wir riskieren heute nacht.
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