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Allgemeiner Anzeiger : 12.08.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-08-12
- Sprache
- Deutsch
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- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-08
- Tag 1899-08-12
-
Monat
1899-08
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 12.08.1899
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Politische Rundschau. Teutschland. * Kaiser Wilhelm trifft nunmehr am Freitag in Dortmund zur feierlichen Hafeneröffnung ein. * Der deutsche Botschafterin Paris, Graf Münster, ist in den Fürstenstand erhoben worden. Wenn die Thatsache in Rück sicht auf das Alter des greisen Diplomaten und seine dem Reich geleisteten Dienste auch an sich nichts Auffälliges bietet, so hat sie in Rücksicht auf den soeben in Rennes begonnenen Reoistons- prozeß und die Gerüchte einer französisch- deutschen Annäherung doch ihre besondere Be deutung. * Finanzminister v. Miquel hatte sich am Sonntag von Langenschwalbach nach Kassel be geben, da er für Montag vormittag beim Kaiser auf Wilhelmshöhe Vortrag hatte. Die Meldung einer Korrespondenz, daß das Staatsministerium beschlossen habe, dem Kaiser die „Vertagung der Kanalvorlage auf gelegenere Zeit" vor - zuschlagen, wird der ,Nationalztg.' von zu ständiger Seite als „barer Unsinn" bezeichnet. * Die Herzogin von Albany ist mit ihren Kindern, dem Thronfolger von Sachsen-Kob urg und Gotha und der Prinzesfin-Tochter, in Reinhardsbrunn einge troffen. * Die eigentlichen Kaisermanöver dauern vom 11. bis 14. September, wo der Zusammenstoß der Hauptkräfte stattfindet. Dieser richtet sich nach den Aufträgen, die den höheren Truppenführern nach der Parade zugehen, und nach deren Entschließungen. Es wird ange nommen, daß die Kämpfe fich sowohl auf badischem wie auf württembergischem Gebiet abspielen werden. * Den Herbstkommandierungen in der Marine, die in etwa 2—3 Wochen er folgen werden, sieht man diesmal mit großem Interesse entgegen. Prinz Heinrich, dessen Kommando mit Ende dieses Jahres beendet ist, bleibt noch „draußen" und dürfte wahrscheinlich erst im Frühjahr 1900 abberufen werden; jedoch steht Sicheres in dieser Beziehung noch nicht fest; auch über die weitere Verwendung des früheren Chefs des Kreuzergeschwaders von Diedrichs find endgültige Bestimmungen noch nicht getroffen; es ist nicht ausgeschlossen, daß er nach Berlin kommt; auch das Kommando des Chefs des 1. Geschwaders Vize-Admiral Thomsen ist beendet und die Ernennung eines Nachfolgers zu erwarten. * Bekanntlich hatte Deutschland auf den Philippinen auch den Schutz der niederländischen Staatsangehö rigen seiner Zeit übernommen. Als Mitte Juni, wie jetzt bekannt wird, der niederländische Kreuzer „Friesland" von Batavia aus Manila anlief, stattete der Kommandant, Kapitän zur See Römer, dem konsularischen Vertreter Deutsch lands in Manila einen Besuch ab, um im Auf trage seiner Regierung nochmals für den Schutz zu danken, der von deutscher Seite den Holländern während der Kriegszeit gewährt worden sei. * Italienischen Blättern zufolge ist für die Mitte dieses Monats eine Zusammenkunft des italienischen Ministerpräsidenten Pelloux mit Herrn v. Bülow in Berlin in Ausficht genommen. Dieses Zusammentreffen wird als Antwort auf den Besuch Telcasses am Zarenhos aufgefaßt und soll die Festigkeit der italienisch-deutschen Beziehungen zum Ausdruck bringen. Man wird die Richtigkeit der besagten Meldung mit einiger Reserve aufnehmen müssen. *Das Reichspostamt hat folgende Verfügung