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Allgemeiner Anzeiger : 30.08.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-08-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189908304
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18990830
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-08
- Tag 1899-08-30
-
Monat
1899-08
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 30.08.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. *Die Erörterungen über die Sitzung des Kronrats werden in den Blättern fortgesetzt, aber ohne Darbietung beglaubigter oder glaubhafter Thatsachen. Es find durchweg nur politische Meinungen, die zum Ausdruck gelangen, Konjekturen, die nach der Lage der Dinge für einen politischen Beobachter mehr oder minder Glaubwürdigkeit für sich haben. ,Reichanz/ und ,Nordd. Allg. Ztg.' hüllen sich noch vollständig in Schweigen, was wohl kaum der Fall sein dürste, wenn politische und endgültige Ent scheidungen im Kronrat getroffen wären. Es ist deshalb die Ansicht nicht von der Hand zu weisen, daß die Krisis noch keineswegs aus getragen ist. * Am 6. September trifft der Kaiser in Stuttgart ein. Am Abend des Tages findet im Refidenzschloß Familientafel und Marschalltafel und im Schlotzhof ein Zapfen streich sämtlicher Spielleute und Mufikkorps des württembergischen Armeekorps statt. An die Parade am 7. September schließt sich ein Familienfrühflück im Residenzschloß; nachmittags folgt militärische Prunktafel. Zur Kaiserparade finden sich auch die Kriegervereine des Landes ein; mit acht Extrazügen treffen sie am Morgen des Paradetages ein. Nahezu 10 000 Krieger find bereits angemeldet worden. *Der Sitz des dritten bayrischen Armeekorps wird nach dem,Fränk. Kour/ bestimmt nach Nürnberg verlegt. * Nachdem es sich in der bei dem königlichen Institut sür Infektionskrankheiten in Berlin ein gerichteten Abteilung für Schutzimpfungen gegen Tollwut, (die übrigens in noch nicht einem halben Jahre von 137 gebissenen Personen in Anspruch genommen worden ist) ge zeigt hat, daß die bisherigen Bestimmungen über Aufnahme und Entlassung der Kranken noch Zweifel übrig gelassen haben, haben die zu ständigen Minister, die des Kultus, der Land wirtschaft und des Jnnem, eine ausführliche Verfügung erlassen, in welcher namentlich ein einiges Zusammenarbeiten von Landrat und Kreisphysikns betont wird. Der Kultusminister hat schließlich noch verfügt, daß in den alljährlich an ihn einzureichenden Nachweisungen über die Bißverletzungen durch tolle oder der Tollwut verdächtige Tiere in jedem Falle angegeben werde, ob, wann und mit welchem Erfolge die Schutzimpfung vorgenommen oder aus welchem Grunde sie unterblieben ist. Frankreich. * Zur Beweisführung, daß Dreyfus das Bordereau nicht geschrieben haben kann, ist von erheblicher Wichtigkeit die Feststellung des Datums, wann Dreyfus die ArtilIerie- schietzvorschrift sich von dem Hauptmann Jeannel geliehen hat. Dreyfus forderte des halb die Vorlegung der Abschrift, die er sich von der Schießvorschrist gemacht habe und die sich unter den bei seiner Verhaftung beschlagnahmten Papieren befinden müsse. Der Vorfitzende aber, der die Belastungszeugen stundenlang den halt losesten Klatsch erzählen läßt, ohne sie zu unter brechen, schlug das Verlangen des Angeklagten mit der ungeheuerlichen Begründung ab: „Wir haben keine Zeit, Nachforschungen anzustellen." Der ,Figaro' meint nun: wenn das Kriegsgericht wirklich wichtige Ausklärungen ablehne, so habe der Kriegsminister die Pflicht, aus eigener Initiative die von Dreyfus bezeichneten Papiere zu suchen und sie dem Kriegsgericht zugehen zu lassen. *Labori hat mehrere Pariser