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Allgemeiner Anzeiger : 02.08.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-08-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189908026
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18990802
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-08
- Tag 1899-08-02
-
Monat
1899-08
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 02.08.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. * Der Kaiser verbleibt am 29. und 30. d. in Bergen und trifft am 1. k. wieder inKiel ein. * Der Reichskanzler Fürst Hohenlohe begab sich von Wildbad nach München und wird am 3. August inAussee eintreffen. Etwa am 18. August gedenkt er sodann wieder nach Berlin zu kommen, um den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über die Kanalvorlage bei zuwohnen. Acht Tage darauf beabsichtigt der Fürst, nach Rußland zu reisen. *Der ,Pester Lloyd' veröffentlicht folgende Note über den bevorstehenden Besuch des Grafen Goluchowski bei dem deutschen Reichskanzler: „Die Begegnung des Gra fen Goluchowski mit dem Reichskanzler Fürsten Hohenlohe hat, wie man uns aus Wien schreibt, keinerlei besonderen politischen Zweck. Es ist der übliche Höflichkeitsbesuch, den Graf Goluchowski dem Reichskanzler, wenn dieser in Aussee weilt und Graf Goluchowski am Hof lager in Ischl erscheint, zu machen pflegt. Es heißt, daß Graf Goluchowski nach seiner Rückkehr aus Paris auch den Besuch des auf dem Sem mering weilenden Staatssekretärs Grafen Bülow empfangen und demselben dann einen Gegen besuch auf dem Semmering machen werde." Der Eindruck, daß man von österreichischer Seite auf eine Abkühlung der politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn Hin weisen wolle, wird durch diese zweite Notiz na türlich noch verstärkt. * Die letzten drei Jahre haben im Reiche ganz beträchtliche Posten zur Schuldentil gung verfügbar gemacht. Im Jahre 1896/97 waren es 50 Mill. Mk., im Jahre 1897/98 37V- Mill, und im letztverflossenen Etatsjahre 42,4 Mill. Mk. Insgesamt find also für diesen Zweck in den genannten drei Jahren rund 130 Millionen Mk. zur Verfügung gewesen. Dank diesen günstigen finanziellen Abschlüssen find an Anleihen in den drei Jahren insgesamt nur 37,2 Mill. Mk. nötig geworden. Oesterreich-Ungar»». * In Oesterreich wächst der Wider stand gegen die auf Grund des 8 14 ge troffenen ungesetzlichenAnordnungen der Regierung an. Die Bürgermeister und Ge meindevorsteher des politischen Bezirks Reichen berg haben beschlossen, die Hilfeleistung zur Handhabung der Notverordnung betr. den Aus gleich abzulehnen. Frankreich. * Dem ,Echo de Paris' zufolge hatte Prä sident Loubet eine Unterredung mit dem Präsidenten des Kassationshofes Maze au, bei welcher Gelegenheit ersterer erklärt haben soll, Mazeau möge ihn (Loubet) als einfachen Privatmann betrachten und seine Meinung dar über äußern, ob er Dreyfus für schuldig oder für unschuldig halte. Mazeau erwiderte: Er habe alles studiert, was auf Dreyfus Bezug haben könnte, aber nichts entdecken können, was auf die Schuld Dreyfus' schließen ließ, im Gegenteil, alles deutet auf die Un schuld dieses Mannes hin. — Der Justiz minister hat eine Untersuchung angeordnet über die Wahrheit dieser Mitteilung. * Dreyfus richtete ein Schreiben an den Präsidenten des Kriegsgerichts, worin er die Aussagen Lebrun-Renaulds bezüglich der Geständnisse als von Anfang bis Ende erfunden bezeichnet. Dreyfus klagt Lebrun der falschen Zeugenaussage und des Meineids an und fordert die Vorladung