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„ES ist nicht höflich/ bemerkte sie entschuldigend, „einen scheidenden Gast zum Aufbruch zu mahnen, aber Sie wissen, wie ungeduldig mein Mann wird, wenn er glaubt, daß seine Pferde sich erkälten könnten." Grace suchte erschreckt ihre Blätter und Blumen zusammen und reichte sie ihm auf ganz andere Weise, als er gehofft hatte. Dann folgte ein gezivungener unbefriedigender Abschied. Hätten sie sich gezankt, so konnte alles wieder gut werden, aber seine Liebeserklärung war in der Knospe erstickt worden. Lennox kam in Crook-Park in gedrückter Stimmung an, und Lady.Grail verhehlte ibrem Vetter, Mister Grant, nicht, daß sie von seiner Liebenswürdigkeit keineswegs bezaubert sei. „Vielleicht ist er nur ein bischen schüchtern," bemerkte der Leutnant entschuldigend. „Schüchtern? Er ist langweilig wie ein Tümpel! Wie kann ein Mann schüchtern sein?" Doch hatte Lennox wenigstens Nachrichten über die gestrige Hochzeit zu bringen, sür welche Lady Grail sich niit brennender Neugierde interessierte, obgleich sie kühle Gleichgiltigkeit heuchelte. „Der Bräutigam sah sehr hübsch aus," bemerkte Lennox ruhig. „Das hörte ich eine Brautschwcster sagen. In seiner Art war er ebenso hübsch, als die Braut." „O, ich bin überzeugt, Helene sah strahlend aus, nachdem sie ihre Beute erjagt hatte." „Nein, ich glaube, sie sah nicht strahlend aus. Wir bemerkten mit Bedauern, daß sie nicht so heiter erschien, als man erwarten konnte." „Wirklich?" erwiderte die Witwe. „Sie glauben also nicht, daß sie ihn wirklich liebt?" «Ich bin unmöglich im stände, diese Frage zu beantworten. Es ist so schwer zu sagen, ob eine Dame wirklich einen Mann liebt, wenn sie wünscht, es zu heucheln oder zu verbergen." Der Schluß dieser weisen Bemerkung wurde mit einer gewissen Bitterkeit gesprochen, welche Lady Grail nicht entging. „Ich hatte keine Idee, daß Sie solch ein Kenner der weib lichen Natur sind, Mister Lennox," sagte sie. „Wenn Sie jemals in solcher Frage im Zweifel sind, so müssen Sie sich um weib lichen Rat bemühen. Wir wissen immer, ob eine von uns ver lieft ist oder nicht, Sie können sich daraus verlassen: Grace zum Beispiel weiß, daß ihrer Freundin Helene ihr Bräutigam nicht zwei Groschen wert ist." Lennox errötete. Er schien unzufrieden darüber zu sein, daß Lady Grgil über seinen jungverheirateten Freund so absprechend urteilte. Bei Margareth gereichte es Lennox keineswegs zum Nachteil, daß er in einer etwas gedrückten Stimmung nach Crook-Park kam. Sie war ebenso angenehm überrascht vielleicht, als ihre Tante enttäuscht war, darüber, daß der Gast ihre beiderseitigen Erwartungen nicht erfüllte. Grant hatte beteuert, er werde neues Leben ins Haus bringen, Margareth aber befand sich nicht in solcher Stimmung, daß sie nach lauter Gesellschaft verlangt hätte. Sie war von Natur gutherzig, und ihr eigenes Mißgeschick hatte ihrein Mitgefühl erhöhte Kraft verliehen. Außerdem aber ist es wohl bekannt, daß auf niemand ein junger Herr so viel Vertrauen in Liebesangelegenheiten setzen kann, als auf eine junge Dame, ausgenommen vielleicht eine alte Dame, und es war kein Wunder, daß schon nach kurzer Zeit Margareth Lennox Geheimnisse besaß, wenn seine Liebe zu Grace ein Geheimnis genannt werden konnte. Lady Grail und Margareth ergriffen bald die Gelegenheit, nach Craglands hinüber zu fahren, das sie seit Wochen nicht gesehen hatten. Margareth und Grace hatten einander natürlich viel zu sagen, Margareth bemerkte jedoch, daß Grace vollkommen schweigsam Ivar über ihre eigenen Angelegenheiten und sich in gedrückter Stimmung befand. Sie war nicht dazu zu bringen, zu fagen, was sie betrübte, und dies war ihr in der. That auch kaum möglich. Ihr Vater hatte einige Andeutungen gemacht, wie wünschens wert es sei, daß sie Lennox Bekanntschaft kultivieren möchte. Dies hatte ihr Gelegenheit gegeben, sich darüber auszusprechen, worauf eine unangenehme Szene folgte. Margareth erfuhr nur im all gemeinen, daß ihre Freundin sich durch Geldangelegenheiten gedrückt fühlte. „Das war auch Helenes Sorge," sagte Margareth gedankenvoll. „Es ist jedermanns Sorge, scheint mir," erwiderte Grace mit einem gezwungenen Lachen, „außer der Deinigen, meine Liebe." „Auch die meinige," erwiderte Margareth ernst. „Ich befinde mich im Besitze von Haufen Gold, ohne zu wissen, was ich damit thun soll, und niemand erweist mir das Vergnügen, es meinen Händen abzunehmen. Wie es scheint, ist es das einzige, was niemand thun darf, Vorteil vom Reichtum der Freunde zu ziehen, aus Furcht, sich zu Dank zu verpflichten." „Das scheint aber Deine Wohlthätigkeit nicht zu