über das Verfahren beim Vor kommen von beschädigten silbernen Zwanzigpfennigstücken erlassen: „Es ist wahrgenommen worden, daß silberne Zwanzig pfennigstücke, die nur in geringem Maße be schädigt oder verbogen waren, von den Ver kehrs-Anstalten nach Zerschneiden dem Einzahler zurückgegeben oder überhaupt zurückgewiesen worden sind. Dieses Verfahren ist unzulässig. Derartige Stücke find, sofern die Beschädigung infolge gewöhnlicher Abnutzung entstanden ist, was bei den technischen Mängeln dieser Münz« --attung häufig der Fall sein wird, zum vollen Wert anzunehmen. Nur wennM sich zweifellos um eine gewaltsame Beschädigung handelt, wenn z. B. die Münze durchlöqert oder durch schnitten ist oder wenn erhebliche Münzteile fehlen, find die Stücke noch vorgängiger Un brauchbarmachung an den Einzahler zurückzu geben." *DiepreußischeGrenzpolizeiund Zollbehörde erhielt den Auftrag, Tschechen, die fich zum bleibenden Aufenthalt nach Preußen begeben, die Grenze nicht passieren zu lassen. *Das hessische Ministerium hat verfügt, daß in Landorten, in denen wegen all gemeinen, nicht zu beseitigenden Mangels an ländlichen Arbeitern die Einheimsung der Feld früchte nur sehr schwer zu bewältigen ist, die verschiedenen Ferien unter Umständen bis zu elf Wochen verlängert werden dürfen. Oesterreich-Ungarn. *Jn Oesterreich kann als charakte ristisches Zeichen der gegenwärtigen Lage gelten, daß das ,Amtsblatll in Wien an einem einzigen Tage 53 gerichtliche Erkenntnisse über Verbote vonZeitungen veröffentlicht hat. Frankreich. *Nach den bestimmtesten Unschulds- beteuerungen Drcnfns' ist der Rennes' Gerichtshof in die Prüfung der Geheimakten eingetreten, die etwa vier Sitzungstage in Anspruch nehmen sollten. In Rennes verlautet, die Reihenfolge der Zeugen werde folgende sein: Chanoine, Palöologue, Delaroche, Casimir Perier, Billot. Einem Gerücht zufolge wolle Billot feierlich erklären, er sei getäuscht worden, er glaube nicht mehr an die Schuld des Dreyfus. *Mit dem Ergebnis des ersten Tages der Verhandlungen find die Ver teidiger von Dreyfus sehr zu frieden. Der Verteidiger Demange äußerte einem Journalisten gegenüber, die Verteidiger Dreyfus' betrachten den Prozeß als gewonnen, ohne ihrerseits plädiert zu haben. Die Prüfung der Geheimakten werde die Unschuld ihres Klienten ohne weiteres ergeben, es werde von dem geheimen Material gegen Dreyfus nicht mehr übrig bleiben als vom Borderau, nämlich nichts, nichts, durchaus nichts. Für ein besonders wichtiges Symptom hält man die zwei Stimmen, die im Kriegsgericht gegen den Ausschluß der Oeffentlichkeit bei der Diskussion über den ge heimen Dossier abgegeben wurden. Man will daraus schließen, daß bereits zwei Mitglieder des Kriegsgerichts zum Freispruch geneigt sind; wenn noch eine dritte Stimme hinzukommt, muß der Freispruch mit dem sogenannten Benefiz der Minderheit erfolgen. *Der ,Matin' veröffentlicht ein Schreiben Esterhazys an Major Carriere, in welchem er mitteilt, er komme nicht nach Rennes, da das Kriegsgericht, auf das ein offenbarer Druck ausgeübt würde, nicht unparteiisch sein könne. Esterhazy schwört, er habe auf Befehl gehandelt und behauptet, er habe dem Lande die größten Dienste erwiesen. Schweiz. *Der Schweizer Bundesrat hat fich genötigt gesehen, den schweizerischen Konsul Fehr in Pretoria (T r an s v a a l) zu veranlassen, seine Amtshandlungen einzustellen. Die deutsche Regierung gab ihre Zustimmung dazu, daß die Wahrung der Interessen der dortigen Schweizer Bürger dem deutschen Konsulat anvertraut werde. — Ueber die Gründe