Blätter wegen Verleumdung verklagt, weil sie behauptet hatten, er habe sich verstellt und sei garnicht ernstlich verwundet worden. *Dre Belagerung Guerins dauert fort, und wenn es diesem gelingt, sich weiter mit Proviant zu versehen, kann der Unfug noch einige Wochen währen. Guerins Koch, der die „Festung" verlassen hat, ist jetzt der Held des Tages. Er wird von den Journalisten eifrig ausgefragt. * Major Marchand erklärt die Nachricht von der Ermordung zweier französischer Offiziere, des Oberstleutnants^! opp und des Leutnants Meynier, durch ^»Kameraden, die Führer der Mission Vo ul et - CH an o in e für unglaubh aft. Er meint und hofft, oer senegalische Unteroffizier, der als einziger Zeuge auftritt und nach dessen Angaben der General- Gouverneur von Westafrika und der General- refident in Porto Novo übereinstimmend an die Regierung telegraphierten, habe sich irren können und nach Art der Schwarzen übertrieben. Allein der Unteroffizier hat den Brief, den Hauptmann Voulet an Oberst Klobb schrieb, als dieser ihm sein Kommen und den Zweck desselben an kündigte, nach Kayes gebracht, und so lange dieser Brief nicht als eine Erfindung anerkannt wird, kann über das tragische Ereignis kein Zweifel walten. Portugal. * In Angelegenheit der Haltung Por tugals zur Transvaalfrage schreibt das Lissaboner ,Diario de Noticas': „Nach dem Lesen verschiedener Berichte betreffs der Teil nahme portugiesischer, augenblicklich in Laurenzo Marques befindlicher Truppen an irgend welchem feindseligen Akte Englands gegen Transvaal oder wenigstens Zustimmung seitens unserer Regiemng zum Tranfit britischer Truppen und Kriegmaterial durch jenes unser Gebiet, holten wir Informationen ein, und das Resultat der- rüchte vollständig unbegründet find, und daß setben war die Bekräftigung, daß solche Ge- unsere Regierung entschlossen ist, die Regeln strenger Neutralität zu befolgen im Falle, daß Feindseligkeiten zwischen jenen beiden Ländern ausbrechen sollten." — Das ist ein sehr löblicher Vorsatz. Um so weniger aber ist es dann zu verstehen, daß Portugal vor dem Ausbruch von Feindseligkeiten durch eine Maß regel, wie die Behandlung der Waffeneinfuhr über Laurenzo Marques, nicht ganz im Ein klang mit den Gesetzen der Neutralität handelt. Amerika. * Durch den C y kl o n find auf P o rto ri co nach einer jetzt aufgestellten ziemlich vollständi gen Liste 4500 Leute getötet und 1000 mehr oder minder schwer verletzt worden. Der Verlust an Gütern ist nicht abgeschätzt. Er soll sich auf mehrere Millionen belaufen. Afrika. *Die Antwort der Regierung von Transvaal auf die Depesche Chamberlains ist in ihrem vollen Wortlaut in London einge troffen. Nach Mitteilungen aus Johannesburg verlangte die Boernregierung als Gegenleistung für die neuen Zugeständnisse an die Ausländer, daß England auf seine Suzerän etät über Transvaal verzichte. Chamber lain habe das Ansinnen als unzulässtig zurück gewiesen. In mehreren Bezirken der Boern- Republik wurden Mausergewehre an die Burghers verteilt. Beunruhigende Berichte liegen aus Natal vor. Angeblich wurde aus den am Sonn tag von Johannesburg kommenden Bahnzug auf dem Transvaalgebiet gefeuert. Unweit der Grenze herrsche bittere Stimmung; der langsame Verlauf der Unterhandlungen verursache eine ernste Geschäftsstockung in Johannesburg. Preußischer Landtag. Im Herrenhause wurde am Donnerstag der Rest der Justizgesetze, nämlich die Vorlage über die frei willige Gerichtsbarkeit, sowie die Ausführungsgesetze zur Grundbuchordnung und zu den RcichSgesetzen über die Zwangsversteigerung und die Zwangsver waltung, ferner die Vorlage über die Zivilprozeß ordnung unverändert nach den Kommissionsbeschlüssen