beeinträchtigen." „Wohlthätigkeit?" rief Margareth entrüstet. „Wenn man armen Leuten, denen alles fehlt, einen Teil von dem giebt, was man nicht notig hat, so ist das eine leichte Tugend, aber wenn man wünscht, seinen Freunden wirklich von Nutzen zu sein, so stellen sich unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. „Das kommt daher, Margareth, daß die Leute, wenn sie arm werden, das am meisten schätzen, was ihnen geblieben ist — zum Beispiel ihre Selbstachtung." „Es ist das größte Vergnügen, das man sich vorstellen kann, seinen Freunden zu helfen, aber schon Dein Ton in diesem Augen blick sagt: Komm mir nicht zu nahe! Auf die Gefahr hin, Dich zu beleidigen, muß ich doch sagen, daß ich es grausam, und — und — unfreundlich finde, daß Du Dich mit Geldangelegenheiten quälst, während Du einen Bankier so nahe zur Hand hast. Wenn Dein Vater in Schwierigkeiten ist, wie ich vermute, warum sollte es mir verwehrt sein —" „Mein Vater befindet-sich nicht in Schwierigkeiten, theuere Margareth," erwiderte Grace hastig und errötend. „Oder viel mehr — das heißt — das Geld ist anderswo angeschafft worden." „Ja für Verpfändungen, sür hohe Zinsen ohne Zweifel, viel leicht von einem Manne, wie dieser Bree, der sicher kein an genehmer Gläubiger ist. Aber Du läßt es eher zu, daß Dein Vater sich in Verlegenheit befindet, als Dich einer Freundin an- zuvcrtrauen. Liebe Grace, Du weißt, wie ich lebe, es bleibt mir so wenig Freude übrig, und diese eine — Dir und den Deinigen einen Dienst zu erweisen, wäre mir so teuer." Grace war tief erregt. Der Gegenstand, wenn er auch in so liebenswürdiger Weise berührt wurde, war ihr sehr unwill kommen. „Liebe Margareth," sagte sie ruhig, „ich werde an dieses edel mütige Anerbieten denken, und es ist möglich, daß ich davon Gebrauch machen werde." „Das macht mich glücklich!" rief Margareth. „Und nun erzähle mir von Helene, hast Du von ihr gehört?" Graces Miene wurde ernst. „Ja, meine Liebe. Ich habe nur wenige Zeilen erhalten, aber sic haben einige Besorgnis er weckt. Sie ist nicht so glücklich, als wir wünschen möchten." „Schon jetzt?" „Ja, so fürchte ich," seufzte Grace. „Sie schreibt nur, weil sie es versprochen hatte, nicht wie junge Frauen gewöhnlich nach Hause schreiben. Ihr Brief spricht nur von der Vergangenheit und enthält kein Wort von ihrem neuen Leben. Es steht mehr darin von meinem armen, kleinen Dachshund, als von ihrem Mann, und das schlimmste von allem ist, daß sie sich daran er innerte, daß ich sie vor ihrer Verlobung mit Frank gewarnt hatte. Du hattest recht, Grace, schreibt sie, ich hatte unrecht. Ist das nicht ausfallend?" „Es ist schrecklich," sagte Margareth mit leiser Stimme. „Hat sie ihrem Oheim geschrieben?" „Ja, der arme Pfarrer hat heute morgen zum ersten Male einen Bries erhalten. Er zeigte ihn mir mit Thränen in den Augen." „Sicherlich sagt sie ihm nicht, daß sie unglücklich sei?" „Nein, aber sie erwähnt nicht einmal den Namen ihres Mannes, abgesehen > davon, daß sie das Wort „wir" gebraucht. Der Pfarrer sagte, man könne aus ihrem Brief nicht schließen, daß sie verheiratet sei. Sie sagt, wir werden wahrscheinlich London in zwei Tagen verlassen, um nach dem Kontinent zu gehen. Und das scheint sie zu fürchten, weil es sie noch mehr von der Heimat entfernt. Ihre Gedanken sind in der alten Heimat, aber weniger leidenschaftlich, als verzweifelt. In geringerem Grade ist dies in ihrem Brief an mich zu erkennen, aber in dem an ihren Onkel spricht sie von all ihren alten Freundinnen und besonders von Dir, als ob sie ihnen für immer Lebewohl sagen wollte. Ein Brief von irgend einer derselben wäre eine unschätzbare Wonne schrieb sie." „Ich werde ihr noch heute schreiben," erwiderte Margareth. „Ja, thue das." Dann begann Margareth ruhig über Lennox zu sprechen. Sie bemerkte, daß Graces Antworten ungewöhnlich einsilbig waren, und was sie an diesem ersten Tage der Erneuerung der Be ziehungen mit ihren Freunden in Craglands gesehen und gehört hatte, gab ihr viel zu denken. 32. Margareth hielt sofort ihr Versprechen, an Helene zu schreiben. Das junge Ehepaar war in einem voimehmen Hotel abgestiegen, aber Helenes Brief an ihren Oheim war aus einer Straße aus der Nachbarschaft desselben datirt, wo sie wahrscheinlich eine Wohnung gemietet hatten. Das entsprach auch dem sparsamen Sinn des Ehemannes, wenn es vielleicht auch nicht den Er wartungen der jungen Frau entsprach. Es dauerte länger als vierzehn Tage, ehe Margareth eine Antwort erhielt, und als sie endlich ankam, brachte sie große Auf regung hervor. Der Inhalt war so vertraulicher Natur, daß sie unter gewöhnlichen Umständen keinesfalls darüber gesprochen hätte,