der Abberufung ver lautet nichts. Italien. * Der Papst wird demnächst eine Encyklika, die sich mit der Haager Friedenskon- ferenz befaßt, veröffentlichen. Belgien. *Jn Belgien ist am Sonntag das neue Ministerium mit Smet de Naher an der Spitze zusammengekommen. Smet erklärte, seine Regierung werde keine klerikale Aktionspolitik betreiben, er betrachte das Kabinett als ein provisorisches und werde sofort nach den Neuwahlen zurück treten, um dem neugewählten Parlament volle Freiheit zu lassen. Spanien. * Das spanische Kabinett scheint in die Er haltung der inneren Ruhe Vertrauen zu setzen. Der Belagerungszustand in Saragossa ist aufgehoben worden. Rußland. *Der Zar hat dem in Petersburg zum Besuch weilenden französischen Minister des Auswärtigen Delcassö den Alex and er - Newsky-Orden in Brillanten verliehen. Balkanstaaten. * In Serbien hat das Standgericht in den letzten Tagen nur unbedeutende An gelegenheiten verhandett und zumeist milde Strafen verhängt, auch zehn Verhaftete frei gelassen. — König Alexander hat übrigens seine Badereise aufgegeben. Er wird mit Aiilan demnächst nach Nisch abreisen und dort bis zur endgültigen Austragung des Prozesses Knetzewitsch verbleiben. Sodann wird die Skupschtina zu einer außerordentlichen Tagung zusammentreten, um die gegen die Verschwörung unternommenen Schritte zu billigen. Gin Tag an» dem Heben des jetzigen Zaren. Zu den Frühaufstehern gehört der gegen wärtige Zar nicht, denn für gewöhnlich erhebt er sich erst um 8 Uhr von seinem Lager. Um 9 Uhr trinkt er mit der Kaiserin Thee und schon eine halbe Stunde später ist er in seinem Arbeitszimmer mit der Zeitungslektüre beschäf tigt. Wenn der Franzose Landet, der ein Kapitel seines kürzlich veröffentlichten Buches, Meolas II intime" dem täglichen Leben des jetzigen Kaisers von Rußland gewidmet hat, recht unterrichtet ist, liest Nikolaus II. eifrig Zeitungen aus den ver schiedenen Ländern, mit Vorliebe den ,Figaro' und den Matin', zu deren treuen Abonnenten er, wie sein Großvater und Vater, gehört. Auf das Zeilungslesen verwendet der Zar täglich eine Stunde. Um 10 V, Uhr macht er einen kurzen Spaziergang im Parke des Schlosses, in welchem er sich gerade aufhält. Um 11 W beginnt seine Beschäftigung mit den Staatsangelegenheiten, indem er seine Minister empfängt und zwar mit solcher Einteilung, daß an jedem Tage zwei Minister znr Audienz vor gelassen werden. Für alle übrigen Personen, denen eine Audienz bewilligt ist, gilt, wenn der Kaiser in Peterhof residiert, folgendes Zere moniell: Sie müssen morgens mit einem be stimmten Zuge von Petersbu g nach Peterhof fahren, wo Wagen des Hofes sie erwarten. In einem Nebengebäude des Palais, wohin man sie zunächst führt, werden ihnen belegte Butter brote und Thee vorgesetzt. Punkt 10V- Uhr be steigen sie wieder dieselben Wagen und fahren nach dem kaiserlichen Wohnsitz, wo sie, nachdem sie mehrere Säle durchschritten haben, zu dem eigentlichen Wartesaal gelangen, in dem sich zu jener Tageszeit fast immer Offiziere und Be amte aufhalten, die dem Zaren für ihre Be förderung ihren Dank aussprechen wollen. Dieser Salon ist mit Gemälden, welche die kaukasischen Kriegszüge darstellen, und mit einer j Zimmerbekleidung geschmückt, die Felix Faure ! bei seinem Besuch am russischen Hof dem Zaren zum Geschenk machte. Auf dieser gewebten Tapete sind die guten Feen um die Wiege einer kleinen Prinzessin versammelt, die wahrscheinlich das französisch-russische Bündnis versinnbild lichen soll. Aus dem Wartesalon werden die der Audienz harrenden Personen von