angenommen. Die aus dem Abgeordnetenhause herübergekommcne Vorlage bctr. Schutzmaßregeln im Ouellgebiet der linksseitigen Oderzuflnsse Schlesiens wurde nunmehr endgültig in der Fassung des Ab geordnetenhauses angenommen, nachdem Landwirt schaftsminister Frhr. v. Hammerstein wiederholt hatte, daß, falls das Herrenhaus bei seinen Beschlüssen be züglich der Kostcnfrage beharre, das ganze Gesetz scheitern müsse. Das Herrenhaus beschloß am Freitag, die Vor lage bctr. die Gewährung von Zwischenkrcdit bei Rentengutsgründungen auf Antrag des Grafen Klinckowström von der Tagesordnung abzusetzen. Graf Klinckowström motivierte seinen Antrag damit, daß die Fassung der Vorlage zu großen Bedenken Anlaß gebe. Zu einer längeren Erörterung gab Anlaß der Bericht der Geschäftsordnungs-Kommission betr. Strafverfolgung des .Vorwärts' wegen Beleidi gung des Herrenhauses, begangen in dem Artikel „Der Tag des Herren". Es wurde der Beschluß aus Strafverfolgung konform dem Anträge der Ge schäftsordnung gefaßt, in deren Namen Referent Frhr. v. Durant hcrvorhob: Der Artikel lasse ein solches Maß von Zügellosigkeit der Presse erkennen, daß ein Exempcl statuiert werden müsse. Am Donnerstag wurde im Abgeordnetenhause auf Antrag des Abg. Grafen Limbnrg-Stirum die Beratung des die Abänderung des Rentengütergcsetzes betreffenden Antrages Kanitz mit Rücksicht auf die Abwesenheit des Antragstellers vertagt. Es folgten Kommissionsbcrichte über Petitionen. Eine Petition des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen um Ermäßigung der Eisenbahnfahrpreise für die Beförderung von landwirtschaftlichen Arbeitern nach dem Rhein und zurück wurde der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen. Eine Petition der Vor sitzenden des Landesvereins preußischer Volksschul lehrerinnen, Elisabeth Schneider, um Aenderung der Gesetzgebung über die Fürsorge für verbrecherische oder sittlich gefährdete Kinder wurde, entsprechend dem Kommissionsantrage, der Regierung als Material überwiesen. Im Abgeordnetenhause wurde am Freitag das Gesetz betr. die Gerichtsorganisation für Berlin und Umgebung in dritter Lesung angenommen. Sodann trat das Haus in die Beratung der vom Herren hause zurückgelangten Justizgesetze ein. Das Aus- führungsgesetz zum Handelsgesetzbuch und das Aus- sührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch müssen noch einmal an das Herrenhaus zurückgehen, da das Abgeordnetenhaus an seinen Beschlüssen festhielt. In namentlicher Abstimmung wurde in dem ersten Gesetz der vom Herrenhaus wiederhergestcllte Art. 4 (Auflösung von Aktiengesellschaften) gestrichen. Im Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch wurde insbesondere zu Art. 73 die Nummer 4, welche von der Mündelsicherheit der mit kommunaler Garantie ausgegebenen Pfandbriefe der Hypothekenbanken handelt, wiederhergestellt. Es wurden noch eine An zahl Petitionen erledigt. Die „Keweise" gegen Dreyfus. Die Köln. Ztg.' schreibt: Um den heute noch fehlenden materiellen Beweis gegen Dreyfus herzustellen, wurden fol gende Mittel angewandt: 1) Fälschung der Depesche Panizzardis vom 2. November 1894, indem man eine falsche Uebersetzung zu den Akten nahm. 2) Falsche Auslegung des Briefes Schwartz- koppens an Panizzardi, in dem vo vauaills äs v. vorkommt, da v. sich nach Cuignets und selbst Henrys Aussage im Zolaprozeß nicht auf Dreyfus beziehen kann und trotzdem der aus dem Generalstab stammende Artikel des ,Eclair' vom 15. September 1896 das v. in der Form est animal Ls vrs^kus als Schuldbeweis an führte. 3) Fälschung desselben Briefes dadurch, daß du Paty in seinem Kommentar den Oberst Panizzardi als Verfasser angibt, während Schwartzkoppen ihn geschrieben hat. Sie geschah, damit der Brief in das Anklagesystem du Patys hineinpaßte. 