desselben. * Der Kriegsminister richtete ein Rundschreiben an die Kommandanten der Truppenteile, worin diese aufgefordert werden, alle Offiziere namhaft zu machen, welche die Regierungs beschlüsse kritisieren. Diese sollen sofort kassiert werden. (Da wird wohl das halbe Offizier korps Frankreichs über die Klinge springen.) * Die wirkliche Ursache der scharfen Be strafung Negriers liegt keineswegs in den Ansprachen des Generals,, vielmehr besitzt die Regierung Beweise, daß Negrier ein förm liches Komplott organisierte, indem er den obersten Kriegsrat zu einer feindlichen Stellungnahme gegen Loubet verleiten wollte. An Zurlinden fand Negrier einen Helfershelfer, weshalb Zurlindens Sturz befiehlt erscheint. Doch wurde seine Maßregelung verschoben, weil Zurlinden als Zeuge im Dreyfusprozeß vor geladen ist. Negrier erhält kein Kommando und bezieht fortan nur die Hälfte seines bisherigen Gehalts. England. * In der Kommission des Unterhauses wurde am Mittwoch erklärt, die französische Regierung habe eine größere Entschädigung für den ihr durch den Ankauf der Ländereien der „Niger-Company" seitens der eng lischen Regierung zugefügten Schaden verlangt. Die englische Regierung sei entschlossen, diesen Forderungen kein Gehör zu schenken, da die von ihr bezahlte Ankaufssumme genüge. Belgien. *Jn Regierungskreisen verlautet, in der Sitzung des Fünfzehner-Ausschusses werde die Vorlage für die verhältnismäßigen Wahlen mit etwa 10 gegen 5 Stimmen angenommen werden. Die Mitglieder der Regierung seien jetzt einig, sich dieser Vorlage anzupassen. Demzufolge wird die Beratung der Gesetzesvorlage wahrscheinlich bereits in den nächsten Tagen beginnen. Holland. * Obgleich die Ergebnisse der Friedens konferenz nicht unerheblich hinter den Zielen zurückbleiben, die derKaiser von Rußland anstrebte, hat dieser doch seiner Befriedigung über das Erreichte Ausdruck gegeben. Wie nämlich die Wiener .Politische Korrespondenz' aus dem Haag erfährt, übermittelte Kaiser Nikolaus Herrn von Staal durch den Minister des Auswärtigen, Grafen Murawiew, den Aus druck der Befriedigung über die Thätigkeit Staals auf der Haager Friedenskonferenz sowie Glück wünsche zu den erreichten Erfolgen. Sv amen. * Der Senat beriet am Donnerstag die Vor lage betr. das Armee-Kontingent. Der bekannte Weyler sprach sich für Verminderung desselben aus und bemerkte, die Lage sei ernst. Es sei wahrscheinlich, daß eine Revo lution ausbrechen werde, die Spanien erretten werde, wie die von Serrano gemachte Revolution Spanien errettet habe. Der Minister des Innern Dato erwiderte Weyler, das Heer stehe im Dienste des Vater landes und sei nicht zur Befriedigung der ehrgeizigen Bestrebungen einzelner da. Wenn irgend jemand, ob hoch oder niedrig, sich außerhalb des Gesetzes stellen wolle, werde das Gesetz unerbittlich sein. Darauf nahm der Senat den Gesetzentwurf an. Balkanstaaten. *Es verlautet, der Prozeß gegen Kneze- witsch und die radikale Partei in Serbien beginne in den allernächsten Tagen, und es herrscht die Meinung vor, daß gegen die hervorragenden Mitglieder der Partei sowie gegen alle verhafteten Politiker äußerste Strenge walten werde. Man glaubt, für Tauschanowitsch und Pafitsch sei das Todes urteil wahrscheinlich, wenn auch nicht die Vollziehung desselben. Amerika. * Der Präsident der dominika nischen Republik (auf der Insel Haiti) Heureaux ist am Donnerstag auf offener Straße ermordet worden. Der Mörder benutzte einen Augenblick, in dem der Präsident mit mehreren Freunden plauderte, um zwei Revolver schüsse