einem Heiducken durch einen andern großen Saal und einen langen Wandelgang zu dem Salon geführt, wo fich die dienstthuenden Adjutanten aufhalten. Einer der selben öffnet nun-die zum Kabinett des Kaisers führende Thür, nennt mit lauter Stimme den Namen desjenigen, der vorgelassen werden soll, und läßt ihn eintreten. Der Zar, der bei diesen meistens nur wenige Minuten währenden Audienzen gewöhnlich die Uniform des Preo- braschenskischen Regiments trägt, pflegt an jeden seiner Besucher einige freundliche Worte zu richten. Nach Beendigung der täglichen Audienzen frühstückt er gemeinsam mit seiner Gemahlin und unternimmt dann gewöhnlich auch in ihrer Gesellschaft eine Spazierfahrt durch den Park. Nach der Rückkehr erteilt er wieder Audienzen, während die Kaiserin zu derselben Zeit die Gemahlinnen der Minister oder Ge sandten empsängt. Von 4 bis 8 Uhr abends arbeitet Nikolaus II allein in seinem Zimmer, indem er fich mit der Prüfung von Berichten, Gesetzesvorschlägen und den aus allen Provinzen seines gewaltigen Reiches einlaufenden Schriftstücken beschäftigt. Um 8 Uhr diniert er im Kreise seiner Familie, meistens find aber auch Gäste zur kaiserlichen Tafel geladen, am häufigsten Offiziere und Gelehrte, deren Gesellschaft der Zar und seine Gemahlin besonders zu lieben scheinen. Gegen 9 oder 10 Uhr, je nachdem Gäste geladen find oder nicht, setzt der Kaiser fich wieder an seinen Arbeitstisch und verläßt denselben er gegen Mitternacht. Während dieser nächtlichen Arbeits zeit leistet ihm die Kaiserin gewöhnlich Gesell schaft, wobei sie Handarbeiten macht oder zeichnet oder ihrem Gemahl auch etwas vorspielt, wenn er dadurch in seiner Beschäftigung nicht gestört wird. Jeden Sonntag besuchen der Zar und ft' Zarin gemeinschaftlich die Kirche. In sein Mußestunden hört Nikolaus II. gern Musik, f Wagner scheint er jedoch nicht zu schwärmen Als Liebhaber von altertümlichen Möbeln hä' er es nicht unter seiner Würde, gelegentlich selb auf die Suche nach solchen zu gehen. I Gegensatz zu seinem Vater ist er kein eifrft Jäger, nur Parforcejagden bereiten ihm wi liches Vergnügen. Dem Lawn-Tennisspiel» er leidenschaftlich ergeben und widmet demM wohl am liebsten seine freie Zeit. Auch^ Pferde ist er in seinem wahren Element um, gilt als ausgezeichneter Reiter. Von den 500 bis 600 Pferden, die in den kaiserlichen Mar- ställen stehen und zum größten Teil aus Deutschland stammen sollen, find sechs Reit pferde für seinen persönlichen Dienst bestimmt. Für seine Ausfahrten, bei denen er ohne Furcht durch die Straßen seiner Hauptstadt fähtt, werden nm solche Pferde vorgespannt, die voll kommen eingefahren sind und die Straßen, durch die der Zar gewöhnlich fährt, ganz genau kennen. Wie sein Bater, ist der gegenwärtige Kaiser ein großer Freund von den russischen National gerichten. Suppen, in denen es an Fleischbiffen nicht fehlt, die also, um einen volkstümlichen Ausdruck zu gebrauchen, zugleich etwas „zum Schlürfen und Essen" darbieten. Zu den Lieb lingsspeisen des Zaren gehören auch die sog. Kilki, eine Art von sehr schmackhaften Sprotten, die besonders im finnischen Meerbusen gefangen werden. In bezug auf Getränke hat Nikolaus II. eine ausgesprochene Vorliebe für Champagner und rote Bordeaux-Weine. Was das Auftreten des Zaren in der Oeffentlichkeit anbetrifft, so fühlt er, wie Eugen Zabel in seinem fesselnden Buche „Im Reiche des Zaren" schreibt, daß der Beherrscher Ruß lands vor allem Mut zeigen und seine Persön lichkeit der Menge gegenüber durch selbstbewußtes und furchtloses Auftreten zur