4) Fälschung eines Briefes Schwartzkoppens an Panizzardi vom August 1896, indem ein Name ausradiert und durch den Buchstaben v. ersetzt und die Datierung Juni 1894 eingeschrieben wurde. 5) Der unter der Bezeichnung „Fälschung Henrys" bekannte Schuldbeweis Cavaignacs, worin der Name Dreyfus ausgeschrieben ist. 6) Fälschung zweier anderen Briefe, denen Henry für Nr. 4 Kopf und Unterschrift ab geschnitten hatte. 7) Die Fälschung Weyler vom Juli 1896: ein Brief an Dreyfus, zwischen dessen Zeilen, aber deutlich erkennbar, mit sympathetischer Tinte Dinge geschrieben waren, die Dreyfus verdächtig erscheinen lassen sollten. 8) Fälschung des Briefes des Obersten Schneider, worin erklärt wird, Dreyfus sei schuldig. Die Fälschung ist wahrscheinlich bei der Uebersetzung vom Deutschen ins Französische eingeschmuggelt worden. (Vorgetragen von Mercier und Roget in Rennes.) 9) Die gefälschten „Ottobriefe" eines deutschen Diplomaten an Esterhazy, die man den Freunden Dreyfus' in die Hände zu spielen suchte, um sie dann der Fälschung zu verdächtigen. 10) Die Fälschung eines Briefes Panizzardis an den italienischen Botschafter, worin gesagt sein soll, Dreyfus habe Beziehungen zu Schwartz koppen unterhalten (Roget in Rennes). Alle diese Fälschungen sind, soweit sie materielle Beweise der Schuld Dreyfus' ent hielten, in den verschiedenen Phasen der An gelegenheit von den Anklägern Dreyfus' vor- gebrachl und verfochten worden, bis die Fäl schung nachgewiesen war. Eine weitere Fäl schung sind 11) Die Briefe des deutschen Kaisers an den Grafen Münster über Dreyfus und Dreyfus' Briefe an Kaiser Wilhelm. Henry HU auf ste angespielt in einer Unterredung mit Paleologue und im Prozeß Zola; auch Rochefort behauptet nach einem Besuch, den ihm Oberst Pausfin de St. Morel, der Adjutant Boisdeffres, machte, daß sie vorhanden seien. Von amt lichen Stellen find sie bis jetzt stets verleugnet worden. Dazu kommen die Fälschungen, die dazu dienten, Esterhazy zu entlasten und Picquart zu verdächtigen, nämlich 12) Die Radierung der Adresse des Petit- Bleu. Der Name des Adressaten Esterhazy wurde ausradiert und dann das Wort Ester hazy von neuem darüber geschrieben, um den Glauben zu erwecken, daß Picquart de« Namen Esterhazy statt eines andem eingesetzt habe. 13) Fälschung des Datums auf einem Zeitungsausschnitt. Statt des 5. Januar 1897 wurde gesetzt 5. Januar 1896, um zu beweisen, daß schon 1896 Picquart die Spur Esterhazys verfolgt habe. 14) Gefälschte Depesche Speranza. 15) Gefälschte Depesche Blanche. Weshalb alle diese verbrecherischen Machen schaften ? Nur weil der Jude schuldig sein und bleiben mußte? Oder galt es andere Verbrechen damit zu verdecken, offenbarte sich ihnen der Fluch der bösen That, die nachzeugend Böses gebären mußte? Eine ganze Reihe anderer Fragen drängt sich in diesem Zusammenhang auf: Weshalb ließ man Henry, dem über führten Fälscher, die Möglichkeit, Selbstmord zu begehen, weshalb ließ man ihm das Rasiermesser gegen die sonst, auch bei Picquart, angewandte Vorschrift, den Untersnchungs- gefangenen alles abzunehmen? Weshalb versäumte man es, sofort ein Protokoll über das Geständnis Henrys aufzusetzen? Wie er klärt sich der moralische Zusammenbruch Henrys vor dem Untersuchungsrichter Bertulus? Wes halb fehlt auch ein amtlicher Bericht über die Geständnisse, die Dreyfus dem Hauptmann Lebrun-Renaud abgelegt haben soll, weshalb find sie nur in einem (der Fälschung verdächti gen) Privatbriefe des Generals Gonse an Bois- deffre am 6. Januar 1895 niedergelegt? Wes halb vernichtete Lebrun-Renaud