auf ihn abzuseuern. Der Präsident wurde gerade ins Herz getroffen und starb auf der Stelle. Es entstand eine große Panik. Juan Isidore Jimenes hat diebesten Aussichten, Heureaux' Nachfolger zu werden. * Die neuesten Berichte aus Cuba schil dern die Lage als trostlos, besonders da das Austreten des gelben Fiebers auch die gesundheitlichen Verhältnisse in den Hauptplätzen der Insel unerträglich gemacht hat. In Havana find seit Mitte Juni über 400 Personen dem Fieber erlegen, und in San Jago hat die Krank heit besonders infolge der Zuwandemng von nordamerikanischen Abenteurern und von Mann ¬ schaften der vormaligen cubanischen Armee großen Umfang gewonnen. Asten. * Der Bündnisvertrag, der zwischen Japan und China bereits abgeschlossen sein soll, soll auf folgender Grundlage beruhen: Japan gibt die im letzten Kriege eroberten zehn chinesischen Kriegsschiffe zurück. Aber diese, sowie alle andern chinesischen Kriegsschiffe sollen zu künftig von japanischen Marineoffizieren geführt werden; mit andern Worten: Japan „schenkt" China die ihm seiner Zeit abgenommene Flotte, aber unter der Bedingung, daß dieses ihm da gegen die Führung und das Kommando seiner Gesamtflotte überläßt. Als weitere Gegen leistung räumt China dem neuen Bundesgenossen „bedeutende" Vorrechte in Fukien ein. Worin diese im einzelnen bestehen, ist zunächst unbe kannt. Japan verpflichtet sich, dieReorgani - sation der chinesischenArmee zu über nehmen und die dafür nötigen Offiziere und Instruktoren zu stellen. Wie weit diese Be stimmung geht, muß ebenfalls vorläufig dahin gestellt bleiben. De«1sch-fra«röstsche Begegnung im Ausland. Ueber den Besuch des deutschen Kreuzers „Prinzeß Wilhelm" in dem französischen Hafen Saigon in Indochina schreibt dem ,Oftas. Lloyd' ein dort ansässiger deutscher Kaufmann wie folgt: „Schon mehrere Tage vor dem Eintreffen der „Prinzeß Wilhelm" herrschte unter den deutschen Kolonisten eine freudige Aufregung, sollte doch zum ersten Male seit zwölf Jahren wieder ein deutsches Kriegsschiff seine Flagge in unserem Hafen zeigen. Daß der Besuch der „Prinzeß Wilhelm" kein zufälliger war, vielmehr iu be stimmter Absicht erfolgte, war wohl jedem hier in Saigon klar und machte die Spannung ver ständlich, mit der die hiesigen Engländer und Franzosen, sowie vor allem die Deutschen der Entwickelung der Dinge folgten. Zu unserer großen Genugtuung kann ich nun, nachdem uns der deutsche Kreuzer wieder verlassen hat, feststellen, daß der Besuch in jeder Hinsicht vor- züglich verlaufen ist. Das Auftreten der deutschen Besatzung war nach jeder Richtung hin musterhaft; es ist nicht nur nicht zu den Reibe- reren und Schlägereien gekommen, an die wir hier leider gewöhnt find, sondern es entwickelte fich sogar zwischen den deutschen und den fran zösischen Mannschaften ein durchaus freundschaft licher Verkehr. In allen Kneipen und Cafes sah man die deutschen und französischen Unter offiziere, Soldaten und Mattosen fröhlich zu sammen zechen. Man traf sie in Trupps auf den Boulevards und im Zoologischen Garten, wo die Franzosen die Führer machten. Beson ders imponierte den Franzosen, wie sie später wiederholt noch erklärten, die stramme, militärische Art, in der die deutschen Matrosen die fran zösischen Offiziere und Unteroffiziere grüßten, das tadellose Auftreten der deutschen Offiziere in den feineren Cafäs und Restaurants. Nach dem die üblichen Salute und Visiten zwischen dem französischen Gouverneur, den Marine- und Militärbehörden mit dem deutschen Kreuzer aus getauscht waren, fand