Geltung bringen müsse. „Sein Vater wohnte im Winter in seinem Schloß in Gatschina wie in einer Festung, der fich im weiten Umkreis niemand nähern durfte, und im Sommer in dem Schloß Alexandria in Peterhof, das ebenfalls durch eine hohe Mauer von seiner Umgebung getrennt war. Nikolaus II. hatte beschlossen, in seiner Haupt stadt Petersburg zu bleiben und wieder das Winterpalais zu beziehen, wo für ihn die nach der Newa zu gelegene Flucht von Zimmern ein gerichtet werden soll. Der blutige Schatten seines Großvaters flößt ihm keinen Schrecken mehr ein. Er vertritt die Anschauungen und Empfindungen einer neuen Generation, die nicht rückwärts, sondern vorwärts zu blicken versucht. Als Nachfolger Peter des Großen weiß und fühlt er, daß er vor allem da sein und gesehen werden muß, daß seine Nation von ihm ein männliches Auftreten und energisches Zugreifen verlangt, daß keine Leibgarde ihn sicherer schützen kann, als die Ehrfurcht, die er durch seine Persönlichkeit den Leuten auf der Straße einflößt. Der Körsenkömg. 11j Roman von Karl Ed. Klopfer. ks^orMSung., In der Regel war nur das Geräusch der Thüren und der über den Laufteppftch gleitenden Schritte in dem Wartezimmer zu vernehmen, denn obgleich jeder ganz erfüllt war von dem Gedanken an die gewaltigen Unternehmungen des Weltbankiers und schwindelerregende Be- rechuungen in seinem Gehirn wälzte, saßen sie alle schweigend da, den brütenden Blick zu Boden gerichtet, oder auf die Thür zu jenem Zimmer, das den Gegenstand der allgemeinen Sehnsucht bildete. Man hätte fich, nach den ernsten, gedankenvollen Mienen zu schließen, im Vorsaal eines Arztes zu befinden glauben können, wenn sich nicht von Zett zu Zeit ein paar Geschäftsfreunde, die fich da trafen, mit einigen rasch hingeworfenen Be merkungen über Börsenkurse und Marktpreise be grüßt hätten. Ein Künstler, der seine Anregun gen aus dem unmittelbarsten Leben nehmen wollte, hätte hier unerschöpflichen Stoff zu Charakterstudien gefunden. Schon die Art und Weise, wie diese verschiedenen Leute durch den Thürrahmen des Snowardschen Sanktuariums gingen — wenn sie überhaupt zu den „Auser wählten" gehörten, denen dies hohe Glück zu teil ward — hätte dem Stift eines Zeichners meist einen dankbaren Vorwurf geboten. Schüchtern und atemlos, als ginge es zu einer Majestät, trippelte die Beamtenwitwe da hinein, nachdem sie den Thürwart mit rührender Ueberreduugs- kunst zu überzeugen gewußt, daß sie mit dem Herrscher von Mammons Gnaden ein Wort zu reden habe, von dem ihre ganze Zukunft ab hänge. Und das war auch nicht zu viel gesagt, denn wenn das Geld, das sie da anzulegen ge dachte, verloren ging, so war sie mit ihren Kin dern auf das Hungerbrot von ihrer winzigen Pension angewiesen. Mit eiligen Schritten da gegen, ganz der Kaufmann, dem Zeit Geld ist, rasselte der in seiner Wohlbeleibtheit pustende, immer nervös bewegliche Herr von Sadowski; ans Ziel. Er hatte eine ganze Wagenladung von Vorschlägen, Anträgen und Anfragen an den Amerikaner in seinem Busen. Mit der Eleganz des Kavaliers, aber mit einer Spannung, die die Maske kühler Vornehmheit nicht ganz verbergen konnte, begab sich — der Frhr. von Ellerich in das Kabinett des Allumschwärmten. Er sprach „nur so im Vorbeigehen" vor. Was wollte er eigentlich ? Ah, richtig ja, Elvira hatte neulich, nach der Soiree, so viel originelle Seiten an Mr. Snoward gerühmt, daß es schon der Mühe verlohnte, den Mann als „Privat menschen" des nähern kennen zu lernen. Ellerich gedachte ihn für heute abend einzu laden, in einen ganz intimen