das Blatt seines Notizbuches, auf dem er sie vermerkt haben will, weshalb schweigt er von den Geständnissen dem Präsidenten der Republik gegenüber, zu dem Mercier ihn mit dem Auftrage geschickt hatte, dar über zu berichten? Weshalb erfährt Picquart nichts von diesen Geständnissen, weshalb verheimlicht man ihm so lange den einzigen Schuldbeweis, der sich dann als Fälschung Henrys herausstellt? Weshalb wird der Oberst Jeannel, der Dreyfus die im Bordereau erwähnte Schießvorschrist ge liehen haben soll, 1894 nur in der Vorunter suchung, nicht aber im Hauptverfahren ver nommen? Weil er, wie die Verteidigung am 22. d. feststellte, nicht die französische, sondern die deutsche Schießvorschrist dem Angeklagten geliehen hat und somit seine Aussage 1894 ent lastend gewirkt hätte. Weshalb erinnert sich die ehemalige Ordonnanz im Generalstab, Ferrel, erst nach vier Jahren, daß er einst Dreyfus in Gegenwart eines Zivilisten vor einem geheimen Aktenstück angetroffen hat, weshalb sagt er dar über nicht 1894 aus? Weshalb alle die Machen schaften zur Rettung Esterhazys, der anonyme Brief, der ihn von der ihm drohenden Gefahr benachrichtigt, die heimlichen Zusammenkünfte mit ihm mittels falscher Bärte und blauer Brillen, die Unterstützung, die man ihm bei seinem Prozeß vor dem Kriegsgericht angedeihcn ließ, seine „Befreiung" durch das äosnmsnt Uböratsur? Weshalb erscheint Esterhazy nicht Der Korsrakomg. 16) Roman von Karl Ed. Klopfer. Elvira brauchte diesen Herren nur anzu deuten, daß der Mensch dort sie zu beleidigen gewagt habe, und jeder würde es als eine Auszeichnung betrachten, für sie eintreten zu dürfen. Freilich, zu einem wirklichen Zweikampf käme es ja doch nicht, denn dieser Schulmeister, dieser trockene Büchermensch konnte ja nur mit seinem bischen Gelehrtheit prahlen und zog sich gewiß zurück, wenn es galt, mit der Waffe in der Hand seinen Mut zu beweisen. Aber eben diese Blamage, die wollte sie haben; seine ge wundenen Entschuldigungen vor einem ihn herausfordernden Gegner zu hören, ihn feig zu sehen, — das war dann ihre Rache. O, wie sehnlich wünschte sie jetzt, daß ein geeigneter Richter dagewesen wäre I Sie blickte sich ringsum, ob nicht doch einer von den vielen, die sie an den Fingern herzählen konnte, zu erspähen sei, und sah gerade wieder ihn, den Unerträglichen, Gehaßten, wie er in kühnem Bogen dahergesaust kam. Und da — keine fünf Schritte mehr von ihr entfernt — machte er eine scharfe Wendung abseits. Es war ein Meisterstück von Kraft und Gewandtheit, das mußte sie sich als Sachverständige wider Willen gestehen. Und es ärgerte sie, daß der Mann, in dem sie nur den pedantischen Stubengelehrten erblicken wollte, ihr diese Anerkennung abnötigte. Freilich, er war ja eigentlich ein Bauernjunge oder so was dergleichen, der in der Kindheit da draußen auf dem Lande genug Gelegenheit zu Leibesübungen gehabt hatte. Seine Studenten jahre hatte er dann wohl auch nicht bloß mit dem Bücherstudium verbracht. Seltsam! sie stellte sich ihn jetzt als Korpsburschen vor, mit dem Schläger in der Faust, und das paßte ganz gut zu seiner schlanken geschmeidigen und doch kräftigen Figur. Und mit zorniger Erbitterung mußte fie den Gedanken aufgeben, ihn als „Feigling" vor der Mensur zurückbeben zu sehen. Wie ? der Mensch war am Ende im stände, ihren imaginären Ritter sogar in den Sand zu strecken, mit blutigem Kopf heimzuschicken, und dann erst recht zu triumphieren! Sie sprang auf. Was wollte fie da? Sollte fie ihm vielleicht noch weiter Gelegenheit geben, sich vor ihm zu produzieren? Sie haßte solche Prahlerei. Und überdies fror fie bereits recht empfindlich. Energisch ausgreifend, glitt fie über