am zweiten Abend ein Essen beim französischen Gouverneur statt, zu dem der Kommandant und die Offiziere der „Prinzeß Wilhelm", sowie eine Anzahl fran zösischer Armee- und Marineoffiziere geladen waren. Am nächsten Vormittag fand an Bord des deutschen Kriegsschiffs ein Frühstück statt, zu dem die Spitzen der französischen Verwal tungs- und Militärbehörden erschienen. Die deutsche Kolonie Saigons hatte die deutschen Offiziere zu einem Essen, die Deckoffiziere zu einem Bierabend eingeladen und wurde auch an Bord wieder feucht-fröhlich bewirtet. Für die Mannschaft hatten die deutschen Kaufleute Bier und Zigarren an Bord gesandt. Hier in Saigon sind etwa 30 deutsche Kaufleute und Ingenieure ansässig, wozu dann noch einige Holländer und Schweizer kommen, die zu den Deutschen fich gesellen. Der deutsche Handel ist an der Ein fuhr mit 40 Prozent, an der Ausfuhr mit 20 Prozent beteiligt. Er steht nach dem fran zösischen an erster Stelle. Die größte Handelsfirma hier am Platze ist die Firma Seidel und Komp. Der Verkehr zwischen Deutschen und Franzosen ist im allgemeinen sreundlich und zuvorkommend, während das Ver hältnis zwischen Franzosen und Engländern recht gespannt ist. Der Gedanke einer deutsch-russisch- franzöfischen Allianz ist auch hier lebhaft im Fluß. Die Kreise der gebildeteren Franzosen, der Kaufleute und Marine, stehen ihm zustimmend und sympathisch gegenüber, während ein Teil der Armee und der unteren Beamtenschaft Elsaß- Lothringen noch immer nicht vergessen können. Am besten spiegeln fich die Stimmungen dieser beiden Strömungen in den Artikeln wieder, die der ,Courrier de Saigon' und Mökong' bei dieser Gelegenheit brachten. Das erstere Blatt ist das Organ der gebildeten Stände und der Kaufmannschaft; es bespricht den Besuch des deutschen Kreuzers in freundschaftlicher, ent gegenkommender Weise und knüpft daran ruhige und kühl durchdachte politische Erwägungen, während der Artikel des zweitgenannten Blattes den französischen Chauvinismus, selbst wenn auch der Verfasser fich bemüht, etwas abzu schwächen, in seinem ganzen Glanze erkennen läßt; wie weit dabei der Geschäftspatnotismus des,Mekong' eine Rolle spielt, kann hier dahin gestellt bleiben. Wie dem aber auch immer sei, Thatsache ist und bleibt, daß der Besuch des deutschen Kreuzers, das geschickte, diplomatische Austreten seines Kommandanten, Kapitäns zur See Truppel, sowie die ausgezeichnete Haltung der gesamten Besatzung einen sehr guten Ein druck hier hinterlassen hat, der seinerseits zweifellos dazu beitragen wird, das hier schon bestehende gute Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen noch mehr zu befestigen und zu erweitern." Es muß immer wieder, schon um der natio nalen Würde willen, davor gewarnt werden, von deutsch-französischen politischen Verbindungen zu sprechen, wenn, wie es auch in Saigon ge schah, Vertreter beider Nationen miteinander so verkehren, wre es unter gesitteten Menschen üblich ist. Uon Nah nnd Fern. Kottbus. Die Einweihung des Dortmund- Ems-Kanals wird höchstwahrscheinlich in kürzester Zeit durch den Kaiser vorgenommen werden. Dem Bau-Ingenieur H. Schröder - Kottbus ist am 26. d. von einer der ersten Baufirmen Dort munds der Auftrag zu teil geworden, innerhalb 24 Stunden Projekte zur Ausführung der Tri bünen am Hafen zum Empfang des Kaisers anzufertigen. Marienburg. Das Feuer wurde Mitt woch nachmittag zurückgedrängt, nachdem es sich von der Ausbruchsstelle in der dicht an der Nogat gelegenen Speicherstraße nach den Hohen- lauben am Markt nach rechts