Familienzirkel. Und wann hätte er ihn sicherer zu treffen ge wußt, als zu seiner offiziellen Sprechstunde auf dem Büreau? Also nur auf ein Wort! Mein Gott ja, Ellerich mußte selber die Zeit zu schätzen, er war ja auch Geschäftsmann; als Auffichksrats-Prästdent der Landesbank steckte er tüchtig drinnen in diesem Gebiete unendlich ver wickelter Finanzoperationen. Darum war es auch selbstverständlich, schon aus Höflichkeits gründen sozusagen geboten, den Amerikaner nach dem und jenem in seinen Geschäften zu fragen. Und am Ende sprach der praktische Mann wirklich recht interessant und anregend über sein geliebtes Argentinien. Wenn dann aus den vorgehabten fünf Minuten ein Viertelstündchen wurde — oder auch etwas darüber — was lag daran? Und ehe der Baron noch die Thür hinter fich schließen ließ, sah er nochmals über die lange Reihe der Harrenden, und es erfüllte ihn eine Empfindung behaglicher Genugthuung, natürlich nur im Interesse seines guten Bekannten, dem er ein Gedeihen seiner im Grunde ja so tüchtigen und gescheiten Unternehmungen von Herzen gönnte. . . . Und endlich schlug es vier; die dreistündige Sprechzeit des Chefs war um. Der Diener hatte jetzt die Aufgabe, die Klienten zu ent lassen; nur ein ganz dringender, durchaus un aufschiebbarer Fall, den jemand noch abzuhandeln gehabt hätte, durste eine Ausnahme machen, und der betreffende Antragsteller, sofern er zu den Bekannten des Bankiers gehörte, wurde von diesem gewöhnlich mit zum Diner gebeten, um da seine Sache vorzubringen, denn Mr. Sno ward war ein Mann nach der Uhr, bei dem jede Minute des Tages ihre Bestimmung hatte. Es war natürlich kein kleines Stück Arbeit, was der Büreau-Diener mit der „Säuberung" des Vorzimmers als letzten Punkt seines Tage werkes zu bewältigen hatte. Aber er entledigte sich dieser Aufgabe mit unerschütterlicher Festig keit, die zu jenen militärischen Tugenden ge hörte, denen er seine gute Bestallung als Cerberus dieser Räume verdankte, nachdem er in jüngeren Jahren als Tambourmajor bei einem Karde- Regiment einigermaßen künstlerische Lorbeeren geerntet hatte. Und mit derselben ernsten, unbe weglichen Miene, mit der er damals den Quastenstock durch die drängende Zuschauer menge der Wachtparade getragen hatte, bekom- plimentierte er die widerstrebende Schar hinaus. Das imponierte nicht wenig. Da war nicht einer, der fich vorgenommen hätte, morgen gleich unter den ersten zu sein, die das Vorzimmer belagerten und fich an den langbärtigen Ex« Tambourmajor mit der immer gleichen Be merkung wendeten: „Ich habe mit Herrn Sno ward dringend zu sprechen." Auf der Straße noch wandten sie die Köpfe zurück nach den breiten Spiegelfenstern des Zwischenstockes, die noch die goldene Inschrift aufgemalt trugen: „Grand Restaurant Excel- fior", während am Fuße der Fenster die ge waltige Firmentafel leuchtete, die da lautere: „Bankfiliale von Ralph T. I. Snoward, New Dort und Buenos Ayres." — Es war ein Blick voll froher Befriedigung, mit dem die „Inter essenten" von diesem ungemein solid aussehen den Firmenschilde vorläufigen Abschied nahmen, aus diesem Hause hoffte ja jeder Schätze heraus- zutragen. Als der gravitätische Diener sich zum Fenster wandte, um das nunmehr geleerte Wartezimmer für die eine Stunde bis zum Schluß der sämt lichen Büreaus zu lüften, sah er in der Nische einen Mann stehen, der da zurückgeblieben war. Es war ein kleiner Mensch mit einem tief brünetten Gesicht von gänzlich unbestimmbarem Alter. Seine schlanke Figur steckte in ziemlich
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