die kristallene Fläche. Die rasche Bewegung belebte ste und gewährte ihr Befriedigung. Heidi! da ging es dahin, daß ihr der Wind um die Ohren pfiff, und immer weiter und Wetter hinaus aus dem großen Schwarm, der ihre freie Bewegung einengte. Sie wollte unendlichen Spielraum haben, fich einmal bis zur Erschöpfung aus laufen. Platz war wohl genug da. Der See dehnte fich weiter oben in schmälerem Bette noch mehrere Kilometer lang aus, in regelloser Krüm mung fich zwischen den Bäumen des Parkes verlierend. Dort oben war die Eisdecke zwar nicht gefegt, da nur der breitere Platz für die Schlittschuhläufer abgestecktwar, aber was schadete das, fie hatte wieder einmal das Bedürfnis, aus der gewöhnlichen Ordnung zu treten. „Herr Doktor, sehen Sie doch — ist das nicht Elvira dort oben?" Robert, dem der Hauslehrer entgegen gestürmt war, zeigte nach der frei auslaufenden Richtung. Friedrich folgte mit den Blicken. Ja er erkannte mit seinen scharfen Augen noch die blaue Feder, während die dunkle Gestalt schon so winzig erschien, daß fie einem gleichgültigen Zuschauer nicht aufgefallen wäre. Plötzlich zuckte er zusammen und ver färbte fich. „Herrgott! Da begibt ste fich in Gefahr!" „Wieso?" „Sehen Sie die beiden roten Pfähle dort drüben? Das ist die Grenze bis zu welcher das Eis geprüft worden ist. Weiter draußen find gefährliche Stellen — da ist das Eis wegen der einmündenden Waldbäche noch nicht fest. Das hat mir vor fünf Minuten erst der Park wächter gesagt." Damit hatte er die momentane Erstarrung des Schreckens schon abgeworfen und jagte wie die Windsbraut dahin, der Sorglosen nach, so daß Robert, der ihm folgte, so gut er konnte, bald weit hinter ihm zurückblieb. Das war eine Hetze! Schwerdtner nahm alle Kräfte zusammen, nichts weiter mehr denken, als daß jemand in Todesgefahr schwebe, und daß es möglicherweise nur von der Sekunde abhing, dre Ahnungslose dem Verderben zu entreißen. Elvira war rasch und gewandt, er war noch rascher, noch gewandter, jeder Stoß nach vor wärts trug ihn doppelt so wett als fie, aber ehe er ihren mächtigen Vorsprung eingeholt, konnte fie zehnmal ihrem Verhängnis erlegen sein. Er hielt die hohlen Hände an den Mund und schrie ihr eine Warnung nach. Sie hörte nicht, die Entfernung war zu groß und er hatte nicht Atem genug; er mußte die Kraft feiner Lungen an das Vorwärtseilen setzen. Es flimmerte ihm vor den Augen, das Blut tobte in seinen Adern, der heiße Atem flatterte wie eine Dampfwolke von seinem Munde; er spürte keinen Boden unter den Füßen und konnte die Distanz zwischen fich und der Ver folgten nicht mehr abschätzen. Er wurde nur von dem einen beseelt, aufrechterhalten und gestärkt: von dem Willen, immer noch schneller vorwärts zu kommen. Da oben, etwa noch hundert Meter von ihm entfernt, machte der See eine so jähe Biegung, daß die Bäume am Ufer eine förmliche Ecke bil deten. Dort mußte er fie aus dem Auge ver lieren und dort, hatte er das Gefühl, dort war Elviras Schicksal besiegelt. Wenn fie einbrach, ehe er fie sah, dann konnte fie von der Strömung der einmündenden Gewässer unter das Eis fort- gerissen werden, und dann wäre jede Rettung unmöglich gewesen. Noch einmal alles Leben in ihm zusammen gerafft! Die letzte Kraft gesammelt! Elvira schien eben an jener äußersten Grenze ange langt. Und er gebrauchte abermals die Hände als Sprachrohr und schrie zu ihr hinüber, daß ihm dre Sehnen am Halse schmerzten: „Halt! nicht weiter!" Mehr konnte er nicht herausbringen. Er glaubte erschöpft hiustürzen zu müssen. Aber gottlob, er sah, daß Elvira den Kopf wandte; sie hatte ihn also gehört, fie mußte ihn sehe».
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