und links ver breitet hatte und erst etwa 300 Meter von dem Hochmeisterschloß zum Stillstand gekommen war. Das Schloß selbst war infolge des entgegen gesetzten Windes niemals gefährdet. Fünfzig Wohngebäude und Stallungen, darunter das alte Gymnasium, die Töchterschule, die Leistikow- Apotheke, die Rathaus-Apotheke und die Druckerei der ,Nogat-Zeitung' wurden vom Feuer zer stört. Brünling, dem bedeutendsten Engros- schlächter Westpreußens, in dessen Wurstwaren fabrik das Feuer ausbrach, sind zwei Pferde verbrannt. Personen wurden nicht verletzt, nur ein Feuerwehrmann erlitt eine leichte Verwun dung am Kopfe. Der Schaden dürfte mehrere Millionen betragen, jedoch zumeist durch Ver sicherung gedeckt sein. Köln. Dem hiesigen Bürgerhospital wurden fünf Personen übergeben, welche durch Stiche von Fliegen an Blutvergiftung gefährlich er krankt find. Der Zustand der einen Person ist hoffnungslos. Dortmund. Infolge eines Streites zeigte der Bergmann Quante der Behörde an, daß sein eigener Sohn zu Ostern den Bergmann Walther erschossen und die Leiche im Walde verscharrt habe. Die Leiche wurde an der angegebenen Stelle aufgefunden und der Mörder verhaftet. Halberstadt. Im benachbarten Dorf Hars leben erschoß im Kuhstall ein 23jLhriger Knecht seine Braut und darauf fich selbst. Der Korsen König. 81 Roman von Karl Ed. Klopfer. Und wie kam Schwerdtner zu der zweifelhaften Ehre, von diesem Herrn einer so ausgiebigen Annäherung gewürdigt zu werden? Hatte ihn Rümmel nur zum besten gehlten? Gedachte er jetzt vielleicht vor „seinen Damen" beifälliges Gelächter zu erregen, wenn er sein Abenteuer mit diesem naiven Philologengemüt in ge würzter Schilderung als ein Szene nach der Art jener zwischen Mephisto und dem Schüler im ersten Teil des „Faust" zum besten gab? Und gehörte vielleicht auch das Freifräulein d. Ellerich zu diesen Damen? Ergötzte auch sie sich an dem „pikanten Klatsch*, den Herr ». Rümmel als geschätzter Plauderer von Haus zu Haus trug, an den boshaften Verleumdungen, die so angenehm die — Langeweile vertrieben? Allerdings, über Elvira hatte der giftige Schwätzer nichts eingentlich Boshaftes zu sagen gewußt. Das erfüllte Friedrich mit einiger Genugthuung. Aber die Bitterkeit in seinem Herzen wollte nicht weichen. Er fühlte eine schwere Abspannung in allen Gliedern, eine öde Trostlosigkeit ging durch seine Seele. Mit schwankendem Kopf wandelte er durch die Reihen dieser Menschen. Was wollte er da überhaupt? War denn hier der Platz für ihn? Aber er hatte ja Weltstudium treiben, Menschenkenntnis sammeln wollen! Und war er nicht wirklich schon um bedeutende Erfahrun gen reicher geworden? . . . Er drückte sich an den Wänden hin und schritt durch mehrere Gemächer. Ueberall diese beengende Stickluft, dieselben geputzten Damen und ordengeschmückten Herren. Da wurde ge lacht und gespöttelt, bei Eis und Limonade ein guter Leumund zerstört, hier wurde über Politik gesprochen, dort über Geld- und Börsenopera tionen, und das alles verband eine gewisse Harmonie, deren Wesen ihm noch nicht klar war, die ihn aber bereits mit einer unheimlichen Ahnung erfüllte. Er empfand, daß er hier auf einem feindlichen Boden stehe, und wie unend lich schwach fühlte fich sein guter Wille dieser geschlossenen „guten Gesellschaft" gegenüber! Er atmete freier auf, als er sich in einem kleinen Gemache befand, wo endlich kühlere Lust und angenehmes Halbdunkel herrschten. Er wußte nicht recht, wie er dahin gekommen war. Er hatte eine Portiere aufgehoben, und sah fich mit einem Male unmittelbar aus dem größten Trubel in diese hochwillkommene Oase versetzt. Er war allein. Unter den herabgeschraubten Gaslampen standen einige Spieltische, dort in der Fensternische ein kleines Sofa. Hier ließ er fich nieder, müde wie ein gehetztes Wild. Die Brandung der Gesellschaftsflut schlug noch von links und rechts an sein Ohr; die beiden einander gegenüberliegenden Thüren dieses Gemaches waren ja nur durch herab- gelassene Samtvorhänge verschlossen. Aber gottlob, er brauchte doch wenigstens niemand zu sehen! Er lehnte das Haupt zurück, und schloß unwillkürlich die Augen. Es war spät ge worden; er war es nicht gewohnt, so lange aufzubleiben — und dann dieses aufreibende Getümmel! . . . Er lauschte mit schläfrigem Ohr auf das Geräusch der vielen Stimmen in seiner Nähe. Wirklich, es klang wie Meeresbrausen oder fernes Sturmesrauschen, dann wieder wie das Arbeitsgeräusch einer fürchterlichen Maschine oder wie der schwere Atem, das Schnauben eines Ungetüms — jenes „goldenen Kalbes" vielleicht, von dem Rümmel gesprochen hatte. Es rückte näher und näher an ihn heran, drohte fich ihm auf die Brust zu wälzen. Er streckte mühsam atmend die Arme zur Abwehr aus — und riß die Augen auf. Was? wäre er nicht beinahe eingeschlafen? Dummheit! Da war es doch besser, zu Bett zu gehen. Er wollte aufstehen, aber in seinen Gliedern lag es wie Blei. Und die Rast that so wohl. Nur fünf Minuten noch da auf dem weichen Sofa! Er würde fich schon hüten, wieder ein zunicken und fich da etwa überraschen zu lassen. O! sein Geist war wieder rege, seine Sinne befanden fich vollkommen in Ordnung. Deutlich hörte er die Stimmen im anstoßenden Zimmer — drei oder vier Herren plauderten da mit einander — jetzt sprach einer allein, man ver stand sogar die Worte, es war ein förmlicher Vortrag. „Die argentinische Anleihe, sage ich, bietet ein überaus gesundes Feld für die Anlage deutscher Kapitalien, denn wenn Sie den Aufschwung, die frische Entwickelung bedenken, der dieser an bis her unbenutzten Naturkräften so reiche Staat unzweifelhaft entgegengeht.. " Die Stimme senkte sich, andere mischten fiH dazu, das Gespräch wurde wieder allgemein und verlor fich in einem unbestimmten farblosen Ge murmel, das etwas ungemein Einlullendes hatte. Schwerdtner bemühte sich vergeblich, ihm zuwider stehen. Die Augen fielen ihm abermals zu, ehe er es merkte. Er hörte wieder das Schnauben, das Rollen — wie das Geräusch einer Dampf maschine, eine Lokomotive, welche rastlose Wagen räder nach fich zog. Er saß im pfeilschnell da hinjagenden Eisenbahnkoupee, aber er hatte nach einer Weile die Empfindung, daß er eigentlich nicht schlummern wollte. Er bemühte fich auch krampfhaft, seine Ohren wachzuhalten, sein Be wußtsein nicht völlig schwinden zu lassen. Er hörte auf die beiden Reisenden, die mit ihm in derselben Wagenabteilung saßen, mit einan der redeten. Ja, er hörte den einen recht deutlich.... Da machte sein Geist einen jähen Satz, einen Sprung zu momentaner Klarheit, wie er im Halbschlummer bei überreizten Nerven nicht selten ist — und da wußte er, daß diese Eisenbahn szene ja etwas Altes, Vergangenes war, wußte auch, wie fie geendet hatte: mit dem Anblick des Opfers jener gräßlichen Blutthat und — daß es die Stimme des Mörders war, die er zu hören vermeinte. Mit gewaltsamer Anstrengung riß er die Augen auf, nicht gleich wissend, wo er sei. aber — die Stimme des Mörders drang deutlich an sein Ohr. „Der Mörder ist da — im Nebenzimmer